Keine Verpflichtung zu weiteren Ausbildungskosten

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

12. 05. 1993


Aktenzeichen

XII ZR 18/92


Leitsatz des Gerichts

  1. Haben die Eltern ihrem Kind eine angemessene Berufsausbildung ermöglicht, sind sie im allgemeinen nicht verpflichtet, die Kosten einer weiteren Ausbildung zu tragen.

  2. Das Kind ist verpflichtet, seine Ausbildung zielstrebig und erfolgreich zu beenden und sich dann selbst zu unterhalten.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Das kl. Land (im folgenden: Kl.) gewährte dem am 19. 8. 1964 geborenen Sohn des Bekl. aus dessen 1973 geschiedener Ehe Ausbildungsförderung - zum Teil - im Wege der Vorausleistung gemäß § 36 BAföG. Mit der Klage macht es einen gemäß § 37 BAföG übergegangenen Unterhaltsanspruch gegen den Bekl. i. H. von monatlich 253,22 DM für die Zeit vom 1. 10. 1988 bis 30. 9. 1989 (insgesamt 3.038,64 DM) nebst Zinsen geltend.

Beide Vorinstanzen haben i. S. der Klage entschieden. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Bekl. sein Begehren auf Abweisung der Klage weiter.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das OLG.

1. Voraussetzung für die Begründetheit der Klage ist, dass der Bekl. seinem Sohn i. H. der eingeklagten Beträge Unterhalt schuldet. Nach § 1610 II BGB umfasst der Unterhalt eines Kindes die Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf. Darunter ist eine Berufsausbildung zu verstehen, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspricht und die sich in den Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern hält. Geschuldet wird also die den Eltern wirtschaftlich zumutbare Finanzierung einer optimalen begabungsbezogenen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes entsprechenden Berufsausbildung (BGHZ 69, 190, 192 = FamRZ 1977, 629; BGHZ 107, 376, 379 ff. = FamRZ 1989, 853, jeweils m. w. N.). Haben Eltern ihrem Kind eine angemessene Berufsausbildung in dem dargelegten Sinn zukommen lassen, so sind sie nach der std. Rspr. des Senats im allgemeinen nicht verpflichtet, die Kosten einer weiteren Ausbildung zu tragen. Ausnahmen sind nur unter besonderen Umständen angenommen worden, etwa wenn sich nachträglich herausstellte, dass die erste Ausbildung auf einer deutlichen Fehleinschätzung der Begabung des Kindes beruhte. Ferner ist eine Unterhaltspflicht der Eltern in Betracht gezogen worden, wenn die weitere Ausbildung zweifelsfrei als eine bloße Weiterbildung anzusehen ist und die Weiterbildung von vornherein angestrebt war oder während der ersten Ausbildung eine besondere, die Weiterbildung erfordernde Begabung des Kindes deutlich wurde (BGHZ 107, a.a.O., S. 380, m. w. N.).

Für die Fälle, in denen das Kind nach Erlangung der Hochschulreife zunächst eine praktische Ausbildung durchlaufen hat und es sodann darum geht, ob die Eltern ein sich hieran anschließendes Hochschulstudium zu finanzieren haben, hat der Senat in dem Urteil v. 7. 6. 1989 (BGHZ 107, 376 ff. = FamRZ 1989, 853) die - modifizierten - Grundsätze zu den Abitur-Lehre-Studium-Fällen aufgestellt. Danach umfasst der Unterhalt in diesen Fällen dann auch die Kosten des Hochschulstudiums, wenn dieses mit den vorangegangenen Ausbildungsabschnitten in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang steht und die Finanzierung des Ausbildungsgangs den Eltern wirtschaftlich zumutbar ist.

2. Das OLG hat diese Voraussetzungen hier für gegeben erachtet und dazu ausgeführt:

Da der Sohn des Bekl. nach Beendigung der Lehre und Ableistung des Wehrdienstes mit dem Studium begonnen habe, sei der erforderliche zeitliche Zusammenhang zwischen den Ausbildungsabschnitten gewahrt. Darüber hinaus bestehe zwischen der Lehre und dem Studium auch ein enger sachlicher Zusammenhang. Die Ausbildung zum Industriekaufmann stelle eine fachliche Ergänzung für das Studium des Maschinenbaus dar. Das zeige sich etwa darin, dass die Technische Universität M. den Studenten für Maschinenbau Wahlfächer wie "Kostengünstig Konstruieren", "Management für Ingenieure" und "Einführung in die Betriebswirtschaftslehre" anbiete. Der Senat wisse zudem aus eigener Kenntnis um die in der Industrie vorhandene enge Verzahnung zwischen Betriebswirtschaft und Technik, die inzwischen bereits zur Einführung des Studienfachs Wirtschaftsingenieur geführt habe. Auch wenn in größeren Firmen zwischen dem technischen und dem kaufmännischen Bereich stärker getrennt werden möge, könne es für einen Diplom-Ingenieur, der in einer kleineren Firma tätig sei und diese zu leiten habe, oft sehr wichtig sein, wenn er sich im technischen und im kaufmännischen Bereich auskenne. Gerade auf dem Gebiet des Maschinenbaus gebe es aber viele mittelständische Betriebe. Im übrigen entspreche es der Eigenart des Bildungsweges mit vorausgehender praktischer Ausbildung, dass der Auszubildende zwar häufig von Anfang an beabsichtige zu studieren, das genaue Studienziel aber nur in groben Umrissen kenne und erst am Ende der praktischen Ausbildung wisse, welche Fachrichtung er als Studienfach wählen wolle. Würde man in derartigen Fällen zu strenge Anforderungen an den sachlichen Zusammenhang stellen, würde dies der Besonderheit dieses Ausbildungsweges nicht gerecht werden.

3. Dagegen erhebt die Revision zu Recht Bedenken.

Mit Rücksicht darauf, dass Eltern ihren Kindern gemäß § 1610 II BGB grundsätzlich nur eine - angemessene - Berufsausbildung (und nicht mehrere) zu gewähren haben (vgl. hierzu Senatsurteil v. 12. 6. 1991 - XII ZR 163/90 -, FamRZ 1991, 1044), hat der Senat auch für den mehrstufigen Ausbildungsweg Abitur-Lehre-Studium neben dem zeitlichen Zusammenhang als Voraussetzung für den gebotenen engen sachlichen Zusammenhang gefordert, praktische Ausbildung und Studium müssten derselben Berufssparte angehören oder jedenfalls so zusammenhängen, dass das eine für das andere eine fachliche Ergänzung, Weiterführung oder Vertiefung bedeute, oder dass die praktische Ausbildung eine sinnvolle Vorbereitung auf das Studium darstelle (BGHZ 107, a.a.O., S. 382).

Diese Voraussetzungen sind entgegen der Auffassung des OLG hier nicht erfüllt. Denn die Ausbildung zum Industriekaufmann hat eine wesentlich andersartige Wissensvermittlung zum Gegenstand als das Studium des Maschinenbaus.

Soweit das OLG angenommen hat, die Ausbildung zum Industriekaufmann stelle eine fachliche Ergänzung für das Studium des Maschinenbaus dar, kann dem nicht beigetreten werden. Durch das technische Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelnde Studium des Maschinenbaus werden das bei der kaufmännischen Lehre erworbene Wissen und in diesen Bereich fallende Fähigkeiten nicht ergänzt, weitergeführt oder vertieft. Jedenfalls fehlt ein enger Zusammenhang, wie er nach der Senatsrspr. erforderlich ist. In dieser ist etwa eine Ausbildung zum Bankkaufmann wegen der vielfältigen Berührungspunkte mit dem Studium und der späteren Berufsausübung eines Juristen als sinnvolle Vorbereitung auf das Studium der Rechtswissenschaft beurteilt worden (Senatsurteil v. 23. 10. 1991 - XII ZR 174/90 -, BGHR, BGB § 1610 II Studium 5 = FamRZ 1992, 170), während ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen der Ausbildung zum Speditionskaufmann und dem Jurastudium verneint worden ist (Senatsurteil v. 20. 5. 1992 - XII ZR 131/91 -, BGHR, a.a.O., Studium 6 = FamRZ 1992, 1407). Dabei hat der Senat in der letztgenannten Entscheidung die Auffassung bestätigt, dass allein die im Rahmen des Jurastudiums geforderte Beschäftigung mit der Volkswirtschaftslehre den gebotenen engen sachlichen Zusammenhang zwischen den beiden Ausbildungen nicht zu begründen vermöge, da vielfältige Bereiche der modernen Industriegesellschaft einen irgendwie gearteten Zusammenhang mit der Rechtswissenschaft hätten. Der Schwerpunkt des Berufs des Speditionskaufmannes liege aber nicht auf rechtlichem, sondern auf kaufmännischem Gebiet.

Ähnlich liegen die Dinge hier. Der Schwerpunkt des Berufs des Industriekaufmanns liegt im kaufmännischen Bereich, der des Maschinenbauingenieurs hingegen auf technischem Gebiet. Die Erwägung des OLG, es könne für einen leitenden Diplom-Ingenieur in einer kleineren Firma "oft sehr wichtig sein", wenn er sich im technischen und im kaufmännischen Bereich auskenne, vermag die Annahme eines engen sachlichen Zusammenhangs zwischen den beiden Ausbildungen nicht zu rechtfertigen, weil sie einen nur möglichen Einzelfall aufgreift und nicht in der gebotenen Weise typisiert. Es kann auch nicht genügen, dass durch eine Lehre zusätzlich erworbene Kenntnisse im späteren Berufsleben nützlich sind; das wird fast immer der Fall sein. Andernfalls müsste beispielsweise eine Ausbildung an einer Fremdsprachenschule für eine Vielzahl nicht artverwandter Studiengänge (etwa Rechtswissenschaft, Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre, technische Studiengänge u. ä.) als fachlich sinnvolle Vorbereitung auf das Studium angesehen werden. Damit würde der in § 1610 II BGB abgesteckte Rahmen der elterl. Unterhaltspflicht gesprengt, weil das Merkmal "angemessen" auch eine gebührende Berücksichtigung der Belange der Eltern erfordert. Zwar zeigt der verschiedentlich angebotene Studiengang "Wirtschaftsingenieur" auf, dass es im akademischen Bereich eine sinnvolle Verbindung zwischen Ökonomie und Technik gibt. Diesen Studiengang hat der Sohn des Bekl. aber nicht eingeschlagen, weil er sich offenbar schwerpunktmäßig zur Technik hingezogen fühlt. Die kaufmännische Lehre hat er seinerzeit nur begonnen, weil er später ein Studium der Volkswirtschafts- oder Betriebswirtschaftslehre aufzunehmen beabsichtigte. Hätte er sogleich Maschinenbau studieren wollen, hätte er schwerlich die kaufmännische Lehre vorgeschaltet - das wäre ihm auch nicht von der Berufsberatung empfohlen worden.

Da mithin ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen der Lehre zum Industriekaufmann und dem Studium des Maschinenbaus zu verneinen ist, wird das angefochtene Urteil von der gegebenen Begründung nicht getragen.

4. Das bedeutet indessen nicht, dass die Sache entscheidungsreif wäre. Denn der Bekl. kann unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet sein, das Studium seines Sohnes zu finanzieren.

a) Wie bereits ausgeführt, umfasst der Unterhalt eines Kindes (u. a.) die Kosten einer "angemessenen" Vorbildung zu einem Beruf. Demgemäss hat der BGH schon in der grundlegenden Entscheidung BGHZ 69, 190 ff. = FamRZ 1977, 629, darauf abgehoben, dass nur Eltern, die ihrer Pflicht, dem Kind eine angemessene Berufsausbildung zu gewähren, bereits in rechter Weise nachgekommen sind, in der Regel keine Kosten für eine weitere (zweite) Ausbildung zu tragen haben. Hingegen ist eine Verpflichtung zur Finanzierung einer weiteren Ausbildung grundsätzlich nicht ausgeschlossen, wenn eine angemessene Ausbildung noch nicht gewährt worden ist (BGHZ 69, a.a.O., S. 194 = FamRZ 1977, 669 [LS.]). In seinem Urteil zu den Abitur-Lehre-Studium-Fällen (BGHZ 107, 376 ff. = FamRZ 1989, 853), durch das die Unterhaltspflicht der Eltern für diese Ausbildungsgänge unter den dort dargelegten Voraussetzungen modifiziert und erweitert worden ist, hat der Senat vornehmlich die Fälle im Auge gehabt, in denen der Unterhaltsberechtigte mit der zunächst durchlaufenen Lehre an sich eine für ihn angemessene Ausbildung erhalten hatte und deshalb nach der früheren Rspr. grundsätzlich keine Finanzierung des anschließenden Studiums hätte verlangen können.

b) Ob indessen die Ausbildung zum Industriekaufmann für den Sohn des Bekl. eine angemessene Berufsausbildung i. S. von § 1610 II BGB war, nämlich seiner Begabung, seinen Fähigkeiten, seinem Leistungswillen und seinen beachtenswerten Neigungen - als Berufsziel - entsprach, hat das OLG nicht festgestellt. Diese tatrichterliche Beurteilung muss daher nachgeholt werden, wobei den Parteien Gelegenheit zu weiterem Vortrag zu geben ist.

Nach den bisher festgestellten Umständen bestehen zumindest Bedenken dagegen, die Lehre zum Industriekaufmann als eine für den Sohn des Bekl. angemessene Vorbildung zu einem Beruf anzusehen. Seine Leistungen im Abitur - mit einem im oberen Leistungsbereich liegenden Notendurchschnitt - ließen auf eine Eignung und Begabung für eine weiterführende wissenschaftliche Ausbildung schließen. Der Kl. hat geltend gemacht, die Absolvierung einer Lehre habe die Begabungen und Fertigkeiten des Sohnes des Bekl. nicht in hinreichendem Maße ausschöpfen können. Dieser selbst beabsichtigte von Anfang an die Aufnahme eines Studiums. Der Bekl. war mit diesem Vorhaben ersichtlich einverstanden, wie sich daraus entnehmen lässt, dass er seinen Sohn im Herbst 1984 aufforderte, er solle, ebenso wie seine Schwester, sofort studieren und nicht zwei Ausbildungen absolvieren (vgl. hierzu auch Senatsurteil v. 10. 12. 1980 - IVb ZR 546/80 -, FamRZ 1981, 344, 346, 2. Abs.).

c) War die Lehre zum Industriekaufmann für den Sohn des Bekl. keine angemessene Vorbildung zu einem Beruf, so folgt daraus die grundsätzliche Verpflichtung des Bekl., im Rahmen seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit das Studium des Sohnes zu finanzieren (BGHZ 107, a.a.O., S. 382 f., m. w. N.). Bedenken könnten sich allerdings daraus ergeben, dass dieser das Studium nicht mit der gebotenen Zielstrebigkeit aufgenommen hat, weil er zuvor eine Lehre absolviert und die eigene Neigung und Begabung nicht sogleich richtig eingeschätzt hat (vgl. dazu Senatsurteile v. 23. 5. 1984 - IVb ZR 39/83 -, FamRZ 1984, 777, 778; v. 11. 2. 1987 - IVb ZR 23/86 -, BGHR, BGB § 1610 II Studium 1 = FamRZ 1987, 470).

Bei der Prüfung, ob dem Sohn des Bekl. insoweit eine Obliegenheitsverletzung anzulasten ist, wird das OLG zu berücksichtigen haben, dass auf ein leichteres, nur vorübergehendes Versagen zurückzuführende Verzögerungen der Ausbildungszeit nicht immer die schwerwiegende Folge eines Verlustes des Unterhaltsanspruchs haben müssen (vgl. Senatsurteil v. 27. 9. 1989 - IVb ZR 83/88 -, BGHR, BGB § 1610 II Studium 3 = FamRZ 1990, 149, 150). Die Vorschaltung einer Lehre war hier wesentlich beeinflusst durch den Rat einer Behörde, auf deren Fachkunde der Sohn des Bekl. ersichtlich vertraute. Soweit er schon vor Abschluss der Lehre erkannte, dass seine Neigungen auf technischem Gebiet lagen, diese aber dennoch nicht sogleich abbrach und zunächst - ersichtlich mit gutem Erfolg - sich der Abschlussprüfung unterzog, ist zu berücksichtigen, dass ein solches Verhalten vernünftiger, auch im Interesse der Eltern liegender Daseinsvorsorge entsprach. Da die zunächst beabsichtigten Stufen - kaufmännische Lehre und anschließendes Wirtschaftsstudium - als einheitlicher Ausbildungsgang im Sinne der Senatsrspr. (BGHZ 107, 376, 381 f. = FamRZ 1989, 853) anzuerkennen gewesen wären, wird das Verhalten des Sohnes des Bekl. ähnlich wie bei einem Ausbildungswechsel zu beurteilen sein.

d) Soweit das OLG ausgeführt hat, die Finanzierung eines Studiums sei dem Bekl. nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen zumutbar, hält dies den Angriffen der Revision stand. Der Bekl. konnte im Frühjahr 1988 finanzielle Dispositionen nicht ohne Rücksicht darauf treffen, ob die Ausbildung seines Sohnes bereits beendet war. Wenn der persönliche Kontakt seit 1984 unterbrochen war, wie die Revision geltend macht, hätte er sich zuvor auf andere Weise darüber vergewissern müssen.

Die Zurückverweisung gibt dem Bekl. im übrigen Gelegenheit, Vorbringen, auf das vorstehend nicht eingegangen worden ist, etwa zum Haftungsanteil der Mutter gemäß § 1606 III BGB, dem OLG zu unterbreiten.

Rechtsgebiete

Unterhaltsrecht