Durch Satzung zeitlich bestimmte Räum- und Streupflicht
Gericht
OLG Schleswig
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
08. 05. 2003
Aktenzeichen
11 U 174/2001
Umfang und Zeit der Räum- und Streupflicht bei Schnee und Glätte richten sich nach den Bestimmungen des maßgeblichen Ortsrechts.
Aus einer kommunalen Satzung, die dem Bürger Pflichten auferlegt, muss unzweifelhaft erkennbar sein, welche Handlungen konkret verlangt werden.
Setzt die Satzung eine Zeit für die Schnee- und Eisbeseitigung fest, so bedeutet dies nicht, dass bereits zu Beginn dieser Zeit vollständig geräumt und gestreut sein muss. Unter Berücksichtigung des Bestimmtheitsgrundsatzes ist die Regelung vielmehr dahingehend zu verstehen, dass ab diesem Zeitpunkt mit dem Räumen und Streuen zu beginnen ist und die Arbeiten in angemessener Zeit ausgeführt sein müssen.
Erst noch warten und beobachten darf der Verpflichtete nicht, wenn es darum geht, den vor dem festgesetzten Beginn der Räum- und Streupflicht gefallenen Schnee und die Glätte zu beseitigen.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten materiellen Schadensersatz und ein Schmerzensgeld wegen eines glättebedingten Sturzes auf dem öffentlichen Fußgängerweg vor dem Haus des Beklagten in der Stadt A. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dieser Sturz noch vor 8.00 Uhr morgens oder kurz danach stattgefunden hat. Die Klägerin blieb in beiden Instanzen erfolglos.
Auszüge aus den Gründen:
Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schmerzensgeld, materiellen Schadensersatz und die begehrte Feststellung aus den §§ 823, 831, 847 BGB a.F. Es lässt sich nämlich nicht feststellen, dass eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten den Unfall der Klägerin verursacht hat. Da es dabei um die sog. haftungsbegründende Kausalität geht, obliegt es der Klägerin, den Vollbeweis zu erbringen. Eine ursächliche Verkehrssicherungspflichtverletzung käme allenfalls in Betracht, wenn sich der Unfall nach 8.05 h ereignet hätte. Die Klägerin kann aber nicht beweisen, dass sie nach diesem Zeitpunkt und nicht schon früher gestürzt ist.
Die Straßenreinigungspflicht und damit auch die Pflicht zur Schnee- und Eisbeseitigung obliegt im Grundsatz der Stadt Flensburg nach § 45 Abs. 3 Straßen- und Wegegesetz Schl. H.. Allerdings ist die Stadt nach dieser Norm berechtigt, die Schnee- und Eisbeseitigungspflicht auf die Anlieger zu übertragen. Dies ist mit ihrer Straßenreinigungssatzung vom 20.11.1990 geschehen. Auch der Umfang der Streupflicht richtet sich – weil die Beklagten nicht originär streupflichtig sind – allein nach den Bestimmungen des maßgeblichen Ortsrechts (vgl. BGH v. 27.11.1984 – VI ZR 49/83, MDR 1985, 311 = NJW 1985, 484). ...
Mithin gilt gerade für auch für die Anlieger, was diese Vorschrift zum zeitlichen Umfang der Räum- und Streupflicht bestimmt:
„Die Verpflichtung zur Schnee- und Glättebeseitigung besteht zwischen 8.00 und 20.00 Uhr, Sonn- und Feiertags zwischen 9.00 und 20.00 Uhr. Innerhalb dieser Zeit ist Neuschnee sofort nach beendeten Schneefall und Eisglätte unverzüglich nach ihrem Auftreten zu beseitigen.”
Dann aber musste der Unfallbereich hier nicht vor 8.05 h von den Beklagten abgestreut sein. Für öffentlich-rechtliche Satzungen, die den Bürgern Pflichten auferlegen, gilt nämlich ein strenger Bestimmtheitsgrundsatz in dem Sinne, dass die Bürger als Normadressaten aus der Satzung unzweifelhaft erkennen müssen, welche Handlungen ihnen konkret abverlangt werden (OLG Hamm v. 30.11.1989 – 27 U 127/89, VersR 1991, 1419; OLG Schleswig, Urt. v. 13.8.1998 – 11 U 194/96; Urt. v. 3.6.1999 – 11 U 76/97; sowie Geigel a.a.O., § 14 Rz. 168). Aus der Formulierung der genannten Satzung ergibt sich, dass die Anlieger erst ab 8.00 Uhr räum- und streupflichtig sind. Die etwa schon vor 8.00 Uhr entstandene Glätte muss deshalb nicht etwa bis 8.00 Uhr bereits beseitigt sein, sondern vielmehr beginnt die Räum- und Streupflicht eben erst ab 8.00 Uhr.
Eine Warte- und Beobachtungszeit kann den Anliegern allerdings ab 8.00 h nicht mehr eingeräumt werden. Nur für den Sonderfall der nach Ende eines Schneefalles bzw. eines andauernden Eisregens zu erledigenden Streu- und Räumungspflicht ist auch in der Rechtssprechung des Senats anerkannt, dass sie erst nach einer angemessenen Wartezeit einsetzt. Diese Wartezeit umfasst eine Beobachtungszeit, in der der Streupflichtige Gelegenheit hat, näher festzustellen, ob der anhaltende Eisregen/Schneefall tatsächlich zu Ende ist, eine weitere Zeit zur organisatorischen Vorbereitung der Streu- und Räumarbeiten sowie schließlich noch einen angemessenen Zeitraum für die Streuarbeiten selbst (OLG Schleswig VersR 1975, 431 sowie OLG Schleswig, Urt. v. 15.5.2001 – 11 U 14/2000; OLG Brandenburg v. 28.9.1999 – 2 U 11/99, OLGReport Brandenburg 1999, 419 [420] = MDR 2000, 159). Das gilt aber nicht für die nach Satzung mit einem bestimmten morgendlichen Zeitpunkt einsetzende Räum- und Streupflicht (für den Fall in der Nacht entstandener Glätte bzw. nächtlichen Schneefalls). Allerdings hat der damalige 5. Senat des OLG Schleswig im zitierten Urteil (OLG Schleswig VersR 1975, 431) offen gelassen, „ob der Reinigungspflichtige etwa bei einer durch Polizeiverordnung oder Ortssatzung festgesetzten Uhrzeit für den Beginn des Schneeräumens sofort mit dem Beseitigen des Schnee beginnen muss”. Für eine sofort einsetzende Beseitigungspflicht hat sich dagegen das OLG Nürnberg (OLG Nürnberg VersR 1964, 1180) ausgesprochen. Danach soll die Streupflicht genau um die festgesetzte Uhrzeit beginnen, wenn eine kommunale Satzung dem Anlieger für sein Grundstück ab diesem Zeitpunkt die Räum- und Streupflicht auferlegt.
Letzterem folgt nun auch der Senat. Es besteht kein Anlass, im Fall des durch Satzung zeitlich bestimmten Beginns der Räum- und Streupflicht auch noch eine Beobachtungszeit und eine Vorbereitungszeit einzuräumen, wenn es um die morgendliche Beseitigung des in der Nacht gefallenen Schnees bzw. der dann entstandenen Glätte geht. Allerdings kann von dem Bürger, wenn nach der Satzung die Schnee- und Eisbeseitigung nicht bis 8.00 Uhr erledigt sein muss, sondern erst zu diesem Zeitpunkt einsetzt, nicht verlangt werden, dass er Punkt 8.00 Uhr bereits den Gehweg vor dem gesamten Grundstück vollständig abgestreut hat. Unter Berücksichtigung des Bestimmtheitsgrundsatzes kann die Regelung vielmehr nur dahin verstanden werden, dass ab 8.00 Uhr mit dem Abstreuen begonnen werden muss, weshalb für die Erledigung der Streupflicht zwangsläufig ein gewisser angemessener Zeitraum einzuräumen ist. Hat der Anlieger eine übliche Grundstücksbreite von 10 bis 20 Metern abzustreuen, so ist ein Zeitraum von 5 bis 10 Minuten für die Erledigung der Arbeiten zuzugestehen. Da es keine Verpflichtung gibt, an einer bestimmten Stelle vor dem Grundstück mit den Arbeiten anzufangen, kann sich ein Sturz vor dem nicht gestreuten Grundstück haftungsrechtlich nachteilig für den Eigentümer erst ab 8.05 Uhr bis 8.10 Uhr auswirken, denn erst ab diesem Zeitpunkt muss bei strenger Anwendung der hier einschlägigen Satzung die Streupflicht erfüllt sein.
Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass sie erst nach 8.05 h gestürzt ist.
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