Nichtigkeit des Bürgschaftsvertrags bei krassem Missverhältnis zwischen Haftungsumfang und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

18. 09. 1997


Aktenzeichen

IX ZR 283/96


Leitsatz des Gerichts

  1. Besteht ein krasses Missverhältnis zwischen dem Umfang der Haftung und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des bürgenden Ehegatten oder Lebenspartners und lässt sich der Verpflichtungsumfang auch nicht im Hinblick auf den Schutz des Gläubigers vor Vermögensverlagerung vom Hauptschuldner auf den Bürgen rechtfertigen, ist der Bürgschaftsvertrag in der Regel gem. § 138 I BGB nichtig.

  2. Hinsichtlich des Risikos, das der Bürge eingeht, ist auch dann vom Nennwert der Bürgschaft auszugehen, wenn der Gläubiger weitere Sicherheiten erhalten, jedoch die Rechte des Bürgen aus § 776 BGB abbedungen und nicht sichergestellt hat, dass der Bürge nur in einem wesentlich niedrigeren Umfang als der vereinbarten Haftungssumme in Anspruch genommen wird.

  3. In die Beurteilung, ob ein Formularvertrag nach § 138 I BGB nichtig ist, sind die nach den Bestimmungen des AGB-Gesetzes unwirksamen Abreden einzubeziehen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. hatte dem heutigen Ehemann der Bekl., welcher eine Bau- und Möbelschreinerei betrieb, mehrere Darlehen und Kontokorrentkredite gewährt. Im Mai 1992 beliefen sich dessen Verbindlichkeiten auf etwa 900000 DM. Der Kl. war eine erstrangige Grundschuld auf dem Betriebsgrundstück in Höhe von 500000 DM zuzüglich Zinsen bestellt worden. Der Kreditnehmer hatte ihr Gegenstände der Betriebsausstattung sicherungsübereignet. Außerdem waren Ansprüche aus Lebensversicherungsverträgen sowie die Forderungen gegen Kunden sicherungshalber abgetreten worden. Da der Darlehensnehmer die Kreditlinie von 50000 DM auf dem Kontokorrentkonto, über das der laufende Zahlungsverkehr abgewickelt wurde, weit überschritten hatte und wegen des Konkurses eines Kunden mit einem erheblichen Forderungsausfall rechnen musste, verlangte die Kl. zusätzliche Sicherheiten. Aus diesem Grunde zeichnete die Bekl., die damals mit dem Hauptschuldner verlobt war, in dessen Betrieb als Schreinergeselle arbeitete und monatlich 3500 DM verdiente, am 22. 5. 1992 eine formularmäßig gefasste Bürgschaft. Danach erstreckt sich die Haftung auf alle bestehenden und künftigen Ansprüche der Kl. aus der Geschäftsverbindung mit dem Betriebsinhaber. Am 13. 10. 1992 kündigte die Kl. die Geschäftsverbindung mit dem Kreditnehmer, der anschließend in Konkurs fiel. Die Kl. nimmt die Bekl. aus der Bürgschaft in Anspruch und hat einen Vollstreckungsbescheid über 300000 DM zuzüglich Zinsen erwirkt. Nach Einspruch der Bekl. hat die Kl. den Anspruch in Höhe von 221008,55 DM weiterverfolgt; im Übrigen haben die Parteien übereinstimmend die Hauptsache für erledigt erklärt. Die Bekl. behauptet, bei den der Bürgschaft vorausgegangenen Verhandlungen sei nur von einer zusätzlichen Sicherheit in Höhe von 100000 DM wegen des Ausfalls von Kundenforderungen die Rede gewesen. Sie hat ihre Erklärung deshalb wegen arglistiger Täuschung angefochten und geltend gemacht, die Bürgschaft verstoße gegen die guten Sitten.

Das LG hat unter Aufhebung des Vollstreckungsbescheids die Klage abgewiesen, das BerGer. den Vollstreckungsbescheid in Höhe von 150000 DM aufrechterhalten. Die Revision hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Das BerGer. hat die Auffassung vertreten, die Bürgschaft sei nicht gem. § 138 I BGB nichtig, und zur Begründung ausgeführt:

Die Bekl. sei weder von ihrem damaligen Verlobten noch von der Kl. unter Druck gesetzt worden, die Bürgschaft zu übernehmen. Selbst wenn der Vorschlag dazu von der Kl. ausgegangen sei, beständen keine Anhaltspunkte dafür, dass sie in unlauterer Weise in das Selbstbestimmungsrecht der Bekl. eingegriffen habe. Die Bekl. sei durch die eingegangene Verpflichtung auch nicht in offenkundiger, krasser Weise überfordert worden. Bei Übernahme der Bürgschaft hätten der Kreditverbindlichkeit des Hauptschuldners von etwa 900000 DM die Grundschuld auf dem mit 720000 DM bewerteten Betriebsgrundstück, Sicherungsübereignungen in einer Größenordnung von ca. 76000 DM sowie Forderungszessionen im Nennwert von 256000 DM gegenübergestanden. Durch die Haftung der Bekl. habe lediglich ein zusätzlicher Kreditbedarf von etwa 140000 DM abgesichert werden sollen. In Anbetracht ihres monatlichen Nettoverdienstes sei die Bürgschaft kein wirtschaftlich sinnloses Geschäft gewesen, auch wenn die Bekl. den Kredit nicht allein aus eigenen Mitteln habe bedienen können. Die Verpflichtung der Bekl. beschränke sich jedoch auf diejenige Verbindlichkeit des Hauptschuldners, die den Anlass für das Verlangen nach Verstärkung der Sicherheiten gebildet habe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der Wunsch der Kl. allein mit dem drohenden Ausfall von Kundenforderungen begründet worden. Die Erstreckung der Bürgschaft auf alle Verbindlichkeiten des Hauptschuldners sei deshalb überraschend i.S. des § 3 AGBG gewesen und habe die Bekl. in einer den Geboten von Treu und Glauben widersprechenden Weise unangemessen benachteiligt (§ 9 AGBG).

II. Diese Erwägungen berücksichtigen nicht alle rechtlich wesentlichen Umstände und tragen daher, soweit der Klage stattgeben wurde, die angefochtene Entscheidung nicht.

1. Das BerGer. geht im Ansatz zutreffend davon aus, dass die von der Rechtsprechung des Senats herausgearbeiteten Grundsätze zur Bürgschaft finanziell überforderter Ehegatten auf die Verpflichtung der Bekl. Anwendung finden. Diese war bei Erteilung der Bürgschaft mit dem Hauptschuldner verlobt und lebte mit ihm - was entgegen der Meinung der Revision in den Tatsacheninstanzen nicht bestritten wurde - in eheähnlicher Gemeinschaft. Daher stellt sich nicht die Frage, ob Bürgschaften, die Arbeitnehmer zugunsten des Betriebsinhabers erteilen, mit den guten Sitten zu vereinbaren sind. Infolge der emotionalen Bindung, die zwischen dem Kreditnehmer und der Bekl. bereits bei Haftungsübernahme bestand, ist die Bürgin ebenso schutzwürdig wie der Ehepartner, der eine vergleichbare Haftung übernimmt (vgl. BGH, NJW 1997, 1005 = LM H. 5/1997 § 765 BGB Nr. 113 = WM 1997, 465). Der Kl. war die persönliche Beziehung zwischen dem Hauptschuldner und der Bekl. bekannt.

2. Bei Abschluss des Bürgschaftsvertrages bestand kein vernünftiger Zweifel daran, dass die Bekl., der nur das monatliche Einkommen im Betrieb ihres Verlobten zur Verfügung stand, voraussichtlich finanziell niemals in der Lage sein würde, die gesamte verbürgte Schuld zu tilgen. Der pfändbare Betrag eines monatlichen Nettoverdienstes von 3500 DM beläuft sich auf 1603,70 DM, was, berechnet auf das Jahr, etwa 20000 DM ergibt. Es versteht sich von selbst, dass damit eine Kreditverbindlichkeit in der Größenordnung von 900000 DM niemals getilgt werden kann. Der Umstand allein, dass der Lebenspartner eine Bürgschaft eingegangen ist, die ihn finanziell überfordert, macht das Rechtsgeschäft indessen nicht sittenwidrig (BGHZ 128, 230 (232) = NJW 1995, 592 = LM H. 6/1995 § 765 BGB Nr. 98; BGH, NJW 1996, 1274 = LM H. 6/1996 § 765 BGB Nr. 104 = WM 1996, 519 (521); BGHZ 132, 328 = NJW 1996, 2088 = LM H. 9/1996 § 765 BGB Nr. 108 = WM 1996, 1124). Vielmehr müssen Umstände hinzukommen, durch die ein unerträgliches Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern hervorrufen wird, welches die Verpflichtung des Bürgen auch unter Berücksichtigung der berechtigten Belange des Gläubigers rechtlich nicht mehr hinnehmbar erscheinen lässt (BGHZ 125, 206 (210f.) = NJW 1994, 1278 = LM H. 9/1994 § 765 BGB Nr. 91; BGHZ 128, 230 (232ff.) = NJW 1995, 592 = LM H. 6/1995 § 765 BGB Nr. 98; BGH, NJW 1996, 1274 = LM H. 6/1996 § 765 BGB Nr. 104; vgl. auch BVerfGE 89, 214 (232ff.) = NJW 1994, 36). Entsprechende Voraussetzungen sind insbesondere dann gegeben, wenn die Entscheidungsfreiheit des Bürgen in rechtlich anstößiger Weise beeinträchtigt wurde und der Gläubiger sich dies zurechnen lassen muss (BGHZ 132, 328 = NJW 1996, 2088 = WM 1996, 1124 = LM H. 9/1996 § 765 BGB Nr. 108; BGH, NJW 1997, 1980 = LM H. 5/1997 § 138 (Bb) BGB Nr. 78 = WM 1997, 511 (512)). Auch ohne solche gegen die Rechts- und Sittenordnung verstoßende Einwirkungen auf die Entschließungsfreiheit des Bürgen kann der Vertrag im Einzelfall gem. § 138 I BGB nichtig sein. Besteht ein krasses Missverhältnis zwischen dem Haftungsumfang und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Bürgen, sind folglich dessen finanzielle Mittel, bezogen auf die Höhe der gesamten Hauptschuld, praktisch bedeutungslos und ist unter keinem Gesichtspunkt ein rechtlich vertretbares Interesse des Kreditgebers an einer Verpflichtung in dem vereinbarten Umfang erkennbar, so ist zu vermuten, dass der Bürge sich auf eine solche Verpflichtung nur aufgrund emotionaler Bindung an den Hauptschuldner infolge mangelnder Geschäftsgewandtheit und Rechtskundigkeit eingelassen und die Bank dies in verwerflicher Weise ausgenutzt hat (vgl. BGHZ 98, 174 (178) = NJW 1986, 2564 = LM § 197 BGB Nr. 17; BGHZ 128, 255 (267) = NJW 1995, 1019 = LM H. 7/1995 § 138 (Bc) BGB Nr. 81). Einem solchen wirtschaftlich sinnlosen Geschäft, das nicht maßgeblich von unabhängigen, eigenverantwortlichen Erwägungen des Bürgen gesteuert wird, die ihre Umstände außerhalb der persönlichen Beziehung zum Hauptschuldner haben (vgl. BGHZ 125, 206 (211, 216f.) = NJW 1994. 1278 = LM H. 9/1994 § 765 BGB Nr. 91), versagt die Rechtsordnung durch § 138 I BGB jegliche Wirkung (Senat, NJW 1996, 1274 = LM H. 6/1996 § 765 BGB Nr. 104; BGHZ 132, 328 = NJW 1996, 2088 = LM H. 9/1996 § 765 BGB Nr. 108; NJW 1997, 1005 = LM H. 5/1997 § 765 BGB Nr. 113).

3. Die Unwirksamkeit des Bürgschaftsvertrages folgt bereits aus dem groben Missverhältnis zwischen dem Verpflichtungsumfang und der Leistungsfähigkeit der Bekl. sowie der Tatsache, dass die Kl. kein berechtigtes Interesse an Inhalt und Umfang einer Bürgschaft hatte, wie sie hier vereinbart wurde.

a) Der Senat bejaht ein solches Missverhältnis in der Regel, wenn die pfändbaren Einkünfte des Bürgen voraussichtlich nicht ausreichen, in fünf Jahren ein Viertel der Hauptsumme abzudecken (BGHZ 132, 328 = NJW 1996, 2088 = LM H. 9/1996 § 765 BGB Nr. 108). Das Einkommen, das die Bekl. bei Vertragsschluss bezog, ließ pfändbare Beträge von höchstens 100000 DM innerhalb von fünf Jahren erwarten, also lediglich etwa 11 % der damals offenen Hauptverbindlichkeit.

b) Das BerGer. nimmt allerdings zutreffend an, dass für die Frage, ob eine offenkundige, sittenwidrige Überforderung der Bürgin zu bejahen ist, alle bei Vertragsschluss erkennbaren Umstände zu berücksichtigen sind (Senat, NJW 1996, 1274 = LM H. 6/1996 § 765 BGB Nr. 104). Daher kann trotz eines Nominalbetrages der Bürgschaftsverpflichtung, welcher jedes vernünftige Maß übersteigt, eine krasse Überforderung des Bürgen zu verneinen sein, sobald dieser infolge der übrigen dem Gläubiger gewährten Sicherheiten davor geschützt ist, dass er bei Fälligkeit der Hauptforderung in einem Maße in Anspruch genommen wird, das völlig außer Verhältnis zu seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit steht. Eine entsprechende Risikobegrenzung bejaht das BerGer.; das hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Der Gläubiger ist in analoger Anwendung der §§ 774 , 412 , 401 BGB verpflichtet, selbständige Sicherungsrechte, die nicht kraft Gesetzes übergehen, auf den zahlenden Bürgen zu übertragen (BGHZ 78, 137 (143) = NJW 1981, 748 = LM § 776 BGB Nr. 2; BGHZ 110, 41 (43) = NJW 1990, 903 = LM § 774 BGB Nr. 22). Dieser wird gem. § 776 BGB insoweit frei, als der Gläubiger eine anderweitige Sicherheit aufgibt und der Bürge hieraus nach § 774 BGB hätte Ersatz verlangen können. Diese den Bürgen schützende Vorschrift hat die Kl. in Nr. 7 des Vertrages formularmäßig abbedungen. Zwar hat die Rechtsprechung eine solche Klausel bisher nach dem AGB-Gesetz nicht beanstandet (vgl. BGHZ 78, 137 = NJW 1981, 748 = LM § 776 BGB Nr. 2; BGHZ 95, 350 = NJW 1986, 43 = LM § 242 (Cd ) BGB Nr. 275; BGH, NJW 1986, 928 = LM § 766 BGB Nr. 19 = ZIP 1986, 85 (88)). Ob daran für die Zukunft uneingeschränkt festzuhalten ist, braucht nicht entschieden zu werden. Jedenfalls muss die Bank, die Schutzrechte des Bürgen beschneidet, dann auch die Folgen hinnehmen, die sich daraus für die Beurteilung ergeben, inwieweit der Bürge durch Hingabe anderer Sicherheiten vor einer seiner finanzielle Leistungsfähigkeit übersteigenden Inanspruchnahme geschützt ist.

Hier hat sich die Bank nicht nur die Befugnis einräumen lassen, Sicherungsrechte nach ihrem Ermessen zum Nachteil des Bürgen freizugeben, sondern sich auch vorbehalten, ohne dessen Zustimmung weitere - ebenfalls durch die nach oben offene Bürgschaft gesicherte - Kredite zu gewähren, mit dem Hauptschuldner Stundung zu vereinbaren und sogar einen Vergleich zu schließen, ohne dass sich die Forderung aus der Bürgschaft nach §§ 767 I , 768 BGB reduzieren sollte. Infolge einer solchen Vertragsgestaltung musste die Bekl. von Anfang an befürchten, dass sie weit über den Betrag von 150000 DM hinaus, welcher nach Feststellung des BerGer. den Anlass für den Vertrag bildete, in Anspruch genommen wurde. Die Bestimmung des § 138 I BGB wendet sich schon gegen die Vereinbarung von Verträgen mit sittlich bedenklichem Inhalt. Daher kommt es grundsätzlich auf das sich aus der Vertragsgestaltung ergebende rechtliche Risiko an, sofern dieses nicht ausnahmsweise durch tatsächliche, den Beteiligten schon bei Vertragsschluss offenbare Umstände faktisch hinreichend sicher deutlich herabgesetzt war (vgl. BGH, NJW 1995, 1886 = LM H. 9/1995 § 766 BGB Nr. 29 = WM 1995, 900 (903)).

Grundsätzlich nicht maßgeblich ist somit, in welcher Weise der Vertrag später praktiziert wird. Im Übrigen bestätigt hier auch der Geschehensverlauf die rechtliche Beurteilung. Die Kl. hat nach Erteilung der Bürgschaft jedenfalls geduldet, dass der Hauptschuldner das laufende Konto um weitere 120000 DM überzogen hat. Die von ihr geltend gemachte Forderung erhöhte sich zwischenzeitlich auf mehr als 1,1 Mio. DM. Außergerichtlich hat sie die Bekl. in Höhe von über 900000 DM in Anspruch genommen und später gegen sie einen Vollstreckungsbescheid über einen als Teilforderung bezeichneten Betrag von 300000 DM erwirkt.

c) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist das Begehren des Kreditgebers, den Lebenspartner in einem seine finanziellen Verhältnisse übersteigenden Maße in die Haftung einzubeziehen, in der Regel vertretbar, wenn der Gläubiger sich dadurch wirksam vor Vermögensverlagerungen vom Hauptschuldner auf den Partner schützen kann (BGHZ 128, 230 (234) = NJW 1995, 592 = LM H. 6/1995 § 765 BGB Nr. 98; Senat, NJW 1997, 1005 = LM H. 5/1997 § 765 BGB Nr. 113 = WM 1997, 465 (466); NJW 1997, 1003 = LM H. 5/1997 § 765 BGB Nr. 114 = WM 1997, 467 (468)). Hier durfte die Kl. jedoch unter diesem Gesichtspunkt keine Bürgschaft in Höhe von 900000 DM verlangen. Als die Bekl. die Verpflichtung einging, hatte die Kl. eine Erweiterung des damals bestehenden Kreditrahmens von etwa 900000 DM nicht mit dem Geschäftsinhaber vereinbart. Eine solche wurde auch nicht bei den Verhandlungen, die der Bürgschaft vorausgingen, in Aussicht gestellt. Die Kl. nahm damals selbst an, sie werde bei einem Scheitern der Geschäftsverbindung mit dem Kreditnehmer in der Lage sein, sich aus den übrigen ihr übertragenen Sicherheiten mindestens in Höhe von 750000 DM zu befriedigen. Dies war, wie die spätere Verwertung gezeigt hat, realistisch. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses hatte die Kl. daher lediglich in Höhe des Restrisikos von etwa 150000 DM berechtigte Gründe, sich durch die Haftung der Bekl. auch vor Vermögensverlagerung zu schützen. Der vertraglich vereinbarte Umfang der Bürgschaft steht zu diesem Interesse ersichtlich nicht in einer vernünftigen Relation.

d) Die Bekl. hat die Bürgschaft nach den Feststellungen des BerGer. aus den in solchen Fällen üblichen Motiven erteilt. Ihre Entschließung war also wesentlich von persönlicher Zuneigung zum Hauptschuldner sowie von der Hoffnung geprägt, auf diese Weise den Erhalt des Betriebes zu sichern, der die Grundlage für die gemeinsame Lebensgestaltung der Bekl. mit dem Hauptschuldner bildete. Darüber hinausgehende eigenverantwortliche Erwägungen oder selbständige unternehmerische Absichten (vgl. dazu BGHZ 125, 206 (216f.) = NJW 1994, 1278 = LM H. 9/1994 § 765 BGB Nr. 91) waren bei dieser Entscheidung nicht im Spiel. Daher ist es gerechtfertigt, den Vertrag als wirtschaftlich sinnlos, seinem Inhalt nach nur aufgrund einer ausgeprägten Vertragsunterlegenheit der Bekl. (vgl. BVerfGE 89, 214 (232ff.) = NJW 1994, 36) zustande gekommen und deshalb sittenwidrig anzusehen.

4. Der Bürgschaftsvertrag kann schließlich nicht deshalb in Höhe von 150000 DM aufrechterhalten werden, weil bei einer Beurteilung nach §§ 3 , 9 AGBG der Teil der Verpflichtung, der nicht überraschend war, Bestand hat.

a) Ob eine vorformulierte Klausel nach § 9 AGBG zu beanstanden ist, ergibt sich aufgrund einer generalisierenden und typisierenden, von den Umständen des Einzelfalles unabhängigen Beurteilung (BGHZ 98, 303 (308) = NJW 1987, 487 = LM § 9 (Ba) AGBG Nr. 12; BGHZ 110, 241 (244) = NJW 1990, 1601 = LM § 399 BGB Nr. 30; BGH, NJW 1996, 2952 = LM H. 11/1996 § 138 (Aa) BGB Nr. 51b = ZIP 1996, 957 (960)). Die Kontrolle nach § 3 AGBG kann zwar von den konkreten Umständen des Vertragsschlusses beeinflusst werden (BGHZ 102, 152 (159) = NJW 1988, 558 = LM § 3 AGBG Nr. 23; BGHZ 109, 197 (201) = NJW 1990, 576 = LM § 3 AGBG Nr. 29), geht aber ebenfalls von einem generellen Maßstab aus, der auf die allgemein zu erwartende Erkenntnismöglichkeit des für derartige Verträge zu erwartenden Kundenkreises abstellt (vgl. BGHZ 101, 29 (33) = NJW 1987, 2228 = LM § 1191 BGB Nr. 23; BGH, NJW 1990, 247 (249) = LM § 535 BGB Nr. 122; Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 7. Aufl., § 3 Rdnrn. 13f.). Die Voraussetzungen für das Eingreifen dieser Normen liegen zudem wesentlich niedriger als die Schranke des § 138 I BGB, der eine grobe Interessenbeeinträchtigung und zusätzlich eine subjektiv verwerfliche Haltung voraussetzt. Die Frage, ob ein Rechtsgeschäft die Grenzen der durch die Privatautonomie gewährten Freiheit der Vertragsgestaltung überschreitet und deshalb gegen § 138 BGB verstößt, hat aufgrund einer Gesamtwürdigung der getroffenen Vereinbarungen, unter Berücksichtigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck der Regelung sowie aller Umstände des Einzelfalles, zu erfolgen. Die enge persönliche Verbindung zwischen der Bekl. und dem Hauptschuldner sowie die Tatsache, dass die Bürgin durch den für sie überraschenden Umfang der Haftung bei weitem finanziell überfordert wurde, sind deshalb nur für die Beurteilung, ob der Vertrag gegen die guten Sitten verstößt, nicht dagegen im Rahmen der Klauselkontrolle nach §§ 3 , 9 AGBG, von Bedeutung.

b) Wegen der nach § 138 I BGB erforderlichen Gesamtbetrachtung sind alle Abreden zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob sie aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen keine Wirksamkeit erlangen können. Durch die Rechtsnorm des § 138 I BGB soll erreicht werden, dass ein Vertrag, der, als Ganzes gesehen, sich als ein mit den guten Sitten nicht vereinbartes Geschäft erweist, insgesamt keine Rechtswirkungen äußert. Diese Rechtsfolge könnte die Vorschrift nur sehr eingeschränkt entfalten, wenn alle Abreden, die schon aus anderen Gründen nicht wirksam geworden sind, zuvor auszuscheiden wären. Daher hat die höchstrichterliche Rechtsprechung nach den §§ 9 bis 11 AGBG unwirksame Klauseln in die Prüfung, ob der Vertrag mit den guten Sitten unvereinbar ist, einbezogen (BGHZ 80, 153 (172) = NJW 1981, 1206 = LM § 138 (Bc) BGB Nr. 31; BGHZ 98, 174 (177) = NJW 1986, 2564 = LM § 197 BGB Nr. 17; BGH, NJW 1989, 1373 (1375) = LM § 138 (Aa) BGB Nr. 34). Für eine Klausel, die nach § 3 AGBG unwirksam ist, gilt nichts anderes. Die Beschränkung der Vertragskorrektur auf die Nichtigkeit einzelner Klauseln dient in der Regel den vernünftigen Interessen beider Partner (vgl. § 6 III AGBG). Davon kann aber keine Rede sein, wenn das Rechtsgeschäft als Ganzes zum Nachteil des Kunden die Grenzen der Vertragsfreiheit nicht beachtet hat. Wollte man anders entscheiden, würden sich in einem Fall wie dem vorliegenden die Bestimmungen des AGBG zum Vorteil des Klauselverwenders auswirken: Der Vertrag bliebe nur deshalb wirksam, weil die die Bekl. überraschende Klausel nach § 3 AGBG vorweg entfallen und sich der Umfang der Verpflichtung dadurch auf 150000 DM reduzieren würde. Das der Kl. an sich zur Last fallende Moment hätte sich im Endergebnis zu ihren Gunsten ausgewirkt. Das widerspräche auch dem Schutzzweck der Vorschriften des AGBG. Daher hat es dabei zu verbleiben, dass der Bürgschaftsvertrag nichtig ist.

Rechtsgebiete

Bürgschafts- und Darlehensrecht

Normen

BGB §§ 765, 138 I; AGBG §§ 3, 9