Abbruch von Vertragsverhandlungen ohne rechtliche Nachteile
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
07. 12. 2000
Aktenzeichen
VII ZR 360/98
Auch nach länger andauernden Verhandlungen über einen Bauvertrag kann ein Verhandlungspartner sich grundsätzlich ohne rechtliche Nachteile von den Verhandlungen zurückziehen.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. verlangt 775000 DM Schadensersatz. Sie hat 1993 den Neubau eines Verwaltungsgebäudes sowie den Umbau eines Parkhauses ausgeschrieben. Die beiden Bekl. haben als Bietergemeinschaft am 29. 10. 1993 ein Generalunternehmerangebot mit einem Pauschalpreis von 28972300,19 DM abgegeben. Das war nicht das günstigste Angebot. Trotzdem wünschte die Kl., mit den Bekl. den Vertrag abzuschließen. In den bis Februar 1994 sich hinziehenden Verhandlungen einschließlich eines im Einzelnen streitigen Telefongespräches vom 13. 12. 1993 fanden sich die Bekl. grundsätzlich bereit, den von der Kl. als Obergrenze bezeichneten Pauschalpreis von 28025000 DM zu akzeptieren, über andere Vertragsbedingungen ist keine Einigung erzielt worden. Ein von der Kl. ausgearbeiteter schriftlicher Vertragsentwurf ist von keiner der Parteien unterschrieben worden. Am 1. 3. 1994 teilten die Bekl. mit, sie seien an ihr Angebot vom 29. 10. 1993 nicht mehr gebunden; sie erklärten vorsorglich die Anfechtung dieses Angebotes sowie etwaiger weiterer Angebote und boten einen Vertragsschluss an, in dem die Position „Fenster“ um 1,1 Mio. DM netto höher als bisher in Aussicht genommen angesetzt werden sollte. Die Kl. ist auf den Änderungswunsch der Bekl. nicht eingegangen. Sie hat das Projekt von der Firma L zum Pauschalpreis von 28,8 Mio. DM ausführen lassen. Die Differenz zu dem in den Verhandlungen mit den Bekl. als Obergrenze betrachteten Pauschalpreis macht sie als Schaden geltend. Dabei vertritt sie einerseits den Standpunkt, mit den Bekl. mündlich einen Generalunternehmervertrag abgeschlossen zu haben, andererseits macht sie geltend, die Bekl. hätten nahezu beendete Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund abgebrochen.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das BerGer. hat ihr, von einem Teil des Zinsbegehrens abgesehen, stattgegeben. Die Revision der Bekl. führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückweisung der Berufung.
Auszüge aus den Gründen:
I. 1. Das am 2. 9. 1998 verkündete Berufungsurteil ist vom 14a Zivilsenat des OLG Celle ohne Mitwirkung eines planmäßigen Vorsitzenden durch die Richter W, Sch und S erlassen worden. Bis Ende Juni 1998 war die Sache bei dem bis dahin zuständigen 6. Zivilsenat anhängig gewesen. Mit der Auflösung des 6. Zivilsenats am 30. 6. 1998 ist die Sache dem 14. Zivilsenat zugewiesen worden. Für die Zeit ab 1. 7. 1998 ist als Hilfssenat zu diesem Senat der 14a Senat eingerichtet und mit dem Streitfall betraut worden. Bis zur Verkündung des angefochtenen Urteils ist dem 14a Zivilsenat kein planmäßiger Vorsitzender zugewiesen worden.
2. Dieses beanstandet die Revision ohne Erfolg. Ihre Besetzungsrüge ist nicht begründet.
Die Auflösung unter anderem des 6. Zivilsenates des BerGer., die damit einhergehende Umverteilung der Zuständigkeiten innerhalb des Gerichts sowie die Einrichtung eines Hilfssenates waren von vornherein erkennbar durch eine Übergangssituation veranlasst und sind zu deren Bewältigung beschlossen worden. Auf Grund landesgesetzlicher Änderungen (Gesetz zur Umgliederung des Landgerichtsbezirks Göttingen v. 19. 6. 1997, NdsGVBl 1997, 288) hatte das BerGer. einen Teil seiner Zuständigkeit an das OLG Braunschweig abzugeben. Dadurch wurde beim BerGer. mindestens ein Zivilsenat entbehrlich. Daraus ergab sich die Aufgabe, einerseits wenigstens einen Spruchkörper aufzulösen, andererseits die kontinuierliche Bearbeitung der dort bei Auflösung noch anhängigen Fälle zu gewährleisten. Das konnte ohne Rechtsfehler durch die Einrichtung des Hilfssenates geschehen, dessen Zuständigkeit darauf beschränkt war, die vorhandenen Fälle abzuarbeiten. Dass der 14a Senat von Juli bis Anfang September 1998 keinen planmäßigen Vorsitzenden Richter hatte, ist nicht zu beanstanden. Die Besetzung des nicht mehr zur Entscheidung berufenen früheren 6. Zivilsenats sowie die Besetzung des 14a Senats in der Zeit nach Verkündung des Berufungsurteils ist für die rechtliche Beurteilung der Besetzung des entscheidenden Spruchkörpers nicht erheblich. Dass die gerichtsinterne Umstrukturierung möglicherweise auch anders hätte organisiert werden können, macht den gewählten Weg nicht rechtsfehlerhaft.
II. 1. Nach Auffassung des BerGer. kann die Kl. von den Bekl. Schadensersatz wegen Verschuldens bei Vertragsschluss verlangen.
Auch bei strengem Maßstab ergebe sich, dass die Bekl. den Vertrauenstatbestand geschaffen hätten, der nahezu fertig ausgehandelte Vertrag werde auch wirklich abgeschlossen werden. Bis zum anwaltlichen Schreiben vom 1. 3. 1994 hätten die Bekl. den Vertragsschluss als sicher hingestellt. Davon sei nach dem unstreitigen Teil des Gesprächs vom 13. 12. 1993 sowie insbesondere dem Schreiben der Bekl. vom 7. 1. 1994 auszugehen. Die weiteren Verhandlungen der Parteien bis Ende Februar, vor allem auch der Vertragsentwurf der Kl. und die Erwiderung der Bekl. mit Schreiben vom 24. 2. 1994, bestätigten dies. Die Bekl. hätten sich ohne triftigen Grund von den weitgehend abgeschlossenen Vertragsverhandlungen zurückgezogen.
2. Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg.
a) Auch nach länger andauernden Verhandlungen zu einem umfangreicheren Bauvertrag kann ein Verhandlungspartner sich grundsätzlich ohne rechtliche Nachteile von den Verhandlungen zurückziehen. Ein Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss, der wegen Abbruch von Vertragsverhandlungen geltend gemacht wird, kommt erst dann in Betracht, wenn ein Verhandlungspartner bei der Gegenseite zurechenbar das aus deren Sicht berechtigte Vertrauen erweckt hat, der Vertrag werde mit Sicherheit zustande kommen, dann aber die Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund abbricht (st.Rspr., z.B. BGH, NJW-RR 1989, 627 m.w. Nachw. = ZIP 1989, 514; WM 1996, 738 m.w. Nachw.). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.
b) Die Bekl. haben der Kl. keinen Anlass zu dem berechtigten Vertrauen gegeben, der Generalunternehmervertrag werde mit Sicherheit zustande kommen. Zu keinem Zeitpunkt ist zwischen den Parteien so weitgehende Einigkeit erzielt worden, dass die Kl. auf den sicheren Vertragsschluss hätte vertrauen dürfen.
Der Gang der Gespräche zeigt, dass die Kl. kaum bereit war, auf die Vorstellungen der Bekl. einzugehen. Sie hat sich überwiegend darauf beschränkt, die Bekl. zum Nachgeben zu bewegen. Die Zuversicht, auf diesem Wege zum Erfolg zu gelangen, darf nicht verwechselt werden mit einem von den Bekl. etwa veranlassten Vertrauen. Die Bekl. andererseits waren grundsätzlich bereit, die von ihrem Angebot deutlich abweichende Preisvorstellung der Kl. zu übernehmen. Damit war im Gegensatz zur Auffassung des BerGer. nicht alles Wesentliche bereits vereinbart; es war erst ein Rahmen für die weiteren Verhandlungen gesetzt. Anstatt den Gesamtpreis zu erörtern, haben die Bekl. einen Ausgleich für den von der Kl. gewünschten geringeren Preis angestrebt und versucht, Änderungen der Bauleistungen zu erreichen.
Die Bekl. haben eine Reihe von Änderungen vorgeschlagen, die der Kl. jeweils wichtig genug waren, die abschließende Formulierung des Vertragswerkes zurückzustellen. Um kleinere Unstimmigkeiten oder unbedeutende Nebenpunkte ging es dabei nicht. Überlegungen der Bekl. zu Einsparungen bei den Verbundfenstern haben zu keinem Ergebnis in ihrem Sinne geführt. Das mit Qualitätseinschränkungen verbundene überarbeitete Angebot vom 8. 12. 1993 hat die Kl. abgelehnt. Der Inhalt des Telefongesprächs zwischen dem Zeugen B und dem früheren Geschäftsführer T vom 13. 12. 1993 ist streitig geblieben; fest steht jedoch, dass auch in diesem Gespräch der Kl. wichtig erscheinende Einzelheiten offen geblieben sind. Das überarbeitete Angebot der Bekl. vom 7. 1. 1994 hat die Kl. nicht zufrieden gestellt. Im Schreiben der Kl. vom 7. 2. 1994 findet sich eine umfangreiche Liste von Beanstandungen, Änderungen und Ergänzungswünschen. Die Erörterung am 9. 2. 1994 hat lediglich eine Einigung darüber herbeigeführt, dass nicht weiter korrespondiert, sondern ein schriftlicher Vertrag abgeschlossen werden solle.
Danach ist bis Mitte Februar 1994 ein Verhandlungsstand, der den Vertragsschluss für die Kl. als sicher hätte erscheinen lassen können, nicht erreicht worden. Hieran hat sich bis Ende des Monats nichts geändert. Der von der Kl. vorgelegte schriftliche Vertragstext ist von ihr als noch nicht endgültiger Entwurf angesehen worden; sie hat ihn nicht unterzeichnet. Auf die Änderungswünsche der Bekl. hat die Kl. nicht geantwortet.
c) Nachdem bei der Kl. ein von den Bekl. veranlasstes berechtigtes Vertrauen, dass es mit Sicherheit zum Vertragsschluss kommen werde, nicht entstehen konnte, stand es den Bekl. frei, einen neuen Vorschlag ohne rechtliche Nachteile in die Vertragsverhandlungen einzuführen oder gegebenenfalls sich auch von den Vertragsverhandlungen zurückzuziehen. Ob sie einen besonderen, triftigen Grund dafür hatten, ist unbeachtlich.
III. Das Berufungsurteil kann nicht aus anderen Gründen bestehen bleiben (§ 563 ZPO). Selbst wenn die Parteien mündlich einen Vertrag geschlossen haben sollten, hat die Kl. keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung gem. § 326 BGB.
1. Nach Auffassung des BerGer. ist zwischen den Parteien ein Werkvertrag nicht zustande gekommen. Davon unabhängig scheitere ein Schadensersatzanspruch nach § 326 I 2 BGB am Fehlen auch der weiteren Voraussetzungen. Dem Vortrag der Kl. lasse sich nicht entnehmen, dass die Bekl. in Verzug geraten seien und dass die Kl. eine Nachfrist mit Ablehnungsandrohung gesetzt habe. Die Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung sei nicht entbehrlich gewesen. Eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung der Bekl. sei nicht festzustellen. Auch das Schreiben der Bekl. vom 1. 3. 1994 enthalte keine solche Weigerung, vielmehr die grundsätzliche Bereitschaft, den Auftrag erhalten und ausführen zu wollen.
2. Das ist im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Allerdings ist es im Gegensatz zur Ansicht des BerGer. offen, ob die Parteien einen Vertrag geschlossen haben. Unstreitig hat es nach dem 13. 12. 1993 keine Erklärungen oder sonstigen Vorgänge gegeben, die zu einem Vertragsschluss geführt hätten. Die Kl. behauptet jedoch, in dem Telefongespräch am 13. 12. 1993 zwischen dem Zeugen B und dem früheren Geschäftsführer T sei es zu einem mündlichen Vertragsschluss gekommen. Dem BerGer. ist einzuräumen, dass die Umstände sowie das Verhalten der Kl. in den weiteren Verhandlungen nach dem 13. 12. 1993 überwiegend gegen den behaupteten Vertragsschluss sprechen. Das ändert jedoch nichts daran, dass der von der Kl. benannte Zeuge B hätte gehört werden müssen, wenn es auf die Frage des Vertragsschlusses ankäme. Dieses ist jedoch nicht der Fall. Selbst wenn zu Gunsten der Kl. unterstellt wird, dass die Parteien am 13. 12. 1993 mündlich den seit längerem verhandelten Generalunternehmervertrag geschlossen haben, ist der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht begründet.
b) Es sind keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Bekl. mit einer Leistung in Verzug geraten wären, zu der sie auf Grund des unterstellten Vertrages vom 13. 12. 1993 verpflichtet waren.
c) Dass die Kl. es unterlassen hat, eine Nachfrist mit Ablehnungsandrohung zu setzen, ist unstreitig. Insbesondere das Schreiben der Kl. vom 8. 3. 1994 enthält keine solche Erklärung.
d) Eine Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung war nicht ausnahmsweise entbehrlich. Eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung der Bekl., die weitere Erklärungen von seiten der Kl. als überflüssige Formalie hätten erscheinen lassen, ist nicht feststellbar. Diese tatrichterliche Würdigung des BerGer. ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das gilt auch für das Schreiben der Bekl. vom 1. 3. 1994. Darin werden zwar vorsorglich alle bisherigen Angebote angefochten. Aus dem Zusammenhang ergibt sich jedoch unmissverständlich, dass die Bekl. weiterhin den Vertrag wünschten und allein eine Änderung des Kostenansatzes für die Position „Fenster“ anstrebten. Ein endgültiges Abstandnehmen von einem als bereits abgeschlossen angesehenen Vertrag lässt sich dem Schreiben nicht entnehmen. Das hat auch die Kl. zum damaligen Zeitpunkt nicht anders verstanden, wie sich aus ihrem Schreiben vom 8. 3. 1994 ergibt. Darin hat sie ihren Standpunkt dargelegt und um Stellungnahme gebeten. Ihre Argumentation geht nicht von einem bereits abgeschlossenen Vertrag aus, sondern von einem als verbindlich angesehenen Angebot der Bekl., das eventuell anzunehmen sei, um möglicherweise Rechte aus § 326 BGB geltend zu machen.
Die Kl. hat dann aber keinen dieser Schritte unternommen. Weder hat sie eine Annahme erklärt, noch hat sie Rechte aus einem Vertrag geltend gemacht. In einer derart kontroversen und unübersichtlichen Situation ist es erforderlich, durch Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung klare Verhältnisse zu schaffen.
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