Gegendarstellung: Rechtsmissbrauch bei einem angeblich verweigerten Interview

Gericht

LG München I


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

29. 10. 2003


Aktenzeichen

9 O 18144/03


Leitsatz des Gerichts

  1. An der Veröffentlichung einer Gegendarstellung zu einem wahrheitsgetreu wiedergegebenen und vom Betroffenen autorisierten Interview besteht kein berechtigtes Interesse. Ein entsprechendes Abdruckverlangen ist rechtsmissbräuchlich.

  2. Die Authentizität des Interviews und dessen Autorisierung ist - auch im Gegendarstellungsverfahren - dem Wahrheitsbeweis zugänglich.

  3. Bestreitet der Anspruchsteller den Inhalt der zur Glaubhaftmachung vom Anspruchsgegner eingereichten eidesstattlichen Versicherungen mittels eigener Versicherungen an Eides statt, so gehen sich aus diesen ergebende Unklarheiten und Widersprüchlichkeiten zu dessen Lasten.

Tenor


Endurteil:

  1. Die einstweilige Verfügung vom 9.10.2003 wird aufgehoben.

    Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

  2. Der Verfügungskläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Verfügungskläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 1.500,-- abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagte vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand


Tatbestand:

Der Verfügungskläger (im folgenden: Kläger) verlangt von der Verfügungsbeklagten (im folgenden: Beklagte) im Wege der einstweiligen Verfügung den Abdruck einer Gegendarstellung.

In der Ausgabe Nr. 40 vom 25.09.2003 der Zeitschrift ''BUNTE'', deren Verlegerin die Beklagte ist, erschien unter der Überschrift ... ein Bericht sowie ein Interview über bzw. mit dem Kläger, dem ehemaligen Lebensgefährten von ... Hinsichtlich der Einzelheiten des Artikels wird in vollem Umfang auf die Anl. ASt 1 Bezug genommen. Mit anwaltlichem Schreiben vom 29.09.2003 (Anl. ASt 2) verlangte der Kläger den Abdruck einer Gegendarstellung. Die Beklagte lehnte mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 30.09.2003 (Anl. ASt 3) den Abdruck der geforderten Gegendarstellung ab.

Das Landgericht München I hat am 09.10.2003 (Az.. 9 O 18144/03) eine einstweilige Verfügung erlassen (Bl. 9/11 d.A.), wonach der Beklagten der Abdruck der geforderten Gegendarstellung geboten wurde. Hiergegen hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 17.10.2003 (Bl. 17/25 d.A.) Widerspruch eingelegt.

Zur Begründung des Widerspruchs beruft sich die Beklagte darauf, dass vorliegend der begehrten Gegendarstellung das Rechtsschutzinteresse fehle. Der Kläger habe sich nämlich tatsächlich so, wie in dem Artikel dargestellt, gegenüber der Autorin des Artikels ... geäußert und das streitgegenständliche Interview zur Veröffentlichung freigegeben.

Die Beklagte beantragt daher:

Die einstweilige Verfügung vom 09.10.2003 wird aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

Der Kläger beantragt demgegenüber

die Bestätigung der einstweiligen Verfügung des Landgerichts München I vom 09.10.2003.

Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend, dass der Artikel mehrere Tatsachenbehauptungen enthalte, die nicht der Wahrheit entsprechen würden; es sei im Übrigen auch nicht zutreffend, dass er Frau ... ein Interview gegeben habe; weder habe die Autorin des streitgegenständlichen Artikels die dort veröffentlichten Fragen gestellt, noch stammten die veröffentlichten Antworten von ihm.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.10.2003.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

Der zulässige Verfügungsantrag ist nicht begründet. Die einstweilige Verfügung vom 09.10.2003 war daher aufzuheben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen. Die von dem Kläger geforderte Gegendarstellung entspricht nicht den Anforderungen des Bayerischen Pressegesetzes, da ihr Inhalt nach Auffassung der Kammer rechtsmissbräuchlich ist.

Wie bei jedem anderen zivilrechtlichen, Anspruch endet auch das Recht auf Gegendarstellung an der Grenze des Rechtsmissbrauchs. Daraus folgt, dass der Betroffene an der Gegendarstellung ein berechtigtes Interesse haben muss. Ob das berechtigte Interesse gegeben ist, kann immer nur vom Einzelfall her entschieden werden. Ein Fall des Rechtsmissbrauchs und damit des fehlenden berechtigten Interesses i.S. eines "venire contra factum proprium" ist gegeben, wenn eine Gegendarstellung zu einem wahrheitsgetreu wiedergegebenen Interview verlangt wird, zu dem sich der Betroffene vorher freiwillig zur Verfügung gestellt und auch sein Einverständnis mit einer Veröffentlichung des Interviews gegeben hat (vgl. Seitz/Schmidt/Schoener, Der Gegendarstellungsanspruch, 3. Aufl., Rdnr. 264).

Wenn die Beklagte sich auf diesen Einwand beruft, obliegt es ihr, glaubhaft zu machen, dass tatsächlich eine ausdrückliche Freigabe eines Gesprächs mit dem Kläger zum Abdruck vorliegt.

Davon ist vorliegend auszugehen.

In den von der Beklagten vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen von Frau ... vom 30.09.2001 (Anl. AG 2) und 16.10.2003 (Anl. AG 5) bestätigt diese, dass sie mit dem Kläger am 16.09.2003 ein Interview geführt habe; ein weiteres Gespräch habe der Kläger am Morgen des nächsten Tages anlässlich eines Anrufes auf ihrem Mobiltelefon abgesagt; am gleichen Tag habe sie dann noch zweimal mit dem Kläger telefoniert, wobei der Kläger anlässlich des ersten Gespräches sein grundsätzliches Einverständnis mit der Veröffentlichung des Interviews als "Leute-Meldung" erklärt habe; anlässlich des zweiten Gespräches habe sie dem Kläger den beabsichtigten Interviewtext vorgelesen; er habe um die Streichung von zwei Textpassagen gebeten und im Übrigen sein Einverständnis mit einer Veröffentlichung erklärt.

Dass der Kläger Frau ... gegenüber sein Einverständnis mit der Veröffentlichung des Interviews erklärt hat, wird auch durch die eidesstattlichen Versicherungen von Herrn ..., dem Büroleiter ..., vom 27.10.2003 (Anl. AG 8), und Frau ... vom 21.10.2003 (Anl. AG 6) bestätigt.

Beide erklären in ihren eidesstattlichen Versicherungen, dass Frau ... ihnen gegenüber die Autorisierung des Textes durch Herrn Tietz erklärt habe.

Die eidesstattlichen Versicherungen des Klägers vom 07.10.2003 (Anl. ASt 3) und 28.10.2003 (Anl. ASt 4) sind demgegenüber nicht geeignet, Zweifel an den eidesstattlichen Versicherungen von Frau ... zu begründen.

So hat der Kläger in seiner ersten eidesstattlichen Versicherung vom 07.10.2003 noch erklärt, er habe noch am Abend desselben Tages, an dem er sich mit Frau ... getroffen habe, diese angerufen und ihr mitgeteilt, dass er das mit dem Interview doch lieber lassen wolle. Am nächsten Tag habe Frau ... ihn dann nochmal angerufen und gefragt, ob man nicht stattdessen etwas anderes machen könne; er habe ihr gesagt, dass er sich nicht weiter äußern wolle. Seitdem habe er von Frau ... nichts mehr gehört.

Nachdem die Beklagte die weitere und ausführlichere eidesstattliche Versicherung von Frau ... vom 16.10.2003 vorgelegt hatte, der auch eine Nebenstellenauswertung des Telefonapparates von Frau ... in ihrem Büro beigefügt war, aus der sich u.a. ergab, dass am 17.09.2003 zweimal mit dem Kläger telefoniert worden ist, wobei es sich bei dem zweiten Gespräch um ein etwas über fünf Minuten dauerndes Gespräch gehandelt hat, hat der Kläger in seiner weiteren eidesstattlichen Versicherung vom 28.10.2003 erklärt, dass das Gespräch, in dem er das Interview abgesagt habe, möglicherweise am Morgen nach dem Treffen mit Frau ... stattgefunden habe könnte; ein weiteres Gespräch habe er mit ihr am frühen Nachmittag geführt; er habe dieses Gespräch ein paarmal unterbrechen müssen, weil er in seinem Büro mit anderen Dingen konfrontiert worden sei. In dem Gespräch habe er erklärt, dass er keine Berichterstattung wünsche; es sei insbesondere auch nicht richtig, dass Frau ... während des Telefonates ihm den Artikel oder das Interview vorgelesen und er sich dann mit der Veröffentlichung einverstanden erklärt habe.

Die Kammer kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Kläger in seinen eidesstattlichen Versicherungen sich den jeweiligen Vortrag der beklagten Partei einschließlich der von ihr vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen anpasst: Während in der ersten eidesstattlichen Versicherung des Klägers vom 07.10.2003 noch davon die Rede ist, dass er zweimal mit Frau ... telefoniert habe und zwar am Abend des Tages, an dem er sich mit ihr getroffen hatte und an dem darauf folgenden Tag, erklärt er nach Vorlage der eidesstattlichen Versicherung von Frau ... vom 16.10.2003 sowie der Nebenstellenauswertung ihres Dienstapparates, aus der zwei Gespräche am 17.09.2003 hervorgehen, eines um 9.46 Uhr mit einer Gesprächsdauer von 1 Minute und 24 Sekunden, ein weiteres um 14.10 Uhr mit einer Gesprächsdauer von 5 Minuten und 8 Sekunden, dass er möglicherweise Frau ... erst am Tag nach dem Treffen angerufen und das beabsichtigte weitere Gespräch abgesagt habe und dann Frau ... ihn nochmal am frühen Nachmittag zurückgerufen habe. Die Dauer dieses etwas längeren Gespräches begründet der Kläger damit, dass er in seinem Büro "mit anderen Dingen konfrontiert wurde".

Während die eidesstattlichen Versicherungen der Autorin des Artikels, Frau ..., in sich stimmig sind und mit den Erklärungen ihres Büroleiters, ihrer Assistentin und auch des für den 17.09.20003 bestellten Fotografen (Anl. AG 7) übereinstimmen, stellt sich die eidesstattliche Versicherung des Klägers vom 28.10.2003 als Versuch dar, den Inhalt seiner eidesstattlichen Versicherung vom 07.10.2003 mit der nunmehr vorgelegten Nebenstellenauswertung des Dienstapparates von Frau ... in Übereinstimmung zu bringen.

Unter Berücksichtigung aller Umstände, d.h. sowohl sämtlicher vorliegender eidesstattlicher Versicherungen, als auch des Zeitpunkts ihrer Erstellung, sind die beiden eidesstattlichen Versicherungen des Klägers vom 07.10.2003 und 28.10.2003 nach Ansicht der Kammer nicht geeignet, Zweifel an der Erklärung der Autorin des streitgegenständlichen Artikels in ihren eidesstattlichen Versicherungen vom 30.09.2003 und 16.10.2003, der Kläger sei mit der Veröffentlichung des streitgegenständlichen Interviews einverstanden gewesen, zu begründen. Das Begehren des Klägers auf Abdruck der geforderten Gegendarstellung ist damit unter dem Gesichtspunkt des "venire contra factum proprium" rechtsmissbräuchlich. Die einstweilige Verfügung vom 09.10.2003 war deshalb aufzuheben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Als Unterlegener hat der Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 ZPO).

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.


Dr. Steiner
Vorsitzender Richter am Landgericht

Mai
Richter am Landgericht

Odersky
Richterin am Landgericht

Rechtsgebiete

Presserecht