Kein Anspruch auf lärmdämmende Maßnahmen
Gericht
OLG Düsseldorf
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
29. 01. 1997
Aktenzeichen
9 U 218/96
Ein Mieter hat gegen den im gleichen Haus wohnenden Obermieter keinen Anspruch auf lärmdämmende Maßnahmen (z.B. Verlegung eines Teppichbodens), wenn er sich wegen der Hellhörigkeit des Hauses durch Geräusche normaler Wohnnutzung gestört fühlt.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. haben von dem über ihnen wohnenden Bekl. das Verlegen von Teppichboden nebst Dämmunterlage verlangt mit der Begründung, nach Entfernen des Teppichbodens komme es durch Begehen mit Straßenschuhen zu einer Trittgeräuschentwicklung, die das Maß des Erträglichen und Zumutbaren übersteige. Der Wohnungseigentümer habe wegen der Hellhörigkeit der Wohnungen Teppichboden verlegt. Ohne den Teppichboden werde das an sich wünschenswerte Spielen und Herumlaufen von Kindern unerträglich.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Bekl. führte zur Klageabweisung.
Auszüge aus den Gründen:
I. Das LG hat der Klage aus §§ 858 I , 862 I BGB entsprochen, ohne Feststellungen dazu zu treffen, ob die von der Wohnung des Bekl. ausgehenden Geräusche die Benutzung der Wohnung der Kl. wesentlich beeinträchtigen. Maßgebend für die wertende Beurteilung der Wesentlichkeit von Lärmimmissionen sind alle Umstände des Einzelfalles, die das Gericht in der Regel dazu zwingen, sich über einen Ortstermin einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Die Lästigkeit von Geräuschen hängt von einer Reihe von Umständen ab, für die es auf das eigene Empfinden des Tatrichters ankommt (vgl. BGHZ 79, 45 (51) = NJW 1981, 1369; BGH, NJW 1992, 2019). Deshalb ist das Gericht - gerade in Grenzbereichen - gehalten, sich durch einen Ortstermin einen eigenen Eindruck von Art und Intensität des Lärms zu verschaffen (BGHZ 121, 248 = NJW 1993, 1656 = LM H.9/1993 § 906 BGB Nr. 90). Diese Feststellungen waren - ausgehend von der Rechtsansicht des LG - unverzichtbar. Die Kl. haben nicht etwa behauptet, die Beeinträchtigungen beruhten auf - nur schwer rekonstruierbarem - rücksichtslosem, lärmintensivem Verhalten des Bekl. Sie fühlen sich vielmehr durch die normale Wohnnutzung, zu der auch das Begehen der Wohnung mit Straßenschuhen, Kleinkindergeschrei und gelegentliches Kindergetrampel gehören, gestört. Da Mieter in einem größeren Miethaus Lärmeinwirkungen hinnehmen müssen, wie sie in einem Haus mit mehreren Mietparteien unvermeidbar sind (BGH, NJW 1958, 1776), hätte es angesichts des Bestreitens des Bekl. konkreter, durch Ortsbesichtigung zu treffender Feststellung bedurft, dass die Lärmeinwirkungen das Maß des noch Hinnehmbaren überschreiten. Von einer Ortsbesichtigung durfte das LG auch nicht im Hinblick auf das Urteil derselben Kammer vom 8. 7. 1993 (3 O 109/91) absehen. Zum einen ist dieses Urteil nicht rechtskräftig geworden, sondern die Klage vom Senat - wenn auch aus erst in der Berufungsinstanz vorgetragenen Gründen - abgewiesen worden. Damit gab es entgegen der Auffassung des LG aufgrund der früheren Entscheidung keinerlei bindende Feststellungen, auf die das LG seine jetzige Entscheidung hätte stützen können.
II. Die Klage ist unbegründet; die Kl. hatten gegen den Bekl. keinen Anspruch darauf, dass dieser seine Wohnung mit Teppichboden auslegt. Demzufolge können sie auch keine Rechte daraus herleiten, dass der Bekl. den seinerzeit freiwillig verlegten, inzwischen aber entfernten Teppichboden durch einen neuen Textilbelag - zudem noch mit einer bestimmten Schallschutzeigenschaft - ersetzt.
Zutreffend geht das LG allerdings davon aus, dass die Kl. als Mieter gegen den Bekl. als weiteren Mieter wegen wesentlicher Lärmbelästigungen einen Anspruch aus § 862 BGB haben können. Dabei beurteilt sich die Frage, ob und inwieweit ein Mieter störende Geräusche eines im gleichen Hause wohnenden anderen Mieters dulden muss, nach § 906 BGB analog. Diese Vorschrift regelt zwar in erster Linie die Frage der Zulässigkeit von Immissionen auf ein Nachbargrundstück. Sie ist aber auch auf das Verhältnis zwischen den Mietern verschiedener Stockwerke eines Hauses entsprechend anzuwenden (BGH, LM § 906 Nr. 1; RG, HRR 1931, Nr. 1219; JW 1932, 2984, Nr. 11). Bei der Beurteilung etwaiger Geräuscheinwirkungen ist unter Anwendung des Grundgedankens des § 242 BGB - des Gebots, nach Treu und Glauben zu handeln - zu berücksichtigen, dass das Wohnen und Wirken zweier unter einem Dach wohnender Mieter eine gewisse Gemeinsamkeit schafft und von ihnen beiden eine wechselseitige Rücksichtnahme erfordert (BGH, LM § 906 Nr. 1). Abzustellen ist unter Einbeziehung wertender Momente auf das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen (BGHZ 121, 248 = NJW 1993, 1656). Dabei kann allerdings der Mieter für die baulichen Unzulänglichkeiten des Hauses von dem gestörten Mieter nicht verantwortlich gemacht werden, wenngleich bei besonderer Hellhörigkeit ein gesteigertes Maß von Rücksichtnahme erwartet werden kann. Hierum geht es im vorliegenden Fall jedoch nicht, da von den Kl. gerade kein besonders rücksichtsloses, lärmintensives Verhalten des Bekl. und seiner Mitbewohner behauptet wird. Soweit die Kl. ausweislich ihrer handschriftlichen Aufzeichnungen nächtliches Baby- bzw. Kleinkindergeschrei beanstanden, ist die hiervon ausgehende Störung unvermeidbare Folge normaler kindlicher Entwicklung und von den Kl. hinzunehmen (BGHZ 121, 248 = NJW 1993, 1656). Nichts anderes gilt für die von einer normalen Wohnnutzung ausgehenden Geräusche (Trittschall durch Begehen mit Straßenschuhen, gelegentliches Kindertrampeln oder gelegentliches Fallenlassen von Gegenständen). Sofern diese normalen - nicht auf besonders rücksichtslosem Verhalten des Bekl. beruhenden - Geräuscheinwirkungen eine wesentliche Beeinträchtigung der Kl. wegen der besonderen Hellhörigkeit des Hauses zur Folge haben, beruht dies auf einem Mangel der Mietsache und nicht auf einem abwehrfähigen Verhalten des Bekl.
Eine andere Beurteilung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn der Bekl. durch eigenmächtige Maßnahmen den Zustand der Mietsache nachteilig verändert hätte und hierauf die störenden Auswirkungen beruhen ... Die Kl. und ihnen folgend das LG sehen in der Entfernung des früher verlegten Teppichbodens im Zuge der seinerzeitigen Umbaumaßnahmen einen unzulässigen, eigenmächtigen Eingriff in die Bausubstanz ("verbotene Eigenmacht"). Dabei wird verkannt, dass der Bekl. aufgrund Vereinbarung mit dem Eigentümer zu einer umfassenden baulichen Veränderung mit einem letztlich vom Eigentümer zu tragenden Kostenaufwand von 60000 DM berechtigt war. Diese vom Bekl. vorzunehmenden baulichen Veränderungen schlossen die Zusammenlegung von Wohnungen, das Versetzen bzw. Beseitigen von Zwischenwänden und das Verlegen von Räumen ein.
Angesichts dieses Umbauumfangs ist es lebensfremd anzunehmen, dass der Bekl. - mangels gesondert erwähnter Gestattung der Entfernung - verpflichtet gewesen wäre, den bisherigen (gebrauchten) Teppichboden in der Wohnung zu belassen. Wenn dieser Teppichboden nicht nur aus Gründen (subjektiv empfundener) Wohnlichkeit, sondern aus Gründen des Schallschutzes verlegt war - wobei jegliche konkrete Angaben zur Schallschutzqualität des früheren Belags fehlen -, wäre es Sache des Eigentümers gewesen, vom Bekl. die Ausstattung der Wohnung mit einem Teppichboden bestimmter Schallschutzqualität zu verlangen ...
Kanzlei Prof. Schweizer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH © 2020
Impressum | Datenschutz | Cookie-Einstellungen