Arbeitsfähigkeit - Verfügbarkeit und Erreichbarkeit

Gericht

BSG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

20. 06. 2001


Aktenzeichen

B 11 AL 10/01 R


Leitsatz des Gerichts

  1. Arbeitslosen Leistungsbeziehern obliegt es, dem zuständigen Arbeitsamt einen Wohnungswechsel persönlich und unverzüglich mitzuteilen; ein rechtzeitiger Postnachsendeauftrag genügt dem regelmäßig nicht.

  2. Die Regelungen der Verfügbarkeit und Erreichbarkeit (§ 1 I 2 und 2 ErreichbarkeitsAnO) sind durch die gesetzliche Ermächtigung, Näheres zu der Fähigkeit des Arbeitslosen zu regeln, Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge zu leisten (§§ 152 Nr. 2, 119 Abs. 3 Nr. 3 SGB III), gedeckt.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Rechtsstreit betrifft die Entziehung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) und die Rückforderung von Leistungen sowie Sozialversicherungsbeiträgen.

Der 1952 geborene Kl. war seit 1990 in Rheinfelden, S., wohnhaft. Er verfügt über eine Ausbildung als Elektroingenieur, war aber - unterbrochen von Zeiten des Leistungsbezugs - in verschiedenen Berufen beschäftigt bzw. tätig. Vom 1. 3. bis 31. 8. 1998 betrieb der Kl. einen Gebrauchtwagenhandel und bezog Überbrückungsgeld. Ab. 1. 9. 1998 bewilligte das Arbeitsamt L. Alhi nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von DM 1330 in Höhe von wöchentlich DM 406,35. Diese Leistung erhielt der Kl. bis zum 31. 10. 1998. Am 6. 11. 1998 gelangte ein an den Kl. mit der erwähnten Anschrift gerichteter Brief der Bekl. an das Arbeitsamt L. mit dem Vermerk, die neue Anschrift des Kl. laute: F. Das Arbeitsamt L. ermittelte, dass sich der Kl. ab 28. 9. 1998 beim Einwohnermeldeamt R. abgemeldet hatte. Es hörte den Kl. zu dem Umstand an, er stehe vom Tag nach dem Umzug der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung. Ab 26. 11. 1998 bewilligte das Arbeitsamt F. auf erneute Arbeitslosmeldung wieder Alhi.

Mit Bescheid vom 3. 2. 1999 hob das Arbeitsamt L. die Bewilligung von Alhi ab 28. 9. 1998 auf und verpflichtete dem Kl. bis 31. 10. 1998 überzahlte Leistungen in Höhe von DM 1973,70 zu erstatten. Es sah in dem Umzug nach F. am 27. 9. 1998 eine wesentliche Änderung, die den Anspruch habe entfallen lassen. Der Forderungsbetrag werde mit noch zustehenden Leistungen aufgerechnet. Außerdem erklärte das Arbeitsamt L. am 3. 2. 1999 das Arbeitsamt F. für zuständig. Mit Bescheid vom 16. 2. 1999 forderte das Arbeitsamt F. die vom 28. 9. bis 31. 10. 1998 geleisteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt DM 770,04 zurück. Das SG hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Das LSG hat die Entscheidung des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Die Revision blieb ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe

Auszüge aus den Gründen:

Nach dem angenommenen Aberkenntnis eines Anspruchs des Kl. auf Alhi für die Zeit vom 16. bis 25. 11. 1998 betrifft die Revision nur noch die Aufhebung der Bewilligung von Alhi vom 28. 9. bis 15. 11. 1998 und die Rückforderung der bis zum 31. 10. 1998 erbrachten Leistungen einschließlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung.

1. Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Alhi-Bewilligung sind § 330 III SGB III i.V.m. § 48 I SGB. Nach § 48 I SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse ist der Verwaltungsakt nach § 330 III SGB III i.V.m. § 48 I 2 Nr. 2 SGB X aufzuheben, wenn der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Diese Voraussetzungen hat das LSG für die Zeit vom 28. 9. bis 15. 11. 1998 ohne Rechtsverstoß bejaht, weil der Kl. eine Änderung seines Wohnsitzes von R. nach F. der BA nicht mitgeteilt hat.

1.1 Die Bewilligung von Alhi ab 1. 9. 1998 mit Bescheid vom 2. 9. 1998 enthält einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Maßgebend für die Dauerwirkung eines Verwaltungsaktes sind seine rechtlichen Wirkungen über den Zeitpunkt der Bekanntgabe bzw. Bindungswirkung hinaus (BSGE 78, 109, 111 = SozR 3-1300 § 48 Nr. 48 m.w.N.; BSG SozR 3-4100 § 138 Nr. 14). Wesentlich i.S. des § 48 I SGB X ist jede für die bewilligte Leistung rechtserhebliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse (BSGE 59, 111, 112 = SozR 1300 § 48 Nr. 19; BSGE 78, 109, 111 = SozR 3-1300 § 48 Nr. 48). Die Feststellung einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen richtet sich damit nach dem für die Leistung maßgeblichen materiellen Recht.

1.2 Für den Anspruch auf Alhi ist der Wohnsitz des arbeitslosen Leistungsbeziehers wesentlich, denn er bestimmt nicht nur die Zuständigkeit des Arbeitsamtes (§ 327 I SGB III), sondern auch die Verfügbarkeit des Arbeitslosen für die Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes (§ 119 II SGB III), die u.a voraussetzt, dass der Arbeitslose Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann und darf (§ 119 III Nr. 3 SGB III). Der Gesetzgeber hat den Verwaltungsrat der BA in § 152 Nr. 2 SGB III ermächtigt, diese Leistungsvoraussetzung näher zu bestimmen. Nach § 1 I 2 EAO hat der Arbeitslose sicherzustellen, dass das Arbeitsamt ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen kann. Das ist nicht gewährleistet, wenn der Arbeitslose seinen Wohnsitz verlegt, ohne dem Arbeitsamt den Wohnsitzwechsel mitzuteilen. Darauf wird wegen der Einzelheiten zurückzukommen sein.

1.3 Eine Obliegenheit von Arbeitslosen, den Wechsel des Wohnsitzes dem Arbeitsamt mitzuteilen, ergibt sich aus § 60 I Nr. 2 SGB I, weil Leistungsbezieher allgemein für die Leistung erhebliche Änderungen in den Verhältnissen dem zuständigen Leistungsträger unverzüglich mitzuteilen haben. Dieser Obliegenheit hat der Kl. mit dem bei der Post gestellten Nachsendeantrag nicht genügt.

2. Dem Kl. stand für die Zeit vom 28. 9. bis 15. 11 1998 ein Anspruch auf Alhi nicht mehr zu. Er erfüllte die Anspruchsvoraussetzung „arbeitslos“ nach § 190 I Nr. 1 SGB III nicht mehr. Was unter „arbeitslos“ im Sinne des Gesetzes zu verstehen ist, hat der Gesetzgeber in der „Begriffspyramide“ der §§ 118 , 119 SGB III geregelt. Arbeitslosigkeit setzt danach nicht nur Beschäftigungslosigkeit, sondern auch Beschäftigungssuche des Arbeitslosen voraus (§ 118 I SGB III). Eine Beschäftigung sucht nach § 119 I SGB III, wer alle Möglichkeiten nutzt und nutzen will, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden, und den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung steht (Verfügbarkeit). Merkmal der Verfügbarkeit sind die Arbeitsfähigkeit und die ihr entsprechende Arbeitsbereitschaft des Arbeitslosen (§ 119 II SGB III). Arbeitsfähig ist ein Arbeitsloser u.a. nach § 119 III Nr. 3 SGB III, der Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann und darf. Diese Anspruchsvoraussetzung hat der Verwaltungsrat der BA durch autonome Satzung auf Grund der Ermächtigung des § 152 Nr. 2 SGB III näher geregelt.

2.1 Nach § 1 I 1 EAO muss der Arbeitslose in der Lage sein, unverzüglich Mitteilungen des Arbeitsamtes persönlich zur Kenntnis zu nehmen, das Arbeitsamt aufzusuchen, mit möglichen Arbeitgebern oder Trägern einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme in Verbindung zu treten und eine vorgeschlagene Arbeit anzunehmen oder an einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme teilzunehmen. Dazu hat der Arbeitslose nach § 1 I 2 EAO sicherzustellen, dass das Arbeitsamt ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der ihm benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen kann.

Mit diesen Regelungen haben sich die Anforderungen an die Verfügbarkeit von Arbeitslosen und damit die Voraussetzungen für Leistungen bei Arbeitslosigkeit gegenüber dem bis zum 31. 12. 1997 geltenden Recht nach § 103 I 1 AFG und den ergänzenden Regelungen der Aufenthaltsanordnung vom 3. 10. 1979 (ANBA S 1388, zuletzt geändert durch die 3. Änderungsanordnung vom 24. 3. 1993, ANBA S 769) verändert. Eine „Residenzpflicht“, nach der der Arbeitslose sich unter der im Leistungsantrag angegebenen Anschrift täglich während der üblichen Zeit des Eingangs der Briefpost auch tatsächlich in seiner Wohnung aufzuhalten hatte, besteht nicht mehr (vgl. dazu BSG Urteil vom 3. 5. 2000 - B 11 AL 71/00 R). In dem vorerwähnten Urteil hat das BSG bereits ausgesprochen, den Anforderungen des § 119 III Nr. 3 SGB III, § 1 I EAO entspreche ein Arbeitsloser jedenfalls dann, wenn er sich einmal werktäglich in seiner Wohnung aufhalte, um die Briefpost in Empfang und zur Kenntnis zu nehmen (BSG aaO mit Hinweis auf: Wissing/Eicher, SGB III, § 119 Rdnr. 124 - Stand November 1998; Gagel/Steinmeyer, SGB III, § 119 Rdnr. 147 - Stand Juli 1999; Niesel/Brand, SGB III, § 119 Rdnr. 40). Diese Voraussetzungen erfüllte der Kl. nach den nicht angegriffenen und damit für das BSG bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ab 28. 9. 1998 nicht mehr. Nach dem Umzug konnte das Arbeitsamt den Kl. nicht an jedem Werktag unter der von ihm benannten Anschrift R. erreichen. Ein an diese Anschrift gerichtetes Schreiben der BA gelangte mit dem Vermerk des Briefträgers über den Wohnsitzwechsel und die neue Anschrift in F. am 6. 11. 1998 an das zuständige Arbeitsamt L. Auch von diesem Zeitpunkt an war der Kl. nicht in der Lage, Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah unverzüglich Folge zu leisten, weil er seinen Wohnsitz nicht mehr im Bezirk des Arbeitsamts L. hatte. Bei Arbeitslosigkeit ist nach § 327 I 1 SGB III das Arbeitsamt zuständig, in dessen Bezirk der Arbeitslose bei Eintritt der leistungsbegründenden Tatbestände seinen Wohnsitz hatte. Das Arbeitsamt F. ist erst zuständig geworden, nachdem das Arbeitsamt L. es auf Antrag des Kl. für zuständig erklärt hatte (§ 328 II SGB III). Soweit angefochtene Bescheide von einem örtlich nicht zuständigen Arbeitsamt erlassen sind, kann dies bei gebundenen Entscheidungen auf sich beruhen (§ 42 SGB X). Durch die räumliche Entfernung war der Kl. nicht mehr in der Lage Eingliederungsvorschlägen des Arbeitsamtes unverzüglich - d.h. ohne schuldhaftes Zögern - nachzukommen (§ 1 I 1 EAO).

Etwas anderes lässt sich nicht aus der Dienstanweisung des Präsidenten der BA zur „Erreichbarkeit nach einem Umzug“ herleiten (DA 3.4.1 zu § 119 SGB III). Allerdings geht die DA „typisierend“ davon aus, ein Umzug innerhalb der Wohngemeinde oder in eine Nachbargemeinde führe nicht zu einer Verzögerung der Erreichbarkeit. Dieser Grundsatz soll sogar dann gelten, wenn der Nachbarort in einem anderen Arbeitsamtsbezirk liegt. Die DA ist jedoch für den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht einschlägig, denn der Kl. ist von R. nach F. und damit nicht in einen Nachbarort umgezogen. Diese Feststellung lässt sich treffen, ohne zu bestimmen, welches die Merkmale der Begriffe „Nachbargemeinde“ und „Nachbarort“ sind. Eine Begriffsbestimmung, die F. als Nachbarort von R. ansieht, ist nicht angängig. Abgesehen davon ist die für den internen Dienstgebrauch der Dienststellen erlassene DA des Präsidenten der BA nicht geeignet, die Rechtssetzung des Verwaltungsrates der BA durch autonome Satzungen im Außenverhältnis zu den Leistungsbeziehern zu ändern. Allein den Anordnungen kommt normative Wirkung zu (BSGE 35, 164, 166 = SozR Nr. 1 zu § 40 AFG).

2.2 Die Regelungen des § 1 I EAO sind mit der gesetzlichen Ermächtigung der §§ 152 Nr. 2, 119 III Nr. 3 SGB III vereinbar. Mit dem Begriffspaar „zeit- und ortsnah“ hat der Gesetzgeber dem Verwaltungsrat der BA einen Rahmen gesetzt, innerhalb dessen die Verfügbarkeit des Arbeitslosen für die Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes i.S. des § 119 II SGB III näher zu bestimmen ist. Zwar sind auch andere Regelungen denkbar als diejenige, die der Verwaltungsrat in § 1 I EAO getroffen hat. Diese Regelung hält sich jedoch in dem gesetzlichen Rahmen. Zwar ist der Bezugspunkt in § 119 III Nr. 3 SGB III gegenüber § 103 I 1 Nr. 3 AFG insofern geändert, als das Gesetz nicht mehr auf die tägliche Erreichbarkeit des Arbeitsamtes durch den Arbeitslosen und die tägliche Erreichbarkeit des Arbeitslosen durch das Arbeitsamt abstellt. Eine „umgekehrte Erreichbarkeit“, die der Regelung des § 1 I 2 EAO entgegenstände (Valgolio NZS 2000, 23, 24ff.), lässt sich § 119 III Nr. 3 SGB III nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, systematischem Zusammenhang und Zweck der Vorschrift nicht entnehmen. Die Gegenansicht stellt einseitig auf das Merkmal „Folge leisten“ ab und vernachlässigt, dass es nach der Vorschrift darum geht, „Vorschläge des Arbeitsamtes“ zu verwirklichen. Der Arbeitslose kann diesen nur zeit- und ortsnah nachkommen, wenn er selbst für das Arbeitsamt erreichbar ist (ebenso Wissing u.a., SGB III, § 119 Rdnr. 122 - Stand September 1999). Auch das Zeitmoment „an jedem Werktag“ in § 1 I 2 EAO ist durch die gesetzliche Ermächtigung gedeckt. Dem Wegfall des in § 103 I 1 Nr. 3 AFG noch enthaltenen Merkmals „täglich“ kommt für das Verständnis des Gesetzes entscheidende Bedeutung nicht zu. Zum einen enthält es das Merkmal „zeitnah“, welches die werktägliche Erreichbarkeit des Arbeitslosen durch Briefpost rechtfertigt. Zum anderen ergibt sich aus der Begründung des Gesetzes mit aller Klarheit, dass der Arbeitslose in der Lage sein muss, „jederzeit einen potenziellen Arbeitgeber aufzusuchen, einen Vorstellungs- oder einen Beratungstermin wahrzunehmen“, um an den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes mitzuwirken (BT-Drucks 13/4941 S. 176). Die Gegenansicht wird auch dem gesetzlichen Konzept einer persönlichen Abwicklung des Leistungsrechtsverhältnisses zwischen Arbeitslosem und BA nicht gerecht. Die Arbeitsvermittlung hat Vorrang vor Leistungen der aktiven Arbeitsförderung und diese vor Leistungen zum Ersatz des Arbeitsentgelts (§§ 4 , 5 SGB III). Der Arbeitslose hat jede zumutbare Möglichkeit bei der Suche und Aufnahme einer Beschäftigung zu nutzen (§ 119 I Nr. 1 SGB III; vgl. auch § 2 III Nr. 1 SGB III). Diese Obliegenheit ist Merkmal der Arbeitslosigkeit. Das Gesetz macht damit über die bisher geforderte Verfügbarkeit hinaus die Eigeninitiative des Arbeitslosen bei der Beschäftigungssuche ausdrücklich zur Voraussetzung von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit. Die Nutzung der Arbeitsvermittlung und der aktiven Arbeitsförderung durch die BA setzt den persönlichen Kontakt mit dem zuständigen Arbeitsamt voraus. Gerade dazu dient auch die persönliche Arbeitslosmeldung (§§ 122 I 1, 309 I SGB III). Sie soll dem Arbeitsamt nicht nur den Eintritt des Leistungsfalls „Arbeitslosigkeit“ mitteilen, sondern den Vorrang der Arbeitsvermittlung und Arbeitsförderung gewährleisten. Das zeigt auch § 122 I 2 SGB III, der eine Meldung schon vor Eintritt der Arbeitslosigkeit zulässt. Auch die Zuständigkeitsregelungen des § 329 I und II SGB III deuten darauf hin, dass der Gesetzgeber die persönliche (unmittelbare) Beziehung zwischen Arbeitslosem und Arbeitsamt als Voraussetzung für eine effektive Durchsetzung des Leistungskonzepts ansieht. Dem gesetzlichen Konzept einer effektiven Arbeitsvermittlung und Arbeitsförderung entspricht es, wenn der Arbeitslose leistungsrechtlich erhebliche Umstände wie einen Wohnsitzwechsel dem Arbeitsamt anzeigen muss und die unerlässliche Unterrichtung des Arbeitsamts nicht der Post als Dritten überlassen darf (a.M. Gagel/Steinmeyer, SGB III, § 119 Rdnr. 150 - Stand Juli 1999; Hauck/Noftz/Valgolio, SGB III, § 119 Rdnr. 141ff. - Stand November 1999; Valgolio NZS 2000, 23, 25ff.). Dagegen kommt es nicht darauf an, ob sich Postnachsendeaufträge mit den gegenwärtigen technischen Möglichkeiten ohne Zeitverlust abwickeln ließen. Die Voraussetzungen der Leistungen wegen Arbeitslosigkeit sollen gerade nicht von den Zufälligkeiten der Postzustellung abhängig sein. Wird ein Postnachsendeauftrag - wie im hier zu beurteilenden Fall - in der Weise abgewickelt, dass der Postzusteller die neue Anschrift auf der Postsendung vermerkt, ist ein Zeitverlust auch dann unvermeidbar, wenn die BA der Nachsendung nicht widerspräche. Insoweit ist nicht einmal der „kommunikationsfunktionale Charakter“ der passiven Erreichbarkeit von Arbeitslosen (Valgolio NZS 2000, 23, 25) gewahrt. Für das Verständnis des § 119 III Nr. 3 SGB III kommt es nicht darauf an, ob der Erreichbarkeit Kontrollfunktion zur Abwehr des Leistungsmissbrauchs zukommt. Die Forderung des § 1 I 2 EAO, die „persönliche“ Erreichbarkeit zu gewährleisten, entspricht dem Zweck des § 119 III Nr. 3 SGB III nicht nur, weil sie einer effektiven Arbeitsvermittlung dient, sondern auch weil sie Leistungen bei Arbeitslosigkeit an klare Verhaltensmaßstäbe knüpft. Letzteres liegt sowohl im wohlverstandenen Interesse der Arbeitslosen selbst als auch einer effektiven Arbeitsverwaltung. Abweichende Regelungen des Verwaltungsrates, welche die DA 3.4.1 nahe legen könnte, hätten diesen Punkt zu bedenken.

2.3 Die §§ 152 Nr. 2, 119 Abs. 3 Nr. 3 SGB III entsprechen auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit von gesetzlichen Ermächtigungen zu untergesetzlicher Rechtssetzung.

Die Übertragung von Rechtssetzungsbefugnissen auf Organe der Selbstverwaltung von öffentlich-rechtlichen Körperschaften dient der Autonomie gesellschaftlicher Gruppen und ist als Teil der grundgesetzlichen Ordnung anerkannt (BVerfGE 33, 125, 156ff.; BVerfG SozR 4495 Allg Nr. 1; BSGE 35, 164, 166 = SozR Nr. 1 zu § 40 AFG; BSGE 41, 193f. = SozR 4100 § 39 Nr. 7; BSGE 43, 19, 21 = SozR 4495 § 11 Nr. 1; vgl. auch BSGE 67, 256, 263ff. = SozR 3-2500 § 92 Nr. 31; BSGE 78 70, 80 = SozR 3-2500 § 92 Nr. 6 m.w.N.). Allerdings ist die Befugnis zur Rechtssetzung durch autonome Satzungen von Selbstverwaltungsorganen nicht unbegrenzt. Die Maßstäbe des Art. 80 GG, die die Übertragung rechtssetzender Gewalt auf die Bundesregierung, Bundesminister oder Landesregierungen begrenzen, gelten nach ständiger Rechtsprechung nicht für die Vertreterversammlung der BA (BVerfG SozR 4495 Allg Nr. 1; BSGE 35, 164, 166 = SozR Nr. 1 zu § 40 AFG; BSGE 41, 193, 194 = SozR 4100 § 39 Nr. 7; BSGE 43, 19, 21 = SozR 4495 § 11 Nr. 1). Da die autonome Rechtssetzung durch Satzungen ihre Grundlage selbst im demokratischen Prinzip findet, bedarf sie nicht der gleichen Beschränkungen wie die Rechtssetzungsbefugnis der Exekutive. Abgesehen von dem selbstverständlichen Vorrang des Gesetzes findet sie ihre Grenzen in Zweck und Aufgabenkreis der jeweiligen Körperschaft (BVerfG SozR 4495 Allg Nr. 1 m.w.N.).

Nach diesem Maßstab unterliegt die Bestimmtheit der Ermächtigung in §§ 152 Nr. 2, 119 III Nr. 3 SGB III, die Erreichbarkeit von Arbeitslosen als Element objektiver Verfügbarkeit für die Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamts zu regeln, eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage. Das Begriffspaar „zeit- und ortsnah“ gibt dem zuständigen Verwaltungsrat Anhaltspunkte für eine sachgerechte Regelung. Der Umstand, dass auch andere Regelungen denkbar wären, rechtfertigt nicht den Einwand mangelnder Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage. Eine weitergehende Bindung des Selbstverwaltungsorgans an „gesetzliche Vorgaben“ würde nicht nur der Funktion untergesetzlicher Rechtssetzung zur Entlastung des Gesetzgebungsverfahrens von Einzelheiten nicht gerecht; sie stellte auch sachlich unangemessene und unerfüllbare Anforderungen an die sprachliche Bestimmtheit von Ermächtigungsnormen (dazu näher Friedrich Müller, Juristische Methodik, 7. Aufl. 1997, 132ff., 136). Selbst für den strengeren Maßstab des Art. 80 GG kann Bestimmtheit der Ermächtigung nur Bestimmbarkeit ihrer Merkmale bedeuten. Wie zu 2.2 ausgeführt, ergibt sich aus § 119 III Nr. 3 SGB III nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen, in welchem Sinne die Vorschrift durch Satzung zu konkretisieren ist (BVerfGE 58, 257, 277; 62, 203, 209; 85, 97, 105). Es kann keine Rede davon sein, dass die Ermächtigung zur Konkretisierung der Verfügbarkeit von Arbeitslosen nach § 119 SGB III dem Verwaltungsrat zur Bestimmung nach Belieben überlassen worden sei.

3. Auch die subjektive Voraussetzung für die Aufhebung der Bewilligung von Alhi für die Vergangenheit nach § 48 I 2 Nr. 2 SGB X ist gegeben. Der Kl. ist seiner gesetzlichen Mitteilungspflicht zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (vgl. § 45 II 3 Nr. 3 SGB X). Dies trifft hier zu, denn der Kl. hat nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG die Mitteilung seiner Wohnsitzänderung unterlassen, weil er seinerzeit eine weitere Verlegung des Wohnsitzes nach Norddeutschland beabsichtigte. Diese Einlassung des Kl. im Widerspruchsverfahren zeigt, dass er sich der Mitteilungspflicht bewusst war. Er hat mit seinem Verhalten in Kauf genommen, dass er Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamts nicht jederzeit zur Verfügung stand. Demgegenüber sind die von der Revision hervorgehobenen Abweichungen der DA 3.4.1 zu § 119 SGB III von § 1 I EAO für die Beurteilung der Schuldfrage unerheblich. Abgesehen davon, dass die Voraussetzungen für ein Absehen von der Mitteilungspflicht bei einem Wohnsitzwechsel innerhalb des Wohnorts oder in eine Nachbargemeinde nicht vorlagen, besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass die erwähnte Divergenz auf das Verhalten des Kl. Einfluss gehabt hat. Im Übrigen hätte es allenfalls Zweifel über seine Obliegenheiten als Leistungsbezieher begründen können, die er durch Nachfrage beim zuständigen Arbeitsamt hätte beseitigen müssen.

4. Da die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 28. 9. bis 15. 11. 1998 aufgehoben ist, hat der Kl. die ihm bis zum 31. 10. 1998 gezahlte Alhi zu erstatten (§ 50 I SGB X). Die Erstattungspflicht bezieht sich auch auf die von der BA im Erstattungszeitraum gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung (§ 335 I 1 und V SGB III).

Vorinstanzen

LSG BadWürtt., L 13 AL 1099/00, 5.12.2000

Rechtsgebiete

Sozialrecht