Widerruf eines rechtmäßig begünstigenden Verwaltungsaktes

Gericht

BSG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

14. 12. 2000


Aktenzeichen

B 11 AL 63/00 R


Leitsatz des Gerichts

Die Verwaltung kann einen rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt nur dann nach § 47 II 1 Nr 1 SGB X wegen Zweckverfehlung widerrufen, wenn die im Verwaltungsakt selbst zur Verwendung der bewilligten Leistung getroffene Zweckbestimmung verfehlt wird.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. erhielt ab 1. 4. 1995 als Inhaber der Firma B. Leistungen zur Förderung der Einstellung und Beschäftigung Schwerbehinderter nach § 33 II SchwbG für die Dauer von fünf Jahren in Gestalt eines laufenden Zuschusses zum Arbeitsentgelt für die Beschäftigung des Arbeitnehmers M., der als Schwerbehinderter anerkannt ist. In dem Bewilligungsbescheid heißt es:

„Bitte beachten sie, dass der Zuschuss in voller Höhe zurückzuzahlen ist, wenn das Arbeitsverhältnis in den ersten 6 Monaten nach Beschäftigungsbeginn einseitig durch den Arbeitgeber gekündigt wird.

Rechtsgrundlage ist der § 10 der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung (SchwbAV).

Die beigefügten Bestimmungen und Hinweise sind Bestandteil dieses Bewilligungsbescheides.“

Gleichzeitig wurde für die Beschäftigung des M. Eingliederungsbeihilfe nach § 54 AFG als Zuschuss gezahlt. Die Eingliederungsbeihilfe wurde auf die Leistungen nach § 33 II SchwbG angerechnet.

Am 16. 8. 1995 erfuhr die Bekl. in Folge einer Mitteilung des M., dass der Kl. das Arbeitsverhältnis am 19. 7. 1995 zum 31. 8. 1995 gekündigt und Arbeitsentgelt nur bis Mai 1995 gezahlt hatte. Mit dem Bescheid vom 9. 10. 1995 hob die Bekl. ihre Bewilligungsentscheidung für die Zeit vom 1. 6. bis 31. 8. 1995 ganz in Höhe von 8007 DM auf und forderte Erstattung von nach § 33 II SchwbG gewährten Leistungen in dieser Höhe (jeweils 2340 DM für die Monate Juni und Juli 1995; Zuschuss zum Urlaubsgeld in Höhe von 3327 DM) gemäß § 50 SGB X. Sie stützte die Aufhebung auf die Rückzahlungsbestimmungen nach der SchwbAV iVm § 48 I 2 Nr 4 SGB X. Nach Widerspruch des Kl. erläuterte die Bekl., der Arbeitsentgeltzuschuss werde nur für Zeiten geleistet, für die Arbeitsentgelt gezahlt worden sei. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24. 2. 1997 mit der Begründung zurückgewiesen, die Entscheidung beruhe entgegen den Ausführungen im Ausgangsbescheid auf § 45 II SGB X.

Das SG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl. blieb erfolglos. Die Revision war iS der Zurückverweisung erfolgreich.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Das LSG hat die Auffassung vertreten, die angefochtenen Bescheide ließen sich auf § 47 II 1 Nr 1 SGB X stützen, da der mit dem Verwaltungsakt verfolgte Zweck verfehlt worden sei. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.

Nach § 47 II 1 Nr 1 SGB X kann ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, der eine Geld- oder Sachleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zweckes zuerkennt oder hierfür Voraussetzung ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden, wenn die Leistung nicht, nicht alsbald nach der Erbringung oder nicht mehr für den in dem Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwendet wird. Diese Vorschrift ist durch das VwVf-ÄndG eingefügt worden. Dieses Gesetz hat auch § 49 VwVfG durch einen neuen Abs 3 in der Weise ergänzt, dass eine § 47 II SGB X entsprechende Möglichkeit zum Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes geschaffen wurde. Zugleich hat Art 2 VwVf-ÄndG den § 44a Bundeshaushaltsordnung (BHO) und Art 4 VwVf-Änd, § 151 I und Ia Arbeitsförderungsgesetz aufgehoben. Das VwVf-ÄndG ist am 21. 5. 1996 in Kraft getreten, jedoch finden die genannten Änderungen nach seinem Art 6 auch auf Verwaltungsakte Anwendung, die vor seinem Inkrafttreten erlassen worden sind.

Ob die Übergangsregelung in Art 6 II unter dem Gesichtspunkt des Rückwirkungsverbots verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt (vgl hierzu etwa Baumeister NVwZ 1997, 26), kann hier dastehen, da entgegen der Auffassung des LSG der Anwendungsbereich des § 47 II 1 Nr 1 SGB X nicht eröffnet ist. Denn von § 47 II SGB X werden nicht schon alle Verwaltungsakte erfasst, denen eine mit der fraglichen Sozialleistung zusammenhängende Zwecksetzung zugrunde liegt. Die Vorschrift knüpft vielmehr ausschließlich an die im Verwaltungsakt selbst getroffene Zweckbestimmung zur Verwendung der bewilligten Geld- oder Sachleistung an.

Die Einfügung des § 47 II SGB X durch das VwVf-ÄndG wurde vom Gesetzgeber, der im Sinne der Einheitlichkeit des Verwaltungsverfahrensrechts eine weitgehende Anpassung des SGB X an das VwVfG anstrebte, als Folgeänderung zur entsprechenden Änderung des VwVfG verstanden (BT-Drucks 13/1534 S 7). Die Ergänzung des § 49 VwVfG sollte die verwaltungsverfahrensrechtliche Sondervorschrift des § 44a BHO in das VwVfG integrieren. Das Bedürfnis zur Rückforderung von zur Erfüllung eines im öffentlichen Interesse liegenden bestimmten Zwecks gewährten öffentlichen Mitteln wurde damit begründet, dass es der konkreten Zweckbestimmung entspreche, dass die Verwendung vom Empfänger nachgewiesen werden müsse und dass sie zurückgefordert werden könnten, wenn und soweit der Zweck nicht erreicht werde. Dies unterscheide die Leistungen von dem großen Bereich derjenigen Zahlungen aus öffentlichen Kassen, durch die der gesetzliche Zweck bereits unmittelbar verwirklicht werde, wie zB ein Großteil der Sozialleistungen oder Bezüge aus einem öffentlich-rechtlichen Amts- oder Dienstverhältnis (BT-Drucks 13/1534 S 5). Im Gesetzgebungsverfahren wurde dementsprechend zur Anwendbarkeit der Widerrufsmöglichkeit im Sozialgesetzbuch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Verwaltungsakte nicht erfasst würden, die im Rahmen der allgemeinen Zwecksetzung von Sozialleistungen ergingen. Der allgemeine Hinweis auf die Rechtsgrundlage, aus der die Sozialleistung erbracht werde, genüge deshalb nicht, um die Vorschrift anwendbar zu machen. Ein Widerrufsrecht sei auch dann nicht gegeben, wenn der Verwaltungsakt die allgemeine Zweckbestimmung von Gesetzen wiederhole, präzisiere oder - unter Umständen auch durch eine Nebenbestimmung - ergänze (BT-Drucks 13/1534 S 8).

Der Wille des Gesetzgebers, die Widerrufsmöglichkeit nur bei Verfehlung eines mit der Verwendung der Leistung zusammenhängenden Zweckes zuzulassen, hat auch im Wortlaut des § 47 II 1 Nr 2 SGB X seinen eindeutigen Niederschlag gefunden, denn es werden nur Verwaltungsakte in den Regelungsgehalt einbezogen, die Geld- oder Sachleistungen „zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks“ zuerkennen. Die Anknüpfung an die Verwendung der Leistung wird ferner durch die Ausgestaltung der Widerrufsmöglichkeiten bestätigt, die nur eröffnet sind, wenn die Leistung nicht zu dem im Verwaltungsakt bestimmten Zweck „verwendet“ wird. Folglich kommt ein Widerruf rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakte nach § 47 II SGB X nur in Betracht, wenn der Empfänger der Leistung den im Verwaltungsakt festgelegten „Leistungsverwendungszweck“ nicht erfüllt (vgl zu § 49 III VwVfG: Baumeister, NVwZ 1997,19, 20; Suerbaum VerwArch 1999, 361, 369; Gröpl VerwArch 1997, 23, 36). Nicht der abstrakt-generelle Zweck des Gesetzes, sondern die verhaltenssteuernde Zweckbestimmung im Verwaltungsakt eröffnet die Widerrufsmöglichkeit.

Entgegen der Auffassung des LSG ist eine zum Widerruf berechtigende Zweckbestimmung im Bewilligungsbescheid nicht enthalten. Zwar trifft es zu, dass es Sinn und Zweck der Zuschussregelung ( 33 II SchwbG) entspricht, den Schwerbehinderten in Beruf und Arbeit einzugliedern und ihm die Möglichkeit zu verschaffen, einen vollwertigen Arbeitsplatz auszufüllen. Auch wird sich aus dem allgemeinen Zweck der Zuschussgewährung eine Verpflichtung zur tatsächlichen Beschäftigung des Schwerbehinderten während der Förderzeit ableiten lassen. Gleichwohl wird damit kein Zweck beschrieben, der die Bekl. zum Widerruf der Leistungsbewilligung berechtigen würde, denn die fragliche Zweckbestimmung betrifft die mittelbar mit der Zuschussgewährung verfolgten Ziele und nicht die Verwendung der gezahlten Zuschüsse. Eine die Verwendung der gezahlten Zuschüsse betreffende Bestimmung, dass der Kl. den Arbeitsentgeltzuschuss zB nur zur Zahlung des Nettolohnes, der Lohnsteuer des Arbeitnehmers oder dessen Sozialversicherungsbeiträge verwenden darf, ist dem bewilligenden Verwaltungsakt nicht zu entnehmen. Es kann unter diesen Umständen dahinstehen, ob der vom LSG angenommene Zweck der Leistungserbringung iS des § 47 II Nr 1 SGB X im Verwaltungsakt bestimmt worden ist. Zweifel an diesem Erfordernis bestehen allerdings im Hinblick darauf, dass die Zweckbestimmung nicht allein dem Bewilligungsbescheid entnommen werden kann, sondern das LSG zur Konkretisierung des Zwecks zusätzlich auf die Vorschriften der SchwbAV, auf die im Bescheid verwiesen wird, zurückgreifen musste.

2. Der Verfügungssatz des angefochtenen Bescheides kann auch nicht entsprechend der Rechtsprechung des 7. Senats des BSG zur Rückforderung von Förderbeträgen aus Mitteln der Ausgleichsabgabe (BSGE 54, 286 = SozR 3870 § 8 Nr. 1; BSG SozR 3870 § 8 Nr 2) auf eine Selbstverpflichtung des Zuwendungsempfängers oder eine im Bewilligungsbescheid getroffene Nebenbestimmung gestützt werden. Der Frage, ob sich der Empfänger einer Leistung durch eine Selbstverpflichtung bei Antragstellung „den von der Beklagten zu treffenden Regelungen“ unterwirft und die Selbstverpflichtung die Bekl. zugleich berechtigt, von dem Zuwendungsempfänger die Einhaltung der eingegangenen Verpflichtung durch einen Verwaltungsakt auf Unterwerfung zu verlangen (vgl BSGE 54, 286, 289 = SozR 3870 § 8 Nr 1), braucht nicht nachgegangen zu werden, denn der Kl. hat eine entsprechende Erklärung nicht abgegeben.

Zu Recht ist das LSG auch - ohne dies näher zu erörtern - davon ausgegangen, dass die Bekl. die Rückforderung nicht auf eine in den Bewilligungsbescheid aufgenommene Rückzahlungsverpflichtung (vgl BSG SozR 3870 § 8 Nr 2) stützen kann. Denn von der Wirksamkeit einer in den Verwaltungsakt aufgenommenen Nebenstimmung kann ohnehin nur ausgegangen werden, wenn im Bescheid eine konkrete Regelung getroffen wurde, die über einen bloßen Hinweis auf die Gesetzeslage hinausgeht (vgl. zu den Anforderungen an die Bestimmtheit von Nebenbestimmungen BSG SozR 3-7815 Art 1 § 2 Nr 2).

Deshalb liegt mangels Regelung keine Nebenbestimmung vor, wenn im Verwaltungsakt unter Bezugnahme auf gesetzliche Vorschriften lediglich bloße Hinweise oder Belehrungen über die vermeintliche Rechtslage enthalten sind (BSG SozR 3-2940 § 7 Nr 2). Die vom LSG mitgeteilte Begründung des Bescheides enthält damit die erforderliche Regelung nicht, sondern allenfalls eine Belehrung über eine Rückzahlungsverpflichtung bei Kündigung durch den Arbeitgeber.

3. Eine spezielle Rechtsgrundlage für die Rückforderung der den Arbeitgebern nach § 33 II SchwbG zur besonderen Förderung der Einstellung und Beschäftigung Schwerbehinderter auf Arbeitsplätzen gezahlten Geldleistungen besteht nicht. Eine derartige Rechtsgrundlage ist erst durch das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter vom 29. 9. 2000 (BGBl I 1394) geschaffen worden. Dieses Gesetz hat die bisherige zusätzliche Förderung bei der Einstellung Schwerbehinderter durch die Bundesanstalt für Arbeit aus Mitteln der Ausgleichsabgabe als zusätzlichen Förderungstatbestand in das Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) übernommen und die bisherigen Regelungen (§ 33 SchwbG, §§ 1 bis 13 SchwbAV) geändert bzw aufgehoben. Zugleich wurde auf Vorschlag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung der Rückzahlungstatbestand des § 223 II SGB III auf den Eingliederungszuschuss für besonders betroffene Schwerbehinderte ausgedehnt; ausgenommen wurde allerdings ausdrücklich der im Falle M. gewährte Zuschuss für besonders betroffene ältere Schwerbehinderte (vgl zur Begründung BT-Drucks 14/3799 S 36). Die Übergangsregelung in § 72 II SchwbG bestimmt, dass auf Leistungen § 33 II SchwbG iVm dem Ersten Abschnitt SchwbAV jeweils in der bis zum 30. 9. 2000 geltenden Fassung die zu diesem Zeitpunkt geltenden Rechtsvorschriften weiter anzuwenden sind, wenn die Entscheidung über die beantragten Leistungen vor dem 30. 9. 2000 getroffen worden ist.

Demgegenüber enthält § 10 SchwbAV die erforderliche gesetzliche Grundlage für eine Rückforderung der gezahlten Zuschüsse nicht. Denn bereits aus Überschrift („Nebenbestimmungen über die Rückzahlung“) und Wortlaut („Die Zuschüsse werden unter der Voraussetzung bewilligt …“) des § 10 SchwbAV folgt, dass die Vorschrift einen eigenen Rückzahlungstatbestand nicht enthält. Die Regelung knüpft vielmehr ersichtlich an eine anderweitig geregelte Rückzahlungspflicht an und setzt eine solche erst voraus.

4. Ob die Voraussetzungen der §§ 45 , 48 , 50 SGB X für eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides und eine Erstattung erbrachter Leistungen in Höhe von 8007 DM vorliegen, hat das LSG - von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend - ausdrücklich offengelassen. Die tatsächlichen Feststellungen reichen für eine abschließende Entscheidung des BSG nicht aus, denn den getroffenen Feststellungen kann schon nicht eindeutig entnommen werden, ob der Kl. und M. überhaupt eine tatsächliche Beschäftigung in Aussicht genommen hatten und in welchem Umfang M. nachfolgend für die Firma B. tätig war.

Das Urteil des LSG ist danach mit den ihm zu Grunde liegenden Tatsachenfeststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das LSG wird zunächst zu prüfen haben, ob die Bewilligungsentscheidung bereits bei ihrem Erlass rechtswidrig gewesen oder ob die Rechtswidrigkeit erst zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten ist und von welchem Zeitpunkt an die Voraussetzungen für eine Aufhebung vorgelegen haben. Auf die - der Bekl. bei Bewilligung wohl unbekannte - Zusatzvereinbarung vom 19. 12. 1994 zum Anstellungsvertrag vom 15. 12. 1994 wird hingewiesen. Abhängig von dem Ergebnis dieser Prüfung wird das LSG zu berücksichtigen haben, ob auch die weiteren Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 45 bzw § 48 SGB X vorgelegen haben.

Vorinstanzen

LSG SchlH., L 3 AL 92/98, 25.06.1999

Rechtsgebiete

Sozialrecht