Umgangsrecht der Großeltern

Gericht

OLG Frankfurt a. M.


Art der Entscheidung

Beschluss über weitere Beschwerde


Datum

30. 01. 1998


Aktenzeichen

2 W 281-97


Leitsatz des Gerichts

Großeltern haben nur dann einen Anspruch auf persönlichen Kontakt mit ihrem Enkel, wenn dies dem Wohl des Kindes entspricht.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Vorinstanzen haben den Antrag der Großeltern, ihnen ein Umgangsrecht mit ihrem 9jährigen Enkel zu gewähren, zurückgewiesen.

Die weitere Beschwerde der Großeltern hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Das LG hat in rechtlich nicht angreifbarer Weise den Ausschluss der Großeltern vom Umgang mit ihrem Enkel A bestätigt.

Der angefochtene Beschluss geht zunächst richtig davon aus, dass den Großeltern ein eigener Anspruch auf den Umgang mit ihrem Enkel allein wegen ihrer Verwandtschaft nicht zusteht (Senat, Beschl. v. 24. 11. 1993 - 20 W 204-93; KG, FamRZ 1970, 209; BayObLG, DAV 1979, 768). Soweit durch das am 1. 7. 1998 in Kraft tretende KindRG (§ 1685 I BGB) ein solches Umgangsrecht geregelt ist, muss es mit dem Wohl des Kindes vereinbar sein. Auch dies ist außer der jetzt erfolgten gesetzlichen Festlegung nicht neu. In der Rechtsprechung (Senat, Beschl. v. 24. 11. 1993 - 20 W 204-93; KG, FamRZ 1970, 209; BayObLG, NJW 1965, 1716; DAV 1982, 359; DAV 1979, 768; FamRZ 1984, 614) wurde auch bisher schon - auch im Hinblick darauf, dass Art. 6 GG in erster Linie die „Kleinfamilie“ schützen will (BayObLG, FamRZ 1984, 614; Rebmann, in: MünchKomm, 3. Aufl., Einl. vor § 1297 Rdnr. 2) - ein Umgangsrecht der Großeltern nur dann angenommen, wenn es im Interesse des Kindes liegt und der Sorgeberechtigte den Umgang missbräuchlich verweigert (§ 1666 BGB).

Das LG geht weiter richtig davon aus, dass sich ein Umgangsrecht der Großeltern nicht aus Art. 8 I EMRK ergibt. Auch wenn Art. 8 I EMRK neben den Ehepartnern und Kindern - diese in erster Linie - auch die Beziehungen zwischen drei Generationen schützen will (Frowein-Peuckert, EMRK, 2. Aufl., Art. 8 Rdnrn. 15, 16; EGMR, NJW 1979, 2449), ergibt sich gerade auch aus der viel zitierten Entscheidung des EGMR im Falle Marckx . -. Belgien (EGMR, NJW 1979, 2449 [2452]) nicht, dass dieser Schutz unabhängig von einem Zusammenleben und intensiven Kontakten zwischen Großeltern und Enkelkind bestehen soll. Auch die Entscheidung des EGMR vom 26. 5. 1994 (FamRZ 1995, 110) geht - beim nichtehelichen Kind - von faktischen Beziehungen aus, die weiterentwickelt werden können (vgl. auch OLG Celle, FamRZ 1994, 1057: kein Verstoß gegen Art. 8, 14 EMRK, wenn nicht zusammenlebende Eltern eines nichtehelichen Kindes kein gemeinsames Sorgerecht haben). Frowein (Frowein-Peuckert, Art. 8 Rdnrn. 20, 21) berichtet dazu, dass die Kommission die staatlichen Organe nicht für verpflichtet hält, ein Familienleben wiederherzustellen, das aufgrund des Verhaltens der Bet. gestört ist. Er bezeichnet es als „Tragik“, wenn eine Lösung, die die Achtung vor dem Schutz des Familienlebens aller Bet. gewährleistet, von den aus Art. 8 I EMRK Berechtigten selbst verhindert wird. Insofern ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das LG ausführt, dass es an solchen schützenswerten Beziehungen zwischen den Großeltern und ihrem Enkel seit 1992 fehlt, und ein Umgangsrecht allein wegen der Verwandtschaft der Bet. nicht anerkennen will.

Darüber hinaus sind Art. 8 I EMRK wie auch Art. 17, 24 des Internationalen Paktes vom 19. 12. 1966 über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR - G v. 15. 11. 1973, BGBl II, 1533) im Wege der Transformation einfaches Bundesrecht ohne Verfassungsrang geworden (Rebmann, in: MünchKomm, Einl. vor § 1297 Rdnr. 79; Brötel, FamRZ 1995, 785). Im Hinblick darauf, dass Art. 8 II EMRK einen gesetzlichen Vorbehalt zum Schutz von Rechten anderer - hier der Eltern und des Kindes - enthält und die Vertragsstaaten des IPBPR die Familie als natürliche Kernzelle der Gesellschaft (Art. 23 I) schützen und die Freiheit der Eltern achten wollen, die Erziehung ihrer Kinder nach eigenen Überzeugungen sicherzustellen (Art. 18 IV), kann eine wie hier nach § 1666 BGB ergehende Entscheidung nicht als konventionswidrig bezeichnet werden.

Der angefochtene Beschluss widerspricht nicht, wie die weitere Beschwerde meint, der obergerichtlichen Rechtsprechung (BayObLG, ZBlJugR 1981, 272; DAV 1982, 604). Das LG geht nämlich richtigerweise (vgl. auch Senat, Beschl. v. 24. 11. 1993 - 20 W 204-93 und BayObLG, FamRZ 1995, 497) davon aus, dass der Umgang nur aus verständigen Gründen verweigert werden darf (§ 1632 II BGB), da sonst ein Sorgerechtsmissbrauch vorliegen würde, durch den das Kindeswohl gefährdet sein könnte. Als verständigen Grund sieht es das LG noch nicht an, dass zwischen den Eltern und Großeltern Spannungen bestehen, die auch zu Strafanzeigen geführt haben, wohl aber, dass die Eltern bestrebt sind, das Kind aus den erheblichen Streitigkeiten mit den Großeltern herauszuhalten, weil diese das Kind belasten und seinem Wohl abträglich sein würden (KG, FamRZ 1970, 209; BayObLG, FamRZ 1984, 614; DAV 1982, 359 [363]). Dazu konnte das LG einerseits auf den Akteninhalt verweisen; aus den gewechselten Schriftsätzen, insbesondere aus dem Schreiben des wortführenden Großvaters vom 26. 3. 1989, ergibt sich, dass und in welcher Weise auf die Kleinfamilie Einfluss genommen werden soll. Andererseits durfte das LG maßgeblich auch auf die Anhörung des betroffenen Kindes abstellen (§ 50 b FGG), das sich gegen das beantragte Umgangsrecht ausgesprochen hat. Auch die Neuregelung des § 1685 I BGB geht davon aus, dass nur Bezugspersonen ein Umgangsrecht haben sollen (BT-Dr 13-4899 v. 13. 6. 1996, S. 106, 107). Die Annahme des LG, dass die Großeltern derzeit für A keine Bezugspersonen sein können, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Die gegen die Verwertung des Ergebnisses der Anhörung von A gerichteten Angriffe sind nicht gerechtfertigt. Die Anhörung musste nicht zwingend durch die vollbesetzte Kammer erfolgen (BGH, FamRZ 1985, 169 [172]; BayObLG, FamRZ 1987, 412), da der mit der Anhörung beauftragte Richter - hier die Kammervorsitzende - bei der Entscheidung mitgewirkt hat (BayObLG, DAV 1982, 359 [363]; ZBlJugR 1981, 272 [275]). Es kann sogar zweckmäßig sein, die Anhörung, wenn es nicht entscheidend auf den persönlichen Eindruck ankommt, von einem beauftragten Richter durchführen zu lassen, weil sich das Kind dann wohl weniger eingeschüchtert und eher frei zum Verfahrensgegenstand äußern kann.

Vorliegend hat die Vorsitzende der Kammer über die Anhörung vom 13. 2. 1997, auf die es nicht allein entscheidend ankommt, einen ausführlichen Aktenvermerk niedergelegt, der auch im angefochtenen Beschluss teilweise zitiert wird. Es wird in der Beschlussbegründung auch im übrigen nicht der Eindruck erweckt, als habe sich die Kammer insgesamt den persönlichen Eindruck der beauftragten Richterin zu eigen machen wollen. Die Kammer bezieht sich vielmehr auf die im Aktenvermerk enthaltenen Angaben des Kindes und zieht daraus ihre Schlüsse (vgl. dazu auch BGH, FamRZ 1985, 169 [172]). Soweit das BayObLG (FamRZ 1987, 412 [413]) in einer wegweisenden Bemerkung ausgeführt hat, dass die Nichtanhörung vor der Kammer begründet werden müsse, kann hier dem angefochtenen Beschluss entnommen werden, dass die Kammer nach dem Ergebnis der Anhörung nicht der Auffassung war, dass es doch noch zusätzlich und entscheidend auf den persönlichen Eindruck ankommen würde.

Das LG durfte dem 9jährigen A auch einen beachtlichen Willen gegen die Kontakte mit den Großeltern abnehmen. Dies widerspricht entgegen dem Vortrag der weiteren Beschwerde nicht der ganz h. M. in der Rechtsprechung. Soweit die zitierten Entscheidungen (u. a. OLG Bamberg, FamRZ 1979, 858; KG, FamRZ 1979, 448; OLG Düsseldorf, FamRZ 1979, 857) für 11-14jährige Kinder ausführen, dass ihr Wille nicht umgangen werden könne, ist damit mangels einer festen Grenze für den beachtlichen Reifegrad nicht ausgeschlossen, den Willen auch jüngerer Kinder angemessen zu berücksichtigen. Das OLG Hamm (FamRZ 1996, 421) meint, dass der Anhörung eines Kindes auch im Alter von 6 Jahren schon ein relevanter Erkenntniswert zukomme. Das OLG Frankfurt a. M. (FamRZ 1997, 571) hat sich in Anlehnung an die Entscheidungen des OLG Köln (FamRZ 1980, 1153) und des BayObLG (FamRZ 1983, 948; 1984, 312) für eine Anhörung von Kindern ab etwa 3 Jahren ausgesprochen, weil, auch wenn sich Kinder in dieser Altersstufe noch nicht ausreichend artikulieren können, die Fühlungnahme mit ihnen und ihren Eltern Aufschlüsse über ihre Bedürfnisse und Empfindungen geben kann.

Ein Aufklärungsmangel (§ 12 FGG) liegt nicht darin, dass das LG kein Sachverständigengutachten eingeholt hat. Art und Umfang der Ermittlungen unterliegen dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (Keidel-Kuntze-Winkler, FGG, 13. Aufl., § 12 Rdnrn. 85 ff.; BayObLG, DAV 1982, 604 [609]). Ein Ermessensfehlgebrauch ist vorliegend nicht feststellbar. Die Anhörung von A vom 22. 1. 1996 und vom 13. 2. 1997 weisen nicht den Widerspruch auf, dessen Aufklärung die weitere Beschwerde vermisst. Von der Beschimpfung seiner Mutter durch den Großvater hat A schon in der ersten Anhörung berichtet. Entgegen dem Vortrag der weiteren Beschwerde kann beiden Anhörungen kein Anhaltspunkt dafür entnommen werden, dass er „ganz eindeutig“ eine Beziehung zu den Großeltern wünsche. Deswegen war die Einholung eines Gutachtens durch das LG nicht geboten. Der dahingehende Antrag würde sich zivilprozessual als unzulässiger Beweisermittlungsantrag darstellen (Keidel-Kuntze-Winkler, § 12 Rdnr. 91). Im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit und unter der Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes darf das Tatsachengericht die Ermittlungen aber dann abschließen, wenn von einer weiteren Beweisaufnahme ein die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht mehr erwartet werden kann (Keidel-Kuntze-Winkler, § 12 Rdnr. 86). Davon durfte das LG hier ausgehen.

Das LG hat auch begründet, warum es keine mündliche Verhandlung mit dem Ziel anberaumt hat, eine Umgangsregelung einvernehmlich herbeizuführen. Es hat dies bei der unversöhnlichen Haltung der Bet. für nicht Erfolg versprechend halten dürfen. Im Übrigen wurde ein solcher Einigungsversuch am 21. 6. 1995 im Rahmen einer Anhörung der Bet. schon einmal vergeblich unternommen (Verfahren 2 T 50-94 - LG Kassel). Auf die Beratung durch das Jugendamt oder eines freien Trägers der Jugendhilfe musste das LG die Bet. nicht nachdrücklich hinweisen; diese Möglichkeiten sind den Bet. bekannt. Da nach der Sachlage auch Kontaktaufnahmen durch Telefonate nicht in Betracht gezogen werden mussten, verstößt der angefochtene Beschluss auch nicht, wie gerügt, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Die unterlassene Beteiligung des Jugendamts in zweiter Instanz (§ 49 I Nr. 1 f FGG) stellt keinen zur Aufhebung und Zurückverweisung zwingenden Verfahrensfehler dar. Die erstinstanzliche Anhörung vom 9. 10. 1995 musste in der Beschwerdeinstanz nicht wiederholt werden, da neue Tatsachen nicht hervorgetreten waren, zu denen das Jugendamt sich hätte äußern können (BGH, NJW 1987, 1024 [1025]; BayObLG, ZBlJugR 1981, 272 [276]; FamRZ 1995, 223 [226]; Keidel-Kuntze-Winkler, § 49 Rdnr. 7). Die von der weiteren Beschwerde zitierten Entscheidungen des OLG Hamm (DAV 1982, 988), des KG (FamRZ 1979, 69) und des OLG Celle (DAV 1978, 596) betreffen Fälle, in denen in Familiensachen schon die erstinstanzliche Beteiligung des Jugendamtes unterblieben war.

Ein Verfahrensmangel liegt auch nicht darin, dass die Vorinstanzen dem betroffenen Kind keinen Verfahrenspfleger (Anwalt des Kindes) bestellt haben (BayObLG, FamRZ 1995, 626 [629]). Die Verfahrenspflegerbestellung hat auch der Senat im Hinblick auf eine Interessenkollision in vergleichbaren Fällen nur wegweisend empfohlen (Senat, Beschl. v. 11. 6. 1992 - 20 W 42-92 und v. 24. 11. 1993 - 20 W 204-93), ohne in der Unterlassung einen Rechtsfehler zu sehen. Am 1. 7. 1998 wird insoweit eine neue gesetzliche Regelung in Kraft treten (§ 50 FGG; Art. 8 Nr. 7 KindRG).

Das LG musste schließlich seine Entscheidung nicht öffentlich verkünden. Soweit sich die weitere Beschwerde hier auf Art. 6 I EMRK bezieht, wird übersehen, dass im Verfahren nach § 1666 BGB nicht über zivilrechtliche Ansprüche i. S. des Art. 6 I EMRK entschieden wird. Die traditionellen Bereiche der freiwilligen Gerichtsbarkeit, auch die Vormundschaftssachen, fallen als fürsorgliche Regelungen nicht unter Art. 6 I EMRK (Keidel-Kuntze-Winkler, Vorb. §§ 8-18 Rdnr. 7 a; OLG Hamm, FGPrax 1996, 142 = FamRZ 1996, 1356 = Rpfleger 1996, 451).

Rechtsgebiete

Ehe- und Familienrecht