Einsetzbares Einkommen beim Elternunterhalt

Gericht

OLG Celle


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

25. 05. 2001


Aktenzeichen

15 UF 2/01


Leitsatz des Gerichts

Der gem. § 91 BSHG vom Träger der Sozialhilfe auf Elternunterhalt in Anspruch genommene Unterhaltspflichtige kann sich regelmäßig nur dann auf eine Anwendung der Empfehlungen des Deutschen Vereins für die Heranziehung Unterhaltspflichtiger in der Sozialhilfe - und damit eine Beschränkung des Rückgriffs auf 50% seines über den Selbstbehalt hinausgehenden, für den Elternunterhalt verfügbaren Einkommens - berufen, wenn sich durch Anwendung dieser Empfehlungen eine zur Selbstbindung verfestigte allgemeine Verwaltungspraxis herausgebildet hat.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. erbringt für die im Pflegeheim versorgte Mutter des Bekl. laufende Sozialhilfe und nimmt diesen aus übergegangenem Recht für die Zeit von Mai 1998 bis April 2000 auf einen Unterhaltsrückstand von 40255 DM sowie für die Zeit ab Mai 2000 auf laufenden Unterhalt von bis zu 1439 DM monatlich in Anspruch.

Das AG - FamG - hat einen Rückstand von 14513 DM und einen laufenden Unterhalt von 135 DM monatlich für die Zeit ab November 2001 zugesprochen. Die Berufung der Kl. hatte überwiegend Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Kl. hat als Trägerin der Sozialhilfe gem. § 91 BSHG in der unter II. im Einzelnen hergeleiteten Höhe gegen den Bekl. Anspruch auf Erstattung der seiner Mutter gem. §§ 27 , 68 BSHG erbrachten Sozialhilfeleistungen, deren Erbringung die Kl. dem Bekl. mit Schreiben vom 24. 4. 1998 angezeigt hat.

I. 1. Hinsichtlich der Ermittlung des Unterhaltsanspruchs gem. §§ 1601 ff. BGB vertritt der Senat anders als das AG die Auffassung, dass vorliegend der Barunterhalt für die drei Kinder des Bekl. (G, geb. 12. 3. 1983; B, geb. 17. 6. 1984 und J, geb. 25. 3. 1990) nicht in voller Höhe, sondern lediglich anteilig gem. § 1606 III 1 BGB von seinem Einkommen vorweg in Abzug zu bringen ist.

Unter den gegebenen Umständen erscheint es nicht glaubhaft, dass der Bekl. tatsächlich auf Grund einer mit seiner Ehefrau getroffenen Vereinbarung (§§ 1356 I 1, 1360 , 1360a BGB) den gesamten Barunterhalt leistet, während seine Ehefrau ihre Verpflichtung zur Beteiligung am Familien- und damit auch am Kindesunterhalt allein durch Kindesbetreuung erfüllt. Vorliegend handelt es sich ersichtlich um eine so genannte Doppelverdienerehe, in der sich beide Ehegatten gemeinsam um die Kinder zu kümmern haben und sich der jeweilige finanzielle Beitrag zum Familienunterhalt nach dem Einkommen der Ehepartner bestimmt (vgl. Palandt/Brudermüller, BGB, 59. Aufl., § 1360 Rdnr. 10). Das gilt auch für die Zeit bis Juli 2000, in der die Ehefrau des Bekl. als Studienrätin eine Unterrichtsverpflichtung von 22 Wochenstunden hatte - gegenüber der einer dienstrechtlichen Vollbeschäftigung entsprechenden Stundenzahl von 24,5 Wochenstunden, die von ihr ab August 2000 erbracht werden. Die um 2,5 Wochenstunden geringere Unterrichtsverpflichtung bedeutet in diesem Zusammenhang nur eine unerheblich geringere Arbeitsbelastung, zumal üblicherweise zusätzliche Leistungen wie Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, Korrektur von Hausaufgaben und Klassenarbeiten, Teilnahme an Lehrerkonferenzen und Elternversammlungen sowie Mitwirkung an anderen neben dem Unterricht stattfindenden schulischen Aktivitäten zu erbringen waren. Dass die Ehefrau des Bekl. trotz dieser Gesamtbelastung den Bekl. in vollem Umfang von der Haushaltsführung und der Betreuung der Kinder - die im Übrigen im gegenständlichen Unterhaltszeitraum in erheblichem Umfang nur noch für J in Frage kommen dürfte - freistellt, widerspricht der allgemeinen Lebenserfahrung. Gleiches gilt für die Behauptung, der Bekl. komme trotz des durchaus überdurchschnittlichen Erwerbseinkommens seiner Ehefrau für den gesamten Barunterhalt der Kinder allein auf.

Somit kann dahinstehen, ob die vom Bekl. behauptete Lastenverteilung - die ersichtlich dazu bestimmt wäre, sein für den Elternunterhalt verfügbares Einkommen zu verringern - im unterhaltsrechtlichen Verhältnis des Bekl. gegenüber seiner Mutter einen treuwidrigen Verstoß gegen die Verpflichtung zur unterhaltsrechtlichen Solidarität (§ 242 BGB) darstellen würde - was zur Folge hätte, dass sie der Mutter und mithin der Kl. als deren (partieller) Rechtsnachfolgerin nicht entgegengehalten werden könnte.

2. Der Senat vermag dem AG auch nicht zu folgen, soweit es nur wegen der Hälfte des über dem Selbstbehalt liegenden bereinigten Einkommens des Bekl. einen Anspruchsübergang gem. § 91 BSHG angenommen hat.

Der Anspruchsübergang unterbleibt nach § 91 II BSHG nur, soweit der Unterhaltspflichtige bei eigenem Nachsuchen um Sozialhilfe wegen der ihm eingeräumten Frei- bzw. Schonbeträge kein eigenes Einkommen und Vermögen einzusetzen hätte (Abs. 2 S. 1) oder ein Übergang eine unbillige Härte bedeuten würde (Abs. 2 S. 2). Nach diesem sozialrechtlichen Schuldnerschutz, der anderen Kriterien folgt als der allein auf die bürgerlich-rechtlich definierte Leistungsfähigkeit abstellende unterhaltsrechtliche Schuldnerschutz (vgl. BGH, NJW 1999, 2365 = FamRZ 1999, 843 [846]), kommt es hier darauf an, inwieweit der Übergang des gem. §§ 1601 ff. BGB ermittelten Unterhaltsanspruchs der Mutter des Bekl. auf die Kl. - das heißt mithin: deren Rückgriff gegen den Bekl. - nach der Zielsetzung der Sozialhilfe ausnahmsweise ausgeschlossen ist. Dabei ist nicht im Streit, dass - wie die von der Kl. angestellte, nicht angegriffene Vergleichsberechnung gem. §§ 27 , 79 , 81 BSHG ergeben hat - die Regelung des § 91 II 1 BSHG dem Anspruchsübergang in der geltend gemachten Höhe nicht entgegensteht. Somit kommt eine Beschränkung des Anspruchsübergangs nur in Betracht, wenn und soweit (vgl. Schmitt/Hillermeier, BSHG, § 91 Rdnr. 8e) die Inanspruchnahme des Bekl. unter Berücksichtigung der allgemein herrschenden Anschauungen (vgl. Schmitt/Hillermeier, § 91 Rdnr. 8e) eine unbillige Härte i.S. des § 91 II 2 BSHG bedeutet. Das ist nicht der Fall.

Dass nach Rdnr. 121 der Empfehlungen des Deutschen Vereins für die Heranziehung Unterhaltspflichtiger in der Sozialhilfe (FuR 2000, 305 [323]) beim Elternunterhalt in der Regel nur 50% des über den Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen hinausgehenden Einkommens in Anspruch zu nehmen sind, könnte die hier vorzunehmende Billigkeitsabwägung nur dann maßgeblich mitbestimmen, wenn sich durch entsprechende Anwendung der Empfehlungen eine zur Selbstbindung verfestigte allgemeine Praxis der Verwaltung (vgl. dazu VGH München, FamRZ 1999, 1027) herausgebildet hätte. Eine solche Praxis ist vorliegend weder vom Bekl. vorgetragen noch sonst ersichtlich. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Runderlasses des Niedersächsischen Ministeriums für Frauen, Arbeit und Soziales vom 22. 6. 1999 (NdsMBl, S. 417), nach dem in der Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers (also des Landes Niedersachsen, § 2 NdsAGBSHG) nach den o.g. Empfehlungen verfahren werden soll; denn vorliegend handelt die Kl., eine kreisfreie Stadt, als örtlicher Träger der Sozialhilfe (§ 96 I 1 BSHG, § 10 III NdsGO i.V. mit §§ 99 , 100 BSHG, § 3 NdsAGBSHG) im eigenen Wirkungskreis (§ 1 NdsAGBSHG, § 4 NdsGO) und entscheidet insoweit eigenständig über die Verwendung ihrer Haushaltsmittel. Im Übrigen kann nach Rdnr. 122 der o.g. Empfehlungen von der 50%-Regel abgewichen werden, wodurch deklaratorisch zum Ausdruck kommt, dass es selbst bei Zugrundelegung dieser Empfehlungen letztlich auf den Einzelfall ankommt. Gleiches hat hinsichtlich Nr. I.4 der Empfehlungen des 13. Deutschen Familiengerichtstages an Rechtsberatung und Rechtsprechung (NJW 2000, 1464) zu gelten.

Als ausschlaggebendes Kriterium bei der Anwendung der Härteklausel des § 91 II 2 BSHG erscheint dem Senat die dem Grundsatz der Subsidiarität der Sozialhilfe (§ 2 BSHG, wo ausdrücklich Hilfe von Angehörigen als vorrangig eingestuft ist) Rechnung tragende Erwägung, dass es Aufgabe der Sozialkassen ist, (nur) tatsächlich Bedürftigen die zur Abwendung von Not erforderliche Unterstützung zukommen zu lassen, und dass daraus die Notwendigkeit folgt, den Einsatz öffentlicher Mittel diesem Zweck vorzubehalten und eine gegenüber der Allgemeinheit nicht zu rechtfertigende Entlastung des Unterhaltspflichtigen zu vermeiden. Dem allgemeinen Umstand, dass es nach dem geltenden Prinzip der gesetzlichen Rentenversicherung den im aktiven Berufsleben stehenden Kindern obliegt, durch ihre Sozialversicherungsabgaben die Elterngeneration im Alter angemessen zu versorgen, wird bereits durch einen Aufschlag auf den gegenüber volljährigen, nicht gem. § 1603 II 2 BGB privilegierten Kindern einzuhaltenden angemessenen bzw. großen Selbstbehalt Rechnung getragen (vgl. BGH, NJW 1992, 1393 = FamRZ 1992, 795 [797]). Deshalb erscheint eine „Schonung“ des über diesen erhöhten Selbstbehalt hinausgehenden, für Unterhaltsleistungen grundsätzlich verfügbaren Einkommens im Rahmen der Härteklausel des § 91 II 2 BSHG nur gerechtfertigt, soweit dies im Einzelfall zur Gewährleistung des den konkreten Umständen nach angemessenen Lebensunterhalts des Unterhaltspflichtigen ausnahmsweise erforderlich ist oder aus sonstigen, besonderen Gründen - insbesondere wenn die Heranziehung des Unterhaltspflichtigen nach seinen persönlichen Verhältnissen eine Überspannung der ihm abzuverlangenden sozialen Verantwortung bedeuten würde - angezeigt erscheint. Andernfalls wäre eine mit dem Zweck des § 91 BSHG nicht zu vereinbarende Aushöhlung der Unterhaltsverpflichtung durch Verlagerung der Unterhaltslast auf die Allgemeinheit zu besorgen.

Vorliegend hat der Bekl. nicht dargetan, dass seine Inanspruchnahme durch den Sozialhilfeträger in Höhe des vollen, nach bürgerlichem Recht geschuldeten Elternunterhalts eine unbillige Härte für ihn darstellen würde. Soweit er sich auf das Urteil des OLG Köln vom 28. 1. 1999 - 10 UF 192/98 - beruft, folgt daraus für eine generelle Schonung einer Hälfte des über den Selbstbehalt hinausgehenden Einkommens nichts. Zwar wird in jener Entscheidung auch der Gesichtspunkt der Erhaltung des Arbeitsanreizes für den Unterhaltspflichtigen angeführt, aber ausdrücklich mit Rücksicht auf die „Umstände des (dortigen) Streitfalles“, in dem der Unterhaltspflichtige mit seinem Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war. Hier übt der Bekl. eine qualifizierte, nichtselbstständige Erwerbstätigkeit in ersichtlich gesicherter Position aus, so dass eine Schonung nach ihrem Sinn und Zweck - nämlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen zumindest im Hinblick auf seinen eigenen Unterhaltsbedarf und damit im Interesse der Sozialkassen zu erhalten und zu stabilisieren - nicht in Betracht kommt.

Mithin erfasst vorliegend der Anspruchsübergang das gesamte über den Selbstbehalt hinausgehende, für Unterhaltsleistungen zur Verfügung stehende Einkommen des Bekl. Bei der Feststellung dieses verfügbaren Einkommens ist allerdings dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Bekl. sich bei seinen Vermögensdispositionen - anders als hinsichtlich der Erziehung und Ausbildung seiner Kinder - nicht von vornherein auf eine spätere Pflegebedürftigkeit seiner Mutter einstellen musste, weshalb es gerechtfertigt sein kann, geltend gemachte Belastungen in großzügiger Weise zu berücksichtigen als im sonstigen Unterhaltsrecht (insoweit zutreffend Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rspr. zur Höhe des Unterhalts, 7. Aufl., Rdnr. 48).

II. Im Einzelnen ergibt sich folgende Unterhaltsberechnung:

1. Mai 1998 bis Dezember 1998

Der Bekl. hat nach der die aufgelaufenen Jahreswerte ausweisenden Verdienstabrechnung für Dezember 1998 unter hier angemessener Berücksichtigung der Beiträge zur Direktversicherung bei Veranlagung in Steuerklasse III ein durchschnittliches Erwerbseinkommen von rund 6371 DM netto monatlich erzielt. Nach Abzug einer Pauschale von 5% für berufsbedingte Aufwendungen verbleiben 6052 DM. Hinzu kommen anteilige Mieteinnahmen von 145 DM und eine sich aus dem Steuerbescheid vom 26. 8. 1998 ergebende anteilige Steuererstattung von 226 DM, so dass sich ein Einkommen von 6423 DM ergibt. Dass ihm durch (neben seiner Ehefrau) zu tragende Hauslasten (anteilige) Wohnkosten entstehen, die den im Selbstbehalt berücksichtigten Betrag von 800 DM monatlich übersteigen, hat der Bekl. - auch im Hinblick auf die von der Kl. aufgestellte, nicht angegriffene Hausertragsberechnung - nicht dargetan.

Die Ehefrau des Bekl. hat bei Veranlagung in Steuerklasse V einschließlich Mieteinnahmen und anteiliger Steuererstattung unstreitig ein bereinigtes Einkommen von rund 3695 DM netto monatlich erzielt.

Für den Kindesunterhalt hatten somit der Bekl. (6423 - 1500 =) 4923 DM und seine Ehefrau (3695 - 1500 =) 2195 DM einzusetzen, insgesamt 7118 DM. Der Unterhaltsbedarf der Kinder ist mit (1005 x 2 + 850 =) 2860 DM unstreitig. Hiervon hatte der Bekl. somit gem. § 1606 III 1 BGB einen Anteil von rund 4923 : 7118 x 2860 =) 1978 DM zu tragen, so dass ihm ein Einkommen von (6423 - 1978 =) 4445 DM verblieb.

Gegenüber der Mutter des Bekl. war bis Juni 1998 unstreitig ein monatlicher Selbstbehalt von 2160 DM und ab Juli 1998 ein solcher von 2250 DM zu gewährleisten, so dass für den Elternunterhalt die geltend gemachten … (Beträge von monatlich 1440 DM bis 1920 DM) zur Verfügung standen. Insgesamt ergibt sich für Mai 1998 bis Dezember 1998 ein übergegangener Unterhaltsanspruch von 12770 DM.

Rechtsgebiete

Sozialrecht; Unterhaltsrecht