Gesetzlicher Insolvenzschutz auf Versorgungsanwartschaften

Gericht

BAG 3. Senat


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

11. 01. 1983


Aktenzeichen

3 AZR 212/80


Leitsatz des Gerichts

Der gesetzliche Insolvenzschutz erstreckt sich ausnahmsweise auch auf solche Versorgungsanwartschaften, deren Unverfallbarkeit auf der Anrechnung von Vordienstzeiten beruht. Voraussetzung ist aber, dass die angerechnete Betriebszugehörigkeit bereits von einer Versorgungszusage begleitet war und an das Arbeitsverhältnis heranreicht, das eine neue Versorgungsanwartschaft begründet. War die verfallbare Versorgungsanwartschaft aus einem früheren Arbeitsverhältnis schon geraume Zeit erloschen, so kann die Anrechnung der entsprechenden Betriebszugehörigkeit zwar zur Unverfallbarkeit, nicht aber zum Insolvenzschutz der neuen Versorgungsanwartschaft führen (Ergänzung von BAG 31, 45 = AP Nr. 1 zu § 7 BetrAVG).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der 1928 geborene Kl. war vom 30. 9. 1965 bis zum 30. 9. 1973 vom 1. 4. 1974 bis Mai 1976 für die M. KG als Handelsvertreter tätig. Das Rechtsverhältnis war nach der Darlegung des Kl. von der Arbeitgeberin im Jahre 1973 wegen einer Erkrankung gekündigt worden. Am 10. 5. 1976 wurde über das Vermögen der Firma M. KG das Konkursverfahren eröffnet.

Die Gemeinschuldnerin war Trägerin der B.-Unterstützungskasse e. V.; deren Ziel war die Unterstützung von Betriebsangehörigen oder ehemaligen Betriebsangehörigen des Trägerunternehmens sowie deren Angehörigen bei Hilfsbedürftigkeit, Berufsunfähigkeit und Alter. Die U-Kasse gewährte Alters-, Invaliditäts-, Witwen- und Waisenrenten. Versorgungsleistungen wurden gewährt, wenn der Betriebsangehörige eine anrechnungsfähige Dienstzeit von mindestens 10 Jahren (Wartezeit) erfüllt hatte, bei Eintritt des Versorgungsfalles in einem Arbeitsverhältnis zur Firma stand und nach dem Eintritt des Versorgungsfalles aus den Diensten der Firma ausgeschieden war.

Der Kl. hat behauptet, bei seiner Wiedereinstellung im Jahre 1974 sei ihm zugesichert worden, dass alle Rechte aus der früheren Beschäftigung erhalten bleiben sollten, als ob das Arbeitsverhältnis nicht unterbrochen worden wäre. Insbesondere habe man die Versorgungszusage nach dem Leistungsplan der Unterstützungskasse aufrecht erhalten wollen. Entsprechend dieser Vereinbarung sei in den Personalakten der Möbel B. KG nicht vermerkt worden, dass er vorübergehend aus deren Diensten geschieden sei. Im Jahre 1972 habe er folgerichtig eine Urkunde über 5jährige und 1975 über 10jährige Betriebstreue erhalten. Der Kl. hat die Auffassung vertreten, der Bekl. müsse als Träger der gesetzl. Insolvenzsicherung seine Versorgungsanwartschaft schützen, da diese unverfallbar geworden sei. Die Anrechnung der Zusagedauer durch seine Arbeitgeberin müsse der PSV gegen sich gelten lassen. Der Kl. hat weiter behauptet, im Zeitpunkt der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der M. KG sei die U.-Kasse noch ausreichend dotiert gewesen, um seine Versorgungsanwartschaft zu sichern. Durch den vom Ges. angeordneten Übergang des Vermögens der U.-Kasse auf den Bekl. sei den Versorgungsberechtigten die Haftungsmasse entzogen worden.

Der Kl. hat beantragt festzustellen, dass er aus seiner Angestelltentätigkeit bei der Firma M. KG i. S. von § 1 BetrAVG eine unverfallbare Anwartschaft auf Leistungen der U.-Kasse der M. KG erworben hat und dass auf Grund dieser Anwartschaft bei Eintritt des Versorgungsfalles ein Anspruch gegen den Bekl. als Träger der Insolvenz-Sicherung besteht.

Der Bekl. hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Einrede der sachl. Unzuständigkeit erhoben. Ferner hat er bestritten, dass der Kl. als Handelsvertreter zu den Versorgungsberechtigten der U.-Kasse gehört habe und dass ihm eine Berücksichtigung der früheren Zusagen in Aussicht gestellt worden sei. Der Bekl. hat die Auffassung vertreten, Handelsvertreter seien in den gesetzl. Insolvenzschutz nicht einbezogen. In jedem Fall brauche er sich die Berücksichtigung der früheren Zusage durch die M. KG nicht entgegenhalten zu lassen. Die U.-Kasse habe bei Eintritt des Insolvenzfalles kein hinreichendes Vermögen mehr gehabt.

Das ArbG hat der Klage stattgegeben, das LAG hat sie abgewiesen. Die Revision des Kl. blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das LAG durfte entgegen der Auffassung der Revision in der Sache entscheiden. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber sachl. zuständig. Allerdings ist im Verlaufe des Rechtsstreites unstreitig geworden, dass der Kl. während der Gesamtdauer seiner Tätigkeit für die Bekl. kein Arbeitnehmer, sondern Handelsvertreter war und daher grundsätzl. nicht in den Zuständigkeitsbereich der Gerichte für Arbeitssachen fiel. Der Kl. hat jedoch mit seinem Begehren, eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft festzustellen, eine vermögensrechtl. Streitigkeit verfolgt. In Streitigkeiten über vermögensrechtl. Ansprüche prüft das LAG die mögliche Zuständigkeit der ordentl. Gerichte nicht von Amts wegen (§ 67a ArbGG). Der Bekl. hat zwar das Fehlen der sachl. Zuständigkeit der ArbG gerügt, aber damit war er in der Berufungsinstanz ausgeschlossen, weil er in der 1. Instanz ohne diese Rüge zur Hauptsache verhandelt hatte. Hinreichende Gründe, die dies entschuldigen könnten, sind nicht dargetan (§ 67a ArbGG).

II. Der Kl. besitzt keine insolvenzgeschützte Versorgungsanwartschaft.

1. Personen, die zum Kreis der Begünstigten einer U.-Kasse gehören, erlangen im Falle des Konkurses ihres Arbeitgebers oder eines gleichgestellten Sicherungsfalles nur dann Ansprüche gegen den Bekl., wenn sie bereits Ruhegeld beziehen (§ 7 Abs. 1 BetrAVG) oder eine nach § 1 BetrAVG unverfallbare Versorgungsanwartschaft haben. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

a) Neben dem Ruhegeldbezug sind nur kraft Ges. unverfallbare Versorgungsanwartschaften in den Insolvenzschutz einbezogen. Diese Begrenzung des Insolvenzschutzes ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut von § 7 Abs. 2 BetrAVG und entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens ist für den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ein Forschungsgutachten der Arbeitsgemeinschaft für betriebl. Altersversorgung erstellt worden, das die Einbeziehung auch solcher Versorgungsanwartschaften in den Insolvenzschutz empfahl, deren Unverfallbarkeit nur auf einer vertragl. Einigung beruht (Die Insolvenzsicherung von Ruhegeldansprüchen auf dem Gebiet der betriebl. Altersversorgung, 14. 2. 1974, S. 63 f.). Der Gesetzgeber ist dieser Empfehlung nicht gefolgt. Der Zweck der Beschränkung des Insolvenzschutzes liegt offenbar darin, den Bestand insolvenzgeschützter Anwartschaften nach klaren und objektivierbaren Merkmalen abzugrenzen und damit die Abwicklung von Insolvenzen zu vereinfachen. Ein Wertungswiderspruch zu dem uneingeschränkten Insolvenzschutz von Versorgungsansprüchen besteht nicht, weil bereits fällige Verpflichtungen oder gar laufende Zahlungen regelmäßig leichter feststellbar und auf ihre Berechtigung nachprüfbar sind als Anwartschaften.

b) Eine auf Grund des Ges. unverfallbare Versorgungsanwartschaft besaß der Kl. nicht. Das gilt auch dann, wenn man mit der Rechtspr. Anwartschaften einbezieht, die nach den vom BAG entwickelten Grundsätzen unverfallbar geworden sind (BAG 34, 227, 228 = AP Nr. 8 zu § 7 BetrAVG [zu 2 der Gründe]; BGH, Urt. vom 16.6. 1980 - II ZR 195/79 - AP Nr. 7 zu § 7 BetrAVG [zu 2 der Gründe]).

Das erste Dienstverhältnis des Kl. wurde von dem BetrAVG vom 19. 12. 1974 (BGBl. I, 3610) nicht erfasst. Dessen Vorschriften über die Unverfallbarkeit sind erst nach Beendigung des Dienstverhältnisses am 22. 12. 1974 in Kraft getreten und konnten daher keine Anwendung finden (§ 26 BetrAVG). Die Versorgungsanwartschaft war damals auch nicht nach den vom Senat entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätzen unverfallbar geworden. Diese setzten eine mindestens 20jährige Betriebszugehörigkeit voraus (BAG 24, 177 = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt). Eine solche hatte der Kl. noch nicht erreicht.

Die Versorgungsanwartschaft des Kl. aus dem zweiten Dienstverhältnis genügte im Mai 1976 noch nicht den Voraussetzungen, die nach § 1 BetrAVG für den Eintritt der Unverfallbarkeit gegeben sein müssen. Ein Arbeitnehmer behält seine Versorgungsanwartschaft nur. dann, wenn sein Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalles endet, sofern er in diesem Zeitpunkt mindestens das 35. Lebensjahr vollendet hat und entweder die Versorgungszusage für ihn mindestens 10 Jahre bestanden hat der Beginn der Betriebszugehörigkeit mindestens 12 Jahre zurückliegt und die Versorgungszusage mindestens 3 Jahre bestanden hat. Nach dem eigenen Vorbringen des Kl. hat jedoch die Versorgungszusage im zweiten Dienstverhältnis nur für die Dauer von rund 2 Jahren und 1 Monat bestanden.

2. Der Kl. besitzt aber auch dann keine insolvenzgeschützte unverfallbare Versorgungsanwartschaft, wenn sein Vorbringen zutrifft, dass ihm bei Begründung des zweiten Dienstvertrages versprochen worden sei, er solle wegen seiner Versorgungszusage so behandelt werden, als ob sein Dienstverhältnis niemals unterbrochen worden wäre. In diesem Fall hätte für den Kl. eine Gesamtzusagezeit von etwas mehr als 10 Jahren bestanden, so dass im Verhältnis zur M. KG Unverfallbarkeit eingetreten wäre. Aber der Bekl. müsste diese Anwartschaft dennoch nicht übernehmen.

a) Der Senat hat allerdings entschieden, dass die vertragl. Anrechnung von Betriebszugehörigkeitszeiten nicht nur die für die Unverfallbarkeit notwendige Betriebszugehörigkeit von 12 Jahren ermöglichen, sondern darüber hinaus auch den gesetzl. Insolvenzschutz herbeiführen kann, wenn in der angerechneten Vordienstzeit eine Versorgungszusage bestand (BAG 31, 45 = AP Nr. 1 zu § 7 BetrAVG). Maßgebend für die Entscheidung des Senats war die Erkenntnis, dass das Ges. zwar das Risiko des PSV begrenzen, aber nicht die Erhaltung von Versorgungsbesitzständen schlechthin unmöglich machen und vom Insolvenzschutz ausnehmen wollte. An dieser Rechtspr. ist trotz der im Schrifttum geäußerten Kritik festzuhalten.

Es wird im wesentl. eingewandt, der Senat habe verkannt, dass die Betriebszugehörigkeit i. S. von § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG die Beschäftigung bei einem Arbeitgeber voraussetze und ununterbrochen abgeleistet werden müsse. Durch seine Rechtspr. habe sich der Senat vom Wortlaut des Ges. gelöst, Verträge zu Lasten des Trägers der gesetzl. Insolvenzsicherung zugelassen und dessen finanzielle Grundlage erschüttert (Bennewitz/Borngräber, BB 1978, 1681; Doetsch, Anm. zu SAE 1979, 187; Höfer/Abt, DB 1978, 2410; Weitnauer in Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 7 BetrAVG). Dieser Kritik vermag der Senat nicht zu folgen.

Nach dem Regelungszweck des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG i. V. mit § 7 Abs. 2 BetrAVG soll die Versorgung als Form der Vergütung für langjährige Betriebstreue nicht mehr ersatzlos wegfallen, wenn der Arbeitnehmer bestimmte Fristen im Dienste seines Arbeitgebers zurückgelegt hat und als Gegenwert Versorgungsleistungen erwarten durfte; sein Versorgungsbesitzstand wird dann gegen Verfall und Insolvenz geschützt. Diese Wertung des Gesetzgebers fordert auch dann Beachtung, wenn sich ein Arbeitgeber Vordienstzeiten zurechnen lässt, die bereits von einer Versorgungszusage begleitet waren. Auf diese Weise wird zwar keine bestehende Anwartschaft übernommen, aber doch anerkannt, dass die vor Abschluss des Arbeitsvertrages erbrachte Betriebstreue für die Versorgung des Arbeitnehmers nicht bedeutungslos werden soll. Die Betriebszugehörigkeitszeiten werden gleichsam zu einer Einheit zusammengefasst und so behandelt, als hätten sich nur der Inhalt der Versorgungszusage und der Versorgungsschuldner geändert (§ 1 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG). Dass diese einheitl. Anwartschaftszeit im Insolvenzfall aufzuspalten ist und dass nur die Betriebszugehörigkeit beim letzten Arbeitgeber Insolvenzschutz ermöglichen soll, lässt sich dem Ges. nicht entnehmen.

b) Entgegen der Auffassung des Bekl. kann auch nicht grundsätzl. zwischen der Anrechnung von Zeiten der Betriebszugehörigkeit von Zusagezeiten unterschieden werden. Nach der Rechtspr. des Senats ist die insolvenzgeschützte Anrechnung von Vordienstzeiten ohnehin nur möglich, soweit die angerechnete Betriebszugehörigkeit von einer Versorgungszusage begleitet war. Eine Unterscheidung zwischen der Anrechnung der Betriebszugehörigkeits- und der Zusagedauer würde insoweit Zusammengehöriges auseinanderreißen dem Gedanken der Bewahrung von Besitzständen zuwiderlaufen.

c) Auf diese Rechtspr. kann sich jedoch der Kl. nicht berufen. Er durfte zwar möglicherweise schon in seinem ersten Dienstverhältnis auf Versorgungsleistungen der U.-Kasse hoffen, aber diese Anwartschaft ist bei seinem Ausscheiden am 30. 9. 1973 erloschen. Als im April 1974 ein neuer Handelsvertretervertrag zustandekam, war ein Versorgungsbesitzstand, dessen Erhaltung Schutz verdient hätte, nicht mehr vorhanden. Eine Anrechnung der früheren Dienstzeit könnte nicht als bloße Fortsetzung oder Änderung einer einheitl. Versorgungsanwartschaft verstanden werden. Die neue Versorgungszusage wäre zwar vertragl. abgesichert, aber der Gedanke der Besitzstandswahrung käme dabei nicht in Betracht. Nach den Grundsätzen der Vertragsfreiheit ist eine solche Vereinbarung möglich, aber der gesetzl. Insolvenzschutz kann auf diese Weise nicht erweitert werden.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht