Zur Gewichtung beruflicher und privater Umzugsgründe beim Werbungskostenabzug

Gericht

BFH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

02. 11. 1991


Aktenzeichen

VI R 77/89


Leitsatz des Gerichts

Ein einem Arbeitsplatzwechsel nachfolgender Umzug ist jedenfalls dann als beruflich veranlasst anzusehen, wenn durch den Umzug die gesamte Fahrzeit zwischen Wohnung und Arbeitsstätte um insgesamt 1 Stunde verringert wird und damit für den Arbeitnehmer eine solche tägliche Wegezeit verbleibt, wie sie im Berufsverkehr als normal angesehen wird (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung).

Die privaten Motive für die Auswahl der Wohnung stehen dann dem Abzug der Umzugskosten als Werbungskosten nicht entgegen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. hatte von 1967 bis 1981 mit seiner Familie in einer gemieteten Wohnung in A gewohnt. Die Kinder waren dort geboren und auch zur Schule gegangen. Danach hatte die Familie den Wohnsitz nach B verlegt, wo der Kl. 13 km entfernt nichtselbständig tätig war. Nach dem das Arbeitsverhältnis dort zum 31. 3. 1983 aufgelöst worden war, nahm der Kl. zum 1. 5. 1983 ein neues Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber in C auf. Die neue Arbeitsstätte in C war nunmehr rd. 80 km von der Wohnung in B entfernt. Im April 1983 erwarb der Kl. in A ein Zweifamilienhaus, in welches die Familie zum 1. 8. 1983 einzog. Die zweite Wohnung in dem Haus bezog die Schwiegermutter des Kl. Die Entfernung dieses Hauses zur neuen Arbeitsstätte in C beträgt 41 km. Während der Kl. von B zur neuen Arbeitsstätte für eine Fahrtstrecke ca. 1 Stunde benötigt haben will, beziffert er die Fahrzeit von A nach C auf ca. 1/2 Stunde. Ab 1. 6. 1983 stand dem Kl. ein Dienstwagen zur Verfügung.

FA und FG ließen die Aufwendungen für den Rückumzug nach A nicht als Werbungskosten zu. Der BFH verwies die Sache auf die Revision des Kl. an das FG zurück.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Zur steuerlichen Berücksichtigung von Umzugskosten

1. Das Bewohnen einer Wohnung am Lebensmittelpunkt des Steuerpflichtigen und seiner Familie ist dem privaten Lebensbereich zuzurechnen. Daher sind Aufwendungen für einen Umzug in eine solche Wohnung grundsätzlich steuerlich nicht abziehbare Kosten der allgemeinen Lebensführung (§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG), es sei denn, der Umzug ist beruflich veranlasst. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH dann der Fall, wenn die berufliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen den entscheidenden Grund für den Umzug darstellt und demgemäss Umstände der allgemeinen Lebensführung nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen.

Steuerlich abziehbare Umzugskosten bei einem Arbeitsplatzwechsel ...

a) Diese Voraussetzungen können z. B. gegeben sein, wenn der Arbeitnehmer seine bisherige Dienstwohnung wegen eines Arbeitsplatzwechsels räumen und deshalb in eine andere Wohnung umziehen muss (BFH-Urt. v. 18. 10. 1974, VI R 72/72, BStBl. II 1975, 327). Gleiches gilt, wenn ein Arbeitnehmer im zeitlichen Zusammenhang mit einem Arbeitsplatzwechsel innerhalb einer Großstadt oder an einen anderen Ort umzieht, weil sich dadurch die Zeitspanne für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte merklich verringert (BFH-Urt. v. 15. 10. 1976, VI R 162/74, BStBl. II 1977, 117), wobei der Anerkennung der Umzugskosten als Werbungskosten nicht entgegenstehen muss, dass der Umzug in ein zu Eigentum erworbenes Objekt erfolgt (BFH-Urt. v. 6. 11. 1986, VI R 34/84, BFH/NV 1987, 236).

... und ohne Arbeitsplatzwechsel

b) Auch ohne einen Arbeitsplatzwechsel hat der BFH die berufliche Veranlassung für einen Umzug als gegeben erachtet, wenn der Umzug zu einer wesentlichen Erleichterung für den Arbeitnehmer geführt hat (BFH-Urt. v. 10. 9. 1982, VI R 95/81, BStBl. II 1983, 16); die Klin. dieses Verfahrens hatte ihren Wohnsitz in einer Großstadt von 9 km bis auf 1 km an die Arbeitsstätte heranverlegt, weil sie den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte häufig auch mehrmals am Tag zurücklegen musste. Von ähnlichen Erwägungen geht auch das Urteil v. 28. 4. 1988, IV R 42/86 (BStBl. II 1988, 777) im Falle eines freipraktizierenden Arztes aus, der seine Wohnung von 14 km bis auf 100 m an seine im Krankenhaus gelegene Praxis heranverlegt hatte. Als eine wesentliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen gilt grundsätzlich der Umstand, dass der Umzug zu einer Fahrzeitersparnis von täglich bis zu 1 Stunde geführt hat (BFH-Urt. in BStBl. II 1987, 81); auch in diesem Urteil stand der nicht durch einen Arbeitsplatzwechsel verursachte Umzug in ein zuvor erworbenes Einfamilienhaus der nahezu ausschließlich beruflichen Veranlassung des Umzugs nicht entgegen.

Motive aus dem privaten Umfeld

c) Waren die für die berufliche Veranlassung eines Umzugs entscheidenden objektiven Kriterien wie Auszug aus einer oder Einzug in eine Dienstwohnung, wesentliche Fahrzeitverkürzung von mindestens 1 Stunde oder sonstige allgemeine erhebliche Verbesserungen der Arbeitsbedingungen gegeben, so hat der BFH nicht mehr danach gefragt, aus welchen Gründen der Steuerpflichtige z. B. gerade in diese neue Wohnung gezogen ist. Die Motive für die Auswahl einer Wohnung und die Bestimmung des Wohnortes sind nahezu stets durch die private Lebensgestaltung geprägt. Würden sie eine Rolle spielen, könnten Umzugskosten nie als Werbungskosten abgezogen werden. Daher kann es grundsätzlich für den Abzug der Umzugskosten auch nicht schädlich sein, wenn der Arbeitnehmer bei einem ausschließlich durch einen Arbeitsplatzwechsel ausgelösten Umzug in die Nähe des Arbeitsplatzes zieht und dabei den Ort der neuen Familienwohnung danach auswählt, wo er früher schon einmal gewohnt hat, um damit in das frühere soziale Umfeld der Familie zurückzukehren.

Die Gewichtung der Umstände

d) Allerdings kann die nach dem Umzug verbliebene Entfernung zur neuen Arbeitsstätte ein Indiz dafür sein, dass der Umzug nicht nahezu ausschließlich beruflich veranlasst war. Dabei ist auf die gesamten Umstände des Einzelfalles abzustellen; feste Entfernungsgrenzen sind grundsätzlich kein geeignetes Beurteilungskriterium, wie das folgende Beispiel zeigt. Verlegt ein Arbeitnehmer, der 500 km von seiner neuen Arbeitsstätte wohnt, den Wohnort z. B. bis auf 80 km an die neue Arbeitsstätte heran, so bestehen keine Bedenken, den Umzug als nahezu ausschließlich beruflich veranlasst anzusehen. Wohnt ein Arbeitnehmer hingegen 100 km von der neuen Arbeitsstätte entfernt, so wird von einer nahezu ausschließlichen beruflichen Veranlassung des Umzugs kaum ausgegangen werden können, wenn die neue Entfernung zur Arbeitsstätte nunmehr 80 km beträgt. Ähnliche Erwägungen gelten auch bei der Frage, ob eine Wegezeitverkürzung von 1 Stunde täglich stets als ein Indiz für die berufliche Veranlassung eines Umzugs zu bewerten ist. Auch hier wird es auf die Gesamtbewertung der ursprünglichen Fahrzeit, der Wegezeitverkürzung und der nach dem Umzug verbleibenden Fahrzeit ankommen. Dabei wird ein einem Arbeitsplatzwechsel nachfolgender Umzug jedenfalls dann als beruflich veranlasst angesehen werden können, wenn durch den Umzug die gesamte Fahrzeit um insgesamt 1 Stunde verringert wird und damit für den Arbeitnehmer eine solche tägliche Wegezeit verbleibt, wie sie im Berufsverkehr als normal angesehen wird.

Die Zurückverweisungsgründe

2. Das FG ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass der Anlass für den Umzug in dem Arbeitgeberwechsel des Kl. zu sehen war. Es hat unter Beachtung der Grundsätze des BFH-Urteils in BStBl. II 1987, 81 nicht als dem Abzug der Umzugskosten als Werbungskosten entgegenstehend angesehen, dass der Kl. mit seiner Familie in ein zu Eigentum erworbenes Haus gezogen ist. Als schädlich hat es das FG aber gewürdigt, dass der Kl. die Familienwohnung gerade dort genommen hat, wo er bereits 2 1/2 Jahre zuvor gewohnt hatte und wo die Kinder wieder in die früheren Klassenverbände aufgenommen werden konnten. Andere als private Gründe waren für das FG für die Auswahl gerade dieses Wohnortes nicht erkennbar. Unter diesen Verhältnissen hat das FG unter Verstoß gegen die vorstehenden Grundsätze dem Umstand keine entscheidende Bedeutung beigemessen, dass durch den Umzug eine gewisse Zeitersparnis für die Fahrten zur Arbeitsstätte eingetreten sein mochte. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben; die Sache war an das FG zurückzuverweisen. Das FG wird nunmehr - ggf. auch nach Einholung eines Sachverständigengutachtens - Feststellungen über die durch den Umzug eingetretene Wegezeitverkürzung zu treffen und unter Beachtung der oben angeführten Grundsätze erneut zu entscheiden haben.

Rechtsgebiete

Steuerrecht