Arglistige Täuschung bei Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung
Gericht
LG Berlin
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
23. 07. 2002
Aktenzeichen
7 O 134/02
Eine arglistige Täuschung bei Abschluss einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ist anzunehmen, wenn auf die Frage nach ärztlichen Behandlungen in den letzten fünf Jahren vor Vertragsschluss lediglich ein niedriger Blutdruck ohne Befund angegeben, eine mehrfache ärztliche Behandlung u.a. wegen reaktiver Depression/depressiven Syndroms und depressiver Neurose mit Arbeitsunfähigkeitszeiten von über 260 Tagen hingegen verschwiegen wird.
Zur Bejahung von Arglist trotz der Behauptung der Versicherungsnehmerin, sie sei davon ausgegangen, nur Krankheiten mit aktuellem Bezug angeben zu wollen.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. begehrt u.a. Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente ab Februar 2001. Die Kl. beantragte bei dem Bekl. am 19. 12. 1994 den Abschluss einer Kapitalversicherung (Versicherungssumme 3000 DM) mit Berufsunfähigkeitsschutz. In dem entsprechenden Formular ist die Frage 2 („Bestehen oder bestanden Krankheiten, Verletzungen, Gebrechen, Behinderungen, körperliche oder geistige Fehler oder Schäden, chronische Leiden oder Unfallfolgen?“) verneint. Die Frage 3 („Waren in den letzten fünf Jahren ärztliche Behandlungen, regelmäßige Einnahmen von Medikamenten, Krankenhausaufenthalte oder Heil- bzw. Kuraufenthalte erforderlich?“) wurde von ihr bejaht. Die Angabe wurde in der entsprechenden Zusatzzeile („Wann?/Wie oft?/Wie lange?/Heutige Folgen?“) ergänzt wie folgt: „zu 3. 21. 11. 94 niedriger Blutdruck o.B.“ nebst Nennung des Dr. X. Als Arzt, der am besten über die Gesundheitsverhältnisse unterrichtet ist, wurde Dr. Y genannt. In einer Ergänzungserklärung („Herz- und Kreislauferkrankungen“), die mit dem 16. 1. 94 (gemeint wohl: 95) datiert, wurden detailliertere Angaben gemacht (Hypotonie, ca. zweimal jährl., 1/2 Stunde, letztes Auftreten 21. 11. 94, ohne Bewusstlosigkeit, Medikament Ergomimet, 1 Kapsel bei Bedarf, verordnet am 21. 11. 94). Beide Formulare wurden von dem Abschlussvermittler Z ausgefüllt und nach Vorlage von der Kl. unterschrieben. Am 7. 2. 1995 wurde der Versicherungsschein ausgestellt. Demnach war (antragsgemäß) u.a. ab 1. 2. 1995 eine Beitragsbefreiung und eine Monatsrente von 2000 DM bei Berufsunfähigkeit versichert (Beginn: 1. 2. 1995). Vereinbart waren die Allgemeinen Bedingungen für die Kapitalversicherung und für Berufsunfähigkeitsleistungen. Die Kl. - von Beruf gelernte Krankenschwester mit Fortbildung zur Altenpflegerin - war zuletzt als Krankenschwester in einem Krankenhaus tätig. Am 20. 1. 2001 erlitt sie einen Verkehrsunfall, der zu Verletzungen der Halswirbelsäule geführt hat. Mit Schreiben vom 22. 3. 2001 beantragte sie beim Bekl. Rentenzahlungen wegen Berufsunfähigkeit. Ermittlungen der Bekl. ergaben u.a. folgende Behandlungsdaten:
20.12.91 | Behandlung Lumbago 18 Tage arbeitsunfähig |
11.5.92 | Behandlung HWS 12 Tage arbeitsunfähig |
07.12.92 | Behandlung reaktive Depression 47 Tage arbeitsunfähig |
30.10.93 | Behandlung depressives S. 65 Tage arbeitsunfähig |
24.1.94 | Behandlung Intoxikation, depr. Neurose etc. 157 Tage arbeitsunfähig |
13.10.94 | Behandlung Depression 25 Tage arbeitsunfähig |
28.11.94 | hypotone Dysregulation 1 Tag arbeitsunfähig |
Zeitlich nach Antragstellung ergeben sich (u.a.) folgende Daten:
26.1.95 | Alkoholerkrankung (KHB) 83 Tage arbeitsunfähig |
19.5.95 | Behandlung depr. Krise 68 Tage arbeitsunfähig |
1.8.95 | Behand. Alkoholerkr. -trocken, Depr., Erschöpfungssyndrom 106 Tage arbeitsunfähig. |
Mit Schreiben vom 19. 6. 2001 erklärte der Bekl. die Anfechtung vom Vertrag wegen arglistiger Täuschung. Er berief sich auf die Nichtangabe bei Antragstellung der Behandlungen wegen Lumbago (ab 20. 12. 1991), HWS-Syndrom (ab 11. 5. 1992), reaktiver Depression (ab 7. 12. 1992), depressivem Syndrom (ab 30. 10. 1993), Intoxikation sowie depressiver Neurose (ab 24. 1. 1994) und Depression (ab 13. 10. 1994).
Die Klage auf Rentenzahlung und Beitragsbefreiung blieb ohne Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
Der Kl. steht kein Anspruch auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente und Beitragsbefreiung aus dem zwischen den Parteien ab 1. 2. 1995 geschlossenen Vertrag zu.
Der Bekl. hat wirksam mit Schreiben vom 19. 6. 2001 den Vertrag angefochten (§ 123 BGB, § 22 VVG), so dass dieser gem. § 142 I BGB als von Anfang an nichtig anzusehen ist. Die Kl. hat in ihrem Antrag vom 19. 12. 1994 die dort gestellten Gesundheitsfragen falsch beantwortet, dadurch den Bekl. arglistig getäuscht und zur Annahme des Antrags bewegt.
In dem Antrag vom 19. 12. 1994 wurde die Frage Nr. 2: „Bestehen oder bestanden Krankheiten, Verletzungen, Gebrechen …?“ verneint. Wie sich aber aus der Auflistung der … (welche als solche unstreitig ist), ergibt, hatte die Kl. an mehreren Krankheiten gelitten: Die Kl. war seit dem 20. 12. 1991 in Behandlung wegen Lumbago, seit dem 11. 5. 1992 wegen HWS, seit dem 7. 12. 1992 wegen reaktiver Depression, seit dem 30. 10. 1993 wegen depressiven Syndroms, seit dem 24. 1. 1994 wegen Intoxikation und depressiver Neurose u.a., seit dem 13. 10. 1994 wegen Depression, sowie am 28. 11. 1994 (laut Kl.: 24. 11. 1994) wegen hypotoner Dysregulation. Damit war die Verneinung der gestellten Frage falsch. Selbst wenn die Kl. die Depression, die HWS und Lumbago Beschwerden nicht als Krankheit empfunden hätte, so fanden doch ärztliche Behandlungen in den letzten fünf Jahren statt.
Die Antragsfrage Nr. 3: „Waren in den letzten fünf Jahren ärztliche Behandlungen, regelmäßige Einnahme von Medikamenten … erforderlich?“ wurde zwar bejaht. Angegeben wurde dazu aber nur ein niedriger Blutdruck ohne Befund. Sämtliche sonstigen Behandlungen - die wegen Depression dauerte mit Arbeitsunfähigkeit bis 6. 11. 1994 fort - wurden verschwiegen.
Soweit sich eine Unstimmigkeit im Antrag ergibt, da der niedrige Blutdruck als solcher auch schon zur Bejahung der Antragsfrage Nr. 2 hätte führen müssen, hat der Bekl. eine Ergänzungserklärung dazu erfordert und eine Risikoprüfung vorgenommen. Die Kl. trägt insoweit auch widersprüchlich vor, da sie angibt, den niedrigen Blutdruck als Gebrechen empfunden zu haben. Dennoch ist eben gerade diese Frage (2) verneint.
Mit ihren unzutreffenden Angaben in dem Antrag hat die Kl. arglistig über ihren Gesundheitszustand getäuscht. Die Kl. wusste, dass die Beantwortung der Gesundheitsfragen falsch war. Als wesentliches Indiz ist anzunehmen, dass die Kl. eine geradezu harmlose Behandlung wegen niedrigen Blutdrucks angab, hingegen nicht die immer wieder zu langwierigen Arbeitsunfähigkeitszeiten führenden Behandlungen wegen Depression (vgl. auch OLG Karlsruhe, VersR 1992, 1250).
Die Kl. hatte auch das Bewusstsein, mit der unzutreffenden Beantwortung der gestellten Gesundheitsfragen auf die Entscheidung des Bekl., den Vertrag zu schließen, einzuwirken. Dass eine genaue Beantwortung der Gesundheitsfragen für die Entschließung des Bekl. von Bedeutung war, bedarf keiner Erläuterung.
Die Täuschung der Kl. war auch ursächlich dafür, dass der Bekl. den Antrag angenommen hat. Es ist davon auszugehen, dass der Bekl. bei Kenntnis der vorliegenden Erkrankungen und ärztlichen Behandlungen - jedenfalls was die Depression betrifft - den Antrag zumindest nicht in der Form, wie er es dann getan hat, angenommen hätte. Dass es sich bei der mehrfachen Behandlung wegen Depression in dem Zeitraum zwei Jahre vor Antragstellung, die zu Arbeitsunfähigkeitszeiten von über 260 Tagen führte, um einen gefahrerheblichen Umstand handelt, liegt auf der Hand (vgl. OLG Köln, VersR 1998, 85). Einer konkreten Darlegung der Risikoprüfungsgrundsätze des Bekl. bedarf es nicht, wobei dieser Auszüge aus dem Einschätzungshandbuch seines Rückversicherers eingereicht und erläutert hat, dass bei reaktiver Depression in den letzten zwei Jahren der Antrag grundsätzlich bis auf weiteres zurückgestellt wird.
Die Kl. kann sich auch nicht mit dem Argument entlasten, sie habe nur Krankheiten angeben wollen, die einen aktuellen Bezug haben. Diese Erklärung ist schon in sich widersprüchlich, wenn man sich die Behandlungsdaten vor Augen führt: Die Behandlung wegen Depression war erst am 6. 11. 1994 (nach 25-tägiger Arbeitsunfähigkeit) beendet, also im Vormonat der Antragstellung. Weswegen man eine eintägige Arbeitsunfähigkeit wegen niedrigen Blutdrucks am 21. 11. 1994 (laut Unterlagen 28. 11. 1994) als einzig „aktuell“ empfinden kann, ist nicht nachvollziehbar.
Auch die Erläuterung der Kl. in der mündlichen Verhandlung überzeugt nicht. Sie konnte nicht schlüssig erklären, weswegen sie einerseits die harmlosere Erkrankung angegeben hatte und andererseits zahlreiche gravierende Behandlungen nicht. Dass einem eine Behandlung wegen Depression im Vormonat schlicht nicht einfällt, vermag nicht zu überzeugen. Die Kl. war schließlich auch von Januar 1994 bis Juni 1994 arbeitsunfähig erkrankt. Dies dürfte jedem im Gedächtnis verbleiben, ohne dass es einer Nachfrage beim behandelnden Arzt bedarf.
Auch vermag der Einwand der Kl. sie nicht zu entlasten, der Agent Z habe die Fragen rasch und formelhaft vorgelesen. Der Bekl. trägt die Darlegungs- und Beweislast, wenn es um die Frage geht, ob dem Antragsteller die Antragsfragen ordnungsgemäß nahe gebracht wurden. Der Bekl. hat dazu ausreichend vorgetragen. Als konkretes Bestreiten kann der Vortrag der Kl. nicht angesehen werden. Einer weiteren Erläuterung der Frage bedarf es nicht ohne weiteres. Die Kl. hat auch eine ärztliche Behandlung angegeben. Dass man die Antragsfragen auch bei schnellem Vorlesen in dem Sinn verstehen kann, dass nur der niedrige Blutdruck anzugeben ist, hingegen nicht die Behandlungen wegen Depression, ist schlicht abwegig. Wie der Zeuge Z verdeutlicht haben soll, es komme auf eine aktuelle Bedeutung an, ist nicht erklärt. Die Kl. hat auch ansonsten gerade darauf abgestellt, sie habe der Depression keine Bedeutung zugemessen, da es sich um eine vorübergehende Erkrankung gehandelt habe. Dass Hintergrund dieser Erkrankung familiäre Probleme gewesen sind, mag sein. Daraus kann aber gerade wegen der Häufigkeit der Behandlungen nicht ernsthaft geschlossen werden, diese seien endgültig „ausgeheilt“ und nicht mehr relevant. Dass das Argument der Kl. so auch objektiv nicht zutrifft, ergibt sich schon aus der Notwendigkeit weiterer Behandlungen nach Antragstellung bereits im Mai 1995. Anders etwa als in dem vom OLG Jena entschiedenen Fall (von diesem selbst als seltener Ausnahmefall bezeichnet, NVersZ 2000, 19 = VersR 1999, 1526) hat die Kl. keinerlei Argumente, die ihre Ansicht stützen.
Eine Treuwidrigkeit ist in dem Verhalten des Bekl. durch die Anfechtungserklärung nicht zu sehen. Die Kl. hat nur darauf abgestellt, dass der Bekl. den Vertrag auch bei Angabe der Vorerkrankungen geschlossen hätte. Es wurde aber bereits erläutert, dass davon gerade nicht auszugehen ist.
Soweit die Kl. unter Hinweis auf die Entscheidung des OLG Nürnberg (die durchaus in der veröffentlichten Rechtsprechung als „Ausnahmeentscheidung“ bezeichnet werden kann; NJW-RR 1998, 535 = VersR 1998, 217) meint, die Anfechtungserklärung bewirke lediglich eine Leistungsfreiheit für die Zukunft, vermag sich die Kammer dem nicht anzuschließen. Die Anfechtung eines Vertrags bewirkt nach den gesetzlichen Regelungen (§ 142 BGB) Nichtigkeit von Anfang an. Eine Abkehr davon ist auch mit den Argumenten des OLG Nürnberg nicht vertretbar.
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