Decoder statt Parabolantenne für Deutschen aus Kasachstan

Gericht

LG Konstanz


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

23. 11. 2001


Aktenzeichen

6 S 52/01 H


Leitsatz des Gerichts

  1. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Mieter vom Vermieter die Gestattung einer Parabolantenne an der Außenfassade bei vorhandenem Kabelanschluss verlangen kann.

  2. Bei der Abwägung der widerstreitenden, grundrechtlich geschützten Interessen von Mieter und Vermieter (Art. 5 I , 14 GG) sind die Staatsangehörigkeit des Mieters (hier: aus Kasachstan stammender Deutscher), vorhandene Kenntnisse der deutschen Sprache und die (hier erfolgte) Integration zu berücksichtigen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. hat an den Bekl., der als Deutscher 1992 aus Kasachstan in die Bundesrepublik gekommen ist, eine Wohnung im Dachgeschoss vermietet. Das Haus verfügt über einen Kabelanschluss. Der Bekl. hat am Fenster seiner Dachgaube eine Parabolantenne angebracht, über die er u.a. das russische Fernsehprogramm NTVi empfangen kann. Die Kl. hat von dem Bekl. Beseitigung der Parabolantenne verlangt. Ihre Klage hatte in beiden Instanzen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Der Bekl. hat durch die Anbringung der Parabolantenne am Gaubenfenster der von ihm gemieteten Wohnung im zweiten Obergeschoss des Anwesens der Kl. von der Mietsache in vertragswidriger Weise Gebrauch gemacht. Gem. § 5 Nr. 2 des Mietvertrags der Parteien vom 15. 11. 1995 sind die, auch vom Bekl. unterzeichnete, Hausordnung sowie die „Allgemeinen Vertragsbestimmungen (AVB)“ Bestandteil des Mietvertrags. Gem. Nr. 10 II der Hausordnung darf der Mieter Einzelantennen neben der vermieterseitig angebrachten gemeinschaftlichen Antennenanlage nur mit Genehmigung des Vermieters installieren. Nr. 6 If der AVB bestimmt darüber hinaus, dass der Mieter mit Rücksicht auf die Gesamtheit der Mieter und im Interesse einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des Hauses und der Wohnung der vorherigen Zustimmung des Wohnungsunternehmers bedarf, wenn er Antennen anbringt oder verändert. Entgegen dieser vertraglichen Bestimmung hat der Bekl. eine Parabolantenne angebracht, obgleich eine Zustimmung der Kl. als Vermieterin nicht vorlag und von dieser auch weiterhin verweigert wird.

2. Der Kl. ist es auch nicht gem. § 242 BGB versagt, sich auf das Fehlen ihrer Zustimmung zu berufen, denn sie ist nicht verpflichtet, nachträglich die Zustimmung zu der eigenmächtig vom Bekl. angebrachten Parabolantenne zu erteilen.

a) Ein Rechtsanspruch des Bekl. auf Anbringung einer Einzelantenne besteht im vorliegenden Fall nicht. Ein derartiger Anspruch ist nach der Rechtsprechung jedenfalls dann gegeben, wenn eine ausreichende Gemeinschaftsantenne nicht vorhanden ist (BayObLG, NJW 1981, 1275 = WuM 1981, 80; vgl. auch BVerfGE 90, 27 = NJW 1994, 1147 [1148] m.w. Nachw.). Da die Wohnung des Bekl., ebenso wie die übrigen Wohnungen im Haus der Kl. hingegen über einen Kabelanschluss verfügt, ist ein Rechtsanspruch des Bekl. auf Anbringung seiner Parabolantenne unter diesem Gesichtspunkt nicht begründet.

b) Besteht hiernach kein Rechtsanspruch des Mieters auf Erteilung der Zustimmung des Vermieters, steht die Entscheidung darüber, ob die Einwilligung zur Anbringung einer Antenne erteilt wird oder nicht, im Ermessen des Vermieters. Dieses dem Vermieter zustehende Ermessen ist jedoch auch insoweit kein schrankenloses Ermessen, sondern steht unter dem Gebot des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Da die Wohnung für den Mieter Mittelpunkt seiner privaten Existenz ist und er auf ihren Gebrauch zur Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse, zur Freiheitssicherung und Entfaltung seiner Persönlichkeit angewiesen ist, darf der Vermieter nach Treu und Glauben nicht ohne triftigen, sachbezogenen Grund dem Mieter Einrichtungen versagen, die diesem das Leben in der Mietwohnung angenehmer gestalten könnten, durch die er als Vermieter nur unerheblich beeinträchtigt und durch die die Mietsache nicht verschlechtert wird (BayObLG, NJW 1981, 1275 = WuM 1981, 80 [81]; OLG Karlsruhe, NJW 1993, 2815 = WuM 1993, 525 [526]; jew. m.w. Nachw.). Bei der Abwägung, ob es die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) der Kl. im vorliegenden Fall gebieten, dem Bekl. die Anbringung seiner Gemeinschaftsantenne zu gestatten, ist zu beachten, dass bei der Auslegung der Rechte und Pflichten von Mietern und Vermietern, insbesondere bei der Konkretisierung von Generalklauseln wie die Grundsätze von Treu und Glauben gem. § 242 BGB, die jeweils betroffenen Grundrechte berücksichtigt werden müssen, damit in dieser Weise ihr wertsetzender Gehalt für die Rechtsordnung auch auf der Ebene der Rechtsanwendung zur Geltung kommt (BVerfGE 7, 198 [205f.] = NJW 1958, 257 st. Rspr.).

aa) Bei der notwendigen Abwägung sind hiernach auf Seiten des Bekl. das sich aus Art. 5 I 1 Halbs. 2 GG ergebende Grundrecht auf Informationsfreiheit sowie auf Seiten der Kl., die als Vermieterin zugleich Eigentümerin ist, das für sie streitende Grundrecht aus Art. 14 I GG zu berücksichtigen.

Art. 5 I 1 Halbs. 2 GG schützt das Recht eines jeden, sich aus allgemein zugänglichen Quellen, zu denen insbesondere auch die Massenkommunikationsmittel wie Hörfunk und Fernsehsendungen gehören, ungehindert zu unterrichten. Eine Differenzierung zwischen in- und ausländischen Informationsstellen findet hierbei nicht statt (BVerfGE 90, 27 = NJW 1994, 1147). Art. 5 I 1 Halbs. 2 GG schützt hierbei auch die Freiheit der Auswahl zwischen mehreren Informationsquellen, so dass dem Gewährleistungsgehalt des Grundrechts nicht schon allein dadurch genügt wird, dass dem Berechtigten der Zugang zu einem bestimmten ausländischen Fernsehprogramm eröffnet ist, wenn ihm zugleich die Möglichkeit des Zugangs zu anderen ausländischen Fernsehprogrammen verwehrt bleibt. Es muss sich daher z.B. ein Mieter nicht generell darauf verweisen lassen, dass er sein Informationsinteresse durch ein bestimmtes, für ihn über die Gemeinschaftsanlage zugängliches ausländisches Programm befriedigen könne, wenn ihm der Zugang zu weiteren, anderen ausländischen Programmen hierdurch nicht möglich ist (BVerfG, WuM 1994, 365; NJW 1994, 2143).

Zu Gunsten der Kl. ist mit Art. 14 GG jedoch ebenfalls ein Grundrecht betroffen. Hierdurch ist das Eigentumsinteresse der Kl. an der optisch ungeschmälerten Erhaltung ihres Wohnhauses gleichfalls grundrechtlich geschützt (BVerfGE 90, 27 = NJW 1994, 1147 [1148]).

bb) Angesichts der widerstreitenden, in die Abwägung einfließenden Grundrechte und des Umstands, dass auch Art. 5 I GG kein vorbehaltlos eingeräumtes Grundrecht ist, sondern unter dem Vorbehalt der Beschränkung durch - ihrerseits im Lichte der Grundrechte zu interpretierende - allgemeine Gesetze steht (Art. 5 II GG) ist in der Regel und so auch im vorliegenden Verfahren eine einzelfallbezogene Abwägung der von den eingeschränkten Grundrechten und dem grundrechtsbeschränkenden Gesetz geschützten Interessen vorzunehmen. Dabei sind das Informationsinteresse des Mieters an der Nutzung zugänglicher Informationsquellen wie auch die Eigentumsinteressen des Vermieters zu berücksichtigen. Diese Abwägung ergibt im vorliegenden Fall, dass die Interessen der Kl. schwerer wiegen als diejenigen des Bekl.

Im vorliegenden Fall wiegt das bei einem Verzicht auf die Parabolantenne verbleibende ungedeckte Informationsinteresse des Bekl. nur gering. Zwar ist es in der Rechtsprechung anerkannt, dass dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland lebende Ausländer ein anerkennenswertes Interesse daran haben, die Programme ihres Heimatlandes zu empfangen, um sich über das dortige Geschehen zu unterrichten und die kulturelle und sprachliche Verbindung aufrechterhalten zu können (BVerfGE 90, 27 = NJW 1994, 1147 [1148] u. st. Rspr.; s. z.B. BVerfG, NJW-RR 1994, 1232; WuM 1994, 365; OLG Karlsruhe, WuM 1995, 525). Bei der Anhörung des Bekl. im Termin vom 2. 11. 2001 hat die Kammer jedoch das individuelle Interesse des Bekl. an der durch eine Parabolantenne eröffneten Möglichkeit einer umfassenderen Wahl- und Informationsfreiheit und mithin das durch das angebotene Kabelfernsehen nicht befriedigte Interesse des Bekl. in seinem konkreten Gewicht ermittelt (siehe hierzu BVerfG, WM 1995, 1958). Diese Anhörung hat mehrere Gesichtspunkte ergeben, die die Kammer dazu veranlassen, das konkrete verbleibende Informationsinteresse des Bekl. als verhältnismäßig gering zu bewerten.

Zum einen ist der Bekl., anders als in den erwähnten Fällen, nicht ausländischer Staatsangehöriger, sondern - zumindest auch - deutscher Staatsangehöriger. Im Jahr 1992 siedelte er aus Kasachstan nach Deutschland über mit dem Ziel, hier dauerhaft zu leben. Eine Rückkehr in seine frühere Heimat wird nicht erwogen.

Über seinen Kabelanschluss verfügt der Bekl. derzeit über die Möglichkeit rund 30 deutschsprachige Programme zu empfangen. Die Sprachkenntnisse des Bekl., der hier auch über eine Arbeitsstelle verfügt und mithin beruflich in Deutschland integriert ist, reichen, wovon sich die Kammer bei der Anhörung im Termin vom 2. 11. 2001 einen eigenen Eindruck verschafft hat, aus, um diese Programme verfolgen und zur Information nutzen zu können.

Die in erster Instanz durchgeführte Beweiserhebung hat ergeben, dass der Bekl. über die Möglichkeit verfügt, sich über einen gebührenpflichtigen Kabelsender den Zugang zu einem russischen Vollprogramm, im konkreten Fall dem Sender NTVi, zu verschaffen. Beim Programm dieses Senders handelt es sich um ein so genanntes Vollprogramm, welches neben aktuellen Spielfilmen und Talkshows auch Sportberichterstattung sowie insgesamt mehr als 4½ Stunden Nachrichtensendungen pro Tag beinhaltet. Die Anschaffungskosten des zum Empfang dieses Programmes notwendigen Dekoders liegen mit 549 DM (Informationsmappe Media Vision) unter denen des Erwerbs und der Installation einer Parabolantenne von 1328,90 DM.

Der Bekl. hat bei seiner Anhörung auch angegeben, dass er das Programm NTVi bislang schon über seine Parabolantenne empfängt und zu seiner eigenen Information regelmäßig nutzt. Er steht diesem Programm daher nicht aus politischen oder sonstigen Gründen in irgendeiner Weise ablehnend gegenüber, sondern wählt dieses als eines von mehreren von ihm derzeit zu empfangenden russischen Programmen regelmäßig aus freien Stücken selbst aus.

Zu seiner familiären Situation befragt, gab der Bekl., der Anfang nächsten Jahres hier in Deutschland zu heiraten beabsichtigt an, dass seine Brüder und Mutter ebenfalls nach Deutschland übergesiedelt seien und hier leben. Auf Frage des Gerichts nach Verwandten in seinem Herkunftsland gab er zunächst lediglich an, dass dort noch „eine Tante“ lebe. Erst auf nachdrückliche Rückfrage seines Anwalts fügte er hinzu, dass auch noch ein Onkel und eine Cousine in Kasachstan leben würden. Entsprechend dem Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse in beruflicher, wie auch in persönlicher Hinsicht gab der Bekl. auf Frage zu seinen Fernsehgewohnheiten auch an, dass er überwiegend deutsche Programme sehe. Soweit er russische Sendungen sehe, sehe er hierbei Sport- und Informationssendungen.

Befragt, weshalb er angesichts dieser Umstände der Parabolantenne bedürfe und weitere russische Programme neben dem Vollprogramm von NTVi sehen wolle, gab der Bekl. an, dass das Interesse für ihn vor allem darin liege, dass er über die Parabolantenne hinaus weitere, insbesondere auch weitere deutschsprachige Programme empfangen könne. Ein besonderes Interesse des Bekl. am Empfang anderer russischer Programme als NTVi schilderte der Bekl. auf Nachfrage hingegen nicht. Es kommt diesem nach der auf Grund der Anhörung angesichts der gesamten Umstände gewonnenen Überzeugung der Kammer daher wesentlich darauf an, durch die Parabolantenne weitere deutschsprachige Programme empfangen zu können.

Unter diesen Umständen war im konkreten Fall das bei der Verweisung auf den vermieterseitig bereits zur Verfügung gestellten Kabelanschluss unbefriedigt bleibende Interesse des Bekl. am Empfang weiterer Programme als gering zu bewerten. Sein persönliches Interesse am Empfang russischer Programme ist gegenüber dem Empfang deutschsprachiger Sender nicht vorrangig und wird darüber hinaus inhaltlich durch den Sender NTVi befriedigt. Die Möglichkeit andere russische Programme zu sehen, wird durch die Verweisung auf diesen Kabelsender zwar eingeschränkt, diese Beschränkung wird vom Bekl. auf Grund dessen Fernsehgewohnheiten jedoch nur in geringem Maße tatsächlich als Beschränkung empfunden werden. Die nach der Rechtsprechung des BVerfG gebotene Ermittlung dieses Interesses durch das Gericht (siehe BVerfG, WM 1995, 1958 [1959]), hat daher im vorliegenden Fall ergeben, dass diesem Belang hier kein wesentliches Gewicht zukommt. Soweit sich das Informationsinteresse des Bekl. auf den Empfang deutschsprachiger Fernsehprogramme richtet, ist zu berücksichtigen, dass dieser über das Kabelnetz bereits derzeit rund 30 verschiedene deutschsprachige Programme empfangen kann, so dass er insoweit in einem erheblichen Maße über Informationswahlfreiheit verfügt. Zwar würde auch insoweit die Entfernung der Parabolantenne die Informationsmöglichkeit des Bekl. beschränken, trotz dieser Beschränkung bliebe jedoch die Informationsfreiheit des Bekl. auf einem derzeit sehr hohen Niveau gewahrt, sodass auch insoweit das Interesse des Bekl. am Satellitenempfang als gering zu veranschlagen ist.

Die Kl. ihrerseits hat ein schutzwürdiges und auch von Art. 14 GG geschütztes Interesse an der Wahrung des äußeren Erscheinungsbildes ihrer Hausfassade (BVerfGE 90, 27 = NJW 1994, 1147 [1148]). Die Kammer hat dieses Interesse anhand der vorgelegten Lichtbilder, die ihr dessen Gewichtung gestatten, ermittelt (siehe zu diesem Erfordernis BVerfG, WuM 1994, 365). Wie sich aus dem bei den Akten befindlichen Lichtbild ergibt, stört die von der Straße aus sichtbare, von der Dachgaube nach vorne abstehende, ein Fenster weitgehend verdeckende Parabolantenne das äußere Erscheinungsbild der Fassade des Anwesens der Kl. Soweit auf dem Lichtbild noch zwei andere Parabolantennen zu sehen sind, sind diese zwischenzeitlich entfernt worden, sodass die Parabolantenne des Bekl. die einzige ist, die das ansonsten gleichmäßig und ausgewogen wirkende Erscheinungsbild der Fassade beeinträchtigt. Hierbei fällt auch ins Gewicht, dass bei dem Objekt durch die Anbringung von Klappläden erfolgreich der Versuch unternommen wurde, diesem ein traditionell-harmonisches Erscheinungsbild zu geben, gegenüber dem die angebrachte Antenne mit ihrer sich allein an ihrer technischen Funktion orientierenden Form und Gestaltung als rein technisch-zweckorientiertes Gerät in besonderer Weise negativ hervortritt.

Bei dieser Sachlage musste daher im konkreten Fall auch unter Berücksichtigung des wertentscheidenden Gehalts der Grundrechte und namentlich auch der besonderen Bedeutung des von Art. 5 GG in seinen verschiedenen Phasen geschützten und für die Verwirklichung der freiheitlichen demokratischen Ordnung wesentlichen Kommunikationsprozesses (BVerfGE 90, 27 = NJW 1994, 1147; vgl. auch BVerfGE 7, 198 [218] = NJW 1958, 257), das Interesse des Bekl. zurücktreten. Die Kl. ist hiernach nicht verpflichtet, die Zustimmung zur Anbringung der Parabolantenne zu erteilen. Sie kann sich daher darauf berufen, dass der Bekl. die Parabolantenne vor seinem Gaubenfenster ohne ihre Genehmigung angebracht hat, weshalb ihr gem. § 550 BGB ein Anspruch auf Beseitigung dieser Antenne zusteht.

Rechtsgebiete

Mietrecht