Sicherungsmaßnahmen gegen Dachlawinen

Gericht

LG Duisburg


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

11. 07. 1986


Aktenzeichen

4 S 126/86


Leitsatz des Gerichts

In schneearmen Gebieten muss der Hauseigentümer grundsätzlich keine Sicherungsmaßnahmen gegen Dachlawinen treffen. Bei einer steilen Dachneigung, kann der Eigentümer nach starken Schneefällen verpflichtet sein, Warntafeln aufzustellen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. nimmt die Bekl. auf Schadensersatz in Anspruch, weil er am 21. 1. 1985 - damals herrschte eine Schneeperiode - seinen Pkw vor dem Haus der Bekl. (in Mülheim a. d. Ruhr) geparkt hatte und vom Dach Schnee- und Eismassen herabrutschten und auf seinen Pkw fielen; sein Pkw wurde im Bereich der Motorhaube beschädigt. Die Reparaturkosten belaufen sich auf 2000 DM. Der Kl. trägt vor, die Bekl. betreibe in ihrem Hause eine Metzgerei, so dass gerade die Bürgersteigseite vor dem Hause stark frequentiert sei; er selbst habe auch die Absicht gehabt einzukaufen; das Dach, das durch mehrere Gauben zur Straßenseite hin unterbrochen sei, sei sehr steil (mehr als 70 Grad); es habe kein Schneefanggitter; die Bekl. habe auch keine Warnschilder oder Warnstangen für den Verkehr aufgestellt. Die Bekl. beruft sich darauf, dass Mülheim a. d. Ruhr zu den schneearmen Gebieten gehöre und ihr baubehördlich nicht auferlegt sei, besondere Schutzvorrichtungen für Dachschneelawinen zu schaffen. Sie ist der Meinung, dass der Kl. selbst dafür habe Sorge tragen müssen, dass ihm an seiner selbst gewählten Parkstelle kein Schaden habe entstehen können.

Das AG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl. war teilweise erfolgreich.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Der Kl. hat gegen die Bekl. einen Schadensersatzanspruch gem. § 823 I BGB wegen schuldhafter Verletzung der ihr obliegenden Verkehrssicherungspflicht. Denn die Bekl. hätte Maßnahmen ergreifen müssen, um den Kl. vor der von ihrem Haus ausgehenden Gefahr zu schützen.

Ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen ein Hauseigentümer zur Verhütung eines Dachlawinenschadens treffen muss, bestimmt sich nach objektiven Maßstäben, nämlich danach „was der normale und gesunde Verkehr" erfordert (vgl. BGH, NJW 1955, 300). Dabei ist davon auszugehen, dass es grundsätzlich dem Passanten - Fußgänger oder Kraftfahrer - obliegt, sich und sein Eigentum vor Schäden durch herabfallende Schneemassen zu schützen (so bereits RG, DR 1942, 1759). Für ihn ist es nämlich erheblich leichter, sich vor Schäden zu bewahren, als es für den Eigentümer ist, geeignete Maßnahmen zur Schadensverhütung zu ergreifen. Es ist dem Fußgänger beispielsweise zuzumuten, hin und wieder den Blick nach oben zu wenden um zu sehen, ob das Herabstürzen von Schneemassen droht. Er kann der Gefahr auch ausweichen, indem er dicht an den Hauswänden vorbeigeht. Der Hauseigentümer ist deshalb grundsätzlich nicht verpflichtet, in schneearmen Gebieten Sicherungsmaßnahmen gegen Dachlawinen zu treffen (vgl. OLG Köln, VersR 1980, 878; LG Krefeld, VersR 1981, 544). Die Kammer hat sich in zwei früheren Entscheidungen (4 S 198/85 und 4 S 327/85) dieser Meinung angeschlossen.

Anders ist der Fall jedoch zu beurteilen, wenn besondere Umstände des Einzelfalles dem Hauseigentümer Veranlassung zu Schutzmaßnahmen gegen eine bestehende Dachlawinengefahr geben müssen. Das ist dann der Fall, wenn sich etwa eine Dachlawine durch Schneeüberhang an der Dachschräge ankündigt oder das Dach besonders steil ist und es deshalb überdurchschnittlich häufig zum Herabfallen von Schneemassen kommt. Dies gilt erst recht, wenn durch den baulichen Zustand des Hauses oder Maßnahmen des Hauseigentümers die allgemeine Aufmerksamkeit der Passanten, die von ihnen grundsätzlich erwartet werden kann, abgelenkt wird. So verhält es sich vorliegend.

Das Haus der Bekl. weist eine so ungewöhnlich steile Dachneigung auf, dass in einer ungewöhnlich schneereichen Zeit wie im Januar 1985 die Gefahr des Abrutschens von Schneemassen besonders groß ist. Hinzu kommt, dass die Bekl. in diesem Haus eine Metzgerei betreibt. Dieses Geschäft bringt es nicht nur mit sich, dass eine erheblich größere Anzahl von Passanten das Haus aufsucht als ein normales Wohnhaus. Die Aufmerksamkeit der Passanten wird auch durch die Auslagen im Schaufenster der Metzgerei von der vom Dach drohenden Gefahr abgelenkt.

Aufgrund dieser besonderen Umstände ist die Bekl. verpflichtet, anders als der Hauseigentümer eines Wohnhauses mit durchschnittlicher Dachneigung, Schutzmaßnahmen gegen eine bestehende Dachlawinengefahr zu treffen. Zwar ist sie nicht verpflichtet, Schneefanggitter anzubringen - diese Verpflichtung trifft nur einen Hauseigentümer in schneereichen Gebieten -, sie ist wegen der bestehenden hohen Eigengefahr auch nicht verpflichtet, das Dach selbst von Schneemassen zu räumen. Es kann von ihr auch nicht verlangt werden, das Dach von Fachkräften räumen zu lassen, da dies wegen des dazu notwendigen Aufstellens eines Gerüstes einen hohen Kostenaufwand erfordert. Es ist ihr aber zuzumuten, nach starkem Schneefall durch das Anbringen von Warntafeln Dritte von der von ihrem Dach ausgehenden Gefahr zu warnen. Dies hat die Bekl. im Januar 1985 unterlassen. Dieses Unterlassen führt zu einem Schadensersatzanspruch des Kl. wegen schuldhafter Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Bekl.

Der Kl. muss sich jedoch ein Mitverschulden am Zustandekommen des Schadens gem. § 254 BGB anrechnen lassen. Denn es war ihm zuzumuten, sich zu vergewissern, dass dem Fahrzeug an der Stelle, wo er es abgestellt hatte, keine Gefahr drohte. Dazu gehörte in einem schneereichen Winter auch, dass man prüft, ob das Fahrzeug nicht durch herabfallende Schneemassen gefährdet wird. In diesem Zusammenhang ist es allerdings ohne Belang, ob das Fahrzeug im eingeschränkten Halteverbot stand oder nicht, denn das eingeschränkte Halteverbot dient nicht dem Schutz der Bekl., sondern dem Verkehrsfluss. Das Mitverschulden des Kl. ist mit 1/3 anzurechnen.

Rechtsgebiete

Schadensersatzrecht; Schnee und Glatteis