Verwirkung des Ehegattenunterhalts

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

12. 03. 1997


Aktenzeichen

XII ZR 153/95


Leitsatz des Gerichts

Der Verlust des Unterhaltsanspruchs setzt eine ehegleiche Solidarität mit dem neuen Partner voraus, die einer Verfestigung von mindestens zwei bis drei Jahren bedarf.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Durch Verbundurteil vom 27. 12. 1991 wurde (u.a.) die im Jahre 1978 geschlossene Ehe der Parteien geschieden, die elterliche Sorge für das am 23. 9. 1985 geborene Kind J der Mutter übertragen und der (jetzige) Kl. gemäß seinem Anerkenntnis verurteilt, an die Bekl. nachehelichen Unterhalt in Höhe von 896 DM monatlich zu zahlen. Das Anerkenntnis erfolgte auf der Grundlage der Antragsschrift zum nachehelichen Unterhalt, in der die Bekl. die Differenz der beiderseitigen bereinigten Erwerbseinkommen mit rund 2091 DM (Kl. - nach Abzug des Kindesunterhalts in Höhe von 420 DM -: 3365,52 DM; Bekl.: 1274,64 DM) angegeben und den anerkannten Betrag als den ihr zustehenden Unterhalt (als Quote von 3//7) errechnet hatte. Das Verbundurteil ist hinsichtlich des Scheidungsausspruchs seit dem 4. 4. 1992 rechtskräftig. In dem zuvor über den Trennungsunterhalt der Bekl. geführten Rechtsstreit hatte der Kl. (ohne Erfolg) geltend gemacht, seine von ihm seit Januar 1989 getrennt lebende Ehefrau lebe seit einiger Zeit mit einem neuen Partner, L, den sie Anfang 1990 kennen gelernt habe, eheähnlich zusammen. Zur Erhärtung seines Vorbringens hatte er den Bericht einer Detektei vorgelegt, von der er die Bekl. und L in der Zeit vom 13. bis 19. 9. 1990 hatte beobachten lassen.

Das AG hatte der Klage nach Vernehmung des L als Zeugen durch Urteil vom 17. 1. 1991 im wesentlichen stattgegeben und zu der Frage einer Verwirkung der Unterhaltsansprüche ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme lebe die Bekl. mit L nicht in einer eheähnlichen Gemeinschaft, die nach außen das Bild einer Versorgungsgemeinschaft biete. Mit der am 20. 1. 1994 erhobenen Klage begehrte der Kl. die Abänderung des Verbundurteils vom 27. 12. 1991 dahin, dass er nicht mehr zu Unterhaltszahlungen an die Bekl. verpflichtet sei. Zur Begründung trug er vor, die Verhältnisse hätten sich seit der Vorentscheidung erheblich geändert, da die Bekl. inzwischen seit mehreren Jahren in einem eheähnlichen Verhältnis mit L zusammenlebe, weshalb seine weitere Inanspruchnahme grob unbillig sei. Die Bekl. trat der Klage entgegen. Sie bestritt, eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft mit L zu unterhalten.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Kl. hat das KG die angefochtene Entscheidung geändert und das Verbundurteil vom 27. 12. 1991 hinsichtlich des nachehelichen Unterhalts mit Wirkung vom 20. 1. 1994 dahin abgeändert, dass bis zum 30. 9. 1997 nur noch eine monatliche Unterhaltsrente von 370 DM zu zahlen ist. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Mit der - zugelassenen - Revision erstrebt die Bekl. die Zurückweisung der Berufung des Kl. insoweit, als das Verbundurteil dahin abgeändert worden ist, dass die Unterhaltspflicht des Kl. für die Zeit nach dem 30. 9. 1997 entfällt. Die Revision hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Das KG hat eine nachträgliche Veränderung der für die frühere Beurteilung maßgebenden Verhältnisse angenommen und den Anspruch der Bekl. auf nachehelichen Unterhalt auf monatlich 370 DM herabgesetzt und bis zum 30. 9. 1997 befristet. Dazu hat es ausgeführt:

Die Beziehung der Bekl. zu ihrem neuen Partner habe sich seit der Vorentscheidung so verfestigt, dass sie nunmehr wie eine eheliche Lebensgemeinschaft erscheine. Diese Entwicklung rechtfertige die Herabsetzung ihres Unterhalts gem. § 1579 Nr. 7 BGB. Während sich im Dezember 1991 noch nicht verlässlich habe beurteilen lassen, ob sich die Verbindung der Bekl. zu L als dauerhaft erweisen werde, sei inzwischen eine Änderung eingetreten. Das Verhältnis, das die Bekl. selbst als feste Liebesbeziehung bezeichne, bestehe seit über vier Jahren. Es werde unstreitig durch regelmäßige Kontakte geprägt, die sich nicht nur auf gemeinsame Freizeiterlebnisse beschränkten, sondern über Wochenendbegegnungen hinaus zu mehrwöchigen Aufenthalten des Zeugen in der Wohnung der Bekl., zu verschiedenen gemeinsamen Urlaubsreisen und zur wenigstens sporadischen Teilnahme an Feierlichkeiten im Kreise der Familie der Bekl. geführt hätten. Darüber hinaus müsse davon ausgegangen werden, dass L jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Bekl. Kenntnis von dem letzten Beobachtungsergebnis der Detektei erhalten habe, regelmäßig bei der Bekl. gewohnt und nur ausnahmsweise seine eigene Wohnung genutzt habe. Schon im Dezember 1990 hätten die Beobachtungen durch die Detektei ergeben, dass L während des Ermittlungszeitraums bei der Bekl. gewohnt habe. Diesen Sachverhalt habe sie im vorliegenden Rechtsstreit letztlich auch nicht bestritten. Anlässlich der Vernehmung des Zeugen L habe sie weiter eingeräumt, dass die von der Detektei im Dezember 1993 getroffenen Feststellungen richtig seien. Damit stehe fest, dass der Zeuge zu zwei für die Bekl. nicht vorhersehbaren Zeiträumen bei ihr gewohnt habe. Es komme hinzu, dass die Bekl. sich nach ihrem eigenen Vorbringen von dem Zeugen anlässlich von Krankheiten, insbesondere aus Anlass ihrer Bandscheibenerkrankung im Sommer 1994, Hilfe in einer Form habe leisten lassen, wie sie üblicherweise nur von einem Ehegatten dem anderen gewährt werde. L habe nach ihren eigenen Angaben in den Zeiten ihrer Krankheit bei ihr gewohnt, den Einkauf besorgt, weitere Leistungen in ihrem Haushalt erbracht und J, die ihn zeitweise „Papa“ genannt habe, zur Schule bzw. zum Kinderhort gebracht und von dort abgeholt, obwohl für diese Leistungen auch die Freunde und Verwandten der Bekl. in Frage gekommen wären. Ferner benutzte die Bekl. ständig den Pkw des Zeugen. Diese Umstände ergäben in der Öffentlichkeit das Bild eines ehegleichen Verhältnisses. Ob die Verbindung von der konkreten Umgebung des Unterhaltsberechtigten als eheähnlich wahrgenommen werde, was vorliegend - wie die Vernehmung der Mitmieter als Zeugen ergeben habe - nicht der Fall sei, sei dagegen nicht entscheidungserheblich. Derartige Bewertungen seien von Person zu Person verschieden und in ländlich oder religiös geprägten Gegenden anders als in der Anonymität einer Großstadt. Maßgeblich könne allein sein, wie die neue Verbindung nach den Maßstäben der Allgemeinheit erscheine. Danach sei die Beziehung zwischen der Bekl. und L ehegleich. An dieser Bewertung sei trotz des Vorbringens der Bekl., das Verhältnis habe sich in letzter Zeit flüchtiger gestaltet, festzuhalten. Der Zeuge L habe bei seiner Vernehmung anklingen lassen, welchen Grund die neue Distanz zu der Bekl. habe: Ihr sollten unterhaltsrechtliche Nachteile erspart bleiben. Deshalb lasse sich nicht ausschließen, dass seine Beziehung zu der Bekl. wieder ihre frühere Qualität gewinne, wenn sie im vorliegenden Rechtsstreit obsiege. Das Vorliegen eines Härtegrundes habe indessen nicht den völligen Ausschluss des Unterhaltsanspruchs der Bekl. zur Folge. Insbesondere unter Berücksichtigung der zu wahrenden Belange des Kindes J sei es angemessen, der Bekl. zusätzlich zu dem aus einer Teilzeitbeschäftigung erzielten Einkommen von monatlich rund 1430 DM bis zum 30. 9. 1997 einen Unterhaltsanspruch in Höhe von monatlich 370 DM zu belassen. Danach werde sie auch im Hinblick auf das Alter des Kindes selbst für ihren Unterhalt sorgen müssen.

2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

a) Allerdings bestehen gegen die Aberkennung des Unterhaltsanspruchs im Wege des Abänderungsverfahrens an sich keine Bedenken. Nach der - vom KG zu Recht herangezogenen - Rechtsprechung des Senats kann eine auf § 1579 BGB gestützte Herabsetzung des Unterhalts für die Zeit ab Rechtshängigkeit, die hier allein zur Entscheidung steht, mittels Abänderungsklage geltend gemacht werden (Senat, FamRZ 1990, 1095).

b) Gegen die Feststellungen des BerGer., die seiner Wertung zugrunde liegen, die Beziehung der Bekl. zu L habe sich inzwischen derart gefestigt, dass damit das nichteheliche Zusammenleben an die Stelle einer Ehe getreten sei, wendet die Revision ein: Bei den Detektivberichten, die das BerGer. zu der Annahme veranlasst hätten, L habe jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Bekl. Kenntnis von der letzten Beobachtung erhalten habe, regelmäßig bei dieser gewohnt und nur ausnahmsweise seine eigene Wohnung genutzt, handle es sich um Zufallsergebnisse, da sich die Beobachtungen 1990 lediglich auf fünf Tage und 1993 auf nur 14 Tage erstreckt hätten. Das BerGer. habe außerdem die Aussage des Zeugen L übergangen, der angegeben habe, sich mit der Bekl. im Durchschnitt einmal in der Woche und jeweils an den Wochenenden zu treffen, während er sich in der übrigen Zeit in seiner eigenen Wohnung aufhalte und dort insbesondere übernachte. Das hätten auch die als Zeugen vernommenen Mitmieter des Hauses betätigt. Die Bekl. selbst habe vorgetragen, dass während der Zeit ihrer Erkrankung täglich ein anderer Bekannter gekommen sei, um den Hund auszuführen. Der Zeuge L und sie unterhielten jeweils einen eigenen Freundeskreis; deshalb erfolgten oft getrennte Unternehmungen.

Diese Rügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet (§ 565a ZPO).

c) Die Revision rügt weiter, nach Auffassung des BerGer. komme es nicht darauf an, wie die Umgebung des Unterhaltsberechtigten die neue Partnerschaft bewerte, sondern allein darauf, wie die neue Verbindung nach den Maßstäben der Allgemeinheit erscheine. Dies stehe im Widerspruch zu der ständigen Rechtsprechung des Senats, nach der das Erscheinungsbild der Verbindung in der Öffentlichkeit maßgeblich sei. Auch mit diesem Angriff vermag die Revision nicht durchzudringen.

Nach der Rechtsprechung des Senats kann das Zusammenleben des Unterhaltsberechtigten mit einem neuen Partner dann zur Annahme eines Härtegrundes i.S. von § 1579 Nr. 7 BGB - mit der Folge der Unzumutbarkeit einer weiteren (uneingeschränkten) Unterhaltsbelastung für den Verpflichteten - führen, wenn sich diese Beziehung in einem solchen Maße verfestigt, dass damit gleichsam ein nichteheliches Zusammenleben an die Stelle einer Ehe getreten ist. Nach welchem Zeitablauf - und unter welchen weiteren Umständen - dies angenommen werden kann, lässt sich nicht allgemeinverbindlich festlegen. Vor Ablauf einer gewissen Mindestdauer, die im Einzelfall kaum unter zwei bis drei Jahren liegen dürfte, wird sich in der Regel nicht verlässlich beurteilen lassen, ob die Partner nur „probeweise“ zusammenleben oder ob sie auf Dauer in einer verfestigten Gemeinschaft leben und nach dem Erscheinungsbild der Beziehung in der Öffentlichkeit diese Lebensform bewusst auch für ihre weitere Zukunft gewählt haben (Senat, NJW 1989, 1083 = LM § 1577 BGB Nr. 15 = BGHRBGB § 1579 Nr. 7 Härtegrund 5 = FamRZ 1989, 487 (490f.); NJW 1984, 2692 = LM § 1601 BGB Nr. 5 = FamRZ 1984, 986 (987); NJW 1983, 2243 = LM § 260 BGB Nr. 23 = FamRZ 1983, 996 (997)). Ist diese Voraussetzung erfüllt, dann kann von dem Zeitpunkt an, in dem sich das nichteheliche Zusammenleben der neuen Partner als solchermaßen verfestigte Verbindung darstellt, die Bedeutung der geschiedenen Ehe als Grund für eine fortdauernde unterhaltsrechtliche Verantwortung des Verpflichteten gegenüber seinem geschiedenen Ehegatten zurücktreten, und es kann für den Verpflichteten objektiv unzumutbar werden, den früheren Ehegatten unter derartig veränderten Lebensumständen gleichwohl weiterhin (uneingeschränkt) unterhalten zu müssen (Senat, NJW 1989, 1083 = LM § 1577 BGB Nr. 15).

Das KG hat in diesem Zusammenhang die Frage aufgeworfen, ob die Annahme einer auf Dauer angelegten verfestigten Verbindung voraussetze, dass diese von der konkreten Umgebung des Berechtigten als ehegleiches Verhältnis wahrgenommen und gewertet werde, und hat deswegen die Revision zugelassen. Bedenken gegen die vorgenannte Rechtsprechung des Senats sind im Schrifttum dahin aufgekommen, ob das Erscheinungsbild der nichtehelichen Lebensgemeinschaft in der Öffentlichkeit maßgebend sein könne oder ob es nicht ausreichen müsse, wenn die Partner ihre Verbindung als dauerhaft ansähen, auch wenn sie es verstünden, die Beziehung in der Öffentlichkeit geheim zu halten (so Voelskow, in: Johannsen/Henrich, EheR, 2. Aufl., § 1579 Rdnr. 42; Richter, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 1579 Rdnr. 47, vgl. auch 3. Aufl., § 1579 Rdnr. 47a; a.A. Griesche, in: FamGB, § 1579 Rdnr. 35; vgl. auch Luthin, FamRZ 1986, 1166 (1167)).

Ob an dem Kriterium des Erscheinungsbildes in der Öffentlichkeit festzuhalten ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da die Bekl. und L - wie die getroffenen Feststellungen zeigen - ihre Verbindung nicht geheim halten. Die Frage, ob die Öffentlichkeit aus diesem Verhalten auch tatsächlich auf ein ehegleiches Verhältnis schließen muss, wird - soweit ersichtlich - in dieser Form im Schrifttum nicht ernsthaft diskutiert. Sie ist mit dem BerGer. und mit der von diesem gegebenen Begründung auch zu verneinen. Die Maßgeblichkeit des Erscheinungsbildes einer neuen Partnerschaft des Unterhaltsberechtigten in der Öffentlichkeit als Grund für die Unzumutbarkeit einer weiteren (uneingeschränkten) Unterhaltsbelastung des Unterhaltsverpflichteten betrifft jedenfalls allein die Erkennbarkeit der Partnerschaft aufgrund der nach außen dringenden Gegebenheiten und setzt nicht voraus, dass die Partnerschaft auch tatsächlich in diesem Sinne bewertet wird.

Dass das BerGer. zu der Annahme gelangt ist, vorliegend bestehe nunmehr der Härtegrund eines auf Dauer angelegten festen Verhältnisses der Bekl. zu dem Zeugen L (§ 1579 Nr. 7 BGB), begegnet daher aus Rechtsgründen keinen Bedenken. Es obliegt letztlich der verantwortlichen Beurteilung des Tatrichters, ob er den Tatbestand des „nichtehelichen Zusammenlebens" aus tatsächlichen Gründen für gegeben erachtet oder nicht (Senat, NJW-RR 1994, 1154 = FamRZ 1995, 540 (543)). Dass der Zeuge L weiterhin eine eigene Wohnung besitzt, steht der Bewertung ebenso wenig entgegen (Senat, NJW 1984, 2692 = LM § 1601 BGB Nr. 5) wie der Umstand, dass sich die Beziehung in der letzten Zeit nach den Angaben des Zeugen flüchtiger gestaltete. Dieser Gesichtspunkt brauchte das BerGer., das die Änderung letztlich als prozessbedingt angesehen hat, aufgrund der im Übrigen getroffenen Feststellungen nicht zu einer anderen Beurteilung zu veranlassen.

d) Soweit die Revision sich gegen die Befristung des Unterhaltsanspruchs bis zum 30. 9. 1997 wendet, kann ihr der Erfolg allerdings nicht versagt werden.

Da die Bekl. als Sorgeberechtigte die 1985 geborene gemeinsame Tochter betreut, ist ihr Unterhaltsanspruch nach § 1579 BGB nur zu begrenzen, soweit die Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen auch unter Wahrung der Belange des Kindes, dessen Pflege und Erziehung gesichert bleiben muss, grob unbillig ist. Das ist grundsätzlich der Fall, soweit der Unterhalt das Maß dessen übersteigt, was der betreuende Elternteil - gegebenenfalls zusammen mit seinen Erwerbseinkünften - zur Deckung seines Mindestbedarfs benötigt, ferner, soweit dieser die dazu erforderlichen Mittel von anderer Seite erhalten kann und daher auf den Unterhalt nicht angewiesen ist. Schließlich können die Belange des Kindes gewahrt sein, wenn seine Pflege und Erziehung in anderer Weise als durch elterliche Betreuung sichergestellt werden kann (Senat, NJW 1990, 253 = LM § 1579 BGB Nr. 39 = FamRZ 1989, 1279 (1280); Voelskow, in: Johannsen/Henrich, § 1579 Rdnrn. 9f.; Schwab/Borth, Hdb. des ScheidungsR, 3. Aufl., Teil IV Rdnr. 418; Göppinger/Kindermann, UnterhaltsR, 6. Aufl., Rdnr. 1318; Soergel/Häberle, BGB, 12. Aufl., § 1579 Rdnrn. 34f.).

Ob es besonders schwerwiegende Härtefälle gibt, in denen diese Grenzen zur Vermeidung untragbarer Ergebnisse überschritten werden, in denen also die Belange des Kindes denen des Unterhaltspflichtigen in weiterem Umfang weichen müssen, kann dahinstehen, da ein solcher Ausnahmefall hier nicht in Betracht kommt (Senat, NJW 1990, 253 = LM § 1579 BGB Nr. 39). Davon ist auch das KG ausgegangen. Es hat indessen angenommen, die Bekl. werde nach dem 30. 9. 1997, auch im Hinblick auf das Alter des Kindes, selbst für ihren Unterhalt sorgen müssen, obwohl sie dann - wie für die Zeit vor dem 30. 9. 1997 ausgeführt wird - ihre derzeitige Teilzeitbeschäftigung erheblich ausweiten müsste.

Dass und aufgrund welcher Umstände es der Bekl. zuzumuten sein wird, ihre derzeitige Teilzeitbeschäftigung erheblich auszuweiten, hat das BerGer. nicht festgestellt. Bei der Betreuung eines einzelnen Kindes ist davon auszugehen, dass dessen Heranwachsen in ein Alter von 15 oder 16Jahren dem betreuenden Elternteil in aller Regel die Möglichkeit eröffnet, eine Vollzeitbeschäftigung aufzunehmen (Senat, BGHZ 89, 108 (111) = NJW 1984, 292 = LM § 1578 BGB Nr. 20 L; BGHZ 109, 72 (75) = NJW 1990, 1172 = LM § 1581 BGB Nr. 7). Bei einem Kind zwischen dem 11. und 15. Lebensjahr ist weitgehend anerkannt, dass dem betreuenden Elternteil eine Teilzeitbeschäftigung zugemutet werden kann, die aber nicht stets den Umfang einer Halbtagsbeschäftigung erreichen muss (Senat, NJW 1984, 2355 = LM § 1578 BGB Nr. 29 = FamRZ 1984, 769 (770); Schwab/Borth, Teil IV Rdnr. 158; Göppinger/Kindermann, Rdnr. 1188; Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 5. Aufl., Rdnr. 403). Das Maß der zumutbaren Tätigkeit richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Insofern sind sowohl in der Person des Kindes (Kränklichkeit, Schulschwierigkeiten, Entwicklungsstörungen), des Betreuenden (Alter, Gesundheitszustand, Beschäftigungschancen, anderweitige Betreuungsmöglichkeiten) und in den weiteren Verhältnissen liegende Kriterien zu berücksichtigen (Kalthoener/Büttner, Rdnr. 404).

Da Feststellungen, die eine sachgerechte Beurteilung der Frage ermöglichen, ob die Bekl. ihre Erwerbstätigkeit in für sich und das Kind zumutbarer Weise wird ausdehnen können, wenn J im September 1997 zwölf Jahre alt wird, nicht getroffen worden sind, kann das Berufungsurteil im Umfang der Anfechtung keinen Bestand haben. Die Sache ist insoweit zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen und zur erneuten Abwägung im Rahmen des § 1579 BGB an das BerGer. zurückzuverweisen.

Rechtsgebiete

Unterhaltsrecht