Beeinträchtigung der Uneinsehbarkeit eines Grundstücks

Gericht

OLG Köln


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

23. 01. 1992


Aktenzeichen

7 U 169/91


Leitsatz des Gerichts

Die Beeinträchtigung der Uneinsehbarkeit eines Grundstücks stellt keine nach § 906 BGB abwehrbare Einwirkung dar.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. nehmen die Bekl. auf Schadensersatz in Anspruch. Sie sind Eigentümer des Grundstücks H-Weg 10. Das Grundstück ist in seiner südlichen Hälfte mit einem eingeschossigen Einfamilienhaus mit Flachdach bebaut. Eigentümerin des südlich angrenzenden Grundstücks H-Weg 8 ist Frau S. Auf diesem Grundstück errichtete Frau S im Jahre 1967 mit Baugenehmigung der Bekl. vom 24. 2. 1967 ein zweigeschossiges Wohnhaus mit fünf Wohneinheiten und Flachdach. Von der Festsetzung der eingeschossigen Bauweise wurde S eine Ausnahme erteilt mit der Erwägung, dass ein zweigeschossiges Gebäude mit Flachdach sich besser in die überwiegend vorhandene eingeschossige Flachdachbauweise einfüge als ein nach den Planfestsetzungen zulässiges eingeschossiges Gebäude mit Satteldach. Ein Überschreiten der zulässigen Bautiefe durch das Gebäude der S blieb ohne Folgen, da das Vorhaben bereits fertig gestellt war und die Kl. ihre dagegen erhobenen Einwendungen nicht weiter verfolgten. Mit Baugenehmigung vom 7. 6. 1983 wurde der S die Aufstockung ihres Gebäudes mit einem Satteldach von 45Grad Celsius Dachneigung sowie die Nutzung des Dachgeschosses als Wohnraum mit zwei weiteren Wohneinheiten mit der Auflage genehmigt, bis zur Schlussabnahme noch Stellplätze anzulegen. Das Gebäude der S hielt nach Norden einen etwa 3 m großen Grenzabstand ein. Die Kl. legten gegen diese Baugenehmigung bei dem Bekl. Widerspruch ein und machten geltend, die ohnehin rechtswidrig genehmigte Baumasse des Gebäudes der S werde durch eine Aufstockung nochmals unzulässig vergrößert. Das Dachgeschoß halte als Vollgeschoß die notwendige Abstandsfläche nicht ein. Zudem seien die notwendigen Stellplätze nicht vorhanden. Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos. Im anschließenden Verwaltungsstreitverfahren hob das VG die Baugenehmigung auf. In einem weiteren Verwaltungsstreitverfahren auf Erlass einer Abrissverfügung hatten die Kl. Erfolg. Zum Abriss ist es noch nicht gekommen. Die Kl. machen geltend, seit Fertigstellung der Aufstockung des Nachbarhauses sei der Wert ihres Hauses erheblich gemindert. Sie hätten verstärkte Einsichtsmöglichkeiten auf ihr Grundstück durch die illegal errichteten zwei zusätzlichen Dachgeschoßwohnungen, die mit Fenstern zum Nachbargrundstück hin versehen seien, dulden müssen. Der Zugangsverkehr zum Haus der Nachbarn, der unmittelbar an der Grundstücksgrenze vorbeiführe, belaste sie durch die zusätzlich vermieteten zwei Wohnungen über das frühere Maß hinaus. Im Übrigen habe die Aufstockung des Nachbarhauses zur Folge gehabt, dass der Einfall von Licht, Luft und Sonne deutlich gemindert worden sei. Sie machen geltend, die insoweit eingetretenen Beeinträchtigungen seien anhand des Wohn- und Mietwertes ihres Hauses zu bemessen. Das Haus befinde sich auf einem circa 1300 qm großen Grundstück und weise eine Wohnfläche von 160 qm aus. Auszugehen sei von einem durchschnittlichen Mietwert von 2250 DM. Die Beeinträchtigung belaufe sich auf 20 %, also auf 450 DM monatlich. Für die Zeit von September 1983 bis Januar 1991 errechnen die Kl. auf dieser Grundlage einen Schaden von 40050 DM.

Die Klage auf Zahlung von 40050 DM hatte in beiden Instanzen keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Den Kl. steht ein Schadensersatzanspruch gegen die Bekl. weder nach § 839 BGB i. V. mit Art. 34 GG noch nach § 39 Ib NRWOBG zu. Ihnen ist kein ersatzfähiger Vermögensschaden entstanden.

a) Ein Anspruch wegen Minderung des Verkehrswerts ihres Grundstücks durch die vom unzulässigen Dachgeschoßaufbau des Nachbarhauses ausgehende Beeinträchtigung besteht nicht. Die Beeinträchtigung ist, auch wenn sie inzwischen schon über acht Jahre anhält, nicht von Dauer, sondern nur vorübergehend. Die Bekl. ist aufgrund rechtskräftigen Urteils des VG Köln vom 29. 3. 1988 verpflichtet, der Nachbarin durch Ordnungsverfügung den Abriss der am 7. 6. 1983 genehmigten Aufstockung ihres Hauses aufzugeben. Sie hat das inzwischen, wenn auch vielleicht nur gezwungen durch die Zwangsgeldandrohung des VG Köln mit Beschluss vom 12. 2. 1991, getan. Sie hat den Mietern der Dachgeschoßwohnungen aufgegeben, diese bis zum 31. 12. 1991 zu räumen, und der Nachbarin eine Frist zum Abriss bis zum 31. 3. 1992 gesetzt.

Bei einer nur vorübergehenden Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit eines Grundstücks kommt ein Anspruch wegen Minderung des Verkehrswerts nicht in Betracht, weil es nach Wegfall der Beeinträchtigung an einem Minderwert fehlt. Richtig mag sein, dass die Kl. in der Zeit, in der über den Abriss des Dachgeschosses des Nachbarhauses noch nicht rechtskräftig entschieden war, auf dem Markt nur einen geringeren Kaufpreis für ihr Grundstück hätten erzielen können. Darauf kommt es, nachdem inzwischen rechtskräftig über die Verpflichtung zum Abriss entschieden ist, jedoch nicht an. Im Übrigen haben die Kl. selbst nicht vorgetragen, in der Vergangenheit die Absicht gehabt zu haben, ihr Grundstück zu verkaufen.

Belanglos ist ferner, dass nach enteignungsrechtlichen Grundsätzen beim vorübergehenden Entzug von Nutzungen bzw. Nutzungsmöglichkeiten des Grund und Bodens eine Verzinsung der Minderung des Bodenwerts - „Bodenrente“ - in Betracht kommt. Das setzt nämlich die Blockierung wirtschaftlicher Nutzungsmöglichkeiten voraus (vgl. Aust-Jacobs, Enteignungsentschädigung, 3. Aufl., S. 201/202, 314/315). Daran fehlt es bei der hier in Rede stehenden Nutzung des auf dem Grundstück der Kl. befindlichen Gebäudes als Eigenheim, die auch während der Zeit der Beeinträchtigung ohne weiteres möglich blieb und tatsächlich erfolgte.

b) Die vorübergehende Beeinträchtigung ist nicht unter dem Gesichtspunkt entgangener Gebrauchsvorteile ersatzfähig. Im Anschluss an den Beschluss des Großen Zivilsenats des BGH vom 9. 7. 1986 (NJW 1987, 50) ist in der Rechtsprechung allerdings anerkannt, dass es einen ersatzfähigen Vermögensschaden darstellt, wenn der Eigentümer eines von ihm selbst bewohnten Hauses infolge eines deliktischen Eingriffs in das Eigentum die Sache vorübergehend nicht benutzen kann, auch wenn ihm hierdurch keine zusätzlichen Kosten entstehen oder Einnahmen entgehen. Hier geht es aber nicht um einen Gebrauchsverlust, sondern um eine Gebrauchsbeeinträchtigung. Die Kl. machen geltend, sie würden in der Nutzung ihres Eigentums gestört, weil ihr Grundstück vom ausgebauten Dachgeschoß des Nachbarhauses aus eingesehen werden könne, weil die unzulässige Aufstockung den Einfall von Licht auf ihr Grundstück behindere und weil die vom Nachbargrundstück ausgehende Geräuschbelästigung das zumutbare Maß überschreite. Diese Beeinträchtigungen schlossen eine Nutzung des auf ihrem Grundstück befindlichen Gebäudes als Eigenheim nicht aus. Die vorübergehende Gebrauchsbeeinträchtigung eines eigengenutzten Hauses durch eine unerlaubte Handlung begründet keinen ersatzfähigen Vermögensschaden, wenn der Eigentümer, sei es auch unter fühlbaren Erschwernissen, sein Haus weiter benutzen kann (BGH, NJW 1980, 775). Eine andere Beurteilung würde die Abgrenzung zwischen - grundsätzlich ersatzfähigem - Vermögensschaden und - grundsätzlich nicht ersatzfähigem (§ 253 BGB) - immateriellem Schaden verwischen. Das, was die Kl. als Beeinträchtigung anführen, betrifft ausnahmslos den immateriellen Bereich. Es geht um einen früher vorhandenen (und nach Beseitigung des Dachgeschoßaufbaus wieder eintretenden) Lagevorteil, der für die Annehmlichkeit des Wohnens bedeutsam ist. Dass auf dem Markt für ein Grundstück mit einem entsprechenden Lagevorteil ein höherer Preis zu erzielen ist als für ein Grundstück ohne einen solchen, reicht nicht aus für die Feststellung, dass der Verlust einer solchen Annehmlichkeit einen materiellen Schaden darstellt. In der heutigen Zeit kann eine Vielzahl immaterieller Güter gegen Entgelt erworben werden. Die Kommerzialisierung eines Gutes reicht deshalb nicht aus, um im Falle seiner Beeinträchtigung einen materiellen Schaden zu bejahen.

Die oben zitierte Entscheidung des Großen Zivilsenats des BGH ändert an dieser Bewertung nichts, im Gegenteil: Zum einen nimmt er - offenbar zustimmend - die in NJW 1986, 775, abgedruckte Entscheidung des V. Zivilsenats des BGH in Bezug (NJW 1987, 50 (51)). Zum anderen differenziert er ausdrücklich zwischen einem „Funktionsverlust“ und bloßen „Funktionsstörungen“. Zu letzteren hat er (NJW 1987, 50 (52 unten, 53 oben)) ausgeführt:

„Funktionsstörungen der Sache für ihren Eigengebrauch sind notwendig mit Einbußen in der Lebenshaltung verbunden. Ein Schadensersatz für diese Störungen läuft deshalb Gefahr, zum Ersatz für Einbußen in der von der Person untrennbaren Sphäre zu führen, die nach § 253 BGB grundsätzlich entschädigungslos bleiben sollen. Für den hier allein in Frage stehenden außervertraglichen, deliktischen Schadensersatz ist diese Schranke zwingend."

Hier geht es allein um den außervertraglichen Bereich. Zwischen den Parteien besteht keine Sonderrechtsbeziehung.

2. Entgegen der S. 10 der Berufungsbegründung vertretenen Ansicht besteht auch kein Anspruch auf Geldausgleich „aus dem Grundgedanken des § 906 II BGB i. V. mit Art. 14 GG“. Es fehlt schon an dem in § 906 BGB vorausgesetzten Nachbarschaftsverhältnis. Für die Anwendung dieser Norm genügt es nicht, dass ein deliktischer Eingriff bzw. eine ordnungsbehördliche Maßnahme (hier: Genehmigung der Aufstockung des Nachbarhauses) zur Folge hat, dass der Nachbar Beeinträchtigungen der in § 906 BGB genannten Art hinnehmen muss. Der in § 906 II 2 BGB normierte Ausgleichsanspruch richtet sich zwar nicht notwendigerweise nur gegen den Eigentümer des Nachbargrundstücks, sondern auch gegen dessen Benutzer, das heißt denjenigen, der die Nutzungsart des Nachbargrundstücks bestimmt (BGH, NJW 1991, 1671 (1673)). Die Bekl. ist aber weder Eigentümerin noch in dem genannten Sinne Benutzerin des Nachbargrundstücks der Kl.

Bei den in der Enteignungsrechtsprechung entschiedenen Fällen (z. B. BGH, NJW 1988, 900 - Straßenlärm; NJW 1984, 1876 - Geruchsbelästigung durch eine Kläranlage) stand das Nachbarschaftsverhältnis zwischen dem Betroffenen und der öffentlichen Hand außer Zweifel.

Davon abgesehen liegen die Voraussetzungen des § 906 II 2 BGB auch aus folgenden Gründen nicht vor:

Nur bezüglich der angeblichen Geräuschbeeinträchtigung ist der unmittelbare Anwendungsbereich des § 906 BGB betroffen. Ein Ausgleichsanspruch nach § 906 II 2 BGB scheidet insoweit schon deshalb aus, weil die Kl. im Falle einer unzumutbaren Geräuschbeeinträchtigung ganz unabhängig vom Ausgang der verwaltungsgerichtlichen Verfahren den Nachbarn auf Unterlassung einer solchen Beeinträchtigung hätten in Anspruch nehmen können. Der Eigentümer kann vom Benutzer des anderen Grundstücks einen angemessenen Ausgleich in Geld nur dann verlangen, wenn er die von dessen Grundstück ausgehende Einwirkung zu dulden hat. Der Ausgleichsanspruch ist gewissermaßen die Kompensation dafür, dass dem Betroffenen der Abwehranspruch aus § 1004 BGB „genommen“ wird.

Außerdem ist eine unzumutbare Geräuschbelastung nicht substantiiert vorgetragen. Das Nachbarhaus ist nicht übermäßig frequentiert. Die Kl. geben S. 8 der Berufungsbegründung selbst an, es seien sieben Mietvertragsparteien vorhanden, bestehend aus mindestens elf Personen einschließlich zwei Familien mit Kindern. Damit ist der übliche Rahmen für ein Haus mit sieben Wohneinheiten ersichtlich nicht überschritten. Im Übrigen kommt es entgegen der Ansicht der Kl. nicht auf den „Gesamtverkehr“ auf dem Nachbargrundstück an, sondern auf denjenigen, der durch die Aufstockung hervorgerufen worden ist. Durch diese sind zwei neue Wohneinheiten geschaffen worden. Nichts ist dafür ersichtlich, dass davon übermäßige Geräuschbelästigungen ausgehen, sei es auch nur im Zusammenhang mit den schon früher geschaffenen fünf Wohneinheiten. Gegen die letzteren können die Kl. berechtigterweise nichts vorbringen. Sie haben nämlich die insoweit 1967 erteilte Baugenehmigung für ein zweigeschossiges Wohnhaus mit Flachdach nicht angegriffen, können deshalb, da sie den primären Rechtsschutz versäumt haben, aus deren Genehmigung keine Ansprüche gegen die Bekl. herleiten. Auf die angebliche Rechtswidrigkeit der 1967 erteilten Baugenehmigung kommt es daher nicht an.

Die angebliche Entziehung von Licht ist keine Immission i. S. des § 906 BGB. Unter „ähnlichen Einwirkungen" i. S. von Abs. 1 dieser Vorschrift sind nur den gesetzlichen Beispielen gleichartige, das heißt allein positiv die Grenze überschreitende, im allgemeinen sinnlich wahrnehmbare Wirkungen zu verstehen (BGH, NJW 1984, 729; 1991, 1671 (1672)). Die Entziehung von Licht ist eine so genannte negative Einwirkung (BGH, NJW 1984, 729; 1991, 1671 (1672)). Insoweit kommt allenfalls ein nachbarlicher Ausgleichsanspruch in Betracht, sei es aus § 242 BGB, sei es in entsprechender Anwendung des § 906 II 2 BGB. Voraussetzung für diesen ist aber, dass der Eigentümer infolge der negativen Einwirkungen Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen (BGH, NJW 1991, 1671 (1673)). Dafür ist hier nichts ersichtlich. Enteignungsrechtlich ist nur eine wesentliche Beschränkung des Lichteinfalls entschädigungsfähig - im Rahmen eines nachbarlichen Ausgleichsanspruchs gilt nichts anderes -. Diese ist dann anzunehmen, wenn tagsüber die Räume häufiger durch künstliches Licht beleuchtet werden müssen (Aust-Jacobs, S. 268). Das behaupten die Kl. selbst nicht. Unter Berücksichtigung der von ihnen vorgelegten Fotos kann allenfalls angenommen werden, dass vom Dachgeschoßaufbau des Nachbarhauses aus ab und an eine Schattenwirkung auf den Rasen der Kl., vielleicht auch noch auf deren Terrasse ausgeht.

Die schwerwiegendste Beeinträchtigung sehen die Kl. offenbar darin, dass ihr Grundstück von den im Dachgeschoß des Nachbarhauses befindlichen Wohnungen aus ungehindert eingesehen werden kann. Das fällt nicht in den Anwendungsbereich des § 906 BGB. Es handelt sich auch nicht um eine so genannte negative Einwirkung. Eine solche liegt vor, wenn natürliche Zuführungen zum Beispiel von Licht, Luft, Wasser oder Abschattung von Funk- oder Fernsehwellen durch Maßnahmen auf dem Nachbargrundstück von dem betroffenen Grundstück abgehalten werden (BGH, NJW 1984, 729; 1991, 1671 (1672); Palandt-Bassenge, BGB, 50. Aufl., § 903 Rdnr. 9, § 906 Rdnr. 4). Die mangelnde Einsehbarkeit eines Grundstücks von der Nachbarschaft aus ist zwar ein Lagevorteil; er beruht aber nicht auf der Zuführung natürlicher Gegebenheiten.

Rechtsgebiete

Grundstücks- und Wohnungseigentumsrecht; Schadensersatzrecht