Nichtzahlung der Vergütung als Grund für fristlose Kündigung
Gericht
LAG Hamm
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
29. 09. 1999
Aktenzeichen
18 Sa 118/99
Die Nichtzahlung der Vergütung kann ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung des Arbeitnehmers sein, wenn der Arbeitgeber zeitlich oder dem Betrag nach erheblich in Verzug kommt und die Abmahnung durch den Arbeitnehmer erfolglos war.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. macht Vergütungsansprüche gegen die Bekl. geltend aus übergegangenem Recht. Die Kl. zahlte Konkursausfallgeld in Höhe von insgesamt 91436,85 DM an die ehemaligen Arbeitnehmer der Firma T-GmbH Textilfinishing und Logistik (im Folgenden: T-GmbH). Gesellschafter der Firma T-GmbH waren H, E, W und O. war zudem alleiniger Geschäftsführer. Die Firma T-GmbH war in den Betriebsräumen D. mit der Aufbereitung sowie Einlagerung, der Kommissionierung und dem Transport von Textilien jeder Art befasst. Sie beschäftigte ca. 30 Arbeitnehmer. Betriebsleiter war W. Die Maschinen und die Betriebsausstattung standen im Eigentum der Ehefrau des Geschäftsführers, des Prozessbevollmächtigten der Bekl. S und der Ehefrau des Betriebsleiters W im Rahmen einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts. Vermieterin der genutzten Räumlichkeiten war die Firma B-GmbH & Co. KG. Mit Schreiben vom 12. 5. 1998 kündigte die S-GbR das Vertragsverhältnis mit der Firma T-GmbH fristlos unter anderem wie folgt:
„Hiermit kündigen wir das Maschinen/Anlagen Mietverhältnis fristlos, da die Mietzahlung mit ca. 186000 DM im Soll steht." Am 14. 5. 1998 stellte der Geschäftsführer der Firma T-GmbH W beim AG Bielefeld den Antrag, das Konkursverfahren über das Vermögen des Unternehmens zu eröffnen. In dem Antrag erklärte der Geschäftsführer W unter anderem:
„Kündigungen sind von mir noch nicht erfolgt. Die Arbeitnehmer haben heute selbst eine Eigenkündigung vorgenommen. Die Löhne und Gehälter aus März 1998 stehen noch teilweise, die aus April 1998 ganz aus. Die Verbindlichkeiten der GmbH betragen insgesamt ca. 456338,09 DM."
Der Notar Dr. M aus dem Büro der Prozessbevollmächtigten der Bekl. bestätigte mit Schreiben vom 15. 5. 1998, dass die Betriebsräume leer waren. Am 14. 5. 1998 fand in den Räumen der Firma T-GmbH eine Betriebsversammlung statt, an der der Gewerkschaftssekretär L teilnahm. Nach Abschluss der Betriebsversammlung kündigten alle Arbeitnehmer fristlos durch Ausfüllung des folgenden, ihnen vorgelegten Formulars:
„Wegen Nichtzahlung meiner Lohn/Gehaltzahlung März 1998 - Mai 1998 mache ich von meinem Recht der außerordentlichen Eigenkündigung Gebrauch und kündige hiermit fristlos." Unter dem 18. 5. 1998 sandte der Geschäftsführer der Firma T-GmbH ein Fax an eine Hauptkundin, die Firma C. In dem Fax heißt es auszugsweise:
„… bezugnehmend auf unser Gespräch vom 13. 5. 1998 in ihrem Haus, lautet unsere neue Firmierung statt T, ab dem 18. 5. 1998 TAC-GmbH. In der Zusammenarbeit unserer beiden Häuser ändert sich nur unsere Adresse und Bankverbindung …"
Die Bekl. wurde durch Gesellschaftsvertrag vom 7. 5. 1998 gegründet und am 28. 7. 1998 in das Handelsregister eingetragen. Gegenstand des Unternehmens ist die Aufbereitung von Textilien und Dienstleistung jeglicher Art, soweit sie sich auf Textilien beziehen, mit Ausnahme der Reinigung von Textilien. Die Bekl. verfolgt in den früheren Betriebsräumen der Firma T-GmbH mit den ehemaligen Arbeitnehmern dieses Unternehmens mit denselben Maschinen und derselben Ausstattung den gleichen Betriebszweck wie die Firma T-GmbH. Mit Schreiben vom 18. 5. 1998 an die Gewerkschaft IG Metall Bereich Bekleidungsindustrie sicherte sie unter anderem den gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern den Erhalt des bei der Firma T-GmbH erworbenen arbeitsrechtlichen Besitzstandes zu. Ebenfalls mit Schreiben vom 18. 5. 1998 übernahm die Bekl. gegenüber der Vermieterin der Betriebsräume die von der Firma T-GmbH nicht beglichenen Schulden. Die ehemaligen Arbeitnehmer der T-GmbH wurden mit wortgleichem Arbeitsvertrag vom 18. 5. 1998 von der Bekl. eingestellt. Durch Beschluss vom 30. 6. 1998 wurde der Antrag der Firma T-GmbH auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse zurückgewiesen.
Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Bekl. hatte keinen Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
B. Der Kl. stehen gegen die Bekl. die begehrten Vergütungsforderungen aus übergegangenem Recht gem. § 611 I BGB i.V. mit § 141m I AFG, Art. 82 II Nr. 1 AFRG zu, wie das ArbG zu Recht erkannt hat.
1. Die Ansprüche der Arbeitnehmer der Firma T-GmbH sind für die in der Aufstellung vom 22. 9. 1998 angegebene Zeit und in der dort angegebenen Höhe gem. § 611 I BGB wirksam entstanden. Mit Stellung des Antrags auf Konkursausfallgeld durch die betroffenen Arbeitnehmer sind die Ansprüche auf die Kl. übergegangen (§ 141m I AFG, Art. 82 II Nr. 1 AFRG).
2. Die Bekl. ist gem. § 613a I 1 BGB nach dem Übergang des Betriebs der Firma T-GmbH auf sie gem. § 611 I 1 BGB Schuldnerin der Vergütungsansprüche.
a) Wie das ArbG richtig gesehen hat, ist der Betrieb der Firma T-GmbH durch Rechtsgeschäft auf die Bekl. übergegangen.
b) Als Folge des Betriebsübergangs ist die Bekl. in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisses eingetreten (§ 613a I BGB). Dies gilt auch dann, wenn der Betriebsübergang nicht bereits am 7. 5. 1998, wie die Kl. meint, erfolgte, sondern erst am 18. 5./19. 5. 1998 erfolgte (vgl. zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs z.B. BAG, NZA 1999, 310).
3. Die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer der Firma T-GmbH wurden nicht durch die fristlosen Eigenkündigungen vom 14. 5. 1998 am 14. 5. 1998 beendet. Die Kündigungen sind schon gem. § 626 I BGB unwirksam. Nach § 626 I BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
a) Auch die wirksame Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmers setzt gem. § 626 I BGB das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraus (vgl. z.B. BAG, NZA 1986, 28; BAG, NZA 1998, 420).
b) In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Nichtzahlung des Lohns an sich ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung sein kann, wenn der Arbeitgeber entweder zeitlich oder dem Betrag nach erheblich in Verzug kommt (vgl. Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 7. Aufl., Rdnr. 589 m.w.Nachw.; Fischermeier, in: KR, 5. Aufl., § 626 BGB, Rdnr. 467 m.w.Nachw.).
aa) Vor Ausspruch einer Kündigung ist jedoch eine Abmahnung erforderlich (vgl. z.B. LAG Hamm, NZA 1992, 314).
bb) Im vorliegenden Fall fehlt es schon an einer Abmahnung durch die kündigenden Arbeitnehmer.
c) Im Übrigen war es den kündigenden Arbeitnehmern auch angesichts des Lohnrückstandes zumutbar, zumindest die bevorstehende Entscheidung der Bekl. abzuwarten, ob sie den Betrieb übernimmt oder nicht.
4. Anhaltspunkte dafür, dass die Berufung der Kl. auf die Unwirksamkeit der Kündigung gegen Treu und Glauben verstößt, sind nicht ersichtlich. Nach dem Vortrag der Bekl. hat sie die Arbeitnehmer nicht zur Kündigung veranlasst und nicht die Wiedereinstellung in Aussicht gestellt.
5. Da schon das Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen vom 14. 5. 1998 nicht beendet worden ist, kann dahingestellt bleiben, ob ein Umgehungstatbestand des § 613a I 1 BGB vorliegt, wie die Kl. und das ArbG meinen.
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