Verständnis des durchschnittlichen Lesers zu einem Bericht über ein „Weiterverbreitungsverbot”
Gericht
LG Frankfurt a.M.
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
27. 11. 2003
Aktenzeichen
2/03 O 403/03
Für die Ermittlung des Inhalts eines Presseartikels ist nach dem zugrundezulegenden Leserverständnis auf die gesamte Veröffentlichung - nicht nur auf einzelne Sätze aus diesem Artikel - abzustellen.
Ergibt sich aus den mitgeteilten Begleitumständen, dass das Verbot der Verbreitung nur auf der Unzuverlässigkeit des in dem Ratgeber enthaltenen Tests beruht, dann ist die Formulierung, die Zeitschrift dürfe nicht mehr verbreitet werden, nicht unwahr.
Der Beschluss - einstweilige Verfügung - vom 10.10.2003 wird aufgehoben.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Eilverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; die Verfügungsklägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.700,00 € abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
TATBESTAND:
Die Verfügungsklägerin (nachfolgend: Klägerin) wendet sich gegen eine Berichterstattung in dem von der Verfügungsbeklagten (nachfolgend: Beklagten) verlegten Magazin ... .
Die Klägerin verlegt das Test-Magazin ... und den ... . Durch einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg (Beschluss vom 01.10.2003) wurde der Klägerin auf Antrag der Betriebkrankenkasse ... untersagt,
"einen Test der 'günstigen Krankenkassen', wie in ... geschehen, zu veröffentlichen, zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen"
(Bl. 10/11 d.A.).
Im Heft ... wurde darüber unter der Überschrift "Schlampiger Test" wie folgt berichtet:
"Das Hamburger Landgericht hat dem ... - Verlag am vergangenen Mittwoch die Weiterverbreitung seines neuen Ratgebers ... per einstweiliger Verfügung verboten. Kaum verändert ist darin ein Krankenkassenvergleich aus dem ... Septemberheft abgedruckt, dessen Bewertungskriterien laut Gericht 'nicht ersichtlich' sind ..." (Bl. 9 d.A.).
Ferner wurde auf der lnternet-Seite ... folgender Bericht veröffentlicht:
"...: Gericht stoppt ...-Sonderheft
... Das Hamburger Landgericht hat dem ... Verlag am Mittwoch die Weiterverbreitung seines neuen Ratgebers ... per einstweiliger Verfügung verboten. Wie das Nachrichtenmagazin ... berichtet, ist in dem Sonderheft ein Krankenkassenvergleich aus dem ...-Septemberheft kaum verändert abgedruckt, dessen Bewertungskriterien laut Gericht 'nicht ersichtlich' sind"...
(Bl. 12 d.A.).
Die Klägerin sieht in diesen Berichterstattungen unwahre Tatsachenbehauptungen. Das Landgericht Hamburg habe ihr keineswegs die Weiterverbreitung des Ratgebers ... verboten. Sie verbreite ihren Ratgeber, soweit dessen Verbreitung nicht durch die Entscheidungen des Landgerichts Hamburg untersagt sei, in vollem Umfang auf ihrer Homepage weiter.
Durch eine im Beschlusswege erlassene einstweilige Verfügung vom 10.10.2003 ist der Beklagten untersagt worden, wörtlich oder sinngemäß die Behauptung aufzustellen und/oder zu verbreiten bzw. erneut zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen, das Landgericht Hamburg habe dem ... Verlag das Verbreiten seines neuen Ratgebers ... per Einstweiliger Verfügung verboten. Dagegen hat die Beklagte Widerspruch erhoben.
Die Klägerin beantragt,
den Beschluss - einstweilige Verfügung - vom 10.10.2003 zu bestätigen.
Die Beklagte beantragt,
die einstweilige Verfügung aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen.
Die Beklagte meint, aus dem angegriffenen Bericht ergebe sich nach dem Verständnis des Durchschnittslesers, dass es der Krankenkassenvergleich aus dem ... Septemberheft war, an dem das Landgericht Hamburg etwas auszusetzen hatte, und der ...-Ratgeber in der Form, wie er bereits gedruckt und ausgeliefert worden sei, nicht mehr weiter verbreitet werden dürfe, weil darin ein Testbericht enthalten sei, den das Landgericht Hamburg für unzulässig angesehen habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Auf den Widerspruch ist die erlassene einstweilige Verfügung auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Dies führt zu ihrer Aufhebung.
Der Klägerin steht kein Unterlassungsanspruch nach §§ 824, 1004 BGB zu. Die verbreitete Tatsache ist wahr.
Welchen Inhalt die angegriffenen Mitteilungen haben, ist nach dem Verständnis des durchschnittlichen Lesers zu beurteilen. Dabei ist jeweils von dem gesamten Bericht auszugehen, auf einzelne Sätze daraus darf nicht abgestellt werden.
In dem Bericht im Heft 41 des ... wird dem Leser mitgeteilt, dass der in dem Ratgeber ... enthaltene Krankenkassenvergleich gegenüber einem solchen Vergleich im ...-Septemberheft kaum verändert wurde und dessen Bewertungskriterien nach Ansicht des Landgerichts Hamburg "nicht ersichtlich" seien.
Daraus entnimmt der Leser, dass das Landgericht Hamburg diesen Krankenkassenvergleich beanstandet hat. Dies wird für den Leser dadurch bestätigt, dass sich auch die anschließend wiedergegebene Äußerung des Herrn auf den erwähnten Krankenkassenvergleich bezieht, den er als "ungewöhnlich schlampige" Untersuchung bezeichnete. Diese Formulierung ("Schlampiger Test") taucht zudem in der Überschrift des Artikels auf.
Es trifft zwar zu, dass sich das durch einstweilige Verfügung ausgesprochene Verbot nicht unmittelbar auf den Ratgeber der Klägerin bezieht. Andererseits bedeutete die vom Landgericht Hamburg verfügte Untersagung, dass der Ratgeber solange nicht verbreitet, d.h. verkauft werden darf, solange er den vorgenannten Krankenkassenvergleich enthält. Insoweit ist dann jedoch der vom ... mitgeteilte Sachverhalt richtig. Das Weiterverbreitungsverbot folgt aus der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Hamburg - beschränkt auf die bis dahin vorliegenden Version des Ratgebers - indirekt.
Dem durchschnittlichen Leser des Artikels ist dieser Sachverhalt auch klar. Er weiß, dass sich das "Verbot" der Weiterverbreitung des Ratgebers nur aus der Unzulässigkeit des darin enthaltenen Tests ergibt und das Verbot nicht mehr gelten kann, sofern der Krankenkassenvergleich daraus entfernt ist.
Für die Mitteilung auf der Internet-Seite ... etc. gilt das Gleiche.
Die Klägerin hat als unterlegene Partei die Kosten des Eilverfahren zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.
Dr. Schartl
Zöller
Butscher
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