Meldepflicht beim Arbeitsamt - Postnachsendeantrag

Gericht

BSG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

09. 08. 2001


Aktenzeichen

B 11 AC 17/01 R


Leitsatz des Gerichts

Nach § 1 I 2 der Erreichbarkeits-Anordnung besteht die Pflicht, dem zuständigen Arbeitsamt einen Wohnungswechsel persönlich und unverzüglich mitzuteilen, auch dann, wenn dem Arbeitslosen in Folge eines Postnachsendeantrages Briefpost unter der neuen Adresse ohne Verzögerung zugeht (Fortführung von BSG vom 20. 6. 2001 - B 11 AL 10/01 R = BSGE … = SozR 3-…).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. wendet sich gegen die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi).

Die Bekl. bewilligte dem Kl. Alhi mit Wirkung ab 1. 1. 1999. Zu dieser Zeit wohnte der Kl. in H. Diese Anschrift hatte er bei der Antragstellung dem zuständigen Arbeitsamt Göppingen zutreffend angegeben. Am 1. 2. 1999 zog der Kl. um nach A.; bei der Post stellte er einen Nachsendeantrag (erster Nachsendetag 3. 2. 1999). Von der neuen Anschrift des Kl. erhielt das Arbeitsamt erst am 3. 3. 1999 auf Grund einer Veränderungsmitteilung des Kl. Kenntnis. Ein vom Arbeitsamt am 2. 3. 1999 noch an die alte Anschrift abgesandtes Schreiben kam am 5. 3. 1999 mit Vermerk der neuen Adresse zurück.

Die Bekl. hob nach Anhörung die Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 2. 2. bis 2. 3. 1999 auf und forderte Erstattung überzahlter Alhi von 1169,57 DM zuzüglich 389,69 Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, insgesamt 1559,26 DM.

Klage, Berufung und Revision führten zu keinem Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Die Bekl. war nach § 48 SGB X berechtigt, die Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 2. 2. bis 2. 3. 1999 aufzuheben.

Nach § 48 I SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist jede tatsächliche oder rechtliche Änderung, die sich auf Grund oder Höhe der bewilligten Leistung auswirkt (vgl BSGE 59, 111, 112 = SozR 1300 § 48 Nr 19; 78, 109, 111 = SozR 3-1300 § 48 Nr 48). Eine solche Änderung ist ab 2. 2. 1999 in Folge des Wegfalls der Erreichbarkeit des Kl. eingetreten, weshalb dieser ab dem genannten Zeitpunkt keinen Anspruch auf Alhi mehr hatte.

Anspruch auf Alhi hat nur, wer ua arbeitslos ist (§ 190 I Nr 1, § 3198 Satz 2 Nr 1, § 117 I Nr 1, § 118 SGB III). Zu den Voraussetzungen der Arbeitslosigkeit zählt nach § 118 I SGB III die Beschäftigungssuche. Eine Beschäftigung sucht nach § 119 I SGB III, wer alle Möglichkeiten nutzt und nutzen will, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Nr 1) und den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung steht (Verfügbarkeit, Nr 2). Merkmale der Verfügbarkeit sind die Arbeitsfähigkeit und die ihr entsprechende Arbeitsbereitschaft (§ 119 II SGB III). Arbeitsfähig ist ein Arbeitsloser ua dann, wenn er Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann und darf (§ 119 III Nr 3 SGB III); hierzu hat der Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit (BA) auf Grund der Ermächtigung in § 152 Nr 2 SGB III näheres in der EAO vom 23. 10. 1997 (ANBA 1997, 1685) bestimmt. Nach § 1 I 1 EAO muss der Arbeitslose ua in der Lage sein, unverzüglich Mitteilungen des Arbeitsamtes persönlich zur Kenntnis zu nehmen und mit einem möglichen Arbeitgeber oder Maßnahmeträger in Verbindung zu treten; deshalb hat er nach § 1 I 2 EAO sicherzustellen, dass das Arbeitsamt ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen kann.

Aus dem Umstand, dass der Kl. es unterlassen hat, dem Arbeitsamt spätestens am 2. 2. 1999, dem Tag nach dem Umzug, seine neue Anschrift mitzuteilen, folgt, dass das Arbeitsamt den Kl. ab 2. 2. 1999 nicht mehr an seinem Wohnsitz unter der benannten Anschrift durch Briefpost erreichen konnte, und zwar bis einschließlich 2. 3. 1999 (Mitteilung der neuen Anschrift durch den Kl. am 3. 3. 1999). Der Kl. war deshalb vom 2. 2. bis 2. 3. 1999 nicht mehr arbeitsfähig iS des § 119 III SGB III und damit auch nicht arbeitslos iS des § 118 SGB III mit der Folge, dass er keinen Anspruch auf Alhi mehr hatte. Der vom Kl. bei der Post - im Übrigen erst mit Wirkung ab 3. 2. 1999 - gestellte Nachsendeantrag kann daran nichts ändern.

Der Senat hat bereits entschieden, dass sich aus § 1 I 2 EAO die Obliegenheit arbeitsloser Leistungsbezieher ergibt, dem zuständigen Arbeitsamt einen Wohnungswechsel persönlich und unverzüglich anzuzeigen, weshalb ein Postnachsendeantrag regelmäßig nicht genügt (Urt. v. 20. 6. 2001, B 11 Al 10/01 R). In dieser Entscheidung hat der Senat näher ausgeführt, dass die Regelungen des § 1 I EAO mit der gesetzlichen Ermächtigung vereinbar sind, sich im gesetzlichen Rahmen halten und dass die § 152 Nr 2, § 119 III Nr 3 SGB III auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit von gesetzlichen Ermächtigungen zu untergesetzlicher Rechtsetzung entsprechen. Hieran ist festzuhalten.

Ein für den Kl. günstigeres Ergebnis lässt sich nicht daraus herleiten, in Folge des gemeinsamen Briefzentrums in K. ergebe sich bei einem Nachsendeantrag keinerlei zeitliche Verzögerung. Ob diese tatsächliche Behauptung des Kl. zutreffend ist, kann dahinstehen. Denn auch dann, wenn der Nachsendeantrag des Kl. entsprechend seinem Vortrag keine zeitliche Verzögerung verursachte, würde dies nichts daran ändern, dass der Kl. in der fraglichen Zeit nicht an jedem Werktag an seinem Wohnsitz unter der von ihm dem Arbeitsamt benannten Anschrift gemäß § 1 I 2 EAO durch Briefpost erreichbar war. Die in Folge des Nachsendeantrages möglicherweise gegebene postalische Erreichbarkeit unter der neuen - dem Arbeitsamt noch nicht bekannt gegebenen - Adresse wäre nämlich dann nur durch technische Möglichkeiten der Postabwicklung bedingt, nicht aber durch den gebotenen persönlichen Kontakt zwischen Arbeitslosem und Arbeitsamt, von dem die EAO ausgeht. Wie der Senat in der Entscheidung vom 20. 6. 2001 (aaO) betont hat, entspricht es dem gesetzlichen Konzept der effektiven Arbeitsvermittlung und Arbeitsförderung, wenn der Arbeitslose einen leistungsrechtlich erheblichen Umstand wie einen Wohnsitzwechsel dem Arbeitsamt anzeigen muss und die Unterrichtung des Arbeitsamtes nicht der Post als Drittem überlassen darf. Die Voraussetzungen der Leistungen wegen Arbeitslosigkeit sollen gerade nicht von den Zufälligkeiten der Postzustellung abhängig sein (vgl auch BSG SozR 3-4100 § 103 Nr 22 zur früheren Rechtslage nach § 1 der Aufenthalts-Anordnung).

Ist somit im Rahmen des § 1 I 2 EAO auf die dem Arbeitsamt benannte Anschrift und nicht auf die Frage der Handhabung eines Nachsendeantrages durch die Post abzustellen, kann sich der Kl. auch nicht mit Erfolg auf die Praxis der BA entsprechend der Dienstanweisung (DA) Nr 3.4.1 zu § 119 SGB III berufen, die weitgehend mit dem in den Tatsacheninstanzen erörterten Erlass des Präsidenten der BA vom 25. 11. 1998 übereinstimmt. Der Erlass und die genannte DA sehen vor, es sei „typisierend grundsätzlich“ davon auszugehen, dass bei einem Umzug innerhalb der Wohngemeinde oder „in eine Nachbargemeinde“ bei rechtzeitiger Stellung eines Nachsendeantrages die Briefpost den Arbeitslosen ohne Verzögerung erreicht und dass für die Zeit der Wirksamkeit des Nachsendeantrages Erreichbarkeit vorliegt. Diese Anforderungen des Erlasses bzw der DA weichen von denen der EAO ab; nach § 1 I 2 EAO genügt ein Postnachsendeantrag - wie ausgeführt - gerade nicht, und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine Nachbargemeinde handelt oder nicht. Bindende normative Wirkung kann aber, soweit kein Verstoß gegen höherrangiges Recht vorliegt, nur den Regelungen der EAO zukommen (BSGE 35, 164, 166 = SozR Nr 1 zu § 40 AFG). Aus einer Verwaltungsübung, die nicht dem geltenden Recht entspricht, kann der Kl. keine Rechte herleiten, auch keinen Anspruch auf etwaige Gleichbehandlung mit anderen nach der DA abgewickelten Fällen (vgl BSGE 38, 63, 68 = SozR 4100 § 151 Nr 1; BSGE65, 198 200 = SozR 5870 § 2 Nr 62).

Die im vorliegenden Fall von den Bet. geäußerten unterschiedlichen Auffassungen zur Auslegung des Begriffs der „Nachbargemeinde“ iS des Erlasses bzw der DA Nr 3.4.1 zu § 119 SGB III lassen im Übrigen ein Vorgehen nach den Grundsätzen der DA als wenig praktikabel erscheinen. Im Urteil vom 20. 6. 2001 hat der Senat darauf hingewiesen, dass die Forderung des § 1 I 2 EAO nach „persönlicher“ Erreichbarkeit dem Zweck des § 119 III Nr 3 SGB III auch deshalb entspricht, weil sie Leistungen bei Arbeitslosigkeit an klare Verhaltensmaßstäbe knüpft. Dies liegt nicht zuletzt im wohlverstandenen Interesse der Arbeitslosen. Einen Nachsendeantrag bei bestimmten örtlichen Verhältnissen noch genügen zu lassen, ihn aber bei möglicherweise nur geringfügig abweichenden Verhältnissen nicht mehr anzuerkennen, könnte kaum als klare Verhaltensanweisung für Arbeitslose angesehen werden.

Nicht durchdringen kann der Kl. schließlich mit seinem Einwand, er sei schon deshalb erreichbar gewesen, weil sein Name auch nach dem Umzug weiterhin auf dem Briefkasten der alten Wohnung angebracht gewesen sei und er bei Posteingang durch einen ständig anwesenden Zeugen unverzüglich benachrichtigt worden wäre. Denn auch bei Annahme der tatsächlichen Richtigkeit dieses Vorbringens scheidet eine Erreichbarkeit noch unter der alten Adresse bereits aufgrund des Nachsendeantrages aus. Letzterer hat zur Folge, dass die Post den Kl. nicht mehr in der alten Wohnung erreichen kann. Im Übrigen kann ohnehin auf die alte Wohnung deswegen nicht abgestellt werden, weil der Kl. in dieser nach dem Umzug nicht mehr wohnte und er deshalb auch nicht mehr „an seinem Wohnsitz“ iS des § 1 I 2 EAO durch Briefpost erreichbar gewesen wäre. Damit kann auch nicht etwa die Tatsache, dass der Nachsendeantrag erst mit Wirkung ab 3. 2. gestellt worden ist, die Erreichbarkeit des Kl. noch für den 2. 2. 1999 - für den der Anspruch auf Alhi ebenfalls verneint worden ist - bewirken.

2. Die Bekl. war auch berechtigt, die Alhi-Bewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben.

Nach § 48 I 2 Nr 4 SGB X iVm § 330 III 1 SGB III ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene wusste oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht wusste, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Nach den unangegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG war dem Kl. bei der Antragstellung ein Merkblatt der BA ausgehändigt worden, in dem unmissverständlich darauf hingewiesen wird, dass ein Nachsendeauftrag nicht ausreicht. Wenn das LSG hieraus folgert, der Kl. habe wissen müssen, dass die Voraussetzungen für den weiteren Bezug von Alhi weggefallen seien, und ihm sei mit der Nichtbeachtung des Merkblattes jedenfalls grobe Fahrlässigkeit vorzuhalten, so ist dies nicht zu beanstanden.

Im Übrigen dürften auch die Voraussetzungen des § 48 I 2 Nr 2 SGB X vorliegen, der die Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit auch bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung einer Pflicht zur Mitteilung wesentlicher Änderungen der Verhältnisse ermöglicht. Der Kl. musste auf Grund der Hinweise des Merkblattes auch wissen, dass er bei einem Wohnungswechsel zur sofortigen Unterrichtung des Arbeitsamtes verpflichtet war. Der Kl. hat sich auch im Verwaltungsverfahren nicht darauf berufen, er sei im Hinblick auf die Praxis der BA entsprechend dem Erlass vom 25. 11. 1998 bzw der DA der Meinung gewesen, entgegen den Hinweisen des Merkblattes nicht zur Mitteilung der neuen Anschrift verpflichtet zu sein.

3. Der Anspruch der Bekl. auf Erstattung der überzahlten Alhi folgt aus § 50 SGB X, der Anspruch auf Erstattung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ergibt sich aus § 335 I und V SGB III. Die Höhe der Erstattungsforderung (Alhi 1169,57 DM, Beiträge 389,69 DM) ist nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des LSG nicht zu beanstanden.

Vorinstanzen

LSG BadWürtt., L 8 AC 316/00, 15.12.2000

Rechtsgebiete

Sozialrecht