Haftung für Schneelawinen bei 45 Grad-Dach

Gericht

OLG Karlsruhe (Senat Freiburg)


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

27. 06. 1986


Aktenzeichen

14 U 269/84


Leitsatz des Gerichts

Der Eigentümer eines Gebäudes haftet hälftig für den Schaden durch eine Schneelawine, die bei Tauwetter von einem nicht mit Schneefanggitter gesicherten, mit 45 Grad geneigten Kirchendach abgeht und einen Pkw beschädigt. Warnschilder allein reichen als Sicherungsmaßnahme nicht aus.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. nimmt die Stadt Oppenau auf Ersatz des Schadens in Anspruch, den am 1. 3. 1984 bei Tauwetter eine vom Dach der katholischen Kirche in Oppenau abgehende Schneelawine an dem Pkw anrichtete, den der Kl. auf dem Parkplatz an der Längsseite des Kirchenschiffes abgestellt hatte. Das Dach der Kirche hatte kein Schneefanggitter. Schneefanggitter sind nicht durch Ortssatzung vorgeschrieben. Am Sockel des Kirchengebäudes auf der Parkplatzseite sind zwei Schilder mit der Aufschrift „Vorsicht Dachlawine" angebracht.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl. hatte teilweise Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

... 1. Zu Recht wendet sich der Kl. dagegen, dass das LG das Bestehen von Schadensersatzansprüchen verneint hat. Zutreffend ist allerdings zunächst der rechtliche Ausgangspunkt der angefochtenen Entscheidung, wonach sich Art und Umfang der Verkehrssicherungspflicht eines Hauseigentümers gegen Dachlawinen nicht generell bestimmen lassen und es in der Regel den betroffenen Verkehrsteilnehmern überlassen bleiben muss, sich selbst durch Achtsamkeit vor der Gefahr der Schädigung durch herabfallenden Schnee zu schützen (vgl. BGH, NJW 1955, 300; OLG Karlsruhe, NJW 1983, 2946; Steffen, in: RGRK, 12. Aufl., § 823 Rdnr. 219; Birk, NJW 1983, 2912). Zutreffend ist auch, dass der Hauseigentümer nur bei besonderen Umständen gehalten ist, Sicherheitsmaßregeln zur Vermeidung von Schäden zu ergreifen. Abweichend vom LG sieht es der Senat im Streitfall aber als Pflicht der bekl. Stadt an, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, eine Pflicht, die die Stadt indes schuldhaft verletzt hat. Wegen der besonderen Beschaffenheit der im Eigentum der bekl. Stadt stehenden katholischen Kirche in Oppenau lässt sich nicht bezweifeln, dass die Anbringung von Schneefanggittern zur Abwehr von Gefahren erforderlich war (zum folgenden vgl. Steffen, in: RGRK, § 823 Rdnr. 219; Birk, NJW 1983, 2913 f.): Die katholische Kirche weist unstreitig ein Dach mit einer Neigung von über 45 Grad auf; das Kirchendach ist zudem, wie sich aus dem Lichtbild anschaulich ergibt, ziemlich groß und weist eine beachtliche Traufhöhe auf. An die Sorgfaltspflicht der bekl. Stadt sind schließlich auch deshalb erhöhte Anforderungen zu stellen, weil neben der Kirche Parkplätze angelegt wurden (vgl. Birk, NJW 1983, 2915). Es kommt hinzu, dass Oppenau nicht als „im schneearmen Gebiet der Oberrheinischen Tiefebene" gelegen bezeichnet werden kann, sondern am Westabfall des Schwarzwaldes und damit in einem Gebiet liegt, in dem ergiebige Niederschläge (auch als Schnee) typisch sind; zu dieser Beurteilung ist der Senat aus eigener Sachkunde in der Lage, der Einholung des von der bekl. Stadt beantragten meteorologischen Sachverständigengutachtens bedarf es daher nicht (§ 244 IV 1 StPO entsprechend). Nach alledem lässt sich nicht bezweifeln, dass die bekl. Stadt als Eigentümerin der katholischen Kirche gehalten war, geeignete Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit zu ergreifen. Dass die Bekl. dies selbst nicht verkannt hat, folgt aus dem Umstand, dass die bekl. Stadt an den anderen Dachseiten des Gebäudes und auch am Eingang des gegenüberliegenden Rathauses Schneefanggitter angebracht hat; diesen Vortrag des Kl. hat die bekl. Stadt nicht - jedenfalls nicht substantiiert - bestritten.

Die Anbringung von Warntafeln reichte im Streitfall nicht aus. Es braucht nicht entschieden zu werden, ob und gegebenenfalls wann eine Warnung durch Schilder oder Tafeln ausreichen kann, um der Verkehrssicherungspflicht des Gebäudeeigentümers zu genügen. Derartige Maßnahmen genügen jedenfalls dann nicht, wenn von einem Gebäude aufgrund der Beschaffenheit und Lage Gefahren ausgehen, die weit über den Gefahren liegen, die von vergleichbaren Objekten drohen, oder im unmittelbaren Zugangsbereich der Publikumsverkehr besonderen Gefahren ausgesetzt ist (Birk, NJW 1983, 2916 mit Nachw. aus der Rspr.). So aber verhielt es sich im Streitfall: Von dem großen und steilen Dach mit seiner beachtlichen Höhe konnten erhebliche Schneemengen abgehen, von denen Gefahren nicht nur für fremdes Eigentum, sondern auch für Leib und Leben von Parkplatzbenutzern und Kirchenbesuchern ausgehen konnten, zumal auf der Seite, auf der auch der Pkw des Kl. zu Schaden gekommen ist, ein Eingang zur Kirche ist.

2. Der bekl. Stadt ist indes zuzugeben, dass dem Kl. bei der Entstehung des Schadensfalls ein erhebliches Mitverschulden zur Last fällt. Der Kl. ist in A. und damit nicht weit vom Unfallort entfernt wohnhaft. Er musste daher die Gefahr von Dachlawinen am Unfalltag erkennen, da unstreitig Tauwetter herrschte. Wenn er sein Fahrzeug gleichwohl an der katholischen Kirche in Oppenau abstellte, an der unstreitig mehrere deutlich sichtbare große Hinweisschilder mit der Aufschrift „Vorsicht Dachlawine" angebracht sind, muss er sich vorhalten lassen, dass er gröblich die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die nach Lage der Sache erforderlich war, um sich selbst vor Schaden zu bewahren. Sein Mitverschulden scheint dem Senat gleich schwer zu wiegen, wie die Verletzung der Sorgfaltspflicht durch die bekl. Stadt; der Kl. hat daher nur Anspruch auf Ersatz der Hälfte seines Schadens.

Rechtsgebiete

Schadensersatzrecht; Schnee und Glatteis