Keine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs bei „eingeschlafener“ Beziehung zum Unterhaltspflichtigen („Zahlvater“)

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

25. 01. 1995


Aktenzeichen

XII ZR 240/93


Leitsatz des Gerichts

  1. Zur Frage der Verwirkung des Unterhaltsanspruchs eines volljährigen Kindes in Fällen, in denen seit dem 14. Lebensjahr des Kindes kein persönlicher Kontakt zwischen ihm und dem auf Unterhalt in Anspruch genommenen Elternteil stattgefunden hat.

  2. Der Rechtsgedanke des § 1577 II BGB ist auch im Verwandten-Unterhaltsrecht entsprechend anwendbar; hier entschieden für Einkünfte eines Studenten aus einer Nebenbeschäftigung, die er - in den ersten Studiensemestern - aufgenommen hat, nachdem er seit längerer Zeit keinen Unterhalt von dem unterhaltspflichtigen Elternteil erhalten hatte.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die am 13. 6. 1973 geborene Kl. ist die Tochter des Bekl. aus dessen im Jahre 1981 geschiedener Ehe. Sie nimmt den Bekl. auf Unterhalt in Anspruch. Im Ehescheidungsurteil war die elterliche Sorge für die Kl. der Mutter übertragen worden, bei der sie - und ihr 1966 geborener Bruder - damals und in der Folgezeit lebten. Im Mai 1992 legte die Kl. das Abitur ab. Am 14. 5. 1992 erlitt sie einen schweren Verkehrsunfall, an dessen Folgen sie noch im Juli 1992 zu tragen hatte. Am 14. 9. 1992 wurde sie für das Wintersemester 1992/1993 an der Universität Heidelberg immatrikuliert. Sie zog im September 1992 aus der Wohnung ihrer Mutter aus und mietete zunächst ein möbliertes Zimmer in W. Im März 1993 zog sie in eine Wohnung nach H. Im Rahmen des Ehescheidungsverfahrens hatte sich der Bekl. u.a. verpflichtet, für die Kl. monatlich 320 DM Unterhalt unter Anrechnung des anteiligen Kindergeldes zu zahlen. Er erhöhte die Zahlungen im Lauf der Zeit bis auf monatlich 400 DM und kam seiner Unterhaltsverpflichtung bis einschließlich Juli 1991 nach. Mit Schreiben vom 19. 7. 1991 forderte die inzwischen volljährig gewordene Kl. den Bekl. auf, ihr Auskunft über seine Einkünfte zu erteilen. Sie erhielt die Auskunft am 30. 7. 1991. Mit Anwaltsschreiben vom 26. 9. 1991 bezifferte sie sodann ihren Unterhaltsanspruch auf monatlich (525 DM abzgl. 25 DM Kindergeld) 500 DM. Der Bekl. leistete jedoch seit August 1991 keine weiteren Zahlungen. Der Bekl. verfügt über ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 3430 DM. Die Mutter der Kl., die ebenfalls einer Erwerbstätigkeit nachgeht, verdient monatlich durchschnittlich 2385 DM. Mit Rücksicht auf diese Einkünfte der Eltern wurde ein von der Kl. nach Aufnahme des Studiums gestellter Antrag auf Ausbildungsförderung abgelehnt. Die Kl. nahm Mitte November 1992 eine Nebentätigkeit auf, die sie bis zum 5. 7. 1993 ausübte; sie erzielte daraus insgesamt rd. 3950 DM. Mit der im Februar 1992 eingereichten Klage nimmt die Kl. den Bekl. auf Unterhaltsrückstände in Höhe von 3500 DM für die Zeit von August 1991 bis einschließlich Februar 1992 sowie ab März 1992 auf laufenden Unterhalt in Anspruch, den sie zunächst in Höhe von monatlich 675 DM geltend gemacht hat. Sie hat den Unterhalt nach dem Einkommen des Bekl. unter Zugrundelegung der Düsseldorfer Tabelle für einen nur gegenüber einem Kind unterhaltspflichtigen Elternteil unter Berücksichtigung des Volljährigenzuschlages mit 700 DM ermittelt und darauf einen Kindergeldanteil von 25 DM angerechnet. Der Bekl. hält sich nicht für verpflichtet, über die Volljährigkeit der Kl. hinaus Unterhalt an sie zu zahlen. Er hat u.a. geltend gemacht, die Kl. habe den Unterhaltsanspruch gem. § 1611 BGB verwirkt. Denn sie lehne seit ihrem 14. Lebensjahr jeden Kontakt zu ihm ab und sehe ihn lediglich als „Zahlvater“ an. Dem ist die Kl. entgegengetreten.

Das AG - FamG - hat den Bekl. - unter Abweisung des weitergehenden Begehrens - verurteilt, an die Kl. für die Zeit vom 1. 8. 1991 bis zum 30. 6. 1992 monatlich 500 DM sowie ab 1. 7. 1992 monatlich 615 DM Unterhalt zu zahlen. Das Gericht hat eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs der Kl. verneint und bei der Ermittlung der Höhe des von dem Bekl. zu zahlenden Betrages auch die anteilige Unterhaltsverpflichtung der Mutter der Kl. berücksichtigt. Gegen das Urteil hat der Bekl. Berufung eingelegt. Im Verlauf des Berufungsverfahrens hat er zusätzlich geltend gemacht, die Kl. müsse sich das Einkommen aus ihrer zwischenzeitlich aufgenommenen Nebentätigkeit auf einen etwaigen Unterhaltsanspruch anrechnen lassen. Das OLG hat die Berufung zurückgewiesen (das Urteil ist teilweise in FamRZ 1994, 1278 veröffentlicht). Die Revision des Bekl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat es abgelehnt, den der Kl. zustehenden Unterhalt wegen grober Unbilligkeit gem. § 1611 I BGB auszuschließen oder herabzusetzen.

1. Dazu hat es ausgeführt: Soweit der Bekl. seine unterhaltsrechtliche Inanspruchnahme schon deshalb für grob unbillig halte, weil die Kl. seit ihrem 14. Lebensjahr den persönlichen Umgang mit ihm abgelehnt habe, sei dieses aus der Zeit ihrer Minderjährigkeit stammende Verhalten nicht geeignet, ihren Unterhaltsanspruch zu beeinträchtigen. Auch wenn es hier nicht um den Anspruch eines minderjährigen Kindes gehe, auf den § 1611 I BGB nach Abs. 2 der Vorschrift ohnehin nicht anzuwenden sei, könne ein aus der Zeit der Minderjährigkeit herrührendes Fehlverhalten eines Kindes diesem nach dem Sinn und Zweck des § 1611 BGB auch später beim Verfolgen eines Anspruches auf Ausbildungsunterhalt im Erwachsenenalter nicht entgegengehalten werden. Diese Auffassung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (vgl. NJW 1988, 2371 = LM § 1602 BGB Nr. 13 = FamRZ 1988, 159 (163)) und wird auch von der Revision nicht angegriffen.

2. a) Im Verhalten der Kl. nach Vollendung ihres 18. Lebensjahres hat das BerGer. keine hinreichenden Gründe für einen Ausschluss oder eine Herabsetzung ihres Unterhaltsanspruchs nach § 1611 I BGB gesehen. Zwar habe die Kl. dem Bekl. nur zu seinem Geburtstag im November 1991 einen brieflichen Gruß mit ihrem Foto gesandt. Der Bekl. habe sich aber seinerseits nicht um einen Kontakt zu ihr bemüht und ihr auch nicht zum 18. Geburtstag gratuliert, der immerhin ihre Volljährigkeit begründet habe. Die Vollendung ihres 18. Lebensjahres habe er nur insoweit wahrgenommen, als er ab August 1991 jegliche Unterhaltszahlung eingestellt habe, obwohl ihm bekannt gewesen sei, dass die Kl. noch das Gymnasium besucht habe. Unter solchen Umständen könne einem Kind, das ohnehin - menschlich nicht unverständlich - mehr auf der Seite des bisher betreuenden Elternteils stehe, nicht vorgehalten werden, sein Verhalten begründe den Tatbestand einer groben Unbilligkeit i.S. von § 1611 I BGB.

b) Gegenüber diesen Ausführungen rügt die Revision, das BerGer. habe übersehen, dass der Bekl. seine Unterhaltszahlungen erst eingestellt habe, nachdem die Kl. mit Schreiben vom 19. 7. 1991 Auskunft über seine Einkünfte verlangt, ihrerseits aber nichts über ihre Zukunftspläne und ihren Werdegang mitgeteilt habe. Der Bekl. habe mithin gute Gründe für sein Verhalten gehabt. Der Umstand, dass er der Kl. weder zum 18. Geburtstag gratuliert, noch sich später um einen Kontakt zu ihr bemüht habe, könne die Kl. nicht entlasten. Auf der Karte vom November 1991 habe sie angekündigt, sich im Februar 1992 nach dem schriftlichen Abitur zu melden. Diese Ankündigung habe sie dann durch Erhebung der Unterhaltsklage wahr gemacht. Unabhängig hiervon habe der Bekl. vor dem Hintergrund der jahrelangen Ablehnung durch die Kl. nicht auf einen ernsthaften Wunsch nach einem Kontakt mit ihm schließen können. Überdies sei es die Kl., die von dem Bekl. etwas wolle. Gerade deshalb sei zumindest seit Eintritt der Volljährigkeit von ihr zu fordern, dass sie die Initiative ergreife. Der briefliche Gruß vom November 1991 sei hierbei nicht ausreichend gewesen.

c) Diese Ausführungen der Revision sind nicht geeignet, der Entscheidung des BerGer. die Grundlage zu entziehen. Wenn die Kl. dem Bekl. im Juli 1991 keine Angaben über ihre Zukunftspläne und ihren Werdegang machte, so ist zu beachten, dass sie damals, wie der Bekl. wusste, noch die Schule besuchte und erst im folgenden Jahr das Abitur ablegen wollte. Ihr Unterhaltsbegehren und die darauf zielende Bitte um Auskunft über die Einkünfte des Bekl. bezogen sich zunächst auf den Zeitraum ihres weiteren Schulbesuchs.

Der Einreichung der Unterhaltsklage im Februar 1992 war nicht nur das Anwaltsschreiben vom 26. 9. 1991, sondern auch eine weitere Mitteilung vom 14. 11. 1991 mit Übersendung der erbetenen Bescheinigung über den Schulbesuch der Kl. vorausgegangen. Nachdem der Bekl. trotz Erhalt dieser Mitteilungen seit August 1991 keinen Unterhalt an die als Schülerin weiterhin unterhaltsbedürftige und auf seine Zahlungen angewiesene Kl. geleistet hatte, stellte sich die gerichtliche Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs nach Ablauf von rd. sieben Monaten nicht als Fehlverhalten der Kl. i.S. von § 1611 I BGB dar.

Schließlich ist auch der Auffassung der Revision zu der nicht ausreichenden Kontaktbereitschaft der Kl. als Grund für eine Herabsetzung oder einen Ausschluss des Unterhaltanspruchs - zumal die Kl. von dem Bekl. „etwas wolle" - unter den gegebenen Umständen nicht zu folgen.

Sowohl in der Rechtsprechung, insb. der OLGe, als auch im Schrifttum werden unterschiedliche Ansichten dazu vertreten, ob und unter welchen Voraussetzungen die mangelnde Bereitschaft eines volljährigen Kindes zum persönlichen Kontakt mit dem auf Unterhalt in Anspruch genommenen Elternteil als schwere Verfehlung i.S. von § 1611 I BGB anzusehen sein kann (vgl. etwa OLG Frankfurt a.M. (1. Familiensenat), FamRZ 1990, 789; OLG Frankfurt a.M. (2. Familiensenat in Kassel), FamRZ 1991, 1477; OLG Bamberg (7. Zivilsenat), FamRZ 1991, 1476; 1992, 717; OLG München, FamRZ 1992, 595; sowie Ewers, FamRZ 1992, 719; Schütz, FamRZ 1992, 1338 und Breiholdt, NJW 1993, 305, sämtlich zu OLG Bamberg, FamRZ 1992, 717; Köhler, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 1611 Rdnr. 6a; Griesche, in: FamGb, § 1611 Rdnr. 8). Dabei gehen insb. das OLG München und der 2. Familiensenat des OLG Frankfurt a.M. in Kassel ebenso wie Griesche davon aus, dass eine Minderung des Unterhaltsanspruchs aus solchem Grund nur in seltenen Ausnahmefällen, bei Hinzutreten weiterer gravierender Umstände - wie sie das OLG Bamberg in dem von ihm in FamRZ 1992, 717 entschiedenen Fall wohl als gegeben angenommen hat - in Erwägung zu ziehen sein wird. Zur Begründung dieser Auffassung wird u.a. darauf hingewiesen, dass es einem Kind i. d. R. nicht als schwerer Schuldvorwurf angelastet werden könne, wenn es „während seiner Minderjährigkeit durch die Trennungsgeschichte seiner Eltern und unter dem Einfluss des sorgeberechtigten Elternteils in eine Konfrontationshaltung zu dem unterhaltsverpflichteten Elternteil hineinwächst und diese Haltung auch über die Volljährigkeit hinaus beibehält“ (OLG Frankfurt a.M. (2. Familiensenat in Kassel), FamRZ 1991, 1477; vgl. auch Ewers, FamRZ 1992, 719), zumal solche Beziehungsstörungen „durch die Reife und Verselbständigung des Kindes nicht ohne weiteres behoben werden“ (OLG München, FamRZ 1992, 595 (597); diesem Sinn auch Deisenhofer, in: Heiß, UnterhaltsR, 12.61). Demgegenüber betonen vor allem das OLG Bamberg(FamRZ 1991, 1476; 1992, 717) und der 1. Zivilsenat des OLG Frankfurt a.M. (FamRZ 1990, 789), dass ein erwachsenes, Unterhalt forderndes Kind grundsätzlich als einsichtsfähig zu gelten habe und für sein Verhalten im Rahmen von § 1611 I BGB verantwortlich zu machen sei. Diese Überlegung kann es indessen nicht rechtfertigen, den gesetzlich normierten Maßstab einer vorsätzlichen schweren Verfehlung des Unterhaltsberechtigten zu verlassen und schon die Ablehnung jeder persönlichen Kontaktaufnahme zu dem unterhaltsverpflichteten Elternteil allein oder auch in Verbindung mit unhöflichen und unangemessenen Äußerungen diesem gegenüber als Grund für eine Herabsetzung oder den Ausschluss des Unterhalts nach § 1611 I BGB zu bewerten (vgl. dazu Senat, NJW-RR 1991, 194 = FamRZ 1991, 322 (323)). Noch weniger kann ein Fehlverhalten im Sinne dieser Vorschrift darin gesehen werden, dass das unterhaltsberechtigte Kind, wie es hier seit dem 14. Lebensjahr der Kl. offensichtlich der Fall war, die Beziehungen zu dem unterhaltsverpflichteten Elternteil über Jahre hinweg einschlafen lässt.

Die Annahme einer vorsätzlichen schweren Verfehlung des Unterhalt begehrenden Kindes setzt im übrigen grundsätzlich eine umfassende Abwägung aller maßgeblichen Umstände voraus, die auch das eigene Verhalten des unterhaltsverpflichteten Elternteils -und zwar sowohl gegenüber dem Kind als auch ggf. gegenüber dem geschiedenen Elternteil, der das Kind jahrelang versorgt und betreut und bei dem dieses seit seiner Minderjährigkeit gelebt hat - angemessen zu berücksichtigen hat (vgl. Senat, NJW-RR 1991, 194 = FamRZ 1991, 322 (323)). Auch unter diesem Gesichtspunkt hat das OLG die Voraussetzungen des § 1611 I BGB für den vorliegenden Fall rechtsfehlerfrei verneint. Der Bekl. hat nämlich, worauf das BerGer. im Rahmen der von ihm vorgenommenen Abwägung nach § 1611 I BGB zutreffend abgehoben hat, der Kl. nicht einmal zu ihrem 18. Geburtstag gratuliert, und er hat von sich aus keine Anteilnahme an ihren Ausbildungs- und Zukunftsplänen gezeigt. Darüber hinaus ist er, wie die Kl. unbestritten vorgetragen hat, aus Anlass des Termins vor dem FamG vom 24. 7. 1992 vor der Verhandlung „mit wüsten Beschimpfungen über die Mutter der Kl. hergezogen“, hat dieses Verhalten trotz Zuredens seines Prozessbevollmächtigten fortgesetzt und auch der Kl. selbst Vorhaltungen wegen ihrer guten Beziehungen zu ihrer Mutter gemacht. Die Kl., die sich damals - nach ihrem Vortrag - vorgestellt hatte, das Zusammentreffen mit dem Bekl. könne zu einem Versöhnungsgespräch führen, sah sich durch dieses Verhalten des Vaters in ihrer Hoffnung schwer enttäuscht. Wenn die Revision in diesem Zusammenhang die Auffassung vertritt, da die Kl. von dem Bekl. etwas wolle, liege es zumindest seit Eintritt der Volljährigkeit an ihr, die Initiative zu ergreifen, so kann dieser Ansicht unter den dargelegten Umständen nicht gefolgt werden.

II. Das BerGer. hat der Kl. den auf den Bekl. entfallenden Unterhalt(santeil) ungeschmälert zugesprochen und ihren Eigenverdienst nicht auf den Anspruch angerechnet.

1. Dazu hat es ausgeführt: In der Zeit zwischen Erlangung des Abiturs im Mai 1992 und der Aufnahme des Studiums im Herbst 1992 habe die Kl. ihren Unterhaltsbedarf schon deshalb nicht durch eigene Erwerbstätigkeit decken können und müssen, weil sie noch im Juli 1992 und darüber hinaus an den erheblichen Verletzungen aus dem am 14. 5. 1992 erlittenen Verkehrsunfall zu tragen gehabt habe. Ihr Unterhaltsanspruch werde auch nicht dadurch gemindert, dass sie in der Zeit von November bis jedenfalls Anfang Oktober 1993 ein - in der Zeit bis Anfang Juli 1993 erzieltes - Erwerbseinkommen von rd. 3950 DM, im Monatsdurchschnitt also von etwa 350 DM, gehabt habe, welches allerdings ohnehin nur anteilig, in Höhe von monatlich 245 DM, auf den von dem Bekl. zu deckenden Unterhaltsbedarf angerechnet werden könnte. Wie in Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend angenommen werde, sei ein eigener Verdienst eines Studenten im allgemeinen nur insoweit auf den Barunterhalt anzurechnen, als es der Billigkeit entspreche. Soweit der Fortgang des Studiums nicht leide, also vielfach während der ersten Semester, werde danach ein maßvolles Nebeneinkommen des Studenten nicht auf seinen Unterhaltsanspruch anzurechnen sein. Wegen des geringen Umfangs der Tätigkeit, die ihm gestattet sei, werde meist nicht zu befürchten sein, dass deshalb die Dauer des Studiums verlängert werden müsse. Die Eltern erlitten mithin durch eine solche maßvolle Nebentätigkeit keinen Nachteil, weil nicht die Gefahr bestehe, dass sie länger Unterhalt zahlen müssten. Für den Studenten hingegen könne der Nebenverdienst erhebliche Bedeutung haben, es ihm nämlich ermöglichen, einen niedrigen Lebensstandard, wie er durch einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 950 DM vorgegeben sei, durch zusätzliche eigene Anstrengungen zu erhöhen. Wäre ein solcher bescheidener Nebenverdienst auf den Unterhaltsanspruch anzurechnen, dann hätten die Eltern ungerechtfertigterweise den Vorteil des zusätzlichen Arbeitseinsatzes ihres Kindes, und dem Studenten wäre jede Möglichkeit genommen, durch vermehrten eigenen Einsatz seinen bescheidenen Lebensstandard etwas zu erhöhen. Der Unterhaltssatz für Studenten von monatlich 950 DM liege nur um 10 DM über dem Höchstsatz der Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und um 350 DM unter dem Betrag, der nach der Düsseldorfer Tabelle einem erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen auch gegenüber dem Unterhaltsanspruch seiner minderjährigen Kinder auf jeden Fall verbleiben müsse. Auch wenn Studenten in mancher Hinsicht finanziell günstiger gestellt seien, könnten sie doch mit monatlich 950 DM auf Dauer nicht über einen - im Vergleich zur übrigen Bevölkerung - sehr bescheidenen Lebenszuschnitt hinausgelangen, zumal die Zimmerpreise an Studienorten oft sehr hoch seien und in dem Unterhaltsbetrag auch Aufwendungen für Bücher, Anschaffung von Kleidung, Heimfahrten zur Familie und Urlaubsreisen enthalten sein sollten. Tatsächlich stehe einem nicht geringen Teil der Studierenden bei guten finanziellen Verhältnissen der Eltern ein gem. § 1610 I BGB an deren Lebensstellung ausgerichteter höherer Unterhaltsanspruch zu. Von daher erscheine es recht und billig, einem Studenten, der wegen des nur durchschnittlichen Einkommens seiner Eltern keinen 950 DM übersteigenden Unterhaltsanspruch habe, durch Nichtanrechnung eines geringen Verdienstes auf den Unterhaltsanspruch die Möglichkeit zu lassen, seinen sehr schlichten Lebenszuschnitt deutlich zu verbessern, soweit dies ohne Beeinträchtigung des Studiums möglich sei. Ein Zusatzverdienst, der im Monatsdurchschnitt bei 350 DM liege, erscheine noch nicht übermäßig. Denn der Student habe dann unter Berücksichtigung gewisser Vergünstigungen nur wenig mehr zur Verfügung als den Betrag, der nach überwiegender Auffassung jedem arbeitenden Menschen auch gegenüber Unterhaltsansprüchen seiner minderjährigen Kinder als Existenzminimum verbleiben müsse.

Im vorliegenden Fall komme hinzu, dass die Kl. ihre Erwerbstätigkeit im November 1992 offenbar vor allem deshalb aufgenommen habe, weil der Bekl. zunächst längere Zeit keinen Unterhalt gezahlt habe. Erst Ende Dezember 1992 habe die Kl. durch Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des FamG einen Betrag von 8000 DM auf die Unterhaltsrückstände erhalten. Sie habe ihre Tätigkeit dann weitergeführt, weil ihr Kosten für die Einrichtung ihrer im März 1993 bezogenen Wohnung und für eine Urlaubsreise entstanden seien, die sie bei sonst „normalem“ Ausgabeverhalten aus dem laufenden Unterhalt von monatlich 950 DM nicht hätte aufbringen können. Insgesamt erscheine es daher gerechtfertigt, der Kl. die insoweit erforderlichen, von ihr selbst verdienten Mittel ohne Anrechnung auf ihren Unterhaltsanspruch zu belassen.

2. Diese Beurteilung hält i. E. den Angriffen der Revision stand.

a) Allerdings weist die Revision zu Recht darauf hin, dass die überwiegend allgemein gehaltenen Überlegungen des BerGer. nicht geeignet sind, den konkreten Einzelfall zu entscheiden und dass sie die gebotene Einzelfallbetrachtung nicht zu ersetzen vermögen. Das BerGer. ist jedoch in der Zusatzbegründung des angefochtenen Urteils auch auf die Besonderheiten des vorliegenden konkreten Falles eingegangen und hat diese als Umstände gewertet, die - zusätzlich und unterstützend zu den als allgemein gültig behandelten Erwägungen - geeignet seien, die getroffene Entscheidung zu rechtfertigen. Jedenfalls die auf diese Zusatzbegründung gestützte Billigkeitsabwägung des OLG trägt die angefochtene Entscheidung.

b) Nach allgemeiner - zutreffender - Auffassung trifft einen Studenten neben dem Studium i. d. R. keine Erwerbsobliegenheit. Denn er soll sich, auch im Interesse des Unterhaltspflichtigen, mit ganzer Kraft sowie dem gehörigen Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit dem Studium widmen, um dieses innerhalb angemessener und üblicher Dauer zu beenden. Das gilt auch für die Zeit der Semesterferien, die neben der notwendigen Erholung der Wiederholung und Vertiefung des Stoffes dient, soweit sie nicht ohnehin durch studienbedingte Arbeiten (Hausarbeiten) ausgefüllt ist (vgl. Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 5. Aufl., Rdnrn. 474, 475; Strohal, in: Göppinger/Wax, UnterhaltsR, 6. Aufl., Rdnrn. 695, 291; Schwab/Borth, Hdb. d. ScheidungsR, 2. Aufl., V Rdnr. 65; Griesche, in: FamGb, § 1602 Rdnr. 3; Köhler, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 1602 Rdnr. 11d; Soergel/Häberle, BGB, 12. Aufl., § 1602 Rdnr. 6; auch Senat, NJW 1987, 1557 = LM § 1610 BGB Nr. 14 = BGHRBGBB § 1610 Abs. 2 Studium 1). Übt ein Student gleichwohl eine (Neben-) Erwerbstätigkeit aus, so stellt die Vergütung, die er hierfür erhält, grundsätzlich Einkommen aus überobligationsmäßiger Tätigkeit dar (vgl. Deisenhofer, in: Heiß, UnterhaltsR, 12.54; Griesche, in: FamGb, § 1602 Rdnr. 4). Die Anrechnung solcher Einkünfte aus unzumutbarer Tätigkeit bestimmt sich auch im Verwandtenunterhaltsrecht nach dem - hier entsprechend heranzuziehenden - Rechtsgedanken des § 1577 II BGB (vgl. Kalthoener/Büttner, Rdnr. 480; OLG Köln, FamRZ 1991, 856; grundlegend zu § 1577 II Senat, NJW 1983, 933 = LM § 1361 BGB Nr. 35 = FamRZ 1983, 146ff.; anders hingegen, nämlich gestützt auf allgemeine Billigkeitsabwägungen, etwa OLG Koblenz, FamRZ 1989, 1219). Danach bleiben Einkünfte anrechnungsfrei, soweit der Unterhaltsverpflichtete nicht den vollen Unterhalt leistet, § 1577 II 1 BGB. Darüber hinaus kommt eine Anrechnung insoweit in Betracht, als dies unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Billigkeit entspricht, § 1577 II 2 BGB.

c) Das BerGer. hat zwar den Maßstab des § 1577 II BGB bei seinen Ausführungen nicht ausdrücklich herangezogen. Die von ihm nach allgemeinen Billigkeitsgesichtspunkten tatrichterlich getroffene Entscheidung - die als solche nur in eingeschränktem Umfang revisionsrechtlicher Überprüfung unterliegt (vgl. Senat, BGHZ 109, 72 (88) = NJW 1990, 1172 = LM § 1581 BGB Nr. 7) - hält aber auch im Hinblick auf die Kriterien des § 1577 II BGB den Angriffen der Revision stand. Die Kl. nahm die Nebenerwerbstätigkeit Mitte November 1992 auf, nachdem ihr der Bekl. seit August 1991 keinen Unterhalt mehr gezahlt hatte. Sie war damit seit der letzten Unterhaltszahlung des Bekl. über ein Jahr lang auf Unterstützung Dritter angewiesen gewesen und hatte darüber hinaus seit der Aufnahme des Studiums und dem Auszug aus der Wohnung der Mutter einen gegenüber der Schul- und Nachschulzeit erhöhten Unterhaltsbedarf. Als sie unter diesen Umständen begann, eigene Erwerbseinkünfte zu erzielen, waren ihr diese - mangels Unterhaltsleistung des Bekl. - sowohl nach dem Rechtsgedanken des § 1577 II 1 BGB als auch unter allgemeinen Billigkeitsgesichtspunkten nicht auf den von dem Bekl. geschuldeten, nachträglich beigetriebenen Unterhalt anzurechnen.

Die Revision hält dem entgegen: Bei Aufnahme der Erwerbstätigkeit der Kl. habe das Urteil des FamG vom 18. 8. 1992 längst vorgelegen. Auch sei unter dem 9. 9. 1992 eine vollstreckbare Ausfertigung erteilt worden. Anschließend habe die Kl. die Zwangsvollstreckung betrieben. Sie habe nichts dazu vorgetragen, dass zu erwarten gewesen wäre, die Zwangsvollstreckung werde keinen Erfolg haben. Bei dieser Sachlage erscheine es bedenklich, das Motiv für die Aufnahme der Erwerbstätigkeit in der Nichtzahlung von Unterhalt durch den Bekl. zu sehen.

Mit dieser Rüge kann die Revision keinen Erfolg haben. Die Entscheidung des BerGer. findet im Gegenteil eine zusätzliche Rechtfertigung in dem Umstand, dass der Bekl. trotz Verkündung des erstinstanzlichen Urteils am 18. 8. 1992, welches ihn neben den Rückständen zu laufenden Unterhaltszahlungen von monatlich 615 DM verpflichtete, weiterhin keine Zahlungen an die Kl. leistete, sondern sie auf den Weg der Zwangsvollstreckung verwies und deren Durchführung sogar noch erschwerte. Wann und in welchem Umfang die Zwangsvollstreckung zu einem Erfolg führen würde, war für die Kl. nicht vorhersehbar. Allein die Aussicht auf die mögliche Beitreibung von Unterhaltsrückständen konnte ihren laufenden Unterhaltsbedarf nicht befriedigen. Tatsächlich erhielt die Kl. erstmals Ende Dezember 1992 aus der Zwangsvollstreckung einen Betrag von 8000 DM ausgezahlt, als sich die bis dahin aufgelaufenen Rückstände - auf der Grundlage der Entscheidung des FamG - bereits auf 9190 DM beliefen.

Angesichts des erheblichen Nachholbedarfs, den die Kl. im Jahre 1992 hatte, begegnet es keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass ihr das BerGer. trotz des ersten Erfolges der Zwangsvollstreckung die Einkünfte aus ihrer Nebenerwerbsbeschäftigung anrechnungsfrei zur Tilgung der Kosten für die Einrichtung ihrer Wohnung - nach ihrem unbestrittenen Vortrag für eine Küche, einen Kleiderschrank und ein Bett - sowie für die Kosten einer Urlaubsreise beließ. Zu letzterem macht die Revision geltend, Aufwendungen für eine Urlaubsreise gehörten nicht zum anerkennenswerten Bedarf eines Studenten; denn auch ein arbeitender Mensch, dem nur der Selbstbehalt nach der Düsseldorfer Tabelle verbleibe, könne sich mit Sicherheit keine Urlaubsreise leisten. Abgesehen davon, dass dieser Behauptung in ihrer Allgemeinheit so nicht beigetreten werden kann, weil dies entscheidend von den jeweiligen Kosten einer Urlaubsreise abhängt, hat die Billigkeitsentscheidung des BerGer. aus anderen Gründen auch in diesem Punkt Bestand. Die Kl. hatte nämlich wegen der Einstellung der Unterhaltszahlungen durch den Bekl. seit August 1991 keine Möglichkeit, etwa laufend geringe Beträge von ihrem Unterhalt für eine Urlaubsreise anzusparen.

Unabhängig hiervon ist im übrigen darauf hinzuweisen, dass der Bekl. erst im Mai 1993 die bis dahin (nach der Berechnung des FamG) entstandenen Unterhaltsrückstände tilgte und erst in diesem Monat die laufenden Zahlungen wieder aufnahm. Nach dem Rechtsgedanken des § 1577 II 1, 2 BGB unterliegen daher ohnehin nur die Erwerbseinkünfte der Kl. aus den Monaten Mai bis (Anfang) Juli 1993 der Billigkeitsprüfung (vgl. insoweit zu der grundsätzlich gebotenen weiten Auslegung des § 1577 II BGB Senat, NJW 1983, 933 = LM § 1361 BGB Nr. 35 = FamRZ 1983, 146ff. (149)). Angesichts der verhältnismäßig geringen Höhe dieser Einkünfte ist die Entscheidung des BerGer. zur Anrechnungsfreiheit der Beträge aus den dargelegten Gründen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Dabei bedarf es entgegen der Auffassung des BerGer. keiner grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der Frage, ob sich - im Rahmen von § 1577 II 2 BGB - allgemeine Kriterien darüber aufstellen lassen, unter welchen Umständen und bis zu welcher Höhe einem Studenten, der regelmäßig Unterhalt von monatlich 950 DM erhält, Einkommen aus einer neben dem Studium ausgeübten Erwerbstätigkeit anrechnungsfrei zu belassen ist. Soweit das BerGer. hier generell einen Zusatzverdienst bis zur Höhe von monatlich 1300 DM - angelehnt an das „Existenzminimum“, das jedem arbeitenden Menschen auch gegenüber Unterhaltsansprüchen seiner minderjährigen Kinder verbleiben müsse - für nicht anrechenbar hält, bestehen dagegen allerdings Bedenken.

III. Zur Höhe des Unterhaltsanspruchs der Kl. hat das FamG einen Bedarf von 950 DM abzgl. 70 DM Kindergeld angesetzt, von dem der Bekl. nach den Einkommensverhältnissen der Eltern einen Anteil von (rd.) 615 DM monatlich zu zahlen habe. Eine Ermäßigung dieses Betrages kommt aus Rechtsgründen nicht in Betracht und wird auch von der Revision nicht geltend gemacht.

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Unterhaltsrecht