Unterhalt für auswärts studierendes Kind
Gericht
OLG Hamm
Art der Entscheidung
Beschluss über Beschwerde
Datum
13. 03. 1989
Aktenzeichen
10 WF 76/89
Für die Unterhaltsklage einer in Großbritannien studierenden deutschen Studentin, die ihren Wohnsitz im Bezirk des angerufenen Amtsgerichts beibehalten hat, gegen ihren in Großbritannien wohnenden Vater sind die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte und die örtliche Zuständigkeit des angerufenen AmtsG gegeben. Der Unterhaltsanspruch richtet sich nach deutschem Recht.
Eine Studentin, die in der Wohnung ihrer Mutter ein Zimmer beibehält und dort persönliche Habe hat und polizeilich gemeldet ist, begründet an ihrem auswärtigen Studienort keinen Wohnsitz, sondern behält ihren Wohnsitz am Wohnort der Mutter bei. Hier hat sie auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt.
Der Unterhaltsanspruch kann in englischer Währung geltend gemacht werden.
Das Angebot, das volljährige Kind könne weiterhin Unterhalt in Form von Kost und Logis erhalten, genügt den Anforderungen des § 1612 II S. 1 BGB nicht.
Auszüge aus den Gründen:
Die gemäß § 127 II S. 2 ZPO zulässige Beschwerde führt [zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses]. Mit der vom AmtsG gegebenen Begründung kann der Kl. die Bewilligung von Prozesskostenhilfe [PKH] nicht versagt werden. Vielmehr sind die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte und die örtliche Zuständigkeit des AmtsG U. im vorliegenden Fall gegeben. Auch kann der beabsichtigten Rechtsverfolgung im übrigen die hinreichende Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden (§ 114 ZPO).
Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte bestimmt sich im vorliegenden Fall nach dem Übereinkommen der europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 27. 9. 1968 (EuGVÜ), dem die Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien angehören (Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, ZPO, 47. Aufl., Schlussanhang V C). Gemäß Art. 5 Nr. 2 des EuGVÜ kann eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates hat, in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden, und zwar, für den Fall, dass es sich um eine Unterhaltssache handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem der Unterhaltsberechtigte seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Diese Regelung, welche die ansonsten für die Frage der internationalen Zuständigkeit heranzuziehende Bestimmung des § 23 a ZPO verdrängt (vgl. Senat, IPRax 1988, 307), greift vorliegend ein, da der Bekl. seinen Wohnsitz in Großbritannien, einem Vertragsstaat des EuGVÜ, hat und die Kl., die gegen den Bekl. Unterhaltsansprüche geltend macht, in der Bundesrepublik Deutschland wohnt. Dabei richtet sich die Frage des Wohnsitzes der Kl. unter Heranziehung von Art. 52 I EuGVÜ, wonach das Gericht dann, wenn zu entscheiden ist, ob eine Partei im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates, dessen Gerichte angerufen sind, einen Wohnsitz hat, sein Recht anwendet, nach § 7 BGB.
Gemäß § 7 I BGB begründet derjenige, der sich an einem Ort ständig niederlässt, an diesem Orte seinen Wohnsitz. Dieser Wohnsitz der Kl. befindet sich in der Bundesrepublik Deutschland, nämlich in U. Denn dort, in der Wohnung der Mutter, hat sie nach wie vor ein Zimmer, persönliche Habe und ist polizeilich gemeldet. Durch einen Aufenthalt außerhalb von U. zu einem vorübergehenden Zweck hat die Kl. einen anderen Wohnsitz nicht begründet. Denn es entspricht der herrschenden Meinung, dass Studierende an ihrem Studienort keinen Wohnsitz begründen (Palandt / Heinrichs, BGB, 48. Aufl., § 7 Anm. 2). Darauf, welche Verkehrsverbindungen zwischen dem Studien- und dem Wohnort bestehen, kommt es nicht an.
Da sich die örtliche Zuständigkeit gleichfalls nach Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ richtet (vgl. Senat, a.a.O.; Piltz, NJW 1979, 1071, 1074), ist das angerufene AmtsG auch örtlich zuständig.
Scheitern somit die Erfolgsaussichten der Unterhaltsklage entgegen der Auffassung des AmtsG nicht an der fehlenden (internationalen) Zuständigkeit, ist auch im übrigen die hinreichende Erfolgsaussicht der von der Kl. beabsichtigten Rechtsverfolgung zu bejahen (§ 114 ZPO). Nach dem Klagevorbringen steht der Kl. gemäß §§ 1601 ff. BGB ab Juli 1988 der geltend gemachte Unterhalt zu. Dabei sieht der Senat davon ab, den angefochtenen Beschluss mit Rücksicht darauf, dass das AmtsG nur über die Zulässigkeit der Hauptsache entschieden hat, in entsprechender Anwendung der Vorschriften der §§ 538 I Nr. 2, 575 ZPO aufzuheben und zur erneuten Entscheidung an das AmtsG zurückzuverweisen, da die Sache einfach gelagert und entscheidungsreif ist (vgl. Thomas / Putzo, ZPO, 15. Aufl., § 575 Anm. 1).
Der von der Kl. geltend gemachte Unterhaltsanspruch richtet sich nach deutschem Recht. Das folgt aus Art. 18 I EGBGB.
Für die Bestimmung des Unterhaltsstatuts ist Art. 18 I EGBGB heranzuziehen. Auf die Frage eines Vorrangs des Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht v. 2. 10. 1973 kommt es nicht an, da die kollisionsrechtlichen Vorschriften dieses Übereinkommens unmittelbar in den Wortlaut von Art. 18 EGBGB eingearbeitet sind (Palandt / Heldrich, BGB, 48. Aufl., Anh. zu EGBGB 18 Nr. 2). Deshalb genügt trotz des grundsätzlichen Vorrangs staatsvertraglicher Regelungen vor dem autonomen deutschen Kollisionsrecht die Anwendung des Art. 18 EGBGB bei der Bestimmung des Unterhaltsstatuts (Palandt / Heldrich, a.a.O., Art. 3 EGBGB Anm. 3 c; Art. 18 EGBGB Anm. 1 a).
Nach Art. 18 EGBGB sind auf Unterhaltspflichten die Sachvorschriften des am jeweiligen gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten geltenden Rechts anzuwenden, was hier zur Anwendung deutschen Rechts führt. Denn auch der gewöhnliche Aufenthalt der Kl., wie schon ihr Wohnsitz, liegt in der Bundesrepublik Deutschland. Unter dem gewöhnlichen Aufenthalt ist nämlich der Ort oder das Land zu verstehen, in dem der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person, ihr Daseinsmittelpunkt liegt. Zu fordern ist nicht nur ein Aufenthalt von einer Dauer, die im Unterschied zu dem einfachen oder schlichten Aufenthalt nicht nur gering sein darf, sondern auch das Vorhandensein weiterer Beziehungen, vor allem in familiärer oder beruflicher Hinsicht, in denen der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person zu sehen ist (BGH, FamRZ 1981, 135, 136). Die Entscheidung, ob im Einzelfall der Aufenthalt als gewöhnlicher Aufenthalt anzusehen ist, liegt wesentlich auf dem Tatsachengebiet. Durch zeitweilige Abwesenheit, auch von längerer Dauer, wird der gewöhnliche Aufenthalt regelmäßig nicht aufgehoben, sofern die Absicht besteht, an den früheren Aufenthaltsort zurückzukehren. Das gilt in der Regel dann, wenn sich jemand außerhalb des Wohnorts seiner Eltern ausbilden lässt (BGH, FamRZ 1975, 272 = NJW 1975, 1068), so dass seinen bisherigen gewöhnlichen Aufenthalt behält, wer auswärts studiert (Soergel / Kegel, BGB, 11. Aufl., Art. 29 EGBGB Rz. 32). Nach diesen Grundsätzen befindet sich der gewöhnliche Aufenthalt der Kl. nach wie vor in der Bundesrepublik Deutschland.
Die Kl. hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt bis zum Beginn des Studiums in Deutschland. Die Aufnahme des Studiums hat daran nichts geändert. Denn gerade ihre häufigen Aufenthaltswechsel von Zagreb über Essen nach Köln und schließlich nach Glasgow belegen, dass ein durch das Studium bedingter Aufenthalt nur als vorübergehend anzusehen ist. Es spricht nichts dafür, dass die Kl. über den Zweck des Studiums hinaus in Großbritannien bleiben wird, was um so mehr gilt, als die Kl. nicht etwa Anglistik, sondern Slawistik / Orientalistik studiert.
Der Höhe nach ist der von der Kl. geltend gemachte Unterhaltsanspruch bei der dargelegten Einkommenssituation des Bekl. nicht zu beanstanden. Bei einem Jahreseinkommen des Bekl. von 18.000 englischen Pfund brutto, das sind rund 57.600 DM, ergibt sich ein Unterhaltsbedarf der Kl. von jedenfalls 150 englischen Pfund im Monat, das sind rund 480 DM. Denn das entspricht in etwa einem Tabellenunterhalt nach der Unterhaltstabelle zu Ziff. 1 der Hammer Leitlinien [Stand: 1. 1. 1985 = FamRZ 1984, 963; Stand: 1. 1. 1989 = FamRZ 1988, 1017] nach Einkommensgruppe 4 der Unterhaltstabelle bis einschließlich Dezember 1988 bzw. Einkommensgruppe 3 der Tabelle ab Januar 1989 von 425 DM (Altersstufe 3) zuzüglich des Differenzbetrages zur Altersstufe 2 als Volljährigenzuschlag.
Auch der Umstand, dass die Kl. ihren Unterhaltsanspruch in englischer Währung geltend macht, ist nicht zu beanstanden. Denn Unterhaltsansprüche gehen nicht von vornherein auf eine bestimmte Geldsumme. Sie sind vielmehr anhand gesetzlicher Merkmale wie Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit zu errechnen, die dem Unterhaltsgläubiger eine bestimmte Lebensstellung sichern sollen, stellen mithin sog. Geldwertschulden dar. Ein Geldwert lässt sich aber in jeder Währung errechnen und übertragen. Dementsprechend kann jedenfalls bei Vorliegen sachlicher Gründe, hier der studienbedingte Aufenthalt in Großbritannien, der Unterhalt in der Währung des Landes, in dem die Kl. studiert, verlangt werden (Henrich, Unterhaltsrecht, Ein Handbuch für die Praxis, S. 31.11, m. w. N.).
Dem Barunterhaltsanspruch der Kl. steht § 1612 II BGB nicht entgegen. Danach können Eltern, die einem unverheirateten Kinde Unterhalt zu gewähren haben, bestimmen, in welcher Art der Unterhalt gewährt werden soll. Das vom Bekl. unstreitig mit Anwaltsschreiben v. 2. 8. 1988 unterbreitete Angebot an die Kl., diese könne weiterhin Unterhalt in Form von Kost und Logis bei ihm erhalten, genügt den Anforderungen des § 1612 II S. 1 BGB nicht, da die Bestimmung den gesamten Lebensbedarf, nicht nur Kost und Logis, umfassen muss (BGH, FamRZ 1983, 369 = NJW 1983, 2198; FamRZ 1984, 37 = NJW 1984, 305). Im übrigen hat der Bekl. selbst dieses Angebot nicht als andere Ansprüche ausschließende Unterhaltsbestimmung gewertet, es vielmehr der Kl. überlassen, entweder weiterhin Kost und Logis von ihm entgegenzunehmen oder einen monatl. Unterhaltsbetrag i. H. von 80 englischen Pfund zu wählen.
Kanzlei Prof. Schweizer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH © 2020
Impressum | Datenschutz | Cookie-Einstellungen