Anspruch auf Elementarunterhalt wegen der Anrechnung fiktiver Einkünfte

Gericht

OLG Frankfurt/M


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

19. 12. 1991


Aktenzeichen

1 UF 84/91


Leitsatz des Gerichts

  1. Die sog. "relative Sättigungsgrenze" ist nach der Rechtsprechung der Familiensenate des OLG Frankfurt/M. seit Mitte 1990 bei 3000 DM anzusetzen.

  2. Hintertreibt eine geschiedene Ehefrau die Verwertung eines gemeinsamen Hausanwesens, so ist sie bedarfsmäßig fiktiv so zu stellen, als habe sie den hälftigen Erlös angelegt und ziehe daraus (bereinigte) Zinsen; ihre Grundversorgung sollte jedoch effektiv gesichert sein.

  3. Auch wenn ein Anspruch auf Elementarunterhalt wegen der Anrechnung fiktiver Einkünfte nicht besteht, kann ein Anspruch auf Krankenvorsorgeunterhalt gegeben sein.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Mit Urteil v. 1. 6. 1988 hatte das AmtsG L. die Ehe der Parteien geschieden; die Rechtskraft trat am 17. 3. 1989 ein. In dem vorliegenden Verfahren streiten die Parteien nur wegen des nachehel. Unterhaltsanspruches der AGg.

Mit Urteil v. 19. 12. 1990 hat das AmtsG - FamG - L. für Recht erkannt:

Der ASt. wird verurteilt, ab dem ersten des auf die Rechtskraft der Scheidung folgenden Monats an die AGg. in bis einschließlich Dezember 1989 einen Elementarunterhalt von monatlich 1800 DM und einen Vorsorgeunterhalt von monatlich 801,11 DM, für die Zeit von Januar bis April 1990 einen Elementarunterhalt von monatlich 1689 DM und einen Vorsorgeunterhalt von monatlich 743,51 DM sowie ab Mai 1990 einen Unterhalt von monatlich 1800 DM abzüglich seit 1. 5. 1990 gezahlter monatlicher Rente von 537,87 DM (508,62 DM + 29,25 DM) und ab 1. 7. 1990 gezahlter monatlicher Rente von 553,49 DM (524,24 DM + 29,25 DM) nebst 4 % Zinsen jeweils seit Fälligkeit zu zahlen.

Gegen dieses Urteil hat die AGg. Berufung eingelegt [mit der sie eine Erhöhung der Unterhaltsbeträge begehrt].

Der ASt. beantragt die Zurückweisung dieser Anträge und erhebt seinerseits unselbständige Anschlussberufung mit dem Antrag, das Urteil des AmtsG - FamG - dahin abzuändern, dass für die Zeit ab dem 1. 1. 1991 ein nachehel. Unterhaltsanspruch der AGg. entfällt.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Berufung und Anschlussberufung sind zulässig. In der Sache selbst hat nur die Anschlussberufung des ASt. vollen Erfolg, während die Berufung der AGg. nur bezüglich des Krankenkassen-Vorsorgeunterhaltes erfolgreich, i. ü. aber unbegründet ist.

Dass der 1925 geborenen geschiedenen Ehefrau und AGg. ein nachehel. Unterhaltsanspruch gegen den ASt. dem Grunde nach zusteht, steht außer Frage - der Streit der Parteien dreht sich vielmehr allein um die Höhe dieses Anspruchs, d. h. darum, ob und ggf. in welchem Umfange die AGg. überhaupt einen ungedeckten Unterhaltsbedarf hat. Der erkennende Senat hat alle Argumente der Parteien in seine Beratung miteinbezogen. Die Zusammenfassung der Erwägungen, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht (§ 313 III ZPO), lautet wie folgt:

Nach der Rechtsprechung des BGH kann der Ehegattenunterhalt sowohl quotenmäßig nach dem Einkommen des Unterhaltspflichtigen berechnet werden, möglich ist aber auch eine bedarfsorientierte konkrete Einzelberechnung. Letztere bietet sich vorliegend deswegen an, weil die Parteien während ihres Zusammenlebens in gehobenen Verhältnissen lebten und der ASt. auch jetzt noch über ein überdurchschnittliches Einkommen verfügt. Da der nachehel. Unterhalt nach Ansicht des BGH nicht mit dem Getrenntlebendenunterhalt identisch ist, ist der erkennende Senat nicht an die diesbezügliche Entscheidung des 5. FamS des OLG Frankfurt/M. gebunden. Die AGg. hat ihren Lebensbedarf zwar konkret dargelegt und ist dabei zu einem recht hohen Betrag gekommen. Aber auch dies bindet den erkennenden Senat nicht, weil es auch insoweit nach einer weiteren Rechtsauffassung des BGH nur auf einen Betrag ankommt, der sich aus der Sicht eines objektiven dritten Beobachters weder als zu karg noch als zu luxuriös ausnimmt. Dieser Betrag wird mit dem Begriff der sog. relativen Sättigungsgrenze umschrieben, die die Frankfurter FamSe seither mit monatlich 2800 DM bemaßen, seit Mitte 1990 mit 3000 DM monatlich ansetzen.

Dem wird das angefochtene Urteil im Ergebnis gerecht. Selbst wenn man den konkreten verobjektivierten Bedarf der AGg. noch etwas höher ansetzte, insbesondere für die Zeit ab Mitte 1990, kann nichts anderes gelten, denn entscheidend ist, dass das AmtsG für das von der AGg. bewohnte Haus nur einen Nutzungsvorteil von monatlich 1000 DM angesetzt hat. Dies ist aber zu wenig. Für die Zeit nach der Scheidung, wo es nicht mehr um die Aufrechterhaltung des seitherigen Status quo gehen kann, ist nach der Rechtsprechung des BGH gemäß § 100 BGB der objektive = marktübliche Miet- bzw. Nutzungswert anzusetzen. Die AGg. bewohnt alleine eine reine Wohnfläche von 130 qm in einem in bevorzugter Wohnlage gelegenen Hause mit etwa 1300 qm Grundstücksfläche. Sie muss sich nicht nur den auf sie als Eigentümerin entfallenden hälftigen Anteil zurechnen lassen, sondern auch den dem ASt. zustehenden weiteren Miteigentumsanteil, den sie kostenlos nutzt. Unter Heranziehung der Immobilienanzeigen der für B. einschlägigen Regionalzeitungen schätzt der Senat gemäß § 287 ZPO einen Nutzungswert von monatlich etwa 2000 DM. Hinzu kommt die eigene Rente; hinzu kommt der Mieterlös der ihr hälftig gehörenden drei Eigentumswohnungen in D. (dass diese Einnahmen unterhaltsrechtlich unbeachtlich sein sollten, ist nicht überzeugend dargetan, insbesondere gibt es keine bindende Vereinbarung der Parteien insoweit); hinzu kommt der titulierte Elementarunterhalt, den der ASt. für die Zeit bis zum 31. 12. 1990 nicht angefochten hat. Damit ist der Gesamtbedarf der AGg. bis zum 31. 12. 1990 voll gedeckt, d. h. mehr steht ihr nicht zu.

Da die AGg. inzwischen eine Altersrente bezieht, steht ihr auch kein Altersvorsorgeunterhalt mehr zu. Etwas anderes entspräche weder der Begriffslogik noch dem Sinn und der Absicht des Gesetzes.

Damit erweist sich das angefochtene Urteil bis zum 31. 12. 1990 als im Ergebnis zutreffend und die Berufung als erfolglos.

Auch für die Zeit ab dem 1. 1. 1991 bleibt das Rechtsmittel der AGg. erfolglos; vielmehr war das angefochtene Urteil ab diesem Zeitraum auf die Anschlussberufung des ASt. vollständig abzuändern, weil der AGg. nunmehr ein weiteres Einkommen aus dem fiktiven Verkauf des gemeinsamen Hausanwesens in B. zuzurechnen ist. Die Scheidung ihrer Ehe ist im Sommer 1988 ausgesprochen worden; im Frühjahr 1989 wurde sie rechtskräftig. Seit Sommer 1989 läuft der Antrag des ASt. auf Zwangsversteigerung des genannten Hausgrundstückes zum Zwecke der Auseinandersetzung. Lässt man die beigezogene Akte des AmtsG L. Revue passieren, so ergibt sich eindeutig, dass die AGg. weder an der Auseinandersetzung des gemeinsamen Eigentums noch an der diesbezüglichen Wertfeststellung mitzuwirken gewillt ist; auch in der Senatssitzung hat sie keine Bereitschaft erkennen lassen, an der Auseinandersetzung der Bruchteilsgemeinschaft mitzuwirken. Damit muss sie sich nach dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) so behandeln lassen, als wäre der objektive Wert des Hausgrundstückes inzwischen zwischen den Parteien aufgeteilt worden. Die AGg. hatte nämlich mehr als Zeit genug, sich auf die Folgen des Scheiterns ihrer Ehe einzustellen und an einer freihändigen Veräußerung des gemeinsamen Grundbesitzes mitzuwirken sowie sich dementsprechend wohnungsmäßig neu zu orientieren.

Geht man mit dem amtsgerichtlich bestellten Sachverständigen von einem objektiven Marktwert des Hausgrundstückes statt von ursprünglich geschätzten 1,6 Mio. DM nunmehr nur noch von 1,2 Mio. DM aus (dass der Wert realistisch ist, ergibt ebenfalls ein Blick in den Immobilienteil der örtlichen Presse), so entfallen auf die AGg. 600 000 DM, was bei einer Anlage zu 8 % einen monatlichen Nutzen von etwa 4000 DM ergibt. Abzüglich entsprechender Werbungskosten, Steuern und eines Kaufkraftschwundausgleiches sind der AGg. monatlich etwa 3000 DM zuzurechnen (§ 287 ZPO). Hinzu kommen die Altersrente und die hälftigen Mieteinnahmen aus den drei Eigentumswohnungen. Damit steht der AGg. mehr zu, als die relative Sättigungsgrenze von derzeit 3000 DM monatlich für durchschnittlich angemessen erachtet. Eines ergänzenden Unterhaltsanspruches bedarf es also nicht mehr. Selbstredend steht der AGg. auch für die Zeit ab dem 1. 1. 1991 kein Altersvorsorgeunterhalt zu.

An sich stünde der AGg. in Anbetracht der errechneten Gesamteinkünfte auch kein Krankenkassen-Vorsorgeunterhalt zu. Da aber nach der Rechtsprechung des BGH jede Rechtsposition unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben steht, hält es der erkennende Senat dem ASt. für zumutbar, den von der AGg. substantiiert und überzeugend dargelegten Beitragssatz für ihre private Krankenkasse zu bezahlen. Es darf nämlich nicht übersehen werden, dass der Betrag von 3000 DM aus Kapitaleinkünften nur fiktiv ist. Die AGg. hat aber Anspruch auf Abdeckung ihrer elementaren Bedürfnisse wie Wohnen (das hat sie), laufenden Lebensbedarf (das ist durch Rente und Mieteinkünfte abgedeckt) und Krankenschutz. Letzteres ist derzeit effektiv nicht abgedeckt. Die nachehel. Solidarität des ASt. für seine geschiedene Frau gebietet also, einen Krankenkassenbeitrag i. H. von 602,70 DM monatlich entsprechend ihrer Antragstellung laufend zu begleichen. Insoweit hat die Berufung der AGg. also Erfolg.

Da der erkennende Senat eine bedarfsorientierte Berechnungsweise angewandt hat, kommt es auf die zahlreichen Vorwürfe der AGg. zum Finanzierungs- und Einkommensgebaren des ASt. nicht entscheidend an. Eine Auswertung der von dem ASt. vorgelegten Einkommensurkunden für die letzten Jahre (vgl. Senat, FamRZ 1989, 1300, sowie Weychardt, DAVorm 1991, 63) ergibt allerdings, dass diesem monatlich ein durchschnittliches bereinigtes Nettoeinkommen jedenfalls nicht höher als 7000 DM (davon % = 2800 DM) bzw. 7500 DM (davon % = 3000 DM) zusteht. Soweit die AGg. dem ASt. darüber hinaus ein sog. „Garantieeinkommen" zugerechnet wissen will, ist dies schon deswegen irrelevant, weil nicht ersichtlich ist, dass der ASt. die Steuern hinterzieht und auf ein angebliches Mehreinkommen nur deswegen verzichtet hat, um die AGg. zielgerichtet und bewusst zu schädigen - ganz abgesehen davon, dass der 1929 geborene ASt. berechtigt wäre, seinen großen Arbeitseinsatz allmählich zu reduzieren -.

Da der erkennende Senat sich an die Rechtsprechung des BGH gehalten hat und die von ihm vorgenommenen Schätzungen sich in dem Rahmen halten, der dem sog. Tatrichter vorbehalten ist, kam die Zulassung der von der AGg. angeregten Revision nicht in Betracht.

Das vorstehende Urteil zum nachehel. Unterhalt ist damit nicht anfechtbar.

Rechtsgebiete

Unterhaltsrecht