Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers wegen verspäteter Lohnzahlung - Recht zur fristlosen Kündigung
Gericht
LAG Nürnberg
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
04. 07. 2001
Aktenzeichen
4 Sa 656/00
Dem Arbeitnehmer steht ein Recht zur außerordentlichen Kündigung zu, wenn es über mehr als ein Jahr zu Verspätungen und zu Verzögerungen in der Zahlung der Gehälter gekommen ist. Dem steht nicht entgegen, dass der Arbeitnehmer als Vorsitzender des Betriebsrats beim Arbeitgeber an einer Vereinbarung mitgewirkt hat, wonach solche verspäteten Bezahlungen durch den Betriebsrat ausdrücklich gebilligt werden. Ein solches Moratorium durch den Arbeitnehmer kann jederzeit beendet werden. Die Frist zur außerordentlichen Kündigung beginnt mit Ablauf der Fristsetzung aus den ersten Anmahnungsschreiben.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. begehrt Zahlung von Weihnachtsgeld für das Jahr 1999 und Zahlung von Schadensersatz ab inklusive 22. 12. 1999 mit März 2000 aus Anlass einer von ihr am 21. 12. 1999 erklärten außerordentlichen Kündigung. Sie war seit 1966 beim Bekl. zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt 2778 DM brutto beschäftigt. Nachdem die Bekl. den Lohn der Kl. für die Monate September, Oktober und November 1999 nicht bis 3. 12. 1999 bezahlt hatte, forderte die Kl. die Bekl. mit Schreiben vom 3. 12. 1999 auf, die noch ausstehenden Gehälter und die Jahressonderzahlung bis spätestens 10. 12. 1999 auf das der Bekl. bekannte Konto zu überweisen. Mit weiterem Schreiben vom 15. 12. 1999 setzte die Kl. der Bekl. eine Nachfrist, bis spätestens 21. 12. 1999 die noch ausstehenden Gehälter und die Jahressonderzahlung auf das der Bekl. bekannte Konto zu überweisen, mit der weiteren Androhung, dass sich die Kl. für den Fall der Nichtzahlung vorbehalte, das Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen. Nachdem die angemahnten Forderungen am Vormittag des 21. 12. 1999 zu den üblichen Laufzeiten bei der Bank nicht gutgeschrieben wurden, kündigte die Kl. das Arbeitsverhältnis am 21. 12. 1999 fristlos. Mit ihrer Klage in Form des Antrags zu Protokoll vom 23. 5. 2000 fordert die Kl. Zahlung von insgesamt 11414,20 DM brutto, sich zusammensetzend
aus Weihnachtsgeld 1999 (80% einer Monatsvergütung), 2222,40 DM brutto,
aus Schadensersatz für die Zeit vom 22. mit 31. 12. 1999, 781,90 DM brutto,
aus Schadensersatz für die Monate Januar mit März 2000, jeweils 2778 DM brutto,
unter Abzug des für 22. 12. 1999 bis 31. 3. 2000 erhaltenen Arbeitslosengeldes von insgesamt 2778 DM netto, zuzüglich Zinsen.
Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Bekl. hatte teilweise Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
Die zulässige Berufung ist lediglich in Höhe von 75,90 DM brutto begründet, im Übrigen unbegründet. In Höhe von 75,90 DM brutto ist die Klage unschlüssig. Das Erstgericht hat gemäß dem zu Protokoll gegebenen Klageantrag von 11414,20 DM brutto (abzüglich 2663,37 DM netto) die Bekl. zu eben diesem Bruttobetrag abzüglich des Nettobetrages verurteilt. Der Bruttobetrag soll sich (wie sich aus den zur Verzinsung anstehenden Einzelbeträgen ergibt) zusammensetzen aus 2222,40 DM, 781,90 DM und dreimal 2778 DM. Dies ergibt rechnerisch lediglich einen Betrag von 11338,30 DM. Der Differenzbetrag von 75,90 DM brutto ist nicht geklärt bzw. konnte auch im letzten Termin der mündlichen Verhandlung nicht geklärt werden. Insoweit war daher die Klage unter teilweiser Abänderung des Ersturteils in Höhe von 75,90 DM brutto abzuweisen. Einer weiteren Berücksichtigung dieses Differenzbetrags in den ausgeurteilten Zinsen bedurfte es nicht, da dort die jeweils zutreffenden Beträge zu Grunde gelegt wurden. Die Ausführungen der Berufung sind nicht geeignet, das weitere Berufungsbegehren zu rechtfertigen. Soweit sich die Berufung formal in ihrem Antrag auch gegen eine Verurteilung erster Instanz zur Zahlung von 2222,40 DM brutto (Weihnachtssonderzahlung) nebst 4% Zinsen seit dem 1. 12. 1999 richtet, wendet sich die Berufungsbegründung hiergegen nicht. Damit setzt sich die Berufung nicht mit dem Ersturteil auseinander. Das ArbG hat daher zunächst zu Recht die Bekl. zur Zahlung von 2222,40 DM brutto an Weihnachtsgeld nebst Zinsen verurteilt.
Auch im Übrigen hat das ArbG der Kl. den von ihr geltend gemachten Schadensersatzanspruch unter zutreffender Würdigung des Vortrags der Parteien - mit Ausnahme des vorgenannten Differenzbetrags von 75,90 DM brutto - zugesprochen. Das LAG folgt den Entscheidungsgründen erster Instanz und nimmt auf diese gem. § 543 I ZPO Bezug. Der Berufung kann auch im Weiteren nicht gefolgt werden. Zunächst ist festzustellen, dass weder erstinstanzlich noch mit der Berufung die von der Kl. berechnete Höhe des Schadensersatzanspruchs (von der Kl. zulässigerweise - vgl. im Einzelnen ErfK/Müller-Glöge, § 628 BGB Rdnr. 97 - vorgenommen nach der sog. Bruttolohnmethode) beanstandet wurde. Die Bekl. wendet sich lediglich dem Grunde nach gegen das Zustehen eines Schadensersatzanspruchs. Es ist daher im Nachfolgenden von den von der Kl. angegebenen Ersatzbeträgen auszugehen. Soweit die Bekl. - erneut - die Meinung vertritt, der Kl. stehe ein Recht zu einer fristlosen Kündigung deshalb nicht zu, weil es über mehr als ein Jahr zu Verspätungen und zu Verzögerungen in der Zahlung der Gehälter der Mitarbeiter der Bekl. gekommen sei und die Kl. als Vorsitzende des Betriebsrats bei der Bekl. an einer Vereinbarung mitgewirkt habe, wonach solche verspäteten Bezahlungen durch den Betriebsrat ausdrücklich gebilligt worden sein, steht dies der von der Kl. erklärten außerordentlichen Kündigung nicht entgegen.
Das ArbG hat zu Recht ausgeführt, dass ein solches eventuelles Moratorium durch die Kl. jederzeit beendet werden kann (ein bestimmter Stundungszeitraum ist von der Bekl. ebenso wenig vorgetragen wie ein bestimmter „Duldungs“-zeitraum). Dies hat die Kl. mit ihrem ersten Mahnschreiben vom 3. 12. 1999 getan. Die Kl. hat der Bekl. weiterhin mit Schreiben vom 15. 12. 1999 eine Nachfrist auf den 21. 12. 1999 (Zahlung auf ihr Konto) mit Androhung einer fristlosen Eigenkündigung durch die Kl. gesetzt. Nachdem die Bekl. auf die erste Mahnung der Kl. nicht reagiert hat, war die Kl. nach den vorliegenden Umständen auch verpflichtet, eine nochmalige Frist zu setzen, in der sie ihre eigene fristlose Kündigung ankündigt. Die von der Kl. dann am 21. 12. 1999 erklärte fristlose Eigenkündigung ist nicht ohne wichtigen Grund erfolgt. Erhebliche Zahlungsrückstände des Arbeitgebers stellen nach entsprechenden Anmahnungen einen Grund für eine fristlose Kündigung dar. Die vorliegenden rückständigen Beträge sind erheblich, zwei Anmahnungen sind erfolgt. Die Bekl. hat auch nicht vorgetragen, gegenüber der Kl. im Zeitraum der Abmahnungen erklärt zu haben, kurzfristig oder zu einem gewissen Termin die rückständigen Forderungen zu erfüllen. Nachdem zwischen den Parteien nicht bestritten ist, dass Lohnzahlungen auf das Konto der Kl. erfolgen müssen und weiterhin nicht bestritten ist, dass diese Vergütung am 21. 12. 1999 zu den üblichen Eingangszeiten auf dem Konto der Kl. nicht eingegangen ist, konnte die Kl. noch am selben Tag außerordentlich kündigen. Eine etwaige vorfristige Kündigung rügt die Bekl. nicht. Der Wirksamkeit dieser außerordentlichen Kündigung stehen auch nicht Zumutbarkeitserwägungen entgegen.
Die Bekl. hat auf zweimaliges Verlangen der Kl. nicht reagiert. Die Kl. konnte nicht davon ausgehen, dass in geraumer Zeit eine Zahlung erfolgen werde.
Die außerordentliche Kündigung der Kl. scheitert auch nicht an der 14-tägigen Ausspruchsfrist des § 626 II BGB. Auch dies hat das ArbG zutreffend festgestellt. Die Frist zur außerordentlichen Kündigung beginnt vorliegend mit Ablauf der Fristsetzung aus den ersten Anmahnungsschreiben vom 3. 12., somit dem 10. 12. 1999. Gerade in Ansehung der Argumentationsebene der Bekl., die Kl. habe eine Nichtzahlung zunächst geduldet, ist es erforderlich, die Bekl. darauf hinzuweisen, dass mit dieser Handhabung für die Zukunft ab einem gewissen Zeitpunkt kein Einverständnis mehr besteht. Erst ab dem Zeitpunkt, an dem sich die mangelnde Zahlungsbereitschaft der Bekl. zeigt, nämlich dem 10. 12. 1999, kann die Kl. davon ausgehen, von ihrem Recht auf eine fristlose Kündigung Gebrauch machen zu können. Die am 21. 12. 1999 ausgesprochene außerordentliche Kündigung scheitert daher nicht an § 626 II BGB. Die Kl. hat auch ihr Recht auf eine fristlose Kündigung nicht verwirkt. Die Bekl. hatte hierzu vorgetragen, die Kl. habe ihr Recht auf fristlose Kündigung zum einen verwirkt, weil sie als Betriebsratsvorsitzende daran mitgewirkt habe, dass die verspäteten und verzögerlichen Lohnzahlungen von den Mitarbeitern akzeptiert worden seien. Ihre Mitwirkung als Betriebsratsvorsitzende an einer Akzeptanz verspäteter Lohnzahlungen durch Mitarbeiter bindet zunächst die Kl. in ihrer Eigenschaft als Arbeitsvertragspartei ebenso wenig, wie andere Mitarbeiter, die einem Moratorium nicht zustimmen bzw. hiervon wieder Abstand nehmen. Im Übrigen kann, hierauf ist bereits vorstehend hingewiesen, eine solche Duldung jederzeit durch (nunmehrige) Geltendmachung der Forderung, beseitigt werden.
Weiterhin hat die Bekl. unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung vorgetragen, Hintergrund der fristlosen Kündigung sei gewesen, dass diese von der Kl. ausdrücklich gewollt gewesen sei, da ihr Ehemann Anfang Dezember zum Spitzenkandidaten der SPD in A. für das Amt des Bürgermeisters bestimmt worden sei und sie gegenüber Kolleginnen mehrfach erklärt habe, sie könne als Ehefrau des Oberbürgermeisters während des Wahlkampfes wegen Repräsentationsverpflichtungen und gemeinsamen Wahlkampfauftritten nicht mehr arbeiten bzw. sie könne, nachdem sie die Wahl ihrer Mannes zum Oberbürgermeister als relativ sicher angesehen habe, ohnehin nicht mehr arbeiten, da sie als Frau Oberbürgermeister schlecht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen könne.
Dies steht einem Recht der Kl. zur Ausübung ihrer fristlosen Kündigung nicht entgegen. Es kann insoweit nicht die Verursachung der Bekl. hinweggedacht werden, dass diese trotz zweier Abmahnungen rückständige Vergütungen nicht nur nicht geleistet hat, sondern auch der Kl. im Zeitraum der Anmahnungen nicht zu erkennen gegeben hat, kurzfristig die vergangenen Forderungen erfüllen oder gegebenenfalls hierauf einen Abschlag leisten zu wollen. Wenn die Kl. diese - nach den obigen Ausführungen zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigenden - Umstände zum Anlass nimmt, diese Kündigung sodann auch auszusprechen, kann sie im Sinne einer Treuwidrigkeit von der Bekl. nicht darauf verwiesen werden, dass ihr gegebenenfalls eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch gelegen gewesen wäre. Insofern verbleibt zumindest als wesentlich mitbestimmender Kündigungsgrund das Verhalten der Bekl. Ungeachtet dessen sind auch die Schlussfolgerungen der Bekl. aus den vermeintlichen Motiven der Kl. bzw. deren - unterstellten - Angaben nicht geeignet, davon auszugehen, dass die Kl. das vertragswidrige Verhalten der Bekl. lediglich als Grund für die (jetzige) Kündigung vorgeschoben hätte. Welche Aufgaben die Kl. in der Wahlkampfphase innerhalb ihrer Arbeitszeit zur Bekl. hätte wahrnehmen sollen bzw. müssen, ist nicht angegeben. Allein aus einer eventuellen Aussage der Kl., sie werde während der Wahlkampfphase nicht mehr arbeiten können, kann ein Beendigungswille nicht entnommen werden, da üblicherweise solche Inanspruchnahmen, so sie denn in die Arbeitszeit fielen, über Urlaubsansprüche abgedeckt werden. Soweit die Kl. der Ansicht gewesen sein sollte, dass sie bei einer - für sie als sicher geltenden - Wahl ihres Ehemanns zum Oberbürgermeister das Arbeitsverhältnis kündigen werde, kann hierauf nicht auf einen Willen zu einer außerordentlichen Kündigung geschlossen werden. Es liegt bei erst zukünftig eintretenden Umständen mit letztlich immer vorhandener Unsicherheit näher - auch dem Wortlaut „werde“ und der Bedeutung „kündigen“ (als grundsätzlich ordentliche Kündigung) entsprechend - anzunehmen, dass die Arbeitnehmerin dann ihr Arbeitsverhältnis gegebenenfalls mit ordentlicher Kündigungsfrist aufgeben wollte bzw. aufgegeben hätte. Das ArbG hat die Bekl. daher zu Recht nach § 628 II BGB zum Schadensersatz verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung war daher (im Übrigen) zurückzuweisen.
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