Anzeigeobliegenheitsverletzung bei Fragen nach Vorerkrankung
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
25. 05. 1994
Aktenzeichen
IV ZR 215/93
Der Antragsteller für den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung kommt seiner Anzeigeobliegenheit bei Fragen nach Vorerkrankungen nach, wenn er Erkrankungen laienhaft so schildert, wie sie ihm von sachkundiger Seite dargestellt worden sind.
Das Nichtausfüllen von Fragen in dem Fragebogen für den Abschluss einer Versicherung stellt nur dann eine Verletzung der Anzeigeobliegenheit dar, wenn der das Formular ausfüllende Agent die Fragen vorgelesen hat oder das Formular dem Antragsteller nicht nur zur Unterzeichnung sondern ausdrücklich zur Durchsicht und Überprüfung vorgelegt hat.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien streiten darum, ob die Bekl. ab Mai 1991 eine monatliche Rente von 500 DM bis längstens 31. 8. 2003 schuldet, die sie für den Fall bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit der bei ihr versicherten Schwester der Kl. zugesagt hat; streitig ist ferner ob sie der Kl. als Versicherungsnehmerin für den gleichen Zeitraum Prämienfreiheit einräumen muss. Zwischen den Parteien kam ein Lebensversicherungsvertrag mit eingeschlossener Berufsunfähigkeitsversicherung unter Verwendung eines Antragsformulars der Bekl. zustande, das ihr Agent G am 14. 7. 1988 ausfüllte. In der Gesundheitserklärung zur Person der damals noch minderjährigen, als Floristin tätigen Schwester der Kl. kreuzte der Agent u. a. bei den Fragen:
Leiden Sie oder haben Sie in den letzten zehn Jahren gelitten a Krankheiten, Störungen oder Beschwerden (... Knochen, Gelenke, Muskeln ...)?
Bestehen körperliche oder geistige Gebrechen, chronisch Leiden ...?
Sind Sie in den letzten fünf Jahren beraten oder behandelt worden
jeweils das Nein-Kästchen an. Im Mai 1991 gab die Versicherte ihre Berufstätigkeit als Floristin wegen Beschwerden auf, die von einer Hüftdysplasie (einer angeborenen Mangelentwicklung, nämlich einer Abflachung der Hüftgelenkspfannen) herrührten. Die Kl. machte daraufhin bei der Bekl. Ansprüche auf die vertraglichen Leistungen wegen Berufsunfähigkeit geltend. Mit Schreiben vom 25. 6. 1991 erklärte die Bekl. ihren Rücktritt von der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, den sie mit der Falschbeantwortung der bereits zitierten Formularfragen begründete. Sie beruft sich auf Leistungsfreiheit und bestreitet auch den Eintritt des Versicherungsfalles.
Die daraufhin von der Kl. erhobene Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Die Revision der Kl. führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung.
Auszüge aus den Gründen:
1. Die Kl. hat vorgetragen, ihre Schwester habe dem Agenten auf seine Fragen mitgeteilt, dass sie bei dem Orthopäden Dr. B gewesen sei, der ihr als Diagnose eine leichte Fehlstellung der Hüften eröffnet habe, die auf Wachstumsstörungen zurückzuführen sei.
a) Das BerGer. hat diese Erklärung als unzureichend für eine vollständige und wahrheitsgemäße Beantwortung der drei bereits zitierten Formularfragen angesehen, von deren Vorlesen durch den ausfüllenden Agenten ersichtlich auch die Kl. bei ihrer Behauptung ausgegangen ist. Das BerGer. hat die Ansicht vertreten, die Schwester der Kl. habe die ihr bekannte Erkrankung, die eine bleibende Behinderung mit sich bringe, mit ihrer mündlichen Äußerung stark verharmlost.
b) Dabei hat es jedoch nicht beachtet, dass die zu Versichernde gerade nicht von einer nur vorübergehenden, sondern von einer vorhandenen Hüftfehlstellung gesprochen haben will. Deren angegebene Ursache, nämlich Wachstumsstörungen, erlaubte auch nicht die zuverlässige Erwartung, dass die Fehlstellung sich ohne weiteres wieder verlieren werde. Die Schwester der Kl. hat mit dieser Erklärung nichts von dem verharmlost, was sie über ihre Erkrankung wusste. Das BerGer. hat bei seiner gegenteiligen Annahme außer acht gelassen, dass Dr. B in seiner von dem LG veranlassten schriftlichen Erklärung vom 1. 10. 1992 bestätigt hat, er habe im Januar 1987 nur eine leichte, auf Wachstumsstörungen beruhende Hüftdysplasie beidseits mit Steilhüfte diagnostiziert und der Patientin diese Diagnose mit dem Bemerken eröffnet, der Befund habe keine nennenswerte Krankheitsbedeutung und dürfte bei Vermeidung übermäßiger Körperbelastung keine besonderen Beschwerden erwarten lassen. Die seinerzeitigen geringfügigen Hüftgelenksbeschwerden seien durch eine vom 9. bis 26. 1. 1987 durchgeführte Elektrotherapie gebessert worden.
Geht man, wie geboten, von der Darstellung der Kl. aus, so hat ihre Schwester mit den behaupteten Erklärungen die Schwere ihrer Erkrankung keineswegs heruntergespielt. Sie hat sie vielmehr laienhaft so geschildert, wie sie ihr von sachkundiger Seite dargestellt worden war. Damit ist sie ihrer Anzeigeobliegenheit zu den drei vorgelesenen Formularfragen nachgekommen. Dass der Agent eigenmächtig die Antworten nicht festgehalten, sondern stattdessen die Nein-Kästchen angekreuzt hat, ändert daran nichts.
Ein Ankreuzen der drei Ja-Kästchen hätte zu folgendem weiteren Fragentext geführt:
Wenn Sie eine oder mehrere Fragen mit ja beantwortet haben, benötigen wir noch folgende Angaben:
Art und Verlauf der Krankheit, Verletzungen usw.
Wann, wie oft, wie lange?
Behandelnde Ärzte, Krankenhäuser, Heilstätten, Kuranstalten (mit Anschrift)
Bestehen Folgen? Welche?
Auf diese ihr vorzulesende Frage hätte die Schwester der Kl. wahrheitsgemäß auch die Elektrotherapie bei Dr. B angeben müssen. Durch das Vorgehen des Agenten ist dieser Text aber nicht zu ihrer Kenntnis gelangt. Die Bekl. hat auch nicht geltend gemacht, der Agent habe das von ihm ausgefüllte (bzw. teilweise nicht ausgefüllte) Formular anschließend nicht nur zur Unterzeichnung, sondern mit der ausdrücklichen Bitte um vorherige Durchsicht und Überprüfung seiner Eintragungen vorgelegt. Es fehlt demnach für den nicht vorgelesenen Text an der Tatbestandsvoraussetzung des § 16 I 3 VVG (so schon Senat, NJW 1991, 1891 = LM § 16 VVG Nr. 13 = VersR 1991, 575 (576)). Dass die kurzfristige Behandlung der Hüftdysplasie für sie einen zusätzlichen Gefahrumstand darstellt, steht damit zur Beweislast der Bekl. Da sie eine Behandlung nicht ausdrücklich abfragen ließ, käme insoweit auch nur bei arglistigem Verschweigen, für das kein Anhalt besteht, ein Rücktritt in Betracht (§ 18 VVG).
c) Die Kl. hat substantiiert vorgetragen, dass ihre Schwester den ausfüllenden Agenten nicht so, wie im Antragsformular vermerkt, sondern vollständig und wahrheitsgemäß zu den vorgelesenen Fragen mündlich informiert hat. Dass dieser Sachvortrag nicht zutrifft, steht zur Beweislast der Bekl. (Senat, BGHZ 107, 322 = NJW 1989, 2060 = LM § 16 VVG Nr. 5 = VersR 1989, 833). Das BerGer. hat nicht festgestellt, dass ihr dieser Beweis mit den Angaben ihres in erster Instanz als Zeuge vernommenen Agenten gelungen wäre. Sein Urteil hat demnach keinen Bestand.
2. Das BerGer. hat, von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig, keine Feststellungen zu dem Streit der Parteien getroffen, ob der Versicherungsfall eingetreten ist. Demnach muss die Sache zur weiteren Aufklärung an das BerGer. zurückverwiesen werden.
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