Provozierter Unfall

Gericht

OLG Hamm


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

13. 01. 1994


Aktenzeichen

6 U 173/93


Leitsatz des Gerichts

Typische Indizien für einen provozierten Unfall sind 38 Vorunfälle in 2½ Jahren, kostengünstige Behebung der Vorschäden, sowie eine ungewöhnlich langsame Beschleunigung nach dem Anfahren.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. verlangt von dem Bekl. Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalles vom 4. 2. 1992 an der Einmündung der W.-Straße in die H.-Straße. Die Kl. war Eigentümerin eines VW Golf, den sie gewerblich vermietete. Der Bekl. war Halter eines VW Polo. Die Zeugin P, damalige Angestellte der Kl., befuhr mit dem Pkw der Kl. die H.-Straße in Richtung He.-Straße. Aus ihrer Sicht gesehen von rechts mündet die W.-Straße ein. An der Einmündung gilt die Vorfahrtsregel rechts vor links. Aus dieser Straße beabsichtigte der Bekl., nach links in die H.-Straße einzubiegen. Im Einmündungsbereich stießen die Fahrzeuge der Parteien zusammen. Die Kl. hat unter Hinweis darauf, dass der Bekl. in den Jahren 1989 bis 1992 bereits 38 Unfälle gehabt hat, was unstreitig ist, behauptet, er habe diesen Unfall provoziert.

Das LG hat der Klage im Umfang von 7946,59 DM nebst Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen - wegen Mietausfallschadens und entsprechender Zinsmehrforderung - abgewiesen. Mit Berufung begehrt der Bekl. Abänderung der angefochtenen Entscheidung und Abweisung der Klage. Mit der Anschlussberufung macht die Kl. nunmehr statt des Mietausfallschadens eine Nutzungsausfallentschädigung geltend. Die Berufung hatte keinen, die Anschlussberufung hatte teilweise Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Kl. hat gegen den Bekl. Anspruch auf vollen Ersatz der ihr entstandenen Schäden einschließlich eines Anspruchs auf Zahlung von Vorhaltekosten aus § 7 I StVG, §§ 823 , 249 BGB.

1. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Bekl. den Unfall vom 4. 2. 1992 auf der H.-Straße im Einmündungsbereich der W.-Straße provoziert, d.h. vorsätzlich herbeigeführt hat. Ähnlich wie beim abgesprochenen Unfall kann auch beim provozierten Unfall die Überzeugungsbildung des Gerichts durch eine Vielzahl von typischen Umständen herbeigeführt werden, die in ihrem Zusammenwirken nach der Lebenserfahrung den Schluss zulassen, dass der Unfall vorsätzlich herbeigeführt worden ist (s. insoweit BGH, NZV 1989, 468). Das ist vorliegend der Fall.

Der Kl. war, wie er selbst nicht in Abrede stellt, in den letzten zweieinhalb Jahren vor dem Unfall in 38 Unfälle verwickelt. Das bedeutet, dass er durchschnittlich jeden Monat mindestens einen Unfall erlitten hat. Eine solche Häufung von Unfällen lässt sich auch bei einer - zugunsten des Bekl. unterstellten - hohen Fahrleistung nicht durch Zufall erklären, zumal der Bekl. an den Unfällen immer schuldlos gewesen sein will. Auch die Erklärung des Bekl., er fahre, seit er einmal an einer Ampel geblitzt worden sei, besonders vorsichtig, vermag die Häufung der Unfälle nicht hinreichend zu begründen. Eine Reihe zusätzlicher Umstände spricht zudem für das Gegenteil.

Bei den Unfällen, in die der Bekl. verwickelt war, handelt es sich vornehmlich um Auffahrunfälle , Unfälle an Straßeneinmündungen mit psychologischer Vorfahrt des Unfallgegners und Unfälle beim. Fahrspurwechsel. Gerade diese Unfälle sind besonders leicht zu provozieren mit einem gleichzeitig äußerst geringen Verletzungsrisiko für den, der den Unfall herbeiführt.

In allen Fällen hat der Bekl. die Unfallschäden relativ kostengünstig beseitigen lassen bzw., wie er in erster Instanz angegeben hat, selbst beseitigt. Hiervon ist der Bekl. zwar bei seiner Anhörung vor dem Senat abgerückt, hat aber darüber, wie die Schäden an seinem Fahrzeug beseitigt wurden, keine befriedigende Auskunft gegeben. Er will nämlich das beschädigte Fahrzeug jeweils einem Arbeitskollegen mitgegeben haben, der es bei einer dem Bekl. unbekannten Firma habe reparieren lassen.

Auffällig ist, dass der Bekl., der bis September 1992, als die Polizei wegen der derzeit noch laufenden Ermittlungen gegen ihn bei ihm eine Hausdurchsuchung vornahm, ca. monatlich einen Unfall erlitt, seit dieser Durchsuchung so gut wie nicht mehr in Unfälle verwickelt wurde. Nach diesem Zeitpunkt war der Bekl. erst im. Sommer 1993 wieder in einen Unfall verwickelt.

Der vorliegende Unfall fügt sich in den vorbezeichneten Rahmen ein. Zunächst ist festzustellen, dass der Bekl. an derselben Unfallstelle - Einmündung W.-Straße/H.-Straße - bereits am 4. 3. 1991 einen Unfall hatte. Auch damals war ihm angeblich die Vorfahrt genommen worden. Auch ist die Unfallstelle typisch für manipulierte Unfälle. Die von dem Bekl. befahrene W.-Straße mündet nämlich von rechts in die ansonsten gerade verlaufende H.-Straße ein, so dass der die H.-Straße befahrende Verkehrsteilnehmer eine sog. psychologische Vorfahrt hat und i.d.R. weniger aufmerksam ist, weil er geradeaus weiterfahren will.

Dass der Bekl. den Unfall provoziert hat, ergibt sich aber auch aus der glaubhaften Aussage der Zeugin P, die bei ihrer erneuten Anhörung vor dem Senat bekundet hat, dass sie sich der Einmündung der W.-Straße sehr langsam mit einer Geschwindigkeit von ca. 30 km/h genähert habe. Schon aus einiger Entfernung habe sie den Bekl. mit seinem Fahrzeug in der Einmündung stehen sehen. Er sei nicht in die H.-Straße gestartet, obwohl vor ihr kein Fahrzeug gewesen sei und sich auch aus der Gegenrichtung kein Fahrzeug genähert habe. Sie sei daher im Vertrauen darauf, dass der Bekl. sie vorbeifahren lassen wolle, weitergefahren. Als sie im Einmündungsbereich gewesen sei, sei er plötzlich gestartet. Sie habe sofort gebremst und habe versucht, auszuweichen, was den Unfall aber nicht mehr verhindert habe. Der Sachverständige S hat bestätigt, dass sich der Unfall aus technischer Sicht so abgespielt haben könne, wie er von der Zeugin geschildert worden sei. Er hat aufgrund der Schadensbilder die Kollisionsgeschwindigkeit des Golf mit etwa 20 km/h und die des Polo mit 0-5 km/h ermittelt. Aus ihrer Aussage folgt, dass der Bekl. zunächst, ohne dass aufgrund der Verkehrslage ein Grund dafür bestand, längere Zeit in der Einmündung gestanden hat und dass er dann erst angefahren ist, nachdem die Zeugin den Eindruck gewonnen hatte, er wolle sie durchlassen, und nachdem sie keine Möglichkeit mehr hatte, die Kollision zu vermeiden.

Für einen provozierten Unfall sprechen schließlich auch die weiteren Feststellungen des Sachverständigen. Danach hat der Bekl. den Polo nach dem Anfahren ungewöhnlich langsam beschleunigt. Hätte es sich um ein normales Anfahrmanöver gehandelt, wäre zu erwarten gewesen, dass der Bekl. zügig anfuhr, um noch vor dem sich nähernden, auch für ihn seit längerem sichtbaren Golf die gegenüberliegende Fahrbahnhälfte zu erreichen. Das ungewöhnlich langsame Anfahren erklärt sich nach der Überzeugung des Senats daraus, dass der Bekl. die Kollision als solche herbeiführen wollte, aber zugleich darauf achten musste, nicht zu weit in die Fahrspur des Golf vorzufahren, um nicht durch einen Aufprall des Golf auf die Fahrertür des Polo persönlich verletzt. zu werden.

2. Aus den vorstehenden Ausführungen lässt sich zwar nicht entnehmen, dass der Unfall für die Zeugin P unabwendbar gewesen ist, § 7 II StVG. Allerdings ergibt sich bei Abwägung der Verschuldens- und Verursachungsmomente gem. § 17 I StVG ein ganz überwiegendes Verschulden des Bekl., hinter dem das Verschulden der Zeugin und die Betriebsgefahr des Pkw der Kl. zurücktreten. Danach hat der Bekl. in vollem Umfang für den der Kl. entstandenen Schaden einzustehen, der in Höhe von 7946,59 DM unstreitig ist.

3. Darüber hinaus steht der Kl. entgegen ihrer Ansicht für die Zeit der Reparaturdauer von zehn Tagen keine Nutzungsausfallentschädigung zu. Sie hat jedoch Anspruch auf Ersatz von Vorhaltekosten in Höhe von insgesamt 154,10 DM (10 Tage × 15,41 DM).

Seit der Grundsatzentscheidung des 3. Zivilsenats des BGH (BGHZ 40, 346 = VersR 1964, 225) ist anerkannt, dass für den vorübergehenden Nutzungsausfall eines Kfz Ersatz auch dann gefordert werden kann, wenn der Geschädigte keinen Mietwagen in Anspruch nimmt, dies aber nur dann, wenn der Ausfall des Fahrzeugs zu einer vermögenserheblichen Entbehrung geführt hat. Das gilt auch für gewerblich genutzte Fahrzeuge (vgl. Beschl. des 31. VGT 1993, Arbeitskreis VI, NZV 1993, 104; Reitenspiess, DAR 1993, 142 ff.; Born, NZV 1993, 1 ff.). Eine solche Einbuße lässt sich aber bei der Kl., die Autovermieterin ist, nicht feststellen. Sie konnte aus dem bei ihr vorhandenen Fuhrpark jederzeit Ersatz beschaffen, wie sich schon daraus ergibt, dass die Fahrzeuge der Kl. dieser Klasse nur zu 80% ausgelastet waren.

Die Kl. hat jedoch Anspruch auf Ersatz von sog. Vorhaltekosten. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Aufwendungen, die ein Betrieb hat, um immer genügend Fahrzeuge bereit zu haben, um Ersatz zu schaffen in Fällen, in denen andere Fahrzeuge durch Reparatur bzw. Beschädigung durch Fremdverschulden ausfallen, dem Schädiger in Rechnung gestellt werden können. Das gilt auch für die Kl. als gewerbliche Vermieterin von Kfz. Sie hat vorgetragen, dass die Auslastung der Fahrzeuge in der Klasse des geschädigten Fahrzeugs sich auf durchschnittlich 80% beläuft. Sie hält also, um eventuell den Spitzenbedarf abzudecken, aber auch, um durch Reparatur und Unfall bedingte Lücken zu schließen, weitere Fahrzeuge vor. Diese Vorhaltekosten belaufen sich nach der Tabelle von Sanden/Danner (VersR 1991, 19 ff., 24) für einen VW Golf 1,61 CL auf 15,41 DM pro Tag. Der Sachverständige hat die Reparaturdauer auf zehn Tage geschätzt, so dass Vorhaltekosten von (10 × 15,41 DM =) 154,15 DM in Rechnung gestellt werden können.

Rechtsgebiete

Straßenverkehrs- und Straßenrecht