Streupflicht auf Brücken im Zuge von Bundesstraßen

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

01. 10. 1959


Aktenzeichen

III ZR 96/58


Leitsatz des Gerichts

Öffentliche Straßen außerhalb der geschlossenen Ortslage brauchen bei Winterglätte nur an besonders gefährlichen Stellen bestreut zu werden. Gefährlich in diesem Sinne sind solche Straßenstellen, die wegen einer Beschaffenheit, die nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar ist, die Möglichkeit eines Unfalles auch dann nahe legen, wenn der Verkehrsteilnehmer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt walten lässt. Dazu gehören beim Eintritt des Frostes regelmäßig Brücken im Zuge einer Bundesstraße.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

a) Die Pflicht zur Bestreuung von Straßen bei Winterglätte folgt aus der allgemeinen privatrechtlichen Verkehrssicherungspflicht. Jeder, der eine Gefahr schafft, insbes. durch die Eröffnung eines Verkehrs, muss die Maßnahmen und Vorkehrungen treffen, die zur Abwendung der etwa Dritten daraus drohenden Gefahr notwendig sind. Träger dieser Pflicht ist bei öffentlichen Straßen derjenige Verband, der den Verkehr auf der Straße eröffnet oder andauern lässt und imstande ist, den aus dem Straßenzustand sich ergebenden Gefahren zu begegnen. Das ist bei Ortsdurchfahrten von Bundesstraßen in Großstädten die Gemeinde, hier also die Bekl., weil den Gemeinden die Verwaltung dieser Straßen obliegt.

Inhalt und Umfang der Verkehrssicherungspflicht richten sich nach dem Zweck der Verkehrseinrichtung. Doch ist es unmöglich, die Straßen völlig fehlerfrei und gefahrlos zu gestalten oder zu erhalten. Eine Pflicht, alle Fahrbahnen öffentlicher Straßen bei Winterglätte zu bestreuen, besteht grundsätzlich nicht, weil das bei der Länge des gesamten deutschen Straßennetzes zu kostspielig und undurchführbar ist. Die bekl. Stadt müsste beispielsweise eine Organisation schaffen, die imstande wäre, auf ihren Straßen von insgesamt mehr als 800 km Länge das stets plötzliche und vorübergehende Auftreten von Glatteis alsbald zu erkennen und in angemessener Zeit zu beseitigen. Das ist ein unzumutbares Verlangen der Kraftfahrer an die öffentliche Hand. Denn alle Verkehrsteilnehmer müssen gewisse Einwirkungen der Naturgewalten als unabänderlich hinnehmen und beispielsweise vorübergehend die Benutzung von Straßen bei Überschwemmungen, Feuersbrünsten, Orkanen u. dgl. unterlassen. Ähnliches gilt für die winterliche Straßenglätte.

Immerhin hat die Rspr. anerkannt, dass innerhalb geschlossener Ortschaften die Fahrdämme an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen bei Glatteis zu bestreuen sind. Innerhalb der Ortschaften muss daher an solchen verkehrswichtigen Stellen gestreut werden, an denen Kraftfahrer erfahrungsgemäß bremsen, ausweichen oder sonst ihre Fahrtrichtung oder Geschwindigkeit ändern müssen, weil gerade das bei Glatteis zum Schleudern und zu Unfällen führt. Derartige gefährliche Stellen innerhalb der Ortschaften sind scharfe Kurven, auffallende Verengungen, Gefällstrecken, Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen, Straßen an Wasserläufen, Abhängen usw.

Außerhalb der geschlossenen Ortslage ist die Streupflicht noch weiter eingeschränkt; hier braucht bei Glätte nur an "besonders gefährlichen Stellen" gestreut zu werden. Die Frage, ob eine solche besonders starke Gefahr vorliegt, beantwortet sich nicht danach - wie es gelegentlich im Schrifttum oder in der Rspr. heißt -, ob sich "der Kfz.-Verkehr noch selbst helfen kann"; denn dieses Merkmal ist zu unbestimmt, weil sich mit den nötigen Hilfsmitteln jeder Kraftfahrer helfen kann. Gefährlich sind vielmehr solche Straßenstellen, die wegen ihrer besonderen Anlage oder bestimmter Zustände, die nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind, die Möglichkeit eines Unfalls auch für den Fall nahe legen, dass der Verkehrsteilnehmer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt walten lässt. Deshalb besteht auf öffentlichen Straßen außerhalb der geschlossenen Ortslage bei Glatteis dann keine Streupflicht, wenn ein sorgfältiger Kraftfahrer die Glatteisbildung und die daraus drohende Gefahr so rechtzeitig erkennen kann, dass er sich darauf einstellen und durch sachgemäßes langsames und gleichmäßiges Fahren einen Unfall in aller Regel vermeiden kann.

Der Sen. hält an dieser Rspr. fest (vgl. BGH, NJW 52, 1087; LM Nr. 18 zu BGB, § 823 [De]; VersR 56, 68; 56, 158; 59, 334; VRS 10, 254; NJW 57, 1396 = LM Nr. 27 zu BGB, § 823 [De]; III ZR 60/56 v. 8. 7. 1957; III ZR 61/58 v. 6. 7. 1959 = NJW 59, 2059 Leits.; vgl. auch die Zusammenstellung von Körner, DRiZ 59, 233).

b) Das BerGer. hat festgestellt, dass die Brücke vereist war, und hat im Gegensatz zum LG die besondere Gefährlichkeit hier mit folgenden Erwägungen bejaht: Die Straße gehöre zu den meist befahrenen Straßen der Bundesrepublik; die Unfallstelle liege auf einer Brücke in einer Kurve und auf einer leichten Erhöhung; an dem fraglichen Vormittag habe sich eine ganze Kette ähnlicher Unfälle zugetragen, nämlich etwa acht Unfälle mit Sachschäden.

Diese Würdigung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Denn die Entscheidung der Frage, ob eine bestimmte Straßenstelle für den Kfz.-Verkehr eine erhöhte Gefahr und eine besondere Gefährlichkeit bildet, ist weitgehend Tatfrage. Das Urt. lässt nicht erkennen, dass das BerGer. etwa falsche Vorstellungen von dem Rechtsbegriff der "Gefahr" und von dem Begriff der "besonderen Gefährlichkeit" hatte. Dann konnte man bei dem Zusammentreffen so vieler ungünstiger Umstände und der auffallenden Häufung ähnlicher Unfälle in wenigen Stunden bereits eine besondere Gefährlichkeit der Brücke annehmen, zumal nicht ganz eindeutig festgestellt ist, dass der Kraftfahrer bei der Annäherung erkennen konnte, dass er über eine Brücke zu fahren hatte, auch Schnee zu fallen begann. Selbst wenn der ortskundige Fahrer das wusste, war folgendes zu beachten: Straßenbrücken sind im Winter für Kraftfahrer deshalb so gefährlich, weil sie schneller vereisen als die feste Fahrbahn und dadurch - unabhängig von der Wirkung der Eisglätte - plötzliche Unterschiede in den Reibungsverhältnissen der Fahrbahn auftreten. Das ist darauf zurückzuführen, wie sich aus der Auskunft des Wetteramtes ergibt, dass bei Unterschreitung des Gefrierpunktes eine Straße mit festem Unterbau langsamer abkühlt, so dass die Feuchtigkeit auf der Straßenoberfläche noch verdunsten kann, während eine Brücke schneller auskühlt und die vorhandene Oberflächenfeuchtigkeit gefrieren lässt, bevor sie verdunstet. Erfahrungsgemäß sind derartige Besonderheiten und Gefahren den meisten Kraftfahrern jedoch nicht bekannt. Deshalb erscheint es dem Sen. - jedenfalls zur Zeit noch - als eine Überspannung der Sorgfaltspflichten, wenn man die Kenntnis dieser eigenartigen Gefahren bei dem durchschnittlichen Kraftfahrer voraussetzen wollte. Das wird durch die Beweisaufnahme bestätigt: Wenn im Laufe eines Vormittags etwa sieben Kraftwagen auf derselben Brücke infolge Glatteises schleudern und dabei durchweg Sachschäden erleiden, dann ist das eine auffallend hohe Unfallzahl, die zeigt, dass diese Straßenstelle von vielen Kraftfahrern nicht gemeistert werden kann, also besonders gefährlich ist. Die Bekl. hatte deshalb bei beginnendem Glatteis diese als besonders gefährlich erkennbare Brücke zu bestreuen. Das ist keine unzumutbare Belastung, weil die Stadt nicht etwa die ganze Bundesstraße oder alle ihre Straßen zu bestreuen, sondern ihr Augenmerk auf einzelne gefährliche Stellen zu richten und diese dafür um so besser zu bestreuen hat.

Rechtsgebiete

Straßenverkehrs- und Straßenrecht; Schnee und Glatteis