Schadensersatz wegen Mobbing - Darlegungs- und Beweislast

Gericht

ArbG München


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

25. 09. 2001


Aktenzeichen

8 Ca 1562/01


Leitsatz des Gerichts

  1. Die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast eines Mobbing-Vorwurfs dürfen nicht herabgesetzt werden, da ein unmittelbarer Beweis der Kausalität des Verhaltens der einen Seite für die psychischen Erkrankungen der anderen Seite nicht möglich ist (entgegen LAG Thüringen, Urteil vom 10. 4. 2001 - 5 Sa 403/2000 (ArbG Gera, Urteil vom 11. 8. 2000 - 2 Ga 8/2000)).

  2. Bei Mobbing-Vorwürfen müssen die einzelnen Vorfälle nach Zeitpunkt, Intensität und Häufigkeit substantiiert vorgetragen werden.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. macht Schadensersatzansprüche wegen Mobbing geltend. Sie ist seit 1. 4. 1978 bei der X-AG beschäftigt, und zwar seit 1991 als Sekretärin des Betriebsrats mit einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 5921 DM. 1994 wurde der Bekl. zu 1 neuer Betriebsratsvorsitzender und ihr disziplinarischer Vorgesetzter bis zu seinem Ausscheiden durch Eintritt in den Ruhestand am 1. 1. 2001. Die Kl. ist auch selbst Mitglied des Betriebsrats und Arbeitnehmervertreterin im Aufsichtsrat. Seit 17. 8. 1999 ist die Kl. laut ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Für die ersten 6 Wochen erhielt sie Entgeltfortzahlung, anschließend Krankengeld bis 30. 7. 2001. Die Kl. behauptet, ihre Krankheit sei durch Mobbing seitens des Bekl. zu 1 verursacht und später durch das Verhalten des Bekl. zu 2 aufrechterhalten worden.

Die Kl. trägt somatische und psychische Krankheitsbefunde vor, welche durch bestimmte Verhaltensweisen des Bekl. zu 1 verursacht worden seien, welche sie im Einzelnen beschreibt. Dabei schildert sie verbale und nonverbale Ausdrucksweisen des Bekl. zu 1, welche geeignet gewesen seien und „mutmaßlich“ eingesetzt worden seien, um sie psychisch zu foltern und zu terrorisieren. Die Kl. hat zwei ärztliche Gutachten vorgelegt, welche zu dem Ergebnis kommen, dass die Arbeitsunfähigkeit der Kl. durch Mobbing am Arbeitsplatz verursacht worden sei. Die Kl. bezieht sich auf eine von der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizeibeamter in ihrer Resolution vom 29./30 1. 2000 veröffentlichen Definition des Begriffes Mobbing. Mit Schreiben vom 13. 7. 2000 des Klägerinvertreters wurde ein Schriftwechsel mit dem Bekl. zu 2 als Vorstandsvorsitzenden der X-AG eingeleitet. Letzterer wies nach Rücksprache mit dem Bekl. zu 1 die Vorwürfe zurück. Es fanden auch Gespräche über einen Arbeitsplatzwechsel oder ein Ausscheiden der Kl. statt. Eine Einigung wurde nicht erzielt. Die Kl. verlangt nun Schmerzensgeld und für die Vergangenheit sowie künftig den Unterschiedsbetrag zwischen ihrem früheren Gehalt und dem Krankengeld sowie entgangenes Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld. Sie richtet ihre Ansprüche gegen den Bekl. zu 1 und gegen den Bekl. zu 2 als Gesamtschuldner, da Ersterer die Ursache gesetzt habe, Letzterer sich nicht im Rahmen seiner Verpflichtungen als gesetzlicher Vertreter der Arbeitgeberin für die Kl. eingesetzt habe. Mit ihrer am 30. 1. 2001 eingegangenen Klage beantragt die Kl., die Bekl. als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Kl. ein angemessenes Schmerzensgeld wegen Mobbing, insgesamt mindestens 100000 DM, Schadensersatz wegen Mobbing, insgesamt 67198,01 DM nebst 9,26% Zinsen mit Rechtshängigkeit, sowie ab dem 1. 1. 2001 zu Beginn eines jeden Kalendermonats jeweils 2641,10 DM brutto als Schadensersatz zu bezahlen.

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.

I. Das Vorbringen der Kl. erfüllt keine der rechtlich gegebenen Anspruchsgrundlagen.

1. Der Begriff des Mobbing selbst ist keine Anspruchsgrundlage mit Rechtsgeltung. Die von der Kl. mitgeteilte Definition ist ohnehin keine brauchbare Anspruchsgrundlage, da sie weder den Tatbestand des Mobbingverhaltens substantiiert beschreibt (nur für Wirkung auf die Psyche des Opfers), noch spezielle Rechtsfolgen daran knüpft (mit Ausnahme der Rechtsfolgen nach der Menschenrechts-Konvention). Die Kammer sieht auch kein ausreichendes Bedürfnis und auch keine ausreichenden rechtlichen Voraussetzungen, die Rechtsfigur des Mobbing dem Schadensersatzrecht hinzuzufügen, wie es durch das Bürgerliche Gesetzbuch und die Rechtsprechung zu dessen Auslegung und Rechtsfortbildung gegenwärtig gilt. Der Begriff des Mobbing hat nicht rechtliche, sondern nur sprachliche Bedeutung zur kurzen Zusammenfassung bestimmter Verhaltensweisen im Arbeitsleben. Im Streitfall müssen diese Verhaltensweisen konkretisiert und unter die geltenden Anspruchsnormen subsumiert werden.

2. Als Anspruchsgrundlage für Schadensersatzansprüche wegen Mobbing kommen unerlaubte Handlung i. S. von §§ 823 ff. BGB oder die so genannte positive Vertragsverletzung (in Analogie zu einzelnen Regelungen des vertraglichen Schadensersatzrechts des BGB von der Rechtsprechung entwickelt und mittlerweile Gewohnheitsrecht) in Betracht. Beide Anspruchsgrundlagen setzen voraus, dass ein Verhalten des Anspruchsgegners ursächlich für einen Schaden des Anspruchstellers geworden ist, und dass das Verhalten vorsätzlich oder fahrlässig war (§ 276 BGB).

a) Das gesamte Vorbringen der Kl. ist nicht schlüssig für diese Anspruchsgrundlagen.

Keiner der von der Kl. behaupteten einzelnen Vorgänge ist für sich genommen schwerwiegend genug, um den zuverlässigen Schluss zuzulassen, er habe die Arbeitsunfähigkeit der Kl. verursacht. Dies will auch die Kl. wohl nicht behaupten, vielmehr geht ihr Vorbringen dahin, die große Zahl verschiedener Vorfälle und die häufige Wiederholung gleichartiger Vorfälle habe dazu geführt. Dann muss aber auch das Vorbringen der Kl. dahin konkretisiert werden, über welchen gesamten Zeitraum sich das Mobbing erstreckt hat und wie lange und wie oft sich einzelne gleichartige Vorfälle wiederholt haben. Gerade weil ein unmittelbarer Beweis der Kausalität des Verhaltens der einen Seite für die psychischen Erkrankungen der anderen Seite nicht möglich ist, sondern nur auf Indizien und Erfahrungswerte zurückgegriffen werden könnte, dürfen die Anforderungen an die Darlegungslast der Kl. nicht herabgesetzt werden, wie sie dies unter Bezugnahme auf das von ihr zitierte Urteil des LAG Thüringen wünscht. Bei der Darlegungslast gibt es ebenso wenig ausreichende rechtliche Gründe für eine Umkehr wie bei der Beweislast. Der Leitsatz 9 des genannten Urteils des LAG Thüringen bewegt sich in einem Zirkelschluss, wenn es dort heißt: „Das Vorliegen eines „mobbingtypischen“ medizinischen Befundes kann erhebliche Auswirkungen auf die Beweislage haben: Wenn eine Konnexität zu den behaupteten Mobbinghandlungen feststellbar ist, muss das Vorliegen eines solchen Befundes als ein wichtiges Indiz für die Richtigkeit dieser Behauptungen angesehen werden. Die jeweilige Ausprägung eines solchen Befundes kann ebenso wie eine „mobbingtypische“ Suizidreaktion des Opfers im Einzelfall darüber hinaus Rückschlüsse auf die Intensität zulassen, in welcher der Täter das Mobbing betrieben hat. Wenn eine Konnexität zu feststehenden Mobbinghandlungen vorliegt, dann besteht eine von der für diese Handlungen verantwortlichen natürlichen oder juristischen Personen zu widerlegende tatsächliche Vermutung, dass diese Handlungen den Schaden verursacht haben, den die in dem medizinischen Befund attestierte Gesundheitsverletzung oder die Suizidreaktion des Opfers zur Folge hat.

Diese Argumentation verlegt die Lösung des Problems in die Begriffe „Mobbinghandlungen“ und „mobbingtypische medizinische Befunde“. Es gibt weder typische Mobbinghandlungen noch mobbingtypische medizinische Befunde. Dies wird gerade an einzelnen Aspekten des vorliegenden Falls deutlich: Einzelne medizinische Befunde bei der Kl., wie z.B. Schlafstörungen, Tinitus, Migräne, können ihre Ursache im Mobbing haben, müssen es aber nicht. Sie können auch aus anderen Gründen bei einer Frau mit Anfang 50 nach jahrzehntelanger Vollzeitarbeit auftreten. Auf der anderen Seite kann die hier unstreitige Äußerung „In der Sitzung reden Sie nicht, sondern sind Sie still!“ ein Mobbing-Tatbestand sein, oder aber eine vom Direktionsrecht des Arbeitgebers umfasste berechtigte Weisung des Inhalts, dass die Kl. in der Sitzung des Gesamtbetriebsrats, dem sie nicht angehört (sie gehört nur dem örtlichen Betriebsrat an), bei dem sie aber Protokoll führt, selbst nicht das Wort ergreifen darf, wie es geschehen war. Es darf daher auch im Fall von Mobbingvorwürfen der Klageseite nicht erspart werden, die einzelnen Vorfälle genau zu substanziieren nach Zeitpunkt, Intensität und Häufigkeit. Schon dieser Darlegungslast ist die Kl. nicht nachgekommen. Daher kann die Kammer auch keinen zuverlässigen Schluss ziehen, ob das Verhalten Mobbing war, noch ob es ursächlich für die Krankheit der Kl. war.

b) Schlüssiges Vorbringen zum Mobbingverhalten und zu dessen Ursächlichkeit für die Krankheit kann auch nicht durch Vorlage von Privatgutachten durch die Partei ersetzt werden, auch nicht im Wege der Bezugnahme. Die vorgelegten Gutachten enthalten selbst kein substanziiertes Vorbringen zum behaupteten Mobbingverhalten des Bekl. zu 1, sondern erschöpfen sich in einer zusammenfassenden Bestätigung der Behauptungen der Kl. hierzu. Mangels substanziierten Klagevorbringens durfte auch der angebotene und vom Gericht zu erhebende Sachverständigenbeweis nicht erhoben werden. Einem vom Gericht zu bestellenden Sachverständigen könnte kein substanziierter Sachverhalt zur Begutachtung vorgelegt werden. Bei der vorliegenden Tatsachenbasis wäre von einem solchen Gutachten nur eine Aussage dazu zu erwarten, ob die Kl. krank ist, ob die Ursache dieser Krankheit in der Arbeitssituation liegt und ob solche Krankheitsbefunde nach ärztlicher Erfahrung durch Mobbing verursacht sein können. Die Ermittlung von Mobbingvorfällen durch den Sachverständigen selbst im Laufe der Anamnese liefe auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinaus.

3. Was den Bekl. zu 2 betrifft, so werden die Schadensersatzansprüche offenbar nicht auf eigenes Mobbingverhalten dieses Bekl. gestützt, sondern auf die Behauptung, er habe seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis als gesetzlicher Vertreter des Arbeitgebers verletzt. Hierfür ist das Vorbringen der Kl. nicht schlüssig. Auf den Hinweis des Klägerinvertreters über behauptetes Mobbingverhalten des Bekl. zu 1 hat der Bekl. zu 2 Letzteren angehört und das Ergebnis mitgeteilt. Nach Fortführung des Schriftwechsels hat er die weitere Bearbeitung dem hierfür zuständigen Personalleiter übertragen, welcher ebenfalls schriftlich und mündlich mit dem Klägerinvertreter verhandelt hat. Nachdem der Betriebsrat die Zusammenarbeit mit der Kl. abgelehnt hatte, blieb keine andere Möglichkeit, als über einen anderen Arbeitsplatz oder über ein Ausscheiden zu verhandeln. Dies ist - wenn auch ohne Erfolg - geschehen. Pflichtverletzungen von der Arbeitgeberseite hierbei sind nicht vorgetragen. Die Behauptung des Klägerinvertreters in seinen Schreiben und im vorliegenden gerichtlichen Verfahren, der Bekl. zu 2 oder seine Mitarbeiter hätten die Kl. als Lügnerin und/oder Psychopathin behandelt, findet im vorliegenden Schriftwechsel keine Stütze. Es bestand daher auch kein Anlass des Bekl. zu 2, eine solche Behauptung zurückzunehmen oder die geforderte Ehrenerklärung für die Kl. abzugeben.

4. Im Übrigen würden Schadensersatzansprüche gegen beide Bekl. für die Zeit nach dem 1. 1. 2001 ohnehin nicht vorliegen, da ab diesem Zeitpunkt der Bekl. zu 1 bereits aus seinem Arbeitsverhältnis ausgeschieden war und die Kl. nicht mehr hätte befürchten müssen, mit ihm zusammenzuarbeiten.

Auf die übrigen Bedenken gegen die Antragsformulierung im Hinblick auf künftige Leistungen braucht bei dieser Sach- und Rechtslage nicht weiter eingegangen zu werden.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

§§ 823, 847 BGB