Erziehungsgeld als Schonvermögen

Gericht

VGH München


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

06. 10. 1996


Aktenzeichen

12 B 94.3806


Leitsatz des Gerichts

Es bedeutet für den Hilfesuchenden und seine Kinder eine Härte i.S. von § 88 III 1 BSHG, wenn die Hilfe zum Lebensunterhalt während einer Zeit, in der ihm wegen der Betreuung eines Kindes Arbeit nicht zugemutet werden kann (§ 18 III 2 BSHG), vom Einsatz oder der Verwertung eines Geldvermögens abhängig gemacht wird, das aus Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz angespart worden ist.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. begehrt Sozialhilfeleistungen für die Monate Dezember 1992 und Januar 1993. Die Bekl. hatte für diesen Zeitraum die Zahlung von Leistungen eingestellt, weil die Kl. in diesem Zeitraum ihren Lebensunterhalt aus ihrem Vermögen in Form von angespartem Erziehungsgeld bestreiten könne. Das VG gab der Klage statt.

Die Berufung der Bekl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Das VG hat die Bekl. zu Recht verpflichtet, der Kl. in den streitgegenständlichen Monaten Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Anrechnung von Sparvermögen zu gewähren.

1. Nach § 11 I 1 BSHG ist der Kl. Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren, wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus ihrem Einkommen oder Vermögen beschaffen kann. Streitig ist zwischen den Bet. lediglich, ob die Kl. ihr Geldvermögen einzusetzen hatte. Diese Frage ist zu verneinen.

Nach § 88 I BSHG gehört zum Vermögen das gesamte verwertbare Vermögen, mithin auch das - unstreitig aus dem Erziehungsgeld angesparte - Geldvermögen der Kl. Der Auszahlungsanspruch aus dem Sparvertrag gehört zum Vermögen der Kl., und zwar auch dann, wenn das Sparbuch - wie die Kl. in ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und in der Klagebegründung angegeben hat - auf den Namen ihres Sohnes lautete. Legen Eltern ein Sparbuch für das Kind an und behalten sie dieses im Besitz, so wollen sie im Zweifel Gläubiger des Kreditinstituts bleiben (BGHZ 46, 201).

Nach § 8 I 1 BErzGG bleibt das Erziehungsgeld als Einkommen bei Sozialleistungen, deren Gewährung von anderen Einkommen abhängig ist, unberücksichtigt. Da der Einsatz des Einkommens und der Einsatz des Vermögens im BSHG getrennt und unterschiedlich geregelt sind, kann § 8 I 1 BErzGG nicht dahin ausgelegt werden, dass er auch die Einsatzfreiheit aus Erziehungsgeld angesparten Vermögens regele (vgl. BVerwGE 98, 256 (258) = NJW 1995, 3001 NVwZ 1996, 67 L - zum Schmerzensgeld). Auch § 88 II BSHG stellt das aus Erziehungsgeld angesparte Geldvermögen - von der für jegliche Geldwerte zugeschnittenen Vorschrift des § 88 II Nr. 8 BSHG abgesehen - nicht vom Einsatz und von der Verwertung frei. Das schließt es jedoch nicht aus, den Grund für die Nichtberücksichtigung des Erziehungsgeldes als Einkommen auch im Rahmen des Vermögenseinsatzes durchgreifen zu lassen (siehe nachfolgend a), weil Erziehungsgeld als Vermögen in gewissen zeitlichen Grenzen (siehe nachfolgend b) den gleichen Zwecken zu dienen bestimmt ist wie Erziehungsgeld als Einkommen. Die rechtliche Grundlage dafür bietet § 88 III 1 BSHG.

a) Nach § 88 III 1 BSHG darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Es wäre für die Kl. und ihre Kinder eine Härte, wenn sie das bis November 1992 aus den Erziehungsgeldleistungen angesparte Vermögen von 6583,60 DM für ihren Lebensunterhalt einsetzen müsste, auch soweit es nicht bereits (in Höhe von 3500 DM) nach § 88 II Nr. 8 BSHG geschützt ist. Denn es stünde ihr nicht mehr für die Zwecke zur Verfügung, für die es bestimmt ist.

Das Bundeserziehungsgeldgesetz regelt die Zweckbestimmung des Erziehungsgeldes nicht ausdrücklich. Die Bundesregierung führt in der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (BT-Dr 10/3792, S. 13) aus:

"Das Erziehungsgeld fördert die Betreuung und Erziehung eines Kindes in der ersten Lebensphase. Seit Jahren ist anerkannt, wie sehr die ganze spätere Entwicklung eines Kindes von der ersten Lebensphase abhängt und wie wichtig es ist, dass die Mutter oder der Vater in dieser Zeit für das Kind da sein kann. Erziehungsgeld ermöglicht oder erleichtert es, dass im Anschluss an die Mutterschutzfrist von 8 bzw. 12 Wochen die Mutter oder der Vater ganz oder teilweise - Teilzeitarbeit bis unter 20 Stunden pro Woche ist möglich - auf eine Erwerbstätigkeit verzichten kann. Dadurch kann die Mutter weiterhin vorrangig zu Hause bleiben und sich neben der Betreuung des Kindes gesundheitlich regenerieren; gleichzeitig wird durch die Möglichkeit der Erziehungsleistung für den Vater die Wahlfreiheit der Eltern, wer das Kind betreuen soll, vom Gesetz anerkannt und gefördert. Das Erziehungsgeld stellt insbesondere eine wichtige Hilfe für die junge Familie dar. Mit ihm wird die Erziehungsleistung der Familie anerkannt. Da das Erziehungsgeld ergänzend zu anderen Sozialleistungen gewährt und auf diese nicht angerechnet wird, erleichtert es - ggf. ergänzt durch Hilfen der Stiftung 'Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens' - schwangeren Frauen, die sich aus wirtschaftlichen Gründen in einer Konfliktsituation befinden, die Entscheidung für das Kind."

Diese Zweckbestimmung ist auch den parlamentarischen Beratungen des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zugrunde gelegt worden (BT-Dr 10/4148, S. 1 u. BT-Dr 10/4212, S. 2). Sie kommt in der Gesamtheit der Regelungen des Bundeserziehungsgeldgesetzes zum Ausdruck.

Dass das Erziehungsgeld bei der Gewährung von Sozialhilfe als Einkommen unberücksichtigt bleibt (§ 8 I 1 BErzGG), knüpft an diese Zweckbestimmung an. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BT-Dr 10/4148, S. 1 u. BT-Dr 10/4212, S. 18) heißt es hierzu:

"Leistungen nach dem Gesetz führen nicht zu einer Minderung von anderen Sozialleistungen (z.B. Wohngeld, Sozialhilfe, Ausbildungsförderung). Das Erziehungsgeld wird also zusätzlich gewährt. Nur so kann es auch bei Einkommensschwachen seiner Zielsetzung, dass die Betreuung und Erziehung eines Kindes in der ersten Lebensphase durch die Eltern anerkannt und mehr als bisher gefördert werden soll, gerecht werden und schwangeren Frauen, die sich aus wirtschaftlichen Gründen in einer Konfliktsituation befinden, das Ja zum Kind erleichtern."

Der so umschriebene Zweck des Erziehungsgeldes wird nicht nur dadurch erfüllt, dass es der Berechtigte kontinuierlich in dem Monat, für den es geleistet wird (vgl. § 5 IV 1 BErzGG), ausgibt. Das Erziehungsgeld dient nicht der Sicherung des Lebensunterhaltes. Es soll die Bereitschaft der Eltern fördern, die Betreuung und Erziehung des Kindes in der ersten Lebensphase ohne Einschränkungen zu übernehmen, insbesondere auf eine Erwerbstätigkeit zur Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu verzichten. Geht es beim Erziehungsgeld also nicht um die Sicherung des Lebensunterhaltes, sondern um eine höhere wirtschaftliche Unabhängigkeit im Interesse der Betreuung des Kindes, so gibt es für eine kontinuierliche vollständige Verausgabung des Erziehungsgeldes ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Eltern und der Kinder keinen plausiblen, geschweige denn einen zwingenden Grund. Das Erziehungsgeld braucht weder - unter Umständen gar in wirtschaftlich sinnloser Weise - sofort, noch braucht es für Bedürfnisse der Kinder ausgegeben zu werden.

Erziehungsgeld ist bereits mit Ablauf des Monats, für den es bezahlt worden ist, Vermögen i.S. des Sozialhilferechts (BVerwGE 29, 295) und damit nicht mehr aufgrund des § 8 I 1 BErzGG vor Anrechnung auf die Sozialhilfe geschützt. Bereits im Folgemonat würde nicht ausgegebenes Erziehungsgeld als Vermögen auf die Sozialhilfe angerechnet und damit einer Zweckbestimmung zugeführt, die es nicht hat. Die Anrechnung des angesparten Erziehungsgeldes ist daher eine Härte i.S. von § 88 III 1 BSHG.

b) Die Gewährung von Sozialhilfe darf aber nur zeitlich begrenzt nicht vom Einsatz oder der Verwertung angesparter Erziehungsgelder abhängig gemacht werden. Der Zweck des Erziehungsgeldes lässt es insbesondere nicht zu - wie es die Bekl. als Konsequenz einer Anwendung des § 88 III 1 BSHG sieht -, angespartes Geldvermögen bis zum 18. Lebensjahr der Kinder nicht anzurechnen. Das jüngere Kind der Kl. wurde in der streitgegenständlichen Zeit zwei Jahre alt. Jedenfalls solange der Kl. sozialhilferechtlich wegen der Betreuung dieses Kindes keine Arbeit zugemutet werden kann (§ 18 III 2 BSHG) - und so ist es bei der Betreuung eines gerade zweijährigen Kindes -, ist das Erziehungsgeld auch als Vermögen anrechnungsfrei. Eines der wesentlichen Ziele des Bundeserziehungsgeldgesetzes ist es, dem Erziehenden den Verzicht auf die Erwerbstätigkeit zu ermöglichen oder zu erleichtern.

Die Kl. hat befürchtet, nach Ablauf der Erziehungsgeldzahlungen in ein "finanzielles Loch" zu fallen. Das bedingt, dass der Kl. die angesparten Erziehungsgelder jedenfalls so lange anrechnungsfrei verbleiben, als sie nicht sozialhilferechtlich gehalten ist, ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhaltes für sich und ihre Kinder einzusetzen (§ 18 I BSHG).

Rechtsgebiete

Sozialrecht; Unterhaltsrecht