Lieferung eines anderen als des gekauften Lkw

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

20. 12. 1978


Aktenzeichen

VIII ZR 236/77


Leitsatz des Gerichts

  1. Liefert beim Spezieskauf der Verkäufer eine andere als die vereinbarte Sache (sog. "ldentitäts-aliud"), so bestimmen sich die Ansprüche des Käufers nicht nach Gewährleistungsrecht (§§ 459ff. BGB), sondern nach den allgemeinen Vorschriften über Leistungsstörungen (§§ 320ff. BGB). Das gilt beim Handelskauf auch dann, wenn der Käufer der Rügelast nach § 378 HGB unterliegt.

  2. Steht dem Käufer wegen der Falschlieferung ein Schadensersatzanspruch nach § 326 BGB zu, so kann er die ihm angebotene Sache zurückweisen und als Schaden den entgangenen Gewinn aus dem zu erwartenden Weiterverkauf der vertragsgemäß zu liefernden Sache geltend machen.

  3. Weist der im Ausland wohnende Käufer die noch in Zollverwahrung stehende Falschlieferung unverzüglich zurück, so trifft ihn keine einstweilige Aufbewahrungspflicht nach § 379 HGB.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der KI., ein ägyptischer Kaufmann, der u. a. Lastkraftwagen nach Ägypten einführt, kaufte am 25. 11. 1975 bei der Bekl. einen nach Baujahr, Fahrgestell- und Fabrik-Nummer näher bezeichneten gebrauchten Lkw. Neben dem Kaufpreis in Höhe von 38 000 DM zahlte der KI. 4300 DM für Transportkosten nach Alexandria. Die Bekl. quittierte den Gesamtbetrag von 42 300 DM auf dem Auftragsformular, das dem Kl. sodann ausgehändigt wurde. Im Januar 1976 versandte die Bekl. einen anderen als den gekauften Lkw nach Alexandria. Der Kl. nimmt die Bekl. auf Schadensersatz einschließlich entgangenen Gewinns wegen Nichterfüllung des Kaufvertrages in Anspruch und verlangt 91000 DM, weil ihm nicht der von ihm gekaufte Lkw geliefert worden sei.

Das LG hat der Klage in Höhe eines Teilbetrages von 42300 DM stattgegeben und sie im Übrigen dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. In der Berufungsinstanz hat der Kl. mit Schriftsatz vom 14. 6. 1977 vorgetragen, er habe den Lkw zur Vermeidung weiterer Zoll- und Standgeldaufwendungen und höherer Wertverluste veräußern müssen und dabei 59000 DM erlöst. Etwa 30000 DM habe er vorher für Zoll- und Standgeld zahlen müssen. Gegen die der Bekl. danach zustehende Forderung auf Herausgabe des Erlöses hat er mit dem 42300 DM übersteigenden Teil seiner Forderung aufgerechnet, hilfsweise auch mit dem ihm vom LG zugesprochenen Betrag. Die Bekl. hat daraufhin mit Schriftsatz vom 22. 6. 1977 ihr in zweiter Instanz zunächst beanspruchtes Zurückbehaltungsrecht wegen einer Forderung auf Herausgabe des gelieferten Lkw fallen lassen und statt dessen hilfsweise ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht, das sie mit einem Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung über die Umstände und das Ergebnis des Weiterverkaufs des Lkw und auf Herausgabe des Erlöses begründet hat. Das OLG hat die Berufung zurückgewiesen. Auf die Revision der Bekl. wurde die Klage in Höhe von 29000 DM abgewiesen; im Übrigen führte die Revision zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

... II. 1. Die Lieferung eines anderen als des vom Kl. gekauften Lkw stellt - wie das BerGer. mit Recht annimmt - keine Schlechterfüllung dar, sondern eine Falschlieferung (Lieferung eines sog. "ldentitäts-aliud"). Für die Ansprüche des Käufers wegen einer solchen Abweichung vom Vertrage sind auch beim Handelskauf nicht die Gewährleistungsvorschriften (§§ 459ff. BGB), sondern die allgemeinen Bestimmungen über Leistungsstörungen (§§ 320ff. BGB) maßgebend. Andernfalls wäre der Käufer einer Speziessache von Anfang an - falls nicht die Voraussetzungen des § 463 BGB vorlägen - auf Wandelung oder Minderung beschränkt, selbst wenn die vertragsgemäße Leistung ohne weiteres noch möglich wäre und der Käufer weiterhin ein Interesse an ihr hätte. Das wäre offensichtlich unbillig. Deshalb hat der Käufer zunächst weiterhin den Erfüllungsanspruch und sodann - nach Erfüllung der in §§ 325, 326 BGB geregelten Voraussetzungen - u. a. den Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung (Brüggemann, in: Großkomm. z. HGB, 3. Aufl., § 378 Anm. 34; v. Caemmerer, in: Festschr. f. M. Wolff I, 1952, S. 19; vgl. auch f. v. Gierke, ZHR 114, 88 Fußn. 8, 89, jeweils m. w. Nachw.), selbst wenn ihn beim Handelskauf die Rügelast nach § 378 HGB trifft (Brüggemann, § 378 Einl. 3b und Anm. 34). Ob und inwieweit sich bei der Lieferung eines so genannten "Qualifikations-aliud" oder beim Gattungskauf andere Rechtsfolgen ergeben (vgl. Brüggemann, § 378 Anm. 28ff., 36f.; Mezger, in: RGRK, 12. Aufl., § 459 Rdnr. 7; RGZ 86, 90 [92, 93]; Senat, LM § 477 BGB Nrn. 5, 10 [= NJW 1968, 640]; NJW 1969, 787 = LM § 325 BGB Nr. 12 = WM 1969, 95, jeweils m. w. Nachw.), bedarf keiner Erörterung, weil beide Fallgestaltungen hier nicht vorliegen.

2. Das BerGer. billigt dem Kl. ohne Rechtsirrtum und ohne Rüge der Revision dem Grunde nach einen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung nach § 326 BGB zu. Durch die Nichteinhaltung der vertraglichen Lieferfrist zum 22. 12. 1975 war die Bekl. auch ohne Mahnung in Verzug geraten (§ 284 II BGB). Einer Nachfristsetzung und Ablehnungsandrohung (§ 326 II BGB) bedurfte es nicht. Der Kl. hatte den falsch gelieferten Lkw unverzüglich zurückgewiesen; die Bekl. hatte nach der nicht zu beanstandenden Auslegung des BerGer. mit ihrem Schreiben vom 24. 2. 1976 die Erfüllung des Kaufvertrages durch Lieferung des im Vertrage bezeichneten Lkw ernsthaft und endgültig verweigert (vgl. Senat, LM § 326 [Dc] BGB Nr. 4 = WM 1976, 75 [76] = NJW 1976, 326 L; BGH, LM § 326 [Dc] BGB Nr. 2; Ballhaus, in RGRK, § 326 Rdnr. 46).

3. Seinen Schaden berechnet der Kl., der den Kaufpreis bereits voll bezahlt hat, in der Weise, dass er den gelieferten Lkw zurückweist und seinen vollen Nichterfüllungssachschaden geltend macht, insbesondere den Erlös aus dem nach seiner Behauptung zu erwartenden Weiterverkauf des vertragsmäßig zu liefernden Lkw in Höhe von 87500 DM. Die Rechtsprechung hat diese vom BerGer. zugrunde gelegte und auch von der Revision der Bekl. nicht grundsätzlich in Frage gestellte Berechnungsart für die insoweit ähnlichen Fälle anerkannt, in denen ein Käufer die Kaufsache wegen Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft zurückweist (RGZ 134, 83 [90]; BGHZ 29, 148 [151] = NJW 1959, 620 m. w. Nachw.). Für die Fälle der aliud-Lieferung muss dasselbe gelten, weil der Käufer die ihm zwecks Erfüllung angebotene Sache nicht nur als mangelhafte sondern als schlechthin nicht erfolgte Leistung behandeln darf (vgl. o. II 1), Weist er - wie es der Kl. hier getan hat - die Falschlieferung zurück, so braucht er sich also deren Wert entgegen der Ansicht der Revision auch nicht auf den entgangenen Weiterverkaufserlös als Schadensminderung anrechnen zu lassen. Daran ändert sich nichts dadurch, dass der Kl. den nach Alexandria gelieferten Lkw zu einem späteren, bisher nicht vorgetragenen Zeitpunkt in Ägypten veräußert hat. Eine solche Veräußerung könnte zwar Ausdruck einer nachträglichen Billigung der Lieferung als Erfüllung oder einer vom Käufer vollzogenen Änderung seiner Schadensberechnung (Behalten der Sache und Forderung der Wertdifferenz zum entgangenen Gewinn) sein. Ob eine solche nachträgliche Änderung der Schadensberechnung im vorliegenden Falle zulässig wäre, kann offen bleiben. Das BerGer. hat nämlich in tatrichterlicher Würdigung festgestellt, dass der Kl. auf seiner Ablehnung der Kaufsache beharrt und den Lkw nur deshalb veräußert habe, weil er auch im Interesse der Bekl. weitere Zollgebühren und Lagerkosten für das im Zollhof verwahrte Fahrzeug habe vermeiden wollen. Unter solchen Umständen durfte das OLG annehmen, dass der Weiterverkauf nicht als Änderung der Schadensberechnung zu bewerten sei (vgl. RGZ 134, 83 [90]).

Der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gegebene Hinweis der Revision auf § 379 HGB führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Bestimmung verpflichtet den Käufer unter gewissen Umständen auch bei Lieferung eines aliud, für die einstweilige Aufbewahrung der beanstandeten Ware zu sorgen, um sie vor Verlust oder Beschädigung zu schützen. Für den Kl. bestand schon deshalb keine Aufbewahrungspflicht, weil er die ihm übersandte Sache nicht angenommen, sondern sofort zurückgewiesen hatte. Da § 379 HGB dem Käufer nur eine ihm zumutbare und mögliche Sicherung der Sache auferlegt, um dem Verkäufer die Möglichkeit der Wiedererlangung zu bewahren, setzt er voraus, dass die Sache in den Gewahrsam des Käufers gelangt ist oder dieser sie unberechtigt zurückgewiesen hat (vgl. Brüggemann, § 379 Anm, 16 m. w. Nachw). Daran fehlt es. Die spätere Übernahme zwecks Weiterverkaufs konnte die Aufbewahrungspflicht nach § 379 HGB nicht mehr begründen, weil die Bekl. inzwischen ausreichend Gelegenheit gehabt hatte, selbst für die Erhaltung des Lkw zu sorgen (Brüggemann, § 379 Anm. 15 m. w. Nachw.).

4. Die Auffassung des BerGer., die Veräußerung des tatsächlich gelieferten Lkw stelle auch keine Verwirkung des Schadensersatzanspruchs dar, wird von der Revision im Einzelnen nicht angegriffen, Ein Rechtsfehler kann insoweit nicht festgestellt werden.

III. Zu Unrecht zieht das BerGer. jedoch aus alledem - in Übereinstimmung mit dem LG - die Folgerung, der Anspruch des Kl. stehe mit einem Teilbetrag von 42300 DM bereits endgültig und im Übrigen dem Grunde nach fest. Mit Rücksicht auf die vom Kl. im Schriftsatz vom 14. 6. 1977 erklärte Aufrechnung konnte ohne weitere Aufklärung weder das Teilurteil noch das Grundurteil aufrechterhalten werden.

1. Das BerGer. hält die Aufrechnung für unerheblich, weil sie nur für den Fall der Begründetheit des von der Bekl. geltend gemachten Zurückbehaltungsrechts erklärt worden sei, die diese Einrede der Bekl. enthaltenden Hilfsanträge aber wegen Verspätung (§ 529 II ZPO a. F.) hätten zurückgewiesen werden müssen, so dass die Bedingung nicht eingetreten sei. Mit dieser Begründung kann die Aufrechnung jedoch schon deshalb nicht außer acht gelassen werden, weil die Einrede des Zurückbehaltungsrechts nach dem hier noch anwendbaren § 529 Il ZPO in der vor dem 1. 7. 1977 geltenden Fassung (vgl. Art. 10 Nr. 3 der Vereinfachungsnovelle - BGBl 1976 I, 3281 -) nicht hätte zurückgewiesen werden dürfen.

a) Die Zurückweisung war schon deshalb unzulässig, weil Prozessanträge als solche nicht Angriffs- oder Verteidigungsmittel sind, sondern den Angriff oder die Verteidigung selbst darstellen und deshalb von § 529 II ZPO a. F. nicht erfasst werden (Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 34. Aufl., § 529 Anm. 1 m. Rspr.-Nachw.).

Auch soweit das BerGer. nur die das Zurückbehaltungsrecht begründenden Tatsachen gemeint haben sollte, durfte es diese nicht zurückweisen. Veranlassung, diese Tatsachen einredeweise geltend zu machen, bestand erst, nachdem der Kl. erstmalig am 14. 6. 1977 mitgeteilt hatte, er habe den Lkw inzwischen veräußert. In erster Instanz war der Bekl. danach noch nicht bekannt, dass der Kl. den Lkw verkauft hatte. Grobe Nachlässigkeit kann der Bekl. für die Erhebung ihrer Einrede deshalb nicht vorgeworfen werden. Insbesondere reicht eine frühere Ankündigung des KI., das Fahrzeug verkaufen zu wollen, dafür nicht aus. Ob die Berücksichtigung der Einrede den Rechtsstreit verzögert hätte, wie das BerGer. meint, ist danach unerheblich.

b) Der von der Bekl. gem. § 273 BGB geltend gemachte Auskunfts- und Rechenschaftslegungsanspruch war nach §§ 681 S. 2, 666 BGB gerechtfertigt. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des BerGer. hat der Kl. den nach Alexandria gelieferten Lkw im Hinblick auf die anfallenden Kosten (Standgeld) und den sich infolge Zeitablaufes ergebenden Wertverlust zur Verminderung drohender Schäden im Interesse der Bekl. veräußert. Davon geht auch die Bekl. aus, die ausdrücklich den Anspruch aus §§ 681 S. 2, 666 BGB geltend macht und somit die Geschäftsführung jedenfalls i. S. des § 684 BGB genehmigt hat.

Auch das BerGer. nimmt zu Recht an, dass dieser Anspruch gem. § 273 BGB ein Zurückbehaltungsrecht der Bekl. begründet. Insbesondere ist der erforderliche rechtliche Zusammenhang der gegenseitigen Ansprüche zu bejahen. Der Schadensersatzanspruch des Kl. und der Erlösherausgabeanspruch bzw. Auskunfts- und Rechenschaftslegungsanspruch der Bekl. stehen aufgrund des Kaufvertrages vom 25. 11. 1975 in einem natürlichen wirtschaftlichen Zusammenhang, so dass es als treuwidrig bezeichnet werden müsste, den einen Anspruch geltend zu machen, ohne den anderen zu erfüllen (vgl. BGHZ 47, 157 [167] = NJW 1967, 1275).

2. Gegenüber der bis dahin nicht streitbefangenen, dem Grunde nach unstreitig gebliebenen Forderung der Bekl. auf den Erlös aus dem Verkauf des fälschlich gelieferten Lkw hat der Kl. in erster Linie mit dem 42300 DM übersteigenden Teil seiner Forderung aufgerechnet, hilfsweise auch mit dem Betrag von 42300 DM. War diese Aufrechnung wirksam, war die auf Zahlung gerichtete Klageforderung in Höhe des aufgerechneten Teils nicht mehr begründet, weil sie als im Zeitpunkt der Aufrechenbarkeit mit der Gegenforderung erloschen galt (§ 389 BGB). Nachdem der Kl. selbst die Forderung der Bekl. mit 29000 DM beziffert hat (59000 DM Erlös, abzüglich "ca." 30000 DM Verwendungen auf den Lkw), konnte die Bekl. nicht mehr in voller Höhe verurteilt werden. Mindestens in Höhe des vom KI. errechneten Betrages war die Klage nach seinem eigenen Vortrag unbegründet geworden. Insoweit hätte die vom Kl. weiterhin aufrechterhaltene Klage teilweise abgewiesen werden müssen. Aber auch das vom BerGer. bestätigte Teilurteil des LG war nicht mehr gerechtfertigt. Da die vom Kl. als Verwendungen auf den Lkw geltend gemachten Zollgebühren und Standgeldkosten streitig sind, ist nicht auszuschließen, dass die Gegenforderung der Bekl. höher als 29000 DM (bis hin zum vollen vom Kl. angegebenen Erlös von 59000 DM) ist. Andererseits kann die Schadensersatzforderung des Kl. geringer als 91000 DM sein. Wäre der primär aufgerechnete, 42300 DM übersteigende Teil geringer als die Gegenforderung der Bekl., so wäre wegen der Hilfsaufrechnung des Kl. auch der bereits zugesprochene Teilbetrag von 42 300 DM teilweise oder gar gänzlich zum Erlöschen gebracht. Das Teilurteil konnte daher nicht aufrechterhalten werden, weil nicht mehr feststeht, dass dem Kl. ein bestimmter Teilbetrag endgültig zusteht.

3. Eine abschließende Entscheidung war dem Senat nur insoweit möglich, als die Klage sich in Höhe vom 29000 DM als unbegründet erwiesen hat. Hinsichtlich dieses Teilbetrages wurde das Berufungsurteil daher geändert und die Klage abgewiesen. Da die gegenseitigen weiteren Ansprüche noch der Aufklärung bedürfen, musste das angefochtene Urteil im Übrigen aufgehoben und die Sache an das BerGer. zurückverwiesen werden.

Rechtsgebiete

Schadensersatzrecht