Zumutbarkeit der Tragung von Bestattungskosten bei Erbenmehrheit

Gericht

OVG Münster


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

30. 10. 1997


Aktenzeichen

8 A 3515/95


Leitsatz des Gerichts

  1. Anspruchsberechtigt gemäß § 15 BSHG ist nicht derjenige, der im Rahmen der ihm obliegenden Totenfürsorge berechtigt ist, die Bestattung des Verstorbenen durchzuführen, sondern derjenige, der rechtlich verpflichtet ist, die Kosten der Bestattung zu tragen. Bei einer Mehrheit von Erben ist Verpflichteter jeder (Mit-)Erbe, wenn und soweit er Forderungen nach § 1968 BGB ausgesetzt ist.

  2. Ob und inwieweit dem Verpflichteten die Tragung der Bestattungskosten zuzumuten ist, richtet sich ausschließlich nach seinen individuellen Verhältnissen. Dem Erben ist es zuzumuten, vorrangig alle Mittel einzusetzen, die ihm durch den Tod des Verstorbenen zugeflossen sind. Dazu gehören z. B. aus Anlass des Todes entstandene Sozialleistungsansprüche, Schadensersatzansprüche nach § 844 BGB, der Nachlass und auch ein Ausgleichsanspruch gegen einen anderen Miterben nach § 426 BGB. Lässt sich nicht feststellen, ob ein anderer Miterbe nach seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen zur Tragung von Bestattungskosten nicht in der Lage war, geht dies zu Lasten des Miterben, der die Übernahme der Bestattungskosten nach § 15 BSHG beansprucht.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Erstattung der Kosten für die von ihr veranlasste Bestattung ihrer verstorbenen Schwester. Die Verstorbene war verwitwet und hatte keine Kinder; ihre Eltern waren bereits vorverstorben. Von den Geschwistern der Verstorbenen lebten zum Zeitpunkt ihres Todes nur noch die Klägerin und ihr Bruder, der zwischenzeitlich ebenfalls verstorben ist. Die Verstorbene hat ein Sparbuch hinterlassen, das bei der Gerichtskasse hinterlegt ist. Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Übernahme der ungedeckten Kosten der Beerdigung ihrer Schwester durch den streitbefangenen Bescheid ab.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte im Berufungsverfahren teilweise Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Begründet ist die Berufung, soweit die Klägerin vom Beklagten die Übernahme der Hälfte der (nach Einsatz des von der Krankenkasse gezahlten Sterbegeldes und des bei der Gerichtskasse in Bonn hinterlegten Sparguthabens) ungedeckt gebliebenen Kosten für die Beerdigung ihrer verstorbenen Schwester begehrt. Der Anspruch ergibt sich aus § 15 BSHG. Danach hat der zuständige Sozialhilfeträger die erforderlichen Kosten einer Bestattung zu übernehmen, soweit dem hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Hinsichtlich des im Tenor dieses Urteils genannten Betrages sind diese Voraussetzungen erfüllt.

Die Klägerin zählt im vorliegenden Falle zum Kreis der zur Zahlung der Bestattungskosten ,,Verpflichteten" im Sinne des § 15 BSHG. Wie sich aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut (,,hierzu") der gesetzlichen Regelung ergibt, bezieht sich die Vorschrift nicht auf die öffentlich-rechtliche Pflicht zur Bestattung, sondern auf die Pflicht zur Kostentragung. Anspruchsberechtigt gemäß § 15 BSHG ist nicht derjenige, der im Rahmen der ihm obliegenden Totenfürsorge berechtigt ist, die Bestattung des Verstorbenen durchzuführen, sondern derjenige, der rechtlich verpflichtet ist, die Kosten der Bestattung zu tragen. Wie das Bundesverwaltungsgericht bereits im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 5 BSHG im Rahmen der Übernahme von Bestattungskosten klargestellt hat, besteht der Bedarf nach § 15 BSHG nicht in der Durchführung der Bestattung, sondern darin, dass derjenige, der die Bestattungskosten zu tragen hat, von dieser Verpflichtung freigestellt wird, soweit ihm die Tragung dieser Kosten nicht zuzumuten ist. Soweit ein Erbe gemäß § 1968 BGB zur Tragung der Bestattungskosten verpflichtet ist, ist dieser Berechtigter des Anspruchs nach § 15 BSHG (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. 6. 1997 - 5 C 13.96, FEVS Bd. 48 S. 1). Bei einer Mehrheit von Erben trifft die Pflicht zur Kostentragung gemäß § 1968 BGB die Erbengemeinschaft (vgl. dazu u. a. BGH, Urteil vom 5. 2. 1962 - III ZR 173/60, NJW 1962 S. 791; Edenhofer in: Palandt, 56. Auflage 1997, § 1968 Rdnr. 1). Verpflichteter im Sinne von § 15 BSHG ist in einem solchen Fall jeder (Mit-)Erbe, wenn und soweit er Forderungen nach § 1968 BGB ausgesetzt ist.

Die Klägerin ist danach Verpflichtete nach § 15 BSHG. Sie war zum hier maßgeblichen Zeitpunkt - zusammen mit ihrem zwischenzeitlich verstorbenen Bruder - Erbin ihrer verstorbenen Schwester. Davon gehen die Beteiligten übereinstimmend aus. Auch der Senat hat zu diesbezüglichen Zweifeln keine Veranlassung. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin oder ihr Bruder die Erbschaft ausgeschlagen hätten, sind nicht ersichtlich.

Die Klägerin war in ihrer Eigenschaft als Erbin aufgrund § 1968 BGB zur Tragung der Beerdigungskosten verpflichtet. Dem steht nicht entgegen, dass sie im Rahmen der ihr als Schwester der Verstorbenen obliegenden Totenfürsorge die Bestattung selbst durch Abschluss eines Bestattungsvertrages mit dem Bestattungsunternehmen veranlasst hat. Bei der sich aus § 1968 BGB ergebenden Verpflichtung zur Tragung der Bestattungskosten handelt es sich um eine Nachlassverbindlichkeit. Denn zu den Nachlassverbindlichkeiten gehören gemäß § 1967 Abs. 2 BGB außer den vom Erblasser herrührenden Schulden die den Erben als solchen treffenden Verbindlichkeiten, wozu u. a. die Kosten einer standesgemäßen Beerdigung des Erblassers zählen (vgl. dazu u. a. OLG München, Urteil vom 28. 9. 1973 - 19 U 1932/73, NJW 1974 S. 703 f.; Stein in: Soergel, BGB, 11. Auflage 1982, § 1967 Rdnr. 7 und 11).

Hat - wie hier - die Erbin selbst die vertragliche Vereinbarung über die Bestattung der Erblasserin getroffen, so sind die hieraus erwachsenden Forderungen stets Nachlassverbindlichkeiten (vgl. dazu u. a. Soergel, a. a. 0., § 1967 Rdnr. 11 mit weiteren Nachweisen, und § 1968 Rdnr. 2; Schlüter in: Ermann, BGB, Band 2, 8. Auflage 1989, § 1968 Rdnr. 3; Edenhofer in: Palandt, a. a. 0., § 1968 Rdnr. 1 f.). Bei einer Mehrheit von Erben haften diese für derartige Nachlassverbindlichkeiten als Gesamtschuldner (vgl. dazu u. a. Wolf in: Soergel, a. a. 0., Band 7, § 2058 Rdnr. 6 mit weiteren Nachweisen; Palandt, a. a. 0., § 2058 Rdnr. 1).

Ob und gegebenenfalls in welcher Höhe bei dem Erben oder Miterben ein sozialhilferechtlicher Bedarf an Übernahme von Bestattungskosten besteht, hängt, da § 15 BSHG lediglich die Freistellung von der Verpflichtung zur Tragung der ihn treffenden Bestattungskosten bezweckt, davon ab, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe er selbst von Dritten, etwa von demjenigen, der im Rahmen der Totenfürsorge die Bestattung veranlasst und die Kosten beglichen hat, von dem Bestattungsunternehmer oder auch von einem Miterben nach § 426 BGB auf Zahlung von Kosten in Anspruch genommen wird.

Dementsprechend besteht hier der Bedarf der Klägerin in Höhe der gesamten Bestattungskosten, die das Bestattungsunternehmen ihr in Rechnung gestellt hat und deren Zahlung es von ihr fordert.

Bei den von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen handelt es sich auch um ,,erforderliche Kosten" der Bestattung ihrer Schwester im Sinne des § 15 BSHG. Erforderlich sind die Aufwendungen, die notwendig sind, um die hinsichtlich der Bestattung bestehenden (rechtlichen) Verpflichtungen des hierzu Verpflichteten zu erfüllen. Der Begriff ,,erforderlich" bezieht sich sowohl auf die Art der Kosten als auch auf ihre Höhe. Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Falle die geltend gemachten Kosten der Bestattung die von § 15 BSHG normierte Grenze des Erforderlichen überschritten hätten, sind nicht erkennbar. Auch der Beklagte behauptet dies nicht.

Die erforderlichen Kosten sind allerdings nur insoweit zu übernehmen, als dem hierzu Verpflichteten nicht zuzumuten ist, sie zu tragen. Die Entscheidung des Beklagten hat sich offenbar an der verbreiteten Praxis orientiert, dass einem (den Antrag stellenden) Verpflichteten die Bestattungskosten nur zu gewähren sind, wenn kein anderer Verpflichteter vorhanden ist, dem die Kostentragung zugemutet werden kann. Einem derartigen Verständnis des § 15 BSHG kann indessen nicht gefolgt werden. Da der Anspruch aus § 15 BSHG ein individueller Anspruch des Verpflichteten ist, richtet sich die Beantwortung der Frage, inwieweit ihm die Tragung der Bestattungskosten zuzumuten ist, ausschließlich nach den Verhältnissen desjenigen Verpflichteten, der einen Anspruch nach § 15 BSHG geltend macht. Die Leistungsfähigkeit eines anderen Verpflichteten kann, wie noch auszuführen sein wird, nur mittelbar insofern berücksichtigt werden, als es dem den Antrag stellenden Verpflichteten zuzumuten ist, von dem anderen Verpflichteten einen Ersatz seiner Aufwendungen zu fordern.

Im vorliegenden Fall ist der Klägerin die Tragung der ungedeckt gebliebenen Bestattungskosten nur teilweise nicht zuzumuten. Die Entscheidung, inwieweit einem Verpflichteten die Tragung der Kosten für die Bestattung des Verstorbenen zugemutet werden kann, ist eine Billigkeitsentscheidung, die der vollen verwaltungsgerichtlichen Überprüfung unterliegt. Es handelt sich bei dem Begriff der Zumutbarkeit um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Der Beurteilungsmaßstab dafür, was dem Verpflichteten zugemutet werden kann, ergibt sich aus den allgemeinen Grundsätzen des Sozialhilferechts, da besondere Kriterien in der anzuwendenden Vorschrift des § 15 BSHG nicht normiert sind (vgl. dazu auch OVG Münster, Urteil vom 22. 6. 1976 - VIII A 1074/75, FEVS Bd. 25 S. 33 [35]).

Zu diesen allgemeinen Grundsätzen zählt die Regelung des § 3 Abs. 1 BSHG. Danach richtet sich das Maß der Sozialhilfe nach der Besonderheit des Einzelfalles, vor allem nach der Person des Hilfeempfängers, der Art seines Bedarfs und den örtlichen Verhältnissen. Ferner bestimmt sich die Zumutbarkeit nach dem ,,Nachrangprinzip" des § 2 Abs. 1 BSHG. Nach dieser Vorschrift erhält Sozialhilfeleistungen nicht, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen, besonders von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Schließlich ist für die Auslegung des in § 15 BSHG verwendeten Begriffs der Zumutbarkeit die in § 1 Abs. 2 BSHG normierte allgemeine Aufgabe der Sozialhilfe maßgeblich, dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht; die Hilfe soll ihn soweit wie möglich befähigen, unabhängig von ihr zu leben, hierbei muss er nach seinen Kräften mitwirken.

Nach Maßgabe dieser allgemeinen Grundsätze, namentlich des Nachranggrundsatzes des § 2 Abs. 1 BSHG, ist demjenigen, der Ansprüche nach § 15 BSHG geltend macht, zunächst zuzumuten, zur Begleichung der ungedeckt gebliebenen Beerdigungskosten vorrangig alle Mittel einzusetzen, die ihm durch den Tod der bestatteten Person zugeflossen sind. Dazu gehören beispielsweise aus Anlass des Todes entstandene Sozialleistungsansprüche sowie Schadensersatzansprüche nach § 844 BGB und der Nachlass, aber auch ein Ausgleichsanspruch gegen einen anderen Miterben nach § 426 BGB. In diesem Rahmen ist dem Verpflichteten auch zuzumuten, etwaige Ansprüche bei Gericht durchzusetzen. Der Grundsatz, dass nur ,,bereite" Mittel als Selbsthilfemöglichkeit nach § 2 Abs. 1 BSHG berücksichtigt werden können, gilt insoweit für die Übernahme von Bestattungskosten nach § 15 BSHG nicht. Denn die danach bezweckte Freistellung von der Verpflichtung zur Zahlung von Bestattungskosten ist keine Hilfe in einer aktuellen Notlage, deren Behebung keinen Aufschub erfordert.

Im vorliegenden Fall war der Klägerin, nachdem das aus Anlass des Todes ihrer Schwester gezahlte Sterbegeld der Krankenversicherung bereits von dem Bestattungsunternehmen eingezogen und verrechnet worden ist, zunächst einmal zuzumuten, das den einzigen verwertbaren Nachlassgegenstand bildende Sparguthaben der Verstorbenen einzusetzen. Die Verfügungsberechtigung über dieses Nachlassvermögen lag zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens des Widerspruchsbescheides bei der Erbengemeinschaft, also gemeinsam bei der Klägerin und ihrem damals noch lebenden Bruder. Es ist nicht ersichtlich, dass rechtliche oder sonstige Umstände einem Einsatz dieses Nachlassvermögens zur (teilweisen) Begleichung der Bestattungskosten entgegengestanden hätten.

Zwar war der Nachlass der Verstorbenen und damit auch das genannte Sparguthaben mit dem Erbfall gemeinschaftliches Vermögen der Erben geworden (§ 2032 BGB), über das die Miterben, also die Klägerin und ihr damals noch lebender Bruder, nur gemeinschaftlich verfügen konnten (§ 2040 Abs. 1 BGB). Wenn eine gemeinsame Entscheidung beider Miterben über den Einsatz des zum Nachlass der Erblasserin gehörenden Sparguthabens nicht zustande gekommen wäre, stand es jedem der Erben frei, gemäß § 2042 Abs. 1 BGB in Ansehung des Nachlasses die Auseinandersetzung zu verlangen. Sofern insoweit keine Vereinbarung der Miterben zustande kam, konnte die sog. Erbteilungsklage erhoben werden.

Demgegenüber kann die Klägerin nicht geltend machen, die mit der Beantragung eines Erbscheines und mit der Durchführung der Auseinandersetzung erforderlichen Mühen und Kosten seien ihr nicht zuzumuten (gewesen). Wie sich nämlich aus dem sogenannten Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 BSHG ergibt, erhält derjenige Sozialhilfe nicht, der sich selbst helfen ,,kann". Sich selbst helfen kann ein Hilfesuchender durch den Einsatz zur Verfügung stehender eigener Kräfte und Mittel. Dazu gehört auch die Realisierung von vermögenswerten Rechten, unter Umständen unter Beschreitung des Rechtsweges. Allein der Umstand, dass die Klägerin die Beantragung eines Erbscheines und die Durchführung der Auseinandersetzung für beschwerlich gehalten hat (und hält), reicht nicht aus, um die Möglichkeit der genannten Selbsthilfe durch Verwertung des Nachlassvermögens zu verneinen. Es verstößt nach den Besonderheiten des Einzelfalles auch nicht gegen § 1 Abs. 2 BSHG, wenn die Klägerin als Miterbin ihrer verstorbenen Schwester darauf verwiesen wird, die erforderlichen Schritte zu unternehmen, um zur (teilweisen) Begleichung der ungedeckt gebliebenen Bestattungskosten das vorhandene Nachlassvermögen einsetzen zu können. Vielmehr entspricht es gerade dem in § .1 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BSHG normierten Gebot, dass der Hilfesuchende bei der Hilfegewährung nach seinen Kräften mitwirken muss.

Angesichts dessen war und ist es der Klägerin im Sinne des § 15 BSHG zuzumuten, die erforderlichen Schritte einzuleiten, um das bei der Gerichtskasse hinterlegte Sparguthaben zur Begleichung der ungedeckt gebliebenen Bestattungskosten einzusetzen. In Höhe dieses Betrages hat sie mithin gegenüber dem beklagten Sozialhilfeträger keinen Anspruch auf die Übernahme der ungedeckt gebliebenen Bestattungskosten.

Ferner war der Klägerin zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens des Widerspruchsbescheides zuzumuten, gemäß § 426 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 1968, 2058, 426 Abs. 1 Satz 1 BGB gegen ihren damals noch lebenden Bruder ihren Ausgleichsanspruch hinsichtlich des auf diesen entfallenden Anteils an den Beerdigungskosten geltend zu machen. Denn im Innenverhältnis haften die Miterben für die Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB anteilig (vgl. dazu u. a. Wolf in: Soergel, a. a. 0., § 2058 Rdnr. 7 mit weiteren Nachweisen).

Soweit die Klägerin geltend macht, ihr sei aufgrund ihrer Herkunft vom Lande und ihrer einfachen Persönlichkeitsstruktur nicht zuzumuten gewesen, gegenüber ihrem Bruder den auf diesen als Miterben entfallenden hälftigen Anteil an den unbeglichenen Beerdigungskosten geltend zu machen, kann dem nicht gefolgt werden. Auch insoweit ist bei der Auslegung des Begriffs der Unzumutbarkeit im Sinne des § 15 BSHG zu berücksichtigen, dass gemäß § 2 Abs. 1 BSHG Sozialhilfeleistungen nicht erhält, wer sich selbst helfen kann. Wie der vorliegende Rechtsstreit zeigt, war und ist die Klägerin durchaus in der Lage, notfalls auf dem Gerichtswege ihr zustehende Rechte geltend zu machen.

Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin die entsprechenden Bemühungen ohne Erfolg unternommen hat, um von ihrem seinerzeit noch lebenden Bruder die Übernahme des auf diesen entfallenden hälftigen Anteils an den entstandenen unbeglichenen Beerdigungskosten zu verlangen und den Anspruch durchzusetzen. Ihr Hinweis auf das Verwandtschaftsverhältnis zu ihrem Bruder reicht nicht aus, ihre diesbezügliche Obliegenheit zu verneinen. Denn ihr gegenüber ihrem Bruder bestehender Ausgleichsanspruch nach §§ 426 Abs. 2, 1968, 2058 BGB stellte einen Vermögenswert dar, dessen vorrangiger Einsatz dem in § 2 Abs. 1 BSHG verankerten Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe entspricht. Anhaltspunkte dafür, dass ein Verweis der Klägerin auf diese Selbsthilfemöglichkeit dem in § 7 BSHG verankerten Gebot familiengerechter Hilfe widersprechen würde, sind nicht ersichtlich. Denn die Klägerin lebte mit ihrem Bruder nicht im Familienverband zusammen; nach ihrem eigenen Vorbringen hatte sie zu ihm kaum persönlichen Kontakt, so dass schon deshalb keine Gefahr bestand, dass durch eine Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs der Zusammenhalt der Familie gravierend in Mitleidenschaft gezogen worden wäre.

Dass der zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens des Widerspruchsbescheides noch lebende Bruder der Klägerin zur Erfüllung der auf ihn gemäß § 426 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 1968, 2058, 426 Abs. 1 Satz 1 BGB entfallenden Verpflichtung zur Tragung der Hälfte der unbeglichen gebliebenen Beerdigungskosten nicht in der Lage gewesen wäre, lässt sich nicht feststellen. Die diesbezüglichen Aufklärungsbemühungen sind erfolglos geblieben. Sonstige Beweismittel zur Klärung der seinerzeitigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Bruders sind nicht ersichtlich. Diese Unaufklärbarkeit der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Miterben geht zu Lasten der Klägerin. Denn im Falle der Nichtaufklärbarkeit eines anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmales trifft die materielle Beweislast denjenigen, der sich auf das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale beruft. Dies ist hinsichtlich des genannten hier maßgeblichen Tatbestandsmerkmales der Unzumutbarkeit der Kostentragung die Klägerin.

Nicht zugemutet werden kann der Klägerin jedoch die Tragung ihres eigenen hälftigen Kostenanteils an den (nach Einsatz des von der Krankenkasse gezahlten Sterbegeldes und des bei der Gerichtskasse hinterlegten Sparguthabens) ungedeckt gebliebenen Bestattungskosten. Eine rechtliche Möglichkeit, (auch) diesen Kostenanteil von ihrem Bruder zu verlangen, bestand gemäß §§ 426 Abs. 2, 1968, 2058 BGB nicht. Zwar hat der Verpflichtete zur Begleichung der Bestattungskosten auch eigenes Einkommen und Vermögen einzusetzen, soweit ihm das zuzumuten ist. Von der Klägerin konnte das nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen aber nicht erwartet werden.

Dabei bedarf es hier keiner abschließenden Entscheidung der Frage, bis zu welcher Höhe das Einkommen eines im Sinne des § 15 BSHG Verpflichteten im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung ,,anrechnungsfrei" zu bleiben hat. Denn im vorliegenden Fall wäre die Deckung des notwendigen Lebensunterhalts der Klägerin nicht mehr sichergestellt gewesen, wenn sie den gemäß §§ 1968, 2058, 426 Abs. 1 BGB auf sie entfallenden Anteil an den Bestattungskosten hätte begleichen müssen. Dies wäre jedenfalls mit der Zielsetzung des § 1 Abs. 2 BSHG unvereinbar gewesen, die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht, sowie den Hilfesuchenden soweit wie möglich zu befähigen, unabhängig von der Sozialhilfe zu leben.

Angesichts dessen kann die Klägerin vom Beklagten gemäß § 15 BSHG die Übernahme des (unter Berücksichtigung des zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides vorhandenen, bei der Gerichtskasse hinterlegten Nachlassvermögens) auf sie entfallenden hälftigen Anteils der ungedeckt gebliebenen Kosten der Beerdigung ihrer Schwester beanspruchen.

Rechtsgebiete

Sozialrecht