Auskunftsverlangen im Sozialhilferecht

Gericht

VG Hamburg


Art der Entscheidung

Beschluss


Datum

07. 02. 1997


Aktenzeichen

4 VG 4196/96


Leitsatz des Gerichts

Im Rahmen des § 116 BSHG ist wegen Art. 19 IV GG eine Überprüfung der bei der Erforderlichkeit des Auskunftsverlangens relevant werdenden unbilligen Härte nach § 91 II 2 Halbs. 1 BSHG durch das Verwaltungsgericht geboten, wenn auch nur in eingeschränkter Weise, nämlich in Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerwG dahingehend, ob eine unbillige Härte "offensichtlich" besteht.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Ast. ist der Adoptivvater des 1973 geborenen T, der seit 1991 Hilfe zum Lebensunterhalt von der Ag. erhält. Mit Bescheid vom 13. 11. 1995 zeigte die Ag. dem Ast. gegenüber den Übergang der Unterhaltsansprüche auf die Ag. an und forderte den Ast. auf, Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu geben. Hiergegen legte der Ast. Widerspruch ein, den die Ag. zurückwies. Zugleich ordnete die Ag. die sofortige Vollziehung gem. § 80 II Nr. 4 VwGO an, weil das öffentliche Interesse an den Auskünften das Interesse des Ast., seine Einkommensunterlagen erst nach bestandskräftiger Entscheidung vorzulegen, überwiege.

Den hiergegen gerichteten Eilantrag des Ast. lehnte das VG ab.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Ermächtigungsgrundlage für das Auskunftsverlangen ist § 116 BSHG. Nach dieser Vorschrift sind die Unterhaltspflichtigen und die Kostenersatzpflichtigen verpflichtet, dem Träger der Sozialhilfe über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben, soweit die Durchführung dieses Gesetzes (des Bundessozialhilfegesetzes) es erfordert.

Diese Vorschrift begründet eine eigenständige öffentlichrechtliche Pflicht zur Auskunftserteilung, der ein Auskunftsanspruch des Sozialhilfeträgers gegenübersteht. Sie ermächtigt den Sozialhilfeträger, die Auskunftspflicht durch Verwaltungsakt gegenüber dem Pflichtigen geltend zu machen. Es begegnet deshalb keinen Bedenken, dass die Ag. ihr Auskunftsverlangen durch Verwaltungsakt geregelt hat (vgl. BVerwGE 91, 375 (377)). Das gilt jedenfalls nach der - hier maßgeblichen - Rechtslage zur Zeit der letzten Behördenentscheidung (Widerspruchsbescheid v. 17. 6. 1996). Ob seit der Änderung des BSHG durch das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. 7. 1996 (BGBl I, 1088) etwas anderes gilt (dagegen spricht, dass die Auskunftspflicht in § 116 BSHG durch dieses Gesetz noch erweitert worden ist), bedarf hier keiner Entscheidung. Dieses Gesetz ist, soweit es § 91 BSHG geändert hat, nämlich am 1. 8. 1996 und damit nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt für die Sach- und Rechtslage in Kraft getreten.

In § 91 I 1 BSHG ist nunmehr bestimmt, dass der Unterhaltsanspruch des Hilfeempfängers "zusammen mit dem unterhaltsrechtlichen Auskunftsanspruch" auf den Träger der Sozialhilfe übergeht.

Mit dieser Gesetzesergänzung hat der Gesetzgeber das nachgeholt, was sachgerechterweise schon im Zusammenhang mit der Umgestaltung des § 91 BSHG durch das Gesetz zur Umsetzung des föderalen Konsolidierungsprogramms - FKPG - vom 23. 6. 1993 (BGBl I, 2374) hätte erfolgen müssen. Damals ist an die Stelle der durch Verwaltungsakt zu bewirkenden Überleitung von Unterhaltsansprüchen der - unanfechtbare - gesetzliche Übergang von Unterhaltsansprüchen getreten. Mangels Anfechtbarkeit des Überleitungsaktes ist seither die Zweigleisigkeit des Rechtsweges zu den VGen (Anfechtungsklage gegen die Überleitungsanzeige) und zu den ZGen (Leistungsklage auf Unterhalt) ausgeräumt. Auch die Überprüfung der in § 91 II BSHG aufgenommenen sozialhilferechtlichen Schutzvorschriften (z.B.: kein Anspruchsübergang bei unbilliger Härte) ist nach dem Gesetzgeberwillen seither allein in die Überprüfungskompetenz der ZGe gestellt (vgl. BT-Dr 12/4401 S. 82 zu Nr. 14 (§ 91))..

Die Verlagerung der Überprüfung der mit der Härte nach § 91 II 2 Halbs. 1 BSHG zusammenhängenden Fragen auf die Zivilgerichtsbarkeit kann nach Ansicht der Kammer indes nicht dazu führen, dass dem VG die Überprüfung von Härtefällen auch im Rahmen von Verfahren, in denen es - wie vorliegend - um ein Auskunftsverlangen nach § 116 BSHG geht, gänzlich versagt ist. Dies gilt jedenfalls, soweit die Geltendmachung einer unbilligen Härte nach § 91 II 2 Halbs. 1 BSHG die Erforderlichkeit des Auskunftsverlangens (sowohl als Tatbestandsmerkmal in § 116 I 1 BSHG als auch als Bestandteil des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes) berührt. Denn anderenfalls wäre Rechtsschutz entgegen Art. 19 IV GG insoweit nicht gegeben, zumal der Zivilgerichtsbarkeit die Überprüfung der nach § 116 BSHG verlangten Auskunft nach wie vor versagt ist. Dementsprechend dürfte auch die Ag. - wie auch schon vor der Umgestaltung des BSHG durch das FKPG - dazu verpflichtet gewesen sein, bei ihrem Auskunftsverlangen zu prüfen, ob nicht dessen Erforderlichkeit - etwa aus Härtegründen - entfällt. Der Prüfungsumfang ist nach Ansicht der Kammer jedoch eingeschränkt, was aus folgendem herzuleiten ist:

Das BVerwG hat im Zusammenhang mit dem Merkmal der Erforderlichkeit entschieden, dass das an einen möglicherweise Pflichtigen gerichtete Verlangen, Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen, nur dann rechtmäßig ist, wenn seine Inanspruchnahme aus der von dem Sozialhilfeträger beabsichtigten Überleitung nicht nach § 91 III 1 BSHG (in der vor dem FKPG geltenden Fassung) ausgeschlossen ist (BVerwGE 92, 330 (333)). Diese Entscheidung manifestiert den das Verwaltungsrecht prägenden Begriff der Erforderlichkeit staatlichen Handelns und gilt entsprechend auch für den vorliegenden Fall. Denn der Grundsatz der Erforderlichkeit staatlichen Handelns schließt es aus, dass ein Bürger zur Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse selbst dann verpflichtet sein soll, wenn der Anspruchsübergang aus Gründen ausscheidet, die - wie dies bei der (öffentlichrechtlichen) Härte i.S. des § 91 II 2 Halbs. 1 BSHG der Fall ist - völlig unabhängig von seiner zivilrechtlichen Unterhaltsverpflichtung, insbesondere von seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen sind, und die vom Sozialhilfeträger abschließend zu berücksichtigen sind. Dann nämlich ist das Auskunftsverlangen nicht erforderlich.

Die Ag. meint, die Auskunftspflicht bestehe unabhängig davon, ob eine Unterhaltsverpflichtung tatsächlich vorliege oder nicht; eine Ausnahme sei nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG nur dann gegeben, wenn offensichtlich ein Unterhaltsanspruch nicht bestehe. Das von der Ag. herangezogene Kriterium der Offensichtlichkeit betrifft indes das Bestehen eines zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs und wird im Rahmen des § 116 BSHG nur bei dem Tatbestandsmerkmal "Unterhaltspflichtigen" relevant, nicht aber bei der Erforderlichkeit (vgl. BVerwGE 91, 375 (377) = NJW 1993, 2762 = DÖV 1993, 767 = NZS 1993, 417 = FamRZ 1993, 1067 = NVwZ 1993, 1189 L).

Die Ansicht der Ag., die Auskunftspflicht bestehe unabhängig davon, ob eine Unterhaltsverpflichtung tatsächlich vorliege, verkennt, dass das BVerwG lediglich das Bestehen eines zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs für entbehrlich hält, sofern er nicht offensichtlich ausscheidet. Vorliegend indes kommt es alleine darauf an, inwieweit eine Auskunftspflicht besteht, wenn geltend gemacht wird, dass der Übergang des Unterhaltsanspruchs wegen einer (öffentlichrechtlichen) unbilligen Härte ausgeschlossen sei.

In Anbetracht des Umstandes, dass seit der Umgestaltung des § 91 BSHG durch das FKPG die Überprüfung der in § 91 II BSHG geregelten Härte nach dem Gesetzgeberwillen allein in die Überprüfungskompetenz der ZGe gestellt ist, neigt die Kammer zu der Auffassung, dass im Rahmen des § 116 BSHG die - wegen Art. 19 IV GG nach wie vor gebotene - Überprüfung der bei der Erforderlichkeit des Auskunftsverlangens relevant werdenden unbilligen Härte nach § 91 II 2 Halbs. 1 BSHG nur eingeschränkt erfolgt, nämlich in Anlehnung an die zitierte Rechtsprechung des BVerwG dahingehend, ob eine unbillige Härte "offensichtlich" besteht: Besteht eine unbillige Härte offensichtlich, so ist das Auskunftsverlangen nicht erforderlich und damit rechtswidrig. Ansonsten darf der Sozialhilfeträger Auskunft verlangen.

Ob eine "unbillige Härte" i.S. des § 91 II Halbs. 1 BSHG vorliegt, hängt neben einer rechtlichen Würdigung von tatsächlichen Umständen ab. (Wird ausgeführt.)

Von einer Offensichtlichkeit des Vorliegens einer unbilligen Härte i.S. des § 91 II Halbs. 1 BSHG ist indes wegen der genannten offenen Fragen nicht auszugehen. Deshalb darf die Ag. Auskunft verlangen; das Auskunftsverlangen dürfte rechtmäßig sein, einschließlich des Fragenkatalogs, der - mit Ausnahme der (unbestimmten) Frage nach der Telefonnummer - nicht zu beanstanden ist.

Ist der angegriffene Verwaltungsakt - wie vorliegend - nach summarischer Prüfung rechtmäßig, so hängt der Erfolg des Antrages nach § 80 V VwGO davon ab, ob der Sozialhilfeträger ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit hat, welches das Interesse des möglicherweise Pflichtigen an der (Wiederherstellung der) aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs überwiegt. Das ist nach Ansicht der Kammer hier der Fall:

Die Ag. nennt als Interesse, die ihr zustehenden Unterhaltsansprüche so zügig wie möglich durchzusetzen. Dem steht das Interesse des Ast. gegenüber, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse jedenfalls nicht vor Abschluss des Verfahrens offenbaren zu müssen. Die Kammer hält das erstgenannte Interesse aus den Gründen, die die Ag. für die Anordnung der sofortigen Vollziehung angeführt hat, für überwiegend. Sie überzeugen und belegen das hier überwiegende (fiskalische) Interesse.

Rechtsgebiete

Sozialrecht