Schutzpflichten bei Telefondienstleistungen - „automatische Zwangstrennung“
Gericht
LG Heidelberg
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
17. 05. 2002
Aktenzeichen
5 O 19/02
Der Netzbetreiber ist verpflichtet, Verbindungen zu Mehrwertrufnummern nach spätestens einer Stunde zu trennen. Tut er dies nicht, kann er für die weitere Zeit keine Gebühren fordern.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. verlangt restliche Begleichung einer Telefonrechnung. Umstritten sind die Entgelte für verschiedene Verbindungen zu einer 0190-Rufnummer. Der Bekl. und seine Ehefrau haben mit der Kl. einen Vertrag über einen ISDN-Basisanschluss mit mehreren Rufnummern abgeschlossen. Über eine 1999 erworbene ISDN-Anlage waren daran mehrere Telefone und ein Faxgerät angeschlossen Eine Rufnummer ist dem Telefonanschluss des heute 12 Jahre alten Sohns des Bekl. zugeordnet. Unter dem 3. 8. 1999 stellte die Kl. die Beträge und Entgelte für den Monat August 1999 mit brutto 34687,19 DM in Rechnung. Darin sind unter der Rufnummer des Sohns des Bekl. netto 29752,10 DM für Verbindungen mit einem Tele-Info-Service 0190 enthalten. Nach der Aufstellung der Verbindungen wurde von dem Anschluss aus am 23. 6. 1999 ab 22.25 Uhr eine Verbindung zur Rufnummer 0190 für die Dauer von 158 Stunden, 27 Minuten, 53 Sekunden unterhalten. Für diese Verbindung sind 285237 Tarifeinheiten mit netto 29750,21 DM berechnet. Ferner sind unter dem 23., 28. und 29. 6. weitere Verbindungen zur selben 0190-Rufnummer von jeweils einigen Sekunden bis zu einer Minute verzeichnet. Der Bekl. bezahlte die Rechnung mit Ausnahme der Entgelte für die Verbindungen zu der 0190-Rufnummer. Er hielt zunächst einen technischen Defekt für möglich und berief sich später darauf, dass sein Sohn „aus Jux“ bei einer Telefonsex-Nummer angerufen habe, aber gleich wieder aufgelegt habe. Mit der Klage macht die Kl. die Entgelte für die Verbindungen zu der 0190-Rufnummer mit einem Gesamtbetrag von 34515,82 DM (= 17647,66 Euro) geltend.
Die Klage hatte nur zu einem geringen Teil Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
Die Kl. kann von dem Bekl. auf Grund des Telefondienstvertrags Entgelt nur in Höhe von 116,67 Euro (= 228,18 DM) fordern. Für die am 23. 6. 1999 zunächst zu Stande gekommene 0190-Verbindung, die insgesamt über 158 Stunden bestand, schuldet der Bekl. ein Entgelt nur für die Dauer einer Stunde; denn die Kl. und die T-GmbH wären verpflichtet gewesen, zum Schutz des Kunden eine automatische Abschaltung der Verbindung nach einer Stunde Verbindungsdauer vorzusehen. Für diesen Zeitraum errechnet sich nach den abgerechneten Tarifeinheiten ein Entgelt von netto 187,74 DM, zusammen mit den weiteren 0190-Verbindungen ergibt sich der zuerkannte Betrag von 228,18 DM, den der Bekl. bislang noch nicht bezahlt hat.
1. In tatsachlicher Hinsicht steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass am 23. 6. 1999 um 20.25 Uhr der damals neun Jahre alte Sohn des Bekl. eine 0190-Rufnummer angewählt hat, unter der über das Leitungsnetz der T-GmbH Telefonsex angeboten wurde. Entweder in Folge eines Bedienungsfehlers oder wegen eines Defekts an der Telefonanlage des Bekl. bestand diese Verbindung für insgesamt 158 Stunden, 27 Minuten und 53 Sekunden, ohne dass dies vom Sohn des Bekl. oder sonstigen Familienangehörigen bemerkt worden ist.
Diese Feststellungen stützen sich auf die Aussage des Zeugen X, auf die vorgelegte Aufstellung der Verbindungen, sowie den von der Kl. im Nachhinein vorgenommenen Zählervergleich.
Der Zeuge X hat insoweit ausgesagt, er habe von seinem Cousin so eine 0190-Nummer gehabt und von seinem Telefon aus diese Nummer angerufen. Als er eine Stimme gehört habe, habe er gleich wieder aufgelegt. Danach habe er noch drei oder vier Mal bei dieser Nummer angerufen. Diese Angaben des Zeugen decken sich mit den Daten der Aufstellung der Verbindungen. Aus dieser Aufstellung für die Anschlussnummer des Zeugen ergibt sich insbesondere, dass unter dieser Nummer am 23. 6. 1999 in kurzer Folge drei weitere Verbindungen zu der 0190-Rufnummer hergestellt wurden, obwohl die zunächst hergestellte Verbindung noch fortbestand. Auch in den folgenden Tagen sind von dieser Rufnummer aus weitere Gespräche geführt worden. Damit steht fest, dass entsprechend der Zeugenaussage die erste Verbindung zu der 0190-Rufnummer jedenfalls nach Meinung des Zeugen nach wenigen Sekunden beendet war, tatsächlich aber fortbestand. Zu erklären ist dies technisch damit, dass entweder durch einen Bedienungsfehler oder durch einen Defekt in der Telefonanlage die Verbindung tatsächlich nicht beendet worden ist, sondern auf ein anderes angeschlossenes Gerät, vermutlich das Kombifaxgerät, umgeleitet worden ist. Dass dies unbemerkt geblieben ist, erklärt sich damit, dass für die weitergeführten Gespräche der zweite Kanal des ISDN-Anschlusses zur Verfügung stand. Beendet wurde die erste Verbindung zu der 0190-Rufnummer dann offenbar dadurch, dass entweder den Anschlussnutzern das Halten der Verbindung aufgefallen war oder dass durch das richtige Auflegen des Hörers bei dem Telefongerät oder durch Drücken der Stoptaste bei dem Faxgerät die Verbindung nunmehr ordnungsgemäß vom Anschlussnutzer beendet worden ist.
Für ausgeschlossen erachtet das Gericht hingegen die von dem Bekl. eingewandte Möglichkeit eines Defekts bei der Erfassung der Verbindungen durch die Kl. Dagegen spricht der unstreitig von der Betriebssicherung der Kl. nachträglich durchgeführte Zählervergleich, bei dem sämtliche Leitungsnetze der Kl. einwandfrei arbeiteten.
2. Danach schuldet der Bekl. als Entgelt für die Verbindungen zu der 0190-Rufnummer 116,67 Euro (= 228,18 DM).
a) Dem steht nicht entgegen, dass die umstrittenen Verbindungen zu dem Zweck angewählt worden sind, Telefonsex-Gespräche zu führen. Der BGH hat mit Urteil vom 22. 11. 2001 (NJW 2002, 361) entschieden, dass Entgelte für Telefonsex-Verbindungen wegen der Wertneutralität des Telefondienstvertrags und der Dienstleistung des Netzbetreibers nicht nach § 138 BGB sittenwidrig sind. Dies gilt auch im Hinblick auf den Einwand, dass in den berechneten Entgelten nicht nur die wertneutralen Verbindungspreise, sondern auch die Vergütung des Telefonsex-Diensteanbieters enthalten ist. Dieser Rechtsprechung schließt sich die Kammer an.
b) Entgeltpflichtig ist für den Kunden grundsätzlich die Verbindung über den gesamten Zeitraum ihres Bestehens (vgl. § 5 TKV zur Verbindungspreisberechnung). Deshalb kann sich der Bekl. nicht darauf berufen, dass sein Sohn das Gespräch schon nach wenigen Sekunden beendet und aufgelegt habe. Wenn, wie dies hier feststeht, gleichwohl die Verbindung zunächst nicht aufgehoben wurde, sondern fortbestand, ist im Grundsatz auch das für den gesamten Zeitraum anfallende Entgelt zu entrichten.
c) Gleichwohl schuldet der Bekl. für die am 23. 6. 1999 zu Stande gekommene Verbindung, die über 158 Stunden bestand, Entgelt nur für die Dauer von einer Stunde. Denn die Kl. und die T-GmbH wären verpflichtet gewesen, zum Schutze ihrer Kunden für derartige Verbindungen eine automatische Abschaltung nach einer Stunde vorzusehen. Unter dem Gesichtspunkt einer positiven Vertragsverletzung kann der Bekl. dies dem Entgeltanspruch der Kl. entgegenhalten.
aa) Auch wenn weder gesetzlich noch nach den Tarifbestimmungen eine solche automatische Abschaltung damals vorgesehen war, wären die Kl. und die T-GmbH als Netzbetreiberin unter dem Gesichtspunkt einer nebenvertraglichen Schutzpflicht zur Vornahme einer solchen Absicherung verpflichtet gewesen.
Nach den Regeln des allgemeinen Schuldrechts hat jede Vertragspartei ihre Rechte schonend auszuüben und sich so zu verhalten, dass Personen, Eigentum und sonstige Rechtsgüter, auch das Vermögen des anderen Teils nicht verletzt werden (vgl. BGH, NJW 1983, 2813; s. ferner § 241 II BGB). Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang derartige vertragliche Schutzpflichten bestehen, hängt vom Vertragszweck, der Verkehrssitte und den Anforderungen des redlichen Geschäftsverkehrs ab (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 276 Rdnrn. 117ff., § 241 Rdnrn. 6f.; Kramer, in: MünchKomm, 4. Aufl., Einl. vor § 241 Rdnrn. 79ff.; Staudinger/Schmidt, BGB, 13. Bearb., § 242 Rdnrn. 862ff.).
bb) Der Vertragszweck ist beim Telefondienstvertrag darauf ausgerichtet, dem Kunden den Zugang zum Telefonnetz zu eröffnen und damit unter Aufbau abgehender und Entgegennahme ankommender Telefonverbindungen mit beliebigen dritten Teilnehmern eines Telefonnetzes Sprache auszutauschen (Graf v. Westphalen/Grote/Pohle, Der Telefondienstvertrag, 2001, S. 170f.). Dabei erwartet der Kunde als selbstverständlich, dass mit dem Auflegen des Hörers die Verbindung auch beendet ist und danach keine weiteren entgeltpflichtigen Leistungen anfallen. Gleichwohl kann es, wie der vorliegende Sachverhalt zeigt, entweder in Folge eines Bedienungsfehlers oder wegen eines Defekts an der Telefonanlage dazu kommen, dass eine Verbindung nicht ordnungsgemäß unterbrochen wird, ohne dass der Kunde dies bemerkt. In einem solchen Fall können auf den Kunden sehr hohe Forderungen zukommen, ohne dass er eine für ihn nützliche Leistung dafür enthält. Dieses Risiko ist bei 0190-Sondernummern, die so genannte Telefon- oder Sprachmehrwertdienste, auch „Premium Rate“-Dienste genannt, betreffen, besonders gravierend, da hier die Tarife entsprechend hoch liegen. Eine Tarifeinheit (entspricht zwei Sekunden) wird mit 0,1043 DM netto berechnet, so dass schon eine Minute Verbindungsdauer netto 6,258 DM (= brutto 7,259 DM) kostet. Damit heben sich die Tarife für diese Telefondienstleistungen deutlich von den sonstigen Telefontarifen ab. Aus diesem Grunde kann der Kunde redlicherweise erwarten, dass entsprechende Schutzvorkehrungen dagegen getroffen werden, unbeabsichtigte Kosten nach Möglichkeit zu vermeiden. Technisch ist die Einrichtung einer automatischen Abschaltung nach einem entsprechenden Zeitraum unstreitig möglich. Eine solche Abschaltung nach einer Verbindungsdauer von einer Stunde ist nach Auffassung des Gerichts nicht nur wirtschaftlich sinnvoll, sondern zum Schutze des Kunden vor unverhältnismäßig hohen Verbindungskosten auch rechtlich geboten gewesen.
Dies entspricht im Übrigen auch der Einschätzung der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post. Diese hat mit Beschluss vom 8. 3. 2000 - BK 4c-99-067/Z 29. 12. 99 - (vgl. AS. 225-241) wegen der Anbietung von 0190-Rufnummern eine (dort von der hiesigen Kl. als richtig vertretene) Zwangsabschaltung gebilligt und dazu unter anderem ausgeführt:
„… eine Begrenzung auf eine Stunde ist auch sinnvoll. Es wird nach Einschätzung der Beschlusskammer nur wenige Dienste geben, die nur genutzt werden können, wenn sie länger als eine Stunde dauern. Der Kunde ist gerade in den Fällen schutzwürdig, wenn die Verbindungsdauer (z.B. technisch bedingt) länger andauert als die eigentliche Leistungserbringung des Dienstanbieters. Diese Gefahr besteht bei Faxabrufdiensten oder Datendownload. Wird hier keine zeitliche Obergrenze gesetzt, muss sich der Anrufer versichern, dass die Verbindung tatsächlich nach Leistungserbringung beendet wird. Dem Anrufer wird die Problematik nicht bewusst sein. Deshalb ist eine Risikoverteilung zu Lasten des Nutzers unangemessen …“
Demgegenüber kann sich die Kl. nicht mit Erfolg darauf berufen, dass eine solche Zwangstrennung im Jahre 1999 noch nicht vorgesehen gewesen sei und dass sie die Netzanbieterin T-GmbH nicht zu einer solchen Maßnahme habe zwingen können. Die Kl. macht mit ihrer Klage Verbindungsentgelte geltend, in denen auch die vergütungspflichtigen Dienstleistungen der Netzbetreiberin T-GmbH enthalten sind. Diese wäre aber ebenso wie die Kl. zum Schutze des Kunden verpflichtet gewesen, eine automatische Abschaltung nach einer Stunde vorzusehen.
Wäre eine solche Zwangstrennung hier 1999 eingerichtet gewesen, so wäre die am 23. 6. 1999 hergestellte Verbindung nach einer Stunde automatisch beendet worden. Im Rahmen des Schadensersatzes wegen positiver Vertragsverletzung hat die Kl. den Bekl. daher so zu stellen, als wäre das Gespräch nach einer Stunde beendet worden. Damit ist für diese Verbindung nur ein Entgelt in Höhe von netto DM 187,74 (= 30 x 60 Tarifeinheiten à 0,1043 DM) geschuldet.
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