Erwerbsobliegenheit des volljährigen Kindes

Gericht

AmtsG Tempelhof-Kreuzberg


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

19. 06. 1995


Aktenzeichen

142 F 6501/95


Leitsatz des Gerichts

  1. Zur Auslegung eines negativen Festsetzungantrages, hinter dem sich letztlich ein Abänderungsantrag verbirgt.

  2. Jedes gesunde volljährige Kind, das sich nicht in einer angemessenen Berufsausbildung befindet, hat die Pflicht, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, deren Verletzung die Bedürftigkeit i. S. von § 1602 BGB beseitigt.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. ist der Vater der Bekl.

Im Rahmen der Scheidungsfolgenvereinbarung v. 14. 10. 1993 hat sich der Kl. verpflichtet, ,,für die gemeinsame Tochter einen monatlichen, im voraus bis zum 3. eines jeden Monats zu entrichtenden Unterhaltsbetrag i. H. von 600 DM an die ASt. zu zahlen. Grundlage für die Berechnung des Unterhalts bleibt die Düsseldorfer Tabelle. Das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen des AGg. beträgt 3.700 DM.'' Mit der vorliegenden Abänderungsklage begehrt der Kl. die Unterhaltsabänderung auf Null.

Letztlich habe sie - die Bekl. - doch aus eigenem Entschluss mit Antrag v. 30. 11. 1994 um die Auflösung ihres Berufsausbildungsverhältnisses nachgesucht, das mit Ablauf des 1. 12. 1994 beendet worden sei. Seit dem 5. 12. 1994 sei sie als arbeitslos beim Arbeitsamt I Berlin gemeldet. Ihr wurden von dort erfolglos mehrere Stellen als Arzthelferin angeboten. Da für die Obliegenheit eines gesunden volljährigen Kindes zur Nutzung seiner Arbeitskraft einheitliche Maßstäbe gelten wie für den barunterhaltspflichtigen Elternteil im Verhältnis zum minderjährigen Kind, müsse die Bekl. ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten. Sie habe bislang nicht nachgewiesen, einen Ausbildungsplatz zu erhalten, so dass er - der Kl. - deshalb zu weiteren Unterhaltszahlungen nicht verpflichtet sei.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Abänderungsklage ist zulässig.

Zwar begehrt der Kl. die Feststellung, dass er seit dem 1. 12. 1994 nicht mehr verpflichtet sei, an die Bekl. Unterhalt zu leisten. Hinter der Formulierung des negativen Feststellungsantrages verbirgt sich aber letztlich ein Abänderungsantrag (OLG München, FamRZ 1992, 213; OLG Bamberg, FamRZ 1988, 649; Göppinger/Wax/Vogel, Unterhaltsrecht, 6. Aufl. 1994, Rz. 2367). Sein Klagewille geht dahin, von der Unterhaltsverpflichtung befreit zu werden. Dieses Ziel kann er nur mit der Abänderungsklage als außerordentlichen Rechtsbehelf erreichen.

Die Abänderungsklage ist auch begründet.

Für die Klage auf Abänderung eines Prozessvergleichs sind die aus § 242 BGB abgeleiteten Grundsätze über den Fortfall der Geschäftsgrundlage maßgebend (BGB, FamRZ 1995, 665, 666; KG, OLG-R 1994, 140, 141). Vorliegend haben sich seit dem Abschluss der Scheidungsfolgenvereinbarung v. 14. 10. 1993 die damals maßgeblichen Verhältnisse zweifelsohne weitgehend geändert. Die Bekl. ist zwischenzeitlich volljährig geworden.

Einem volljährigen Kind ist der Vater nicht mehr verstärkt i. S. des § 1603 II S. 1 BGB unterhaltspflichtig. Er schuldet die Kosten für eine angemessene Ausbildung zu einem Beruf gemäß § 1610 II BGB im Rahmen des von den Eltern ihrem Kind zu gewährenden Unterhalts.

Jedes gesunde volljährige Kind, das sich nicht in einer angemessenen Berufsausbildung befindet, ist nicht von der Erwerbsobliegenheit befreit; es kann daher von ihm verlangt werden, anstelle der Berufsausbildung einer Erwerbstätigkeit nachzugehen deren Verletzung die Bedürftigkeit i. S. des § 1602 I BGB beseitigt.

(Thierschmann, Unterhaltsanspruch Volljähriger gegen ihre Eltern, Schriften zum deutschen und europäischen Zivil-, Handels- und Prozessrecht, Bd. 111, 1986, S. 72)

Die Bekl. hat mangels Eignung das Ausbildungsverhältnis als Verwaltungsfachangestellte abgebrochen. Da sie bislang noch über keine abgeschlossene Ausbildung verfügt, ist der Kl. an sich noch weiterhin verpflichtet, ihr eine angemessene Ausbildung zu einem Beruf zu ermöglichen. Da die Bekl. aber bislang noch keinen weiteren Ausbildungsplatz erlangt hat, ist sie gehalten, jedwede Tätigkeit aufzunehmen. Ihr sind daher auch Arbeiten unterhalb ihrer gewohnten Lebensstellung zuzumuten.

Die Bekl. hat bislang nicht hinreichend genug dargetan, dass sie sich ausreichend um einen neuen Ausbildungsplatz bemüht hat. Dass sie sich als Politesse bewirbt, ist unverständlich. Denn auch dieser Beruf zeichnet sich durch besondere Rechtsvorschriften aus, obgleich sie aufgrund ihrer gescheiterten Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten bereits schon hat erkennen müssen, dass ihre Leistungen auf den Gebieten der Rechts- und Verwaltungskunde völlig unzureichend sind und sie für diese Art des Berufes ungeeignet ist. Solange die Bekl. keinen Ausbildungsplatz sucht, der mit ihrer Befähigung und Neigung in Einklang zu bringen ist, sondern sich von Wunschvorstellungen leiten lässt, die zwangsläufig das Scheitern zur Folge haben, braucht der Kl. zur Zeit keinen Unterhalt zu zahlen. Vielmehr muss die Bekl. in ihrer ausbildungsfreien Zeit jedwede Tätigkeit aufnehmen, auch solche, die unterhalb ihrer bislang gewohnten Lebensstellung liegt. Denn für die Obliegenheit eines gesunden volljährigen Kindes zur Nutzung seiner Arbeitskraft gelten ähnliche Maßstäbe wie für den barunterhaltspflichtigen Elternteil im Verhältnis zum minderjährigen Kind (BGH, FamRZ 1985, 273 und 1245). Es gelten auch hier strenge Voraussetzungen.

Die Putztätigkeit von 11/2 Stunden täglich bei einer 5-Tage-Woche zu einem Brutto-Nettoentgelt von 440 DM ist völlig unzureichend.

Der Barunterhaltsbedarf der Bekl. ist mit 950 DM abzüglich einer Ersparnis von 150 DM wegen gemeinsamer Haushaltsführung mit ihrer Mutter anzusetzen (OLG Düsseldorf, OLG-R 1993, 40, 41). Der Barunterhaltsbedarf beträgt dann 800 DM. Hiervon ist noch das Kindergeld, das die Mutter erhält, i. H. von 70 DM voll abzuziehen, so dass ihr Unterhaltsanspruch 730 DM beträgt. Diesen Betrag haben die Eltern anteilig aufzubringen, wenn die Bekl. ihren Unterhaltsbedarf nicht selbst vollständig abdecken kann. Da sie bereits bei 11/2 Stunden täglich bei einer 5-Tage-Woche 440 DM verdient, braucht sie folglich nur unwesentlich mehr arbeiten, um ihren Bedarf aus eigener Kraft vollständig abzudecken. Ein Anspruch auf Finanzierung einer angemessenen Ausbildung entsteht erst dann wieder, wenn sie mit hinreichender Zielstrebigkeit das selbst gewählte Ausbildungsziel, das ihren Neigungen und Befähigungen entspricht, angeht (OLG Schleswig, FamRZ 1986, 201).

Rechtsgebiete

Unterhaltsrecht; Arbeitsrecht