Kausalitätsnachweis für HWS-Verletzung durch ärztliches Attest; Zurechnung psychischen Folgeschadens
Gericht
OLG Hamm
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
02. 07. 2001
Aktenzeichen
13 U 224/00
Hinsichtlich der Frage des Vorliegens einer unfallursächlichen HWS-Verletzung ist ärztlichen Bescheinigungen vom Unfalltag über HWS-Verletzungen nicht uneingeschränkt das entscheidende Gewicht beizumessen; die Bewertung einer solchen Bescheinigung im Rahmen der Beweiswürdigung hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalles ab (entgegen OLG Bamberg, DAR 2001, 121).
Die Zurechnung eines psychischen Folgeschadens setzt voraus, dass eine mehr als nur geringfügige Primärverletzung feststeht, es sei denn, die Verletzung trifft gerade speziell die Schadensanlage des Verletzten; Maßstab für die Beurteilung der Geringfügigkeit sind die Grundsätze, welche hinsichtlich der Versagung eines Schmerzensgeldes bei Bagatellverletzungen Anwendung finden (im Anschluss an: BGH NJW 1996, 2425, 2426; 1998, 810, 811; 2000, 862, 863).
Einem Unfall sind psychisch vermittelte gesundheitliche Primärschäden dann nicht mehr zurechenbar, wenn bereits der Unfall selbst als Bagatelle einzustufen ist, weil er nach seinem Ablauf und seinen Auswirkungen keinen verständlichen Anlass für psychische Reaktionen bietet, die über das Maß dessen hinausgehen, was im Alltagsleben als typische und häufig auch aus anderen Gründen als einem besonderen Schadensfall entstehende Beeinträchtigungen des Körpers oder des seelischen Wohlbefindens hinzunehmen ist. Bei einer Insassenbelastung mit einer maximalen Geschwindigkeitsänderung von 4 km/h in Längsrichtung und 2,5 km/h in Querrichtung kann ein Bagatellunfall vorliegen.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der 1959 geborene Kl. nimmt den Bekl. als Haftpflichtversicherer auf immateriellen und materiellen Schadenersatz sowie Feststellung der Ersatzpflicht wegen eines Verkehrsunfalls am 12. 7. 1996 in L in Anspruch.
Die volle Haftung des Bekl. dem Grunde nach steht zwischen den Parteien außer Streit.
Am vorgenannten Unfalltag befand sich der Kl. als Beifahrer in dem Pkw Ford Fiesta seiner Ehefrau, die den B in L befuhr. An der Einmündung B-H stoppte die Ehefrau des Kl. den Pkw, weil sich auf der vorfahrtberechtigten H der bei dem Bekl. versicherte Sattelzug näherte. Infolge Unachtsamkeit des Kraftfahrzeugführers hatte sich eine seitlich angebrachte Stütze des auf dem Sattelzug befindlichen Ladekrans gelöst und ragte nach rechts über die seitliche Begrenzung des Fahrzeuges hinaus. Mit dieser Stütze stieß der Sattelzug seitlich gegen die Frontstoßstange des stehenden Ford Fiesta.
Der Kl. stand zum Zeitpunkt des Unfalls in einem Angestelltenverhältnis; er war in einem Supermarkt als Abteilungsleiter tätig, seit dem 3. 6. 1996 arbeitsunfähig erkrankt. Bereits im März 1994 war beim Kl. ein mittelgradiger Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 festgestellt und im April 1994 operativ behandelt worden. Die Beschwerden im Wirbelsäulenbereich besserten sich in der Folgezeit nicht nachhaltig. Bei einem Überfall im Mai 1995 in dem Geschäft des Kl. erlitt er eine Prellung der rechten Hüfte und eine Verrenkung der LWS. Der Kl. unterzog sich zwei weiteren stationären Heilbehandlungen in den Jahren 1995 und 1996.
Der Kl. wurde nach dem Unfall zur stationären Heilbehandlung in das L einge1iefert. Dort blieb er bis zum 31. 7. 1996. Es wurde unter dem 29. 7. 1996 ein HWS-Schleudertrauma und eine erhebliche Verschlimmerung der vorbestehenden Beschwerdesymptomatik diagnostiziert. Der Entlassung schloss sich vom 7. 8. bis zum 18. 9. 1996 eine Rehabilitationsbehandlung in der Klinik L in Bad S an. Am 12. 11. 1996 begab sich der Kl. in fachärztliche Behandlung zu Dr. B wegen Ohrengerauschen und Hörminderung. Es wurden eine Hörminderung und ein Tinnitus festgestellt. Dem Kl. wurden Hörgeräte verschrieben. Weitere stationäre Krankenhausaufenthalte erfolgten in der Zeit vom 14. 5. 1997 bis zum 4. 6. 1997, vom 26. 1. bis zum 17. 2. 1998 und vom 4. 8. bis zum 15. 9. 1998. Es schloss sich eine ambulante psychotherapeutische Behandlung seit dem 14. 1. 1999 an, die nach Angaben des Kl. noch andauert.
Der Bekl. beglich die Sachschäden der Ehefrau des Kl.. voll und zahlte an diese wegen einer geltend gemachten HWS-Verletzung ein Schmerzensgeld von 1000 DM. An den Kl. leistete der Bekl. einen Schmerzensgeldvorschuss von 4000 DM.
Der Kl. bezieht seit dem 1. 6. 2000 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Das LG hat Einholung eines interdisziplinären Sachverständigengutachtens zu den Unfallfolgen die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kl. habe nicht bewiesen, dass die geklagten Beschwerden durch den Unfall hervorgerufen worden seien. Die Berufung des Kl. blieb ohne Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Der Kl. hat nicht bewiesen, dass die von ihm geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch den Verkehrsunfall vom 12. 7. 1996 in L verursacht wurden.
I. Dem Kl. stehen gegen den Bekl. keine Ansprüche auf Schmerzensgeld und materiellen Schadenersatz gem. §§ 847, 823 I, 823 II BGB i.V.m. 1 II StVO; §§ 7 I, 18 I StVG, 249f., 842 BGB, 3 Nr. 1, 2 PflVG zu.
1. Die Haftung des Bekl. dem Grunde nach für das sorgfaltswidrige Handeln des Führers des Sattelzuges steht zwischen den Parteien außer Streit.
2. Streit besteht zwischen den Parteien bezüglich der Unfallursächlichkeit der von dem Kl. geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
Bezüglich der Frage, ob ein Unfall zu einer Verletzung geführt hat, obliegt dem Anspruchsteller der Vollbeweis gemäß § 286 ZPO (BGH VersR 1986, 1121; OLG Hamm, VersR 1999, 990). Wenn allerdings der erste Verletzungserfolg feststeht, kommt für die Weiterentwicklung des Schadens dem Geschädigten die Beweiserleichterung des § 287 Abs. 1 ZPO zu Gute, wobei hier je nach Lage des Falles eine höhere oder deutlich höhere Wahrscheinlichkeit genügt (vgl. etwa BGH VersR 1993, 55; Senat, OLG Report 1995, 258).
Dabei entlastet es den Schädiger nicht, wenn er auf eine Konstitution des Geschädigten trifft, die den Schadenseintritt erleichtert oder vergrößert: Wer einen gesundheitlich geschwächten Menschen in seiner Gesundheit beeinträchtigt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als ob er einen Gesunden verletzt hätte (z.B. BGH NJW 1993, 2234; OLG Hamm, VersR 1996, 247 m.w.N.).
a) Aus Erklärungen des Fahrzeugführers im Ermittlungsverfahren kann der Kl. entgegen seiner Auffassung kein Geständnis i.S.d. §§ 288, 532 ZPO, dass eine Körperverletzung vorgelegen hat, herleiten, weil hierzu Tatsachen im Rechtsstreit zugestanden werden müssen; Äußerungen in anderen Verfahren genügen also nicht.
b) Beweiserleichterungen greifen zu Gunsten des Kl. entgegen seiner Auffassung nicht ein: ... .
c) Der Kl. hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht den Vollbeweis dahin erbracht, dass der streitgegenständliche Unfall ursächlich für die von ihm geltend gemachten gesundheitlichen Beschwerden ist.
aa) Im unfallanalytisch-technischen Teil hat der Sachverständige Dipl. Ing. B vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei die unfallbedingten Krafteinwirkungen und die daraus resultierenden Insassenbelastungen dargestellt. In dem Senatstermin hat der Sachverständige nochmals anschaulich erläutert, dass es bei der hier in Rede stehenden Streifkollision nicht maßgeblich auf die Masse und die Geschwindigkeit des beteiligten Lkw ankomme, sondern auf den Grad der Verhakung zwischen dem Lkw und dem Ford Fiesta, in dem der Kl. saß. Die Lage des Pkw nach dem Unfall gemäß Verkehrsunfallskizze und vor allem entscheidend das Ergebnis der durchgeführten Versuche, die bei dem Versuchsfahrzeug zu eher schwereren Beschädigungen als am Pkw des Kl. geführt hätten, gäben zuverlässig Auskunft über die Kräfte, die auf den Kl. bei dem Unfall einwirkten. Bei der Bestimmung der kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderungen hat der Sachverständige zu Gunsten des Kl. die Werte aus dem ersten und zweiten Versuch quadratisch aufaddiert und ist dabei zu einer maximalen Geschwindigkeitsänderung in Querrichtung von nur 2,5 km/h und von lediglich 4 km/h in Längsrichtung gelangt, wobei die mittlere Beschleunigung in Längsrichtung etwa 2,4 g und in Querrichtung 1,4 g beträgt.
Der Sachverständige hat unter Zugrundelegung von Versuchsreihen dargelegt, dass auf Grund der geringen Krafteinwirkung auf den Insassen und der Sitzposition des Kl. auf der stoßabgewandten Seite aus technischer Sicht ein Anstoß des Kopfes an Fahrzeugteile nicht zu erwarten sei; es sei allenfalls denkbar, dass der Kl. bei der Rückpendelbewegung mit einer nur sehr geringen Energie gegen den Seitenholm gelangt sei. Der Kl. hat damit übereinstimmend angegeben, keinerlei äußere Verletzungsanzeichen an seinem Kopf nach dem Unfall festgestellt zu haben.
bb) Der Senat hält in Übereinstimmung mit dem LG auch das Gutachten des Prof. Dr. C für überzeugend.
Der Sachverständige hat unter Zugrundelegung der Ausführungen des Sachverständigen B sein Gutachten auf breiter Tatsachengrundlage erstattet. Ihm lagen die Untersuchungsbefunde der behandelnden Ärzte vor. Er hat eigene umfassende Untersuchungen durchgeführt. Bei seinen Ausführungen ist er nicht einseitig vorgegangen, sondern hat den kontroversen Meinungsstand in der Wissenschaft zu der Problematik des HWS-Schleudertraumas wiedergegeben. Dies gilt auch bezüglich der Frage, ob Vorschädigungen zu einer größeren Empfindlichkeit der Wirbelsäule führen. Der Sachverständige hat zudem bei der Begutachtung die vom Kl. angegebene Kopfhaltung vor dem Unfall einbezogen und zwischen den unterschiedlichen Krafteinwirkungen in Längs- und Querrichtung unterschieden.
Bezüglich der Lendenwirbelsäule hat er ausgeführt, dass diese im Verhältnis zur Halswirbelsäule bei einem Anstoß besser geschützt sei, weil sie im Sitz eingebettet sei und dieser auf Grund des Stoßimpulses mitschwinge. Im Senatstermin wurden die Wirkungen eines Queranstoßes bei einer - erheblicher höheren als hier vorliegenden - Geschwindigkeitsänderung von 3,7 km/h anhand eines Filmes über einen durchgeführten Versuch anschaulich demonstriert. Das vorangehend beschriebene Mitschwingen des Sitzes konnte deutlich beobachtet werden.
Prof. Dr. C hat schließlich nachvollziehbar dargelegt, dass die vom Kl. geltend gemachten Beschwerden unabhängig vom Unfall auf Grund der Vorschädigung der Wirbelsäule eingetreten sein könnten.
Die abschließende Bewertung des Sachverständigen, wonach das gegenständliche Unfallereignis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht ursächlich für Schädigungen der HWS und davon abgeleitet für Gehörschädigungen sei und es zudem sehr unwahrscheinlich sei, dass die Beschwerden im Bereich der LWS auf den Unfall zurückzuführen seien, verliert nicht auf Grund der zu den Akten gereichten ärztlichen Befunde und Bewertungen an Überzeugungskraft:
In der ärztlichen Bescheinigung vom 29. 7. 1996 wird ohne Begründung ein HWS-Schleudertrauma diagnostiziert. Aussagekräftiger sind die Stellungnahmen vom 9. 9. 1997 und 31. 10. 1997 des Dr. P und von Prof. M. Dort wird von einer leichten HWS-Distorsion ausgegangen, die allerdings bereits abgeklungen sei und sich auf das Beschwerdebild des Kl. nicht mehr auswirke; es wird eine zweimonatige Ausheilphase angenommen und die unfallbedingte MdE vom 12. 7. bis zum 12. 9. 1996 auf 20% geschätzt. Eine Begründung für die angenommene leichte HWS-Distorsion fehlt; so wird im Gegenteil ausgeführt, dass eine Röntgenuntersuchung der HWS auf Grund sich einstellender Beschwerden erst 12 Tage nach dem Unfall durchgeführt worden sei, was keinen typischen Verlauf nach HWS-Distorsionen darstelle. Ein morphologisches Substrat für die Unfallursächlichkeit der geklagten Beschwerden konnte nicht gefunden worden. Es wird ausgeführt, dass degenerative Veränderungen an der HWS in der Form einer das altersentsprechende Maß überschreitenden Osteochondrose vorlägen. Bezüglich der LWS wird eine sich nicht mehr auswirkende, ausgeheilte LWS-Prellung als Unfallfolge angenommen, ohne dass diese Feststellung begründet wird. Den Ärzten standen zudem - anders als dem gerichtlichen Sachverständigen - bei ihren Bewertungen keine Informationen über die unfallbedingten Krafteinwirkungen zur Verfügung.
In dem Gutachten des HNO-Arztes Dr. B vom 19. 9. 1997 werden die festgestellte Hörminderung und die Ohrgeräusche auf das Unfallereignis mit der Begründung zurückgeführt, selbst geringe HWS-Distorsionen konnten die o. a. Beschwerden verursachen, wobei ausgeführt wird, dass auch andere Erkrankungen die festgestellte Symptomatik auslösen könnten. Der begutachtende Facharzt setzt also bei seiner Schlussfolgerung voraus, dass der Unfall zu einer HWS-Distorsion führte. Die Frage, ob eine solche unfallbedingte HWS-Distorsion vorlag, unterfällt dem Fachgebiet des gerichtlichen Sachverständigen. Da eine solche Verletzung nicht bewiesen ist, ist der Bewertung des Facharztes offensichtlich die Grundlage entzogen mit der Folge, dass dann auch aus seiner Sicht und damit in Übereinstimmung mit dem gerichtlichen Sachverständigen eine Unfallursächlichkeit nicht mehr festgestellt werden kann.
Der Senat ist im Übrigen der Auffassung, dass bezüglich der Problematik unfallbedingter HWS-Verletzungen ärztlichen Bescheinigungen vom Unfalltag über HWS-Verletzungen nicht uneingeschränkt das entscheidende Gewicht beizumessen ist; die Bewertung einer solchen Bescheinigung im Rahmen der Beweiswürdigung hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalls ab (a.A. OLG Bamberg in der vom Kl. angeführten Entscheidung DAR 2001, 121, abgedr. unter Nr. 7 in diesem Heft).
Denn es ist nicht die therapeutische Aufgabe des behandelnden Arztes, eine Kausalität zwischen dem Unfallereignis und den geklagten Beschwerden herzustellen oder die subjektiven Angaben seiner Patienten über Beschwerden kritisch in Frage zu stellen; so kann es aus der Sicht eines Arztes der nicht als Gutachter tätig ist, vorsorglich geboten sein, auf Grund einer Verdachtsdiagnose Behandlungsmaßnahmen einzuleiten (vgl. hierzu Lemcke, NZV 1996, 337, 339). Auch dein behandelnden Arzt, der ersichtlich keine Verdachtsdiagnose gestellt hat, stehen nicht die Informationen zum Unfallablauf zur Verfügung, welche auf Grund eines unfallanalytisch-technischen Gutachtens gewonnen werden können. Die Bewertung eines ärztlichen Attestes hängt zudem davon ab, welche objektiven Feststellungen der Arzt getroffen hat. Wie bei jedem anderen von einer Partei vorgebrachten Beweismittel ist das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung gehalten (§§ 286, 287 ZPO), ärztliche Bescheinigungen einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Es kann daher häufig bei entsprechenden Beweisantritten der Parteien geboten sein, durch die Einholung einer interdisziplinären Sachverständigengutachtens die Frage der Unfallursächlichkeit einer behaupteten HWS-Verletzung zu klären.
cc) Der Senat sieht zu weiteren Beweiserhebungen keinen Anlass.
(1) …
(2) Es ist zudem nicht - wie vom Kl. im Senatstermin beantragt - erforderlich, eine dynamische Kernspintomographie an der Halswirbelsäule des Kl. durchzuführen, weil die Durchführung der Untersuchung zu keinen neuen Feststellungen führen würde.
Der Sachverständige Prof. C hat hierzu ausgeführt, dass es sich bei dieser Methode um ein in der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein anerkanntes, sondern sehr umstrittenes Verfahren handele, das in diesem Fall auch keine besseren Erkenntnisse liefere als die herkömmliche Kernspintomographie.
(3) …
(4) …
(5) Zu weiteren Beweiserhebungen besteht schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt psychischer oder psychosomatischer Störungen Anlass.
(a) Wie das LG - vom Kl. nicht angegriffen - zutreffend ausgeführt hat, fehlt es für die Zurechnung eines psychischen Folgeschadens an einer Primärverletzung. Denn die Zurechnung eines psychischen Folgeschadens setzt voraus, dass eine Erstverletzung feststeht, die noch dazu mehr als eine Bagatellverletzung darstellen muss (zum Vorstehenden: BGH NJW 1996, 2425, 2426; 1998, 810, 811; 2000, 862, 863).
(b) Es ist auch kein Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob die geltend gemachten Beschwerden die Folge einer psychisch vermittelten Einwirkung auf den Körper des Kl. darstellen.Es ist allgemein anerkannt, dass eine Gesundheitsbeschädigung i.S. des § 823 I BGB keine physische Einwirkung auf den Körper des Verletzten voraussetzt, vielmehr auch psychisch vermittelt werden kann (z.B. BGH VersR 1971 905; VersR 1986, 240; NJW 1996, 2425, 2426; Geigel-Rixecker, 23. Aufl., Kap. 1, Rnr. 11, 12; Palandt-Heinrichs, 60. Aufl., Rnr. 69f. zu Vorbem. v. § 249 BGB). Typisch hierfür ist der Schockschaden, den jemand auf den Tod oder die Verletzung eines anderen erleidet (vgl. hierzu Palandt-Heinrichs, Rnr. 71 zu Vorbein. v. § 249 BGB).
Um eine uferlose Ausweitung der Haftung zu vermeiden, finden jedoch eingrenzende Kriterien Anwendung. So muss etwa bei Schockschäden der Schock im Hinblick auf den Anlass verständlich (adäquat) sein, was zu einer Eingrenzung des Kreises der Anspruchsberechtigten führt (vgl. BGH VersR 1971, 905; Palandt-Heinrichs a.a.O.). Die geltend gemachte Beeinträchtigung muss darüber hinaus selbst einen Krankheitswert aufweisen, also eine Gesundheitsbeschädigung i.S. des § 823 I BGB darstellen (z.B. BGH NJW 1996, 2425, 2426).
Es kann dahingestellt bleiben, ob den vom Kl. behaupteten Beschwerden ein Krankheitswert im oben genannten Sinne zukommt. Denn gesundheitliche Beeinträchtigungen mit Krankheitswert wären dem Schadensereignis jedenfalls deshalb nicht zurechenbar, weil ein Bagatellunfall vorliegt:
Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat wie vorangehend unter (a) angeführt - im Rahmen der Problematik des psychischen Folgeschadens die Bagatellverletzung als zurechnungsunterbrechendes Kriterium anerkannt. Nach Auffassung des Senats ist dieser Ansatz auch für die Zurechnung der psychisch vermittelten Gesundheitsverletzung ein angemessenes Abgrenzungskriterium; danach sind einem Unfall psychisch vermittelte gesundheitliche Beeinträchtigungen dann nicht mehr zurechenbar, wenn bereits der Unfall selbst als Bagatelle einzustufen ist, weil er nach seinem Ablauf und seinen Auswirkungen keinen verständlichen Anlass für psychische Reaktionen bietet, die über das Maß dessen hinausgehen, was im Alltagsleben als typische und häufig auch aus anderen Gründen als einem besonderen Schadensfall entstehende Beeinträchtigungen des Körpers oder des seelischen Wohlbefindens hinzunehmen ist (vgl. Senat, Urteil v. 2. 4. 2001 - 13 U 148/00 -; OLG Oldenburg, DAR 2001, 313; ähnlich OLG Hamm (6. ZS.) r+s 2001, 62, 64f.: „banales Unfallereignis“; vgl. auch OLG Köln, OLGR 2000, 22, 23).
Der Ablauf des Unfalls als solcher kann nicht in einem außergewöhnlichen Maße auf den Kl. eingewirkt haben, weil er von dem Unfallereignis überrascht wurde und auch die Begleitumstände nach dem Unfall nicht über das hinausgingen, was im dichten Straßenverkehr bei tagtäglich passierenden Unfällen mit Sachschäden zu verzeichnen ist.
Wie vorangehend dargelegt [vgl. aa) und bb)], haben korrespondierend mit den relativ geringfügigen Beschädigungen am Pkw unfallbedingt nur sehr geringe Kräfte in Längs- und Querrichtung auf den Körper des Kl. eingewirkt; sie gehen von der Intensität nicht über das hinaus, was auch sonst im Alltagsleben als Belastung vorkommen kann.
Bei objektiver Betrachtung handelte es sich insgesamt um ein gewöhnliches Unfallereignis, das nicht geeignet ist, psychische Reaktionen mit Krankheitswert hervorzurufen.
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