Umgangsrecht der Großeltern

Gericht

LG Kassel


Art der Entscheidung

Beschluss über Beschwerde


Datum

02. 04. 1997


Aktenzeichen

2 T 89/96


Leitsatz des Gerichts

Zum Umgangsrecht von Großeltern (hier: Spannungen zwischen Eltern und Großeltern)

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

Durch den angefochtenen Beschluss sind zutreffend die von den ASt. im Hinblick auf ein Umgangsrecht mit ihrem Enkelkind gestellten Anträge zurückgewiesen worden. Die Beschwerdebegründung vermag demgegenüber keine anders lautende Entscheidung zu rechtfertigen.

Entgegen der Auffassung der ASt. steht diesen als Großeltern kein Umgangsrecht hinsichtlich ihres Enkelkindes zu.

1. Seit der Entscheidung des BayObLG v. 31. 5. 1921 (OLGE 42, 115) versagt die Rspr. den Großeltern einhellig einen eigenen durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Umgang mit ihren Enkeln (zuletzt BayObLG, FamRZ 1984, 614 = ZBlJR 1984, 363; i. ü. Staudinger/Peschel-Gutzeit, BGB, 12. Aufl., § 1634 Rz. 94, m.w.N.). Die von der Rspr. vertretene Auffassung wird in der Literatur nahezu ausnahmslos geteilt (Soergel/Strätz, BGB 12. Aufl., § 1634 Rz. 10; MünchKomm/Hinz, BGB, 3. Aufl., § 1634 Rz. 9; Staudinger, a.a.O., Rz. 95, m.w.N.).

2. Soweit in der Literatur vereinzelt ein Umgangsrecht der Großeltern bejaht worden ist (Krüger/Breetzke-Nowack, GleichberG, Einl. 210 f., 228 f.; Birk, FamRZ 1967, 306; Bosch, FamRZ 1970, 497, 503), hat sich diese Auffassung weder in der Rspr. noch in der überwiegenden Literatur durchsetzen können (vgl. Staudinger, a.a.O., Rz. 96 f.).

Wenn auch Krüger, Birk und Bosch der Meinung sind, im Hinblick auf die Rspr. des BVerfG zu Art. 6 GG seien weder der Gesetzgeber noch die Rspr. gehindert, Art und Umfang des familiären Umgangsrechts zu erweitern, hat der Gesetzgeber noch anlässlich der Beratungen zum Sorgerechtsgesetz entsprechende Überlegungen ausdrücklich mit dem Hinweis darauf abgelehnt, dass den für die Erziehung des Kindes verantwortlichen Eltern aufgrund ihres verfassungsmäßigen Elternrechts ein Ermessen bei der Bestimmung eingeräumt werden müsse, ob und in welchem Umgang dritten Personen Gelegenheit zum Umgang mit dem Kind gegeben werden solle, ein Recht naher Angehöriger zum persönlichen Umgang mit dem Kind sei damit schwerlich vereinbar (vgl. BT-Drucks. 7/2060, S. 24 Nr. 8; BT-Drucks. 8/2788, S. 54).

3. Entgegen der Auffassung der ASt. ergibt sich vorliegend ein Umgangsrecht auch weder aus Art. 8 EMRK noch aus Art. 17, 24 des Gesetzes zum Internationalen Pakt v. 19. 12. 1973 über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR). An dieser Stelle kann dahinstehen, ob aus den vorgenannten Rechtsnormen generell ein positivrechtlicher Anspruch der Großeltern auf Umgang mit ihrem Enkelkind folgt (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 55. Aufl., § 1634 Rz. 7, Einl. 7 vor § 297: Konventionswidrigkeit des generellen Ausschlusses der Großeltern und anderer nahe stehender Personen vom persönlichen Umgang mit dem Kind).

Insoweit hat das AmtsG zutreffend ausgeführt, dass der Begriff des Familienlebens in Art. 8 EMRK an den Gesichtspunkten des Zusammenlebens und intensiven Kontaktes zwischen Großeltern und Enkelkindern orientiert ist. An beiden fehlt es hier. Ein intensiverer Kontakt in der Familie bzw. zwischen [dem Kind] und den Beschwerdeführern [Bf.] bestand allenfalls bis 1992, dann nur noch vereinzelt und in langen Abständen bis zu dem Besuch der Großeltern in der Schule i. J. 1994.

4. Nach so langer Unterbrechung der verwandtschaftlichen Beziehungen und im Hinblick auf den immer noch schwebenden familiären Konflikt kann ein Umgangsrecht der Bf. auch nicht aus § 1666 BGB hergeleitet werden.

Ausgehend von der Überlegung, dass es generell im Interesse des Enkelkindes liegt, seine Beziehungen zu den Großeltern zu pflegen und aufrechtzuerhalten, weil die Pflege der Familienbande und der kindlichen Zuneigung zu den Großeltern für das Kind charakterlich förderlich und von ideellem Vorteil ist, folgt in intakten Familien für den Inhaber des Sorgerechts zwar die Verpflichtung, dem Kind den Umgang mit nahen Verwandten zu ermöglichen. Verhindert der Sorgeberechtigte ohne verständigen Grund den Umgang der Großeltern mit dem Kind, kann darin ein Sorgerechtsmissbrauch liegen, durch den das Kindeswohl gefährdet wird (vgl. MünchKomm/Hinz, a.a.O., Rz. 9; Staudinger/Peschel-Gutzeit, a.a.O., Rz. 102, jeweils m. umfassenden Rspr.- und Literaturhinw.).

Das VormG hat von Amts wegen, § 12 FGG, zu klären, ob ein Sorgerechtsmissbrauch vorliegt und ob das Wohl des Kindes im konkreten Fall durch den untersagten Umgang gefährdet ist. Im Einzelfall muss positiv festgestellt werden, dass der sorgeberechtigte Elternteil durch die Unterbindung des Umgangs zwischen Großeltern und Enkelkind sein Recht missbraucht und dadurch das Kindeswohl gefährdet (LG Mannheim, FamRZ 1967, 230). Wegen der geltenden Amtsmaxime obliegt es nicht dem Sorgeberechtigten, den Beweis zu führen, dass er den Umgang aus berechtigten Gründen unterbindet, vielmehr sind von Amts wegen alle erheblichen Umstände aufzuklären. Sofern danach jedoch offen bleibt, ob der Sorgeberechtigte den Umgang zu Recht untersagt, kommt eine Maßnahme nach §1666 BGB nicht in Betracht, da es an einer festgestellten Gefährdung des Wohls des Kindes fehlt (Staudinger/Peschel-Gutzeit, a.a.O., Rz. 103, m. w. N.).

Vorliegend vermochte die Kammer nicht festzustellen, dass der seitens der AGg. unterbundene Umgang ihres Sohnes mit den ASt. zu einer Gefährdung des Kindeswohls führt. Zwar ist allein der Umstand, dass zwischen den Eltern und den Großeltern erhebliche Spannungen bestehen, mögen diese auch von den Großeltern zuletzt durch die Strafanzeige gegen die Mutter des Kindes vertieft worden sein, kein ausschlaggebender Grund, einem Kind über Jahre hinweg jeden persönlichen Umgang mit den Großeltern zu verbieten (BayObLG, FamRZ 1981, 707; FamRZ 1982, 737 Nr. 442 [LS.]). Insofern müssen weitere Umstände hinzutreten; insbesondere ist der entgegenstehende beachtliche Wille des Kindes maßgeblich (BGH, LM, § 1634 Nr. 5; BayObLG, FamRZ 1982, 737 [LS.]; DAVorm 1983, 377, 379; ZBlJR 1984, 361, 362). Auch die Notwendigkeit, das Kind aus dem Streit zwischen Eltern und Großeltern herauszuhalten, um dadurch eine Verwirrung des Kindes und eine Gefährdung seiner seelischen Entwicklung zu verhindern, kann die Untersagung des Umgangs zwischen Großeltern und Kind rechtfertigen (Staudinger/Peschel-Gutzeit, a.a.O., Rz. 104, m. w. N.).

Die Kammer hat durch die Vorsitzende als beauftragte Richterin das Kind erneut mündlich angehört, wobei kein weiterer Verfahrensbeteiligter zugegen war. [Das Kind] hat bekundet, dass es nichts mehr mit den ASt. zu tun haben wolle, dass es mit diesen nicht mitfahren würde, falls sie es abholten und es, wenn sie es mitnehmen wollten, weglaufe. Es wolle mit den ASt., sofern diese sich nicht mit seinen Eltern vertragen würden, "nichts mehr zu tun haben".

Es handelt sich um einen altersgemäß entwickelten neunjährigen Jungen, der, wie in der Anhörung deutlich wurde, seine Situation und die bestehenden Schwierigkeiten altersgemäß auffassen, verarbeiten und artikulieren kann. Die Kammer vermochte keine Anhaltspunkte zu erkennen, dass er seine Angaben lediglich deshalb gemacht haben sollte, um dem Willen seiner Eltern zu entsprechen. Vielmehr handelt es sich um ein Kind, das besonders sensibel auf die Spannungen in der Familie reagiert und daraus für sich den Schluss gezogen hat, sich aus ihnen herauszuhalten.

Danach steht fest, dass [das Kind] selbst derzeit keinerlei Interesse an einer wie auch immer gearteten Kontaktaufnahme zu den ASt. hat. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedurfte es im Hinblick auf den eindeutig geäußerten Willen des Kindes nicht. Die Großeltern sollten Verständnis für die Konfliktsituation [ihres Enkels] haben, der in der Anhörung gerade nicht der Erwartungshaltung seiner Eltern folgte, sondern klar zum Ausdruck brachte, dass er die familiäre Belastung nicht verarbeiten kann. Eine Indoktrinierung durch die Eltern ist bei so sensiblen Kindern gar nicht notwendig, sie bemerken die bestehenden Spannungen und auch die ablehnende Haltung der Großeltern gegenüber den Eltern bzw. der Eltern gegenüber den Großeltern auch so.

Von einer Anhörung der Eltern und Großeltern, die in erster Instanz gehört worden sind, hat die Kammer abgesehen, da sich keine Änderung der Haltung der Beteiligten in der zweiten Instanz abzeichnete. Die Großeltern beharren auf ihrem Wunsch, das Kind zu sehen, obwohl ihnen klar sein muss, dass sie es in einen Loyalitätskonflikt stürzen und dass das Kind ihnen ablehnend gegenübersteht. Der Wunsch der Eltern ist es, in ihrem Familienleben nicht weiter gestört zu werden. Dies haben sie auch mehrfach schriftsätzlich zum Ausdruck gebracht. Eine Lösung des familiären Konflikts ist nur durch professionelle Hilfe möglich, die das Gericht nicht bieten kann. Insoweit wird möglicherweise das Inkrafttreten des als Regierungsentwurf vorliegenden Gesetzes zur Reform des Kindschaftsrechts (BT-Drucks. 13/4899) später eine Einschaltung des Jugendamtes auf Wunsch der Großeltern ermöglichen. Auch in diesem Entwurf ist ein Umgang der Großeltern mit dem Kind aber nur vorgesehen, wenn dieser dem Wohl des Kindes dient, wovon hier z. Z. nicht ausgegangen werden kann (§ 1685 KindRG-E).

Das begehrte Umgangsrecht der ASt. ist daher unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründet.

5. Auch der Antrag, den AGg. zu untersagen, das Kind gegen die ASt. nachteilig zu beeinflussen, war zurückzuweisen, da ein solcher Einfluss von den AGg. nicht ausgeht und nur konkrete Vorfälle aufgegriffen werden könnten, was hier nicht geschehen ist. Zu den Spannungen in der Familie haben zudem die Großeltern in erheblichem Umfang beigetragen, so dass sie eine ablehnende Haltung der Eltern des Kindes nicht auf diesem Wege verbieten können.

Rechtsgebiete

Ehe- und Familienrecht