Arbeitsangebot - Sperrzeit

Gericht

BSG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

03. 05. 2001


Aktenzeichen

B 11 AL 80/00 R


Leitsatz des Gerichts

  1. Lehnt der Arbeitslose ein mit einer Rechtsfolgenbelehrung verbundenes Vermittlungsangebot der Bundesanstalt für Arbeit ab, so tritt grundsätzlich auch dann die Regelsperrzeit ein, wenn der Arbeitslose zuvor das entsprechende Arbeitsangebot des Arbeitgebers abgelehnt hatte (Abgrenzung zu BSGE 47, 101 = SozR 4100 § 119 Nr 5).

  2. Zur Frage, wann der Arbeitslose wegen der Ablehnung des Arbeitsangebots des Arbeitgebers einen wichtigen Grund hat, auch dem nachfolgenden Vermittlungsangebot der Bundesanstalt für Arbeit nicht zu folgen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Rechtsstreit betrifft die Entziehung und Rückforderung von Arbeitslosenhilfe (Alhi); die Bet. streiten darüber, ob der Anspruch durch Eintritt einer zweiten Sperrzeit erloschen ist.

Der 1958 geborene Kl. war bis Mai 1994 als Tankstellenhelfer beschäftigt. Ab 1994 bezog er Arbeitslosengeld (Ag) und ab Juni 1995 Anschluss-Alhi.

Ein Vermittlungsangebot der bekl. Bundesanstalt für Arbeit (BA), als Landschaftsarbeiter im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) bei der Gemeinde zu arbeiten, nahm der Kl. nicht an. Die BA stellte mit Bescheid vom 27. 10. 1995 den Eintritt einer Sperrzeit vom 29. 6. bis 20. 9. 1995 fest. Widerspruch, Klage und Berufung des Kl. dagegen blieben erfolglos. Die Revision hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligung von Alhi ist § 152 III AFG idF des Gesetzes vom 21. 12. 1993 (BGBl I 2353) iVm § 48 I 2 Nr 4 SGB X. Danach ist die Bewilligung von Alhi als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vom Zeitpunkt einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse an aufzuheben, soweit der Betroffene wusste oder grob fahrlässig nicht wusste, dass der im aufgehobenen Bewilligungsbescheid festgestellte Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Wesentlich ist jede Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die für die Bewilligung der Alhi entscheidungserheblich waren (BSGE 59, 111, 112 SozR 1300 § 48 Nr 19). Der Eintritt einer zweiten Sperrzeit von mindestens acht Wochen nach Entstehung des Anspruchs ist eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, denn sie führt nach §§ 119 III, 119a Nr 2 AFG zum Erlöschen des Anspruchs. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, lässt sich nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht beurteilen.

2. Eine Sperrzeit von regelmäßig zwölf Wochen tritt nach §§ 119 I 1 Nr 2, 119a Nr 1 AFG grundsätzlich ein, wenn der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine vom Arbeitsamt unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Arbeit nicht angenommen oder nicht angetreten hat. Diese Vorschriften für den Anspruch auf Alg gelten für die Alhi entsprechend; Besonderheiten der Alhi, die dem entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich (§ 134 IV 1 AFG).

Unter Entstehung des Anspruchs iS des § 119 III AFG ist die Entstehung der Anwartschaft auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu verstehen (BSGE 47, 101, 104f = SozR 4100 § 119 Nr 5). Dabei ist zwischen Ansprüchen auf Ag und Alhi nicht zu unterscheiden, weil diese nach § 134 IV 1 AFG als einheitlicher Anspruch gelten. Der Kl. hat nach der Entstehung des Anspruchs bereits Anlass zu einer zwölfwöchigen Sperrzeit vom 29. 6. bis 20. 9. 1995 gegeben. Dies hat die BA durch Bescheid vom 27. 10. 1995 festgestellt. Da der Kl. diesen Bescheid nicht mit Erfolg angefochten hat und der Bescheid bindend geworden ist, steht seine Rechtmäßigkeit nicht mehr in Frage.

Mit der Ablehnung des Vermittlungsangebots der BA vom 21. 3. 1996, das nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG mit einer zutreffenden und inhaltlich ausreichenden Belehrung über die Rechtsfolgen versehen war, hat der Kl. den Sperrzeittatbestand des § 119 I 1 Nr 2 AFG erneut erfüllt. Dem steht nicht entgegen, dass er zum Zeitpunkt des Vermittlungsangebotes und der Rechtsfolgenbelehrung bereits ein gleichlautendes Arbeitsangebot der Gemeinde G. abgelehnt hatte. Erheblich für den hier maßgeblichen Sperrzeittatbestand ist nämlich nicht ein Arbeitsangebot vom Arbeitgeber, sondern allein das Vermittlungsangebot der BA. Etwas anderes lässt sich dem Urteil des BSG vom 10. 10. 1978 (BSGE 47, 101, 105f = SozR 4100 § 119 Nr 5), auf das sich das LSG berufen hat, nicht entnehmen. Zutreffend weist die Revision darauf hin, die Ausführungen des BSG über die Notwendigkeit einer Belehrung des Arbeitslosen vor Ablehnung eines Arbeitsangebots bezögen sich auf einen in rechtlicher Hinsicht wesentlich abweichenden Sachverhalt. In dem vom BSG aaO entschiedenen Falle hatte der Arbeitslose nicht ein nach § 119 I 1 Nr 2 AFG rechtlich unerhebliches Arbeitsangebot des Arbeitgebers, sondern ein Vermittlungsangebot des Arbeitsamtes abgelehnt, dem möglicherweise die nach der genannten Vorschrift unerlässliche Rechtsfolgenbelehrung fehlte. Nur unter dieser tatsächlichen Voraussetzung sind die Ausführungen des BSG über das Verständnis des Tatbestandsmerkmals „nach Entstehen des Anspruchs“ iS des § 119 III AFG verständlich. Es leuchtet ein, dass einer - dem inzwischen abgelehnten Vermittlungsangebot nachgeschobenen - Begründung nicht mehr die Warnfunktion zukommen kann, dem Arbeitslosen die Folgen vor Augen zu führen, die sich aus der Ablehnung des Vermittlungsangebots ergeben. Bei der Ablehnung eines Arbeitsangebots des Arbeitgebers ist die Lage im Hinblick auf die Fassung des Sperrzeittatbestandes § 119 I 1 Nr 2 AFG insofern anders, als die ablehnende Haltung des Arbeitslosen gegenüber einem solchen Arbeitsangebot sperrzeitrechtlich folgenlos bleibt. Nach Erhalt des Vermittlungsangebots der BA mit der erforderlichen Rechtsfolgenbelehrung war der Kl. in der Lage, unter Berücksichtigung aller Umstände selbstverantwortlich eine Entscheidung zu treffen (BSGE 47, 101, 105 = SozR 4100 § 119 Nr 5). Trotz der Belehrung über die Rechtsfolgen hat der Kl. sich nicht bei der Gemeinde G. vorgestellt. Damit hat er erneut den Sperrzeittatbestand des § 119 I 1 Nr 2 AFG erfüllt.

3. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass die dem Vermittlungsangebot der BA vorausgegangene Ablehnung des Arbeitsangebots der Gemeinde immer rechtlich unerheblich ist. Unabhängig vom Sperrzeittatbestand selbst kann sich die voraufgegangene Arbeitsablehnung auswirken, wenn dem Arbeitslosen nach den Umständen des Einzelfalles eine Sinnesänderung unter dem Eindruck der Belehrung über die Rechtsfolgen nicht zuzumuten ist und es deshalb für die Ablehnung des Vermittlungsangebots einen wichtigen Grund iS des § 119 I 1 AFG hat. Unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt lässt sich das „Persönlichkeitsrecht“ des Kl. wahren. Die ablehnende Haltung gegenüber dem Arbeitsangebot des Arbeitgebers allein reicht jedoch nicht aus, um einen wichtigen Grund für die Ablehnung des Vermittlungsangebots der BA anzunehmen. Hinzutreten müssen besondere Umstände, die zum Beispiel in Inhalt und Art der zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitslosen geführten Verhandlung liegen können.

Im Übrigen sind sämtliche Umstände zu bedenken, die auch unabhängig von der Reihenfolge der Kontakte zwischen Arbeitslosem, Arbeitgeber und Arbeitsamt einen wichtigen Grund zur Ablehnung eines Vermittlungsangebots darstellen können (vgl dazu: Gagel/Winkler, SGB III - Arbeitsförderung, Anhang 1 zu § 144 - „Das ABC des wichtigen Grundes“ - Stand: Juli 1999). Die zur Zeit des Vermittlungsangebotes im Frühjahr 1996 bereits in Aussicht genommene berufsbildende Maßnahme lässt die Arbeitsaufnahme in einer ABM für den Kl. nicht ohne weiteres unzumutbar erscheinen. Entgegen der Ansicht des Kl. erscheint eine Beschäftigung als Landschaftsarbeiter für ihn auch nicht qualitativ unzumutbar. Nach den Feststellungen des LSG war der Kl. bis Mai 1994 nicht in einem qualifizierten Beruf, sondern lediglich als Tankstellenhelfer beschäftigt. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit des Vermittlungsangebots ist auch die Dauer der Arbeitslosigkeit zu berücksichtigen. Zum Zeitpunkt des Vermittlungsangebots war der Kl. fast zwei Jahre arbeitslos. Weiter setzen die Rechtsfolgen des § 119 III AFG voraus, dass der Eintritt einer Sperrzeit von mindestens acht Wochen nicht eine besondere Härte iS des § 119 II AFG bedeutete.

Da das LSG - nach seiner Rechtsansicht folgerichtig zu diesen Fragen nicht Stellung genommen und Tatsachenfeststellungen nicht getroffen hat, ist der Rechtsstreit nach § 170 II 2 SGG an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.

Bei der erneuten Entscheidung sollten die Einlassungen des Kl. - einschließlich seines Schreibens vom 20. 3. 1996 - Anlass zu der Prüfung geben, ob er nach seinem Verhalten und seinen Äußerungen möglicherweise im Hinblick auf die von ihm erwartete Maßnahme der beruflichen Bildung ab 26. 3. 1996 noch über die Bereitschaft verfügte, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben konnte und durfte (§ 103 I Nr 2 Buchsta AFG). Gegebenenfalls liegt auch in einer fehlenden Bereitschaft, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, eine wesentliche Änderung, die es rechtfertigte, die Bewilligung von Alg aufzuheben. Dazu ist klarzustellen, dass die Gerichte nicht nur den von der BA angenommenen Aufhebungsgrund, sondern die Rechtmäßigkeit der getroffenen Regelung grundsätzlich unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu überprüfen haben (BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 9).

Vorinstanzen

LSG BadWürtt., L 3 Al 1513/98, 6. 9. 2000

Rechtsgebiete

Sozialrecht