Lebensunterhalt sichernde Erwerbstätigkeit
Gericht
BVerwG
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
14. 05. 1992
Aktenzeichen
5 C 27.89
Von einer den Lebensunterhalt sichernden Erwerbstätigkeit i. S. des § 11 III S. 1 Nr. 3 i. V. mit § 11 III S. 2 BAföG kann nur dann gesprochen werden, wenn die von dem Auszubildenden vor Aufnahme seiner Ausbildung ausgeübte Tätigkeit so beschaffen war, dass aus deren Ertrag auch finanzielle Vorsorge gegen die Folge von Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit getroffen werden konnte.
Zeiten einer Arbeitslosigkeit können als Zeiten einer zur Gewährung elternunabhängiger Ausbildungsförderung führenden Erwerbstätigkeit in Betracht kommen.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kl. für sein Studium der Volkswirtschaftslehre nach dem BAföG elternunabhängige Ausbildungsförderung [Afö] beanspruchen kann.
Der 1961 geborene Kl. übte, nachdem er die allgemeine Hochschulreife erworben hatte, von April 1981 an verschiedene Tätigkeiten aus, für die er Einkünfte in unterschiedlicher Höhe erhielt: Vom 21. 4. 1981 bis zum 30. 4. 1982 arbeitete er bei der Firma I. und verdiente dort insgesamt 32.517 DM. Anschließend bezog er bis zum 31. 7. 1982 Arbeitslosengeld i. H. von 4.339,60 DM brutto. Im August 1982 und in der Zeit vom 6. 9. 1982 bis einschließlich März 1983 arbeitete der Kl. in mehreren Bäckereien; sein Verdienst betrug im August 1982 300 DM, in der Zeit vom 6. 9. 1982 bis zum 31. 12. 1982 1.688 DM und in den Monaten Januar bis März 1983 zusammen 1.380 DM. Vom 1. 4. 1983 bis zum 29. 6. 1983 bezog der Kl. erneut Arbeitslosengeld, diesmal i. H. von 4.367,06 DM brutto. Vom 1. 7. 1983 bis zum 15. 11. 1983 verdiente er in der Bäckerei seiner Eltern 2.070 DM. Sodann war er vom 1. 2. 1984 an in einer als GmbH geführten, von ihm als Gesellschafter mitgetragenen Bäckerei tätig. Der Arbeitslohn, den er hierfür erhielt, betrug i. J. 1984 10.947 DM, i. J. 1985 4.800 DM und in der Zeit von Januar bis September 1986 11.641 DM.
Im Wintersemester 1986/87 begann der Kl. an der Universität H. ein Studium der Volkswirtschaftslehre. Seinen im Oktober 1986 gestellten Antrag auf Gewährung elternunabhängiger Afö lehnte das Studentenwerk H., im Auftrag der Bekl. handelnd, ab. Die vom Kl. nach Zurückweisung seines Widerspruchs erhobene Klage, gerichtet darauf, die Bekl. zu verpflichten, ihm auf seinen Antrag Afö ohne Anrechnung des elterlichen Einkommens zu gewähren, blieb im ersten und im zweiten Rechtszug erfolglos.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Kl.
Auszüge aus den Gründen:
II.
Die Revision des Kl. ist unbegründet, so dass sie zurückzuweisen ist (§ 144 II VwGO). Die Annahme des OLG, dass der Kl. für sein im Wintersemester 1986/87 aufgenommenes Studium der Volkswirtschaftslehre elternunabhängige Förderung nicht verlangen kann, verletzt Bundesrecht nicht.
Nach der als Anspruchsgrundlage allein in Betracht kommenden Regelung des § 11 III S. 1 Nr. 3 i. V. mit S. 2 BAföG, deren hier maßgebliche Fassung aus der Bekanntmachung vom 6. 6. 1983 (BGBl I 645, 1680) hervorgeht, werden auf den Bedarf des Auszubildenden, abweichend von § 11 II BAföG, Einkommen und Vermögen seiner Eltern nicht angerechnet, wenn der Auszubildende bei Beginn des Ausbildungsabschnitts nach Vollendung des 18. Lebensjahres fünf Jahre erwerbstätig und in dieser Zeit in der Lage war, sich aus dem Ertrag der Erwerbstätigkeit selbst zu unterhalten. Wie die Vorinstanz im Ergebnis zutreffend entschieden hat, sind diese Voraussetzungen im Fall des Kl. deshalb nicht erfüllt, weil er bei Beginn seines Studiums noch keine fünf Jahre erwerbstätig war.
Erwerbstätigkeit i. S. des § 11 III S. 1 Nr. 3 BAföG ist nicht jede mit der Erzielung von Einkünften verbundene Beschäftigung. Wie dem Zusammenhang mit der Regelung in § 11 III S. 2 BAföG entnommen werden kann, setzt der Begriff der Erwerbstätigkeit in § 11 III S. 1 Nr. 3 BAföG nämlich voraus, dass der Auszubildende früher nicht nur eine - sei es selbständige, sei es nichtselbständige - Tätigkeit ausgeübt hat, sondern darüber hinaus auch in der Lage war, sich aus dem Ertrag dieser Tätigkeit selbst, d. h. unabhängig von Dritten, zu unterhalten (ebenso mit Recht Tz. 11.3.6 S. 1 i. V mit Tz. 8.2.6 I S. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum BAföG i. d. F. der Bekanntmachung v. 30. 7. 1986 [BAföGVwV 1986], GMBl 397; Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 3. Aufl. 1991, § 11 Rz. 35; auch Humborg, in: Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., § 11 Rz. 27.4, Stand: Mai 1990).
Dies ist nur dann der Fall, wenn der Auszubildende vor Beginn der von ihm jetzt angestrebten Ausbildung Tätigkeiten verrichtet hat, die, auch wenn sie nicht notwendig ohne jede zeitliche Unterbrechung erbracht worden sein müssen (vgl. BT-Drucks. 8/2467, S. 23 unter 10. i. V. mit S. 29 zu 10., und weiter etwa Tz. 11.3.4 I S. 1 BAföGVwV 1986), insgesamt durch eine gewisse Beständigkeit gekennzeichnet, d. h. im Prinzip auf Dauer angelegt waren (wie hier Humborg, a.a.O.). Außerdem bedeutet die Fähigkeit, sich aus dem Ertrag einer Tätigkeit selbst zu unterhalten, im vorliegenden Zusammenhang mehr als nur die Möglichkeit, die laufenden Bedürfnisse des täglichen Lebens aus eigenen Mitteln zu befriedigen.
Denn zu einem Selbstunterhalt in der hier maßgeblichen Afö-rechtlichen Bedeutung rechnet auch die auf die Zukunft gerichtete Vorsorge gegen die Folgen von Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit. Von einer den Lebensunterhalt sichernden Erwerbstätigkeit i. S. des § 11 III S. 1 Nr. 3 i. V. mit S. 2 BAföG kann deshalb nur gesprochen werden, wenn die von dem Auszubildenden vor Aufnahme seiner Ausbildung ausgeübte Tätigkeit so beschaffen war, dass aus deren Ertrag Vorkehrungen auch gegen die insoweit bestehenden Lebensrisiken finanziert werden konnten. Im Fall des Kl. hat eine diesen Anforderungen genügende Erwerbstätigkeit nicht in dem in § 11 III S. 1 Nr. 3 BAföG geforderten zeitlichen Umfang vorgelegen.
Die Annahme einer insgesamt 5jährigen Erwerbstätigkeit braucht allerdings nicht schon daran zu scheitern, dass der Kl. nach den für das Gericht nach Maßgabe des § 137 II VwGO verbindlichen Feststellungen des OVG vom 1. 5. 1982 bis zum 31. 7. 1982 und vom 1. 4. 1983 bis zum 29. 6. 1983 arbeitslos war. Zeiten einer Arbeitslosigkeit können, wovon zutreffend auch die Vorinstanz ausgegangen ist, als Zeiten einer zur Gewährung elternunabhängiger Ausbildungsförderung führenden Erwerbstätigkeit in Betracht kommen (a. A. Humborg, a.a.O., § 11 Rz. 27.8; vgl. auch OVG Münster, Urteil v. 25. 4. 1990 - 16 A 2629/88 -, NVwZ-RR 1990, 612).
Die Erwerbstätigkeit in § 11 III S. 1 Nr. 3 BAföG ist ähnlich wie in § 11 III S. 1 Nr. 4 BAföG (dazu s. Senatsbeschluss v. 13. 12. 1984 - 5 B 87.83 -, Abdruck S. 4) ein Anzeichen dafür, dass der Auszubildende gegen seine Eltern keinen Unterhaltsanspruch auf Finanzierung einer Ausbildung mehr hat. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollen die Eltern, weil ihr inzwischen volljährig gewordenes Kind fünf Jahre lang wirtschaftlich auf eigenen Füßen stand, davon ausgehen dürfen, dass sie in der Zukunft nicht mehr auf Ausbildungsunterhalt in Anspruch genommen werden. Eine dementsprechende Erwartung kann sich auch daraus ergeben, dass das nach Ausübung einer beruflichen Tätigkeit arbeitslos gewordene Kind während der Zeit der Arbeitslosigkeit, ohne einer nach dem BAföG förderungsfähigen Ausbildung nachzugehen, finanzielle Leistungen erhielt, auf die es aufgrund der vorangegangenen Erwerbstätigkeit einen Rechtsanspruch hatte (vgl. auch Tz. 11.3.8 Buchst. d BAföGVwV 1986; Ramsauer/Stallbaum, a.a.O.). Zumindest in Fällen, in denen diese Leistungen eine solche Höhe erreichten, dass bis zur anschließend erfolgten Wiederaufnahme einer mit Einkünften verbundenen Beschäftigung Dritte nicht ergänzend für den Unterhalt des Leistungsbeziehers aufzukommen brauchten, ist es deshalb gerechtfertigt, Zeiten der Arbeitslosigkeit als Zeiten einer Erwerbstätigkeit in der Afö-rechtlichen Bedeutung des § 11 III S. 1 Nr. 3 i. V. mit S. 2 BAföG anzuerkennen.
Aus § 8 II BAföG kann ein anderes Ergebnis nicht hergeleitet werden. Wie das OVG zutreffend hervorgehoben hat, hat der in den Nr. 1 und 2 dieser Vorschrift verwendete Begriff der Erwerbstätigkeit eine Bedeutung, die mit derjenigen des wortgleichen Begriffs in § 11 III S. 1 Nr. 3 und S. 2 BAföG nicht übereinstimmt. Während § 8 II BAföG durch das Erfordernis der Erwerbstätigkeit der Tatsache Rechnung tragen will, dass die Arbeit des ausländischen Auszubildenden oder seiner Eltern, auf deren Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes und deren Erwerbstätigkeit in § 8 II Nr. 2 BAföG abgestellt wird, nicht unwesentlich dazu beiträgt, Sozialinvestitionen wie die Afö zu ermöglichen (BVerwGE 58, 353, 356 = FamRZ 1980, 84; BVerwG, Urteil v. 4. 6. 1981 - 5 C 30.79 -, Buchholz, 436.36, § 8 BAföG Nr. 2, S. 2 f. = FamRZ 1981, 1114; BVerwGE 65, 282, 285 = FamRZ 1982, 1047; BVerwGE 70, 185, 187 = FamRZ 1985, 213), ist die Erwerbstätigkeit in § 11 III S. 1 Nr. 3 BAföG, wie oben schon ausgeführt, der Anknüpfungspunkt dafür, dass der Auszubildende von seinen Eltern die Finanzierung einer Ausbildung nicht mehr verlangen kann. Sind die beiden Regelungen danach nicht miteinander vergleichbar, lassen sich Schlüsse von der einen auf den Inhalt der anderen nicht ziehen.
Bleibt es mit Rücksicht darauf dabei, dass Zeiten der Arbeitslosigkeit dem Grunde nach zu den Zeiten einer Erwerbstätigkeit i. S. des § 11 III S. 1 Nr. 3 i. V. mit S. 2 BAföG gezählt werden können, kann hier offen bleiben, ob der Empfang von Arbeitslosengeld, das der Kl. während der beiden Zeiten seiner Arbeitslosigkeit i. H. von insgesamt jeweils mehr als 4.300 DM erhielt, die Eltern des Kl. zu der Annahme berechtigte, dieser werde von ihnen die Leistung von Ausbildungsunterhalt nicht mehr verlangen. Denn dem mit der Klage geltend gemachten Anspruch des Kl. auf elternunabhängige Afö steht jedenfalls entgegen, dass dieser während des hier zu beurteilenden Gesamtzeitraums von annähernd fünfeinhalb Jahren in der Zeit von November 1984 bis März 1986, also 17 Monate lang, wegen Vorliegens einer geringfügigen Beschäftigung der Bedeutung des § 8 I Nr. 1 SGBIV i. d. E des Art. II § 16 Nr. 2 des Gesetzes v. 4. 11. 1982 (BGBl I 1450) sozialversicherungsfrei war. Ausweislich der vom OVG in Bezug genommenen Verwaltungsvorgänge hat der Kl. in dem zuletzt genannten Teilzeitraum während seiner Tätigkeit als Bäckereiarbeiter bei der von ihm als Gesellschafter der GmbH mitgetragenen Bäckerei zunächst (November und Dezember 1984) bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 14 Stunden monatlich 390 DM, sodann (i. J. 1985) bei unveränderter Wochenarbeitszeit monatlich 400 DM und schließlich (Januar bis März 1986) bei einer Arbeitszeit von zehn Stunden in der Woche monatlich 410 DM verdient; Beiträge zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung sind, weil damit die für die Versicherungsfreiheit geringfügig entlohnter Beschäftigungen maßgebende Arbeitsentgeltgrenze nicht überschritten war, nicht abgeführt worden. Eine Beschäftigung dieses Zuschnitts erfüllt nicht die Voraussetzungen einer Erwerbstätigkeit im Verständnis des § 11 III S. 1 Nr. 3 i. V. mit S. 2 BAföG, weil sie entgegen den oben schon angeführten Anforderungen an dieses Merkmal nicht zu einer Sicherung des Lebensunterhalts auch im Hinblick auf die Erfordernisse eines vorbeugenden Schutzes gegen die Risiken der Krankheit, des Alters und der Arbeitslosigkeit führt. Können mit Rücksicht darauf von den vom Kl. angegebenen Zeiten einer Beschäftigung auf jeden Fall 17 Monate nicht berücksichtigt werden, wird die in § 11 III S. 1 Nr. 3 BAföG geforderte Mindestzeit einer 5jährigen Erwerbstätigkeit nicht erreicht. Ein Anspruch des Kl. auf elternunabhängige Afö ist damit ausgeschlossen.
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