Frage nach Ermittlungsverfahren
Gericht
ArbG Münster
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
20. 11. 1992
Aktenzeichen
3 Ca 1459/92
In der Regel ist die Frage des Arbeitgebers nach laufenden Ermittlungsverfahren unzulässig.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Mit der vorliegenden Klage wendet sich der Kl. gegen die arbeitgeberseits erklärte Anfechtung des Arbeitsverhältnisses und macht die Weiterbeschäftigung geltend. Der am 17. 5. 1945 geborene, schwerbehinderte Kl. ist verheiratet und hat 1 Kind, dem gegenüber eine Unterhaltsverpflichtung besteht. Er steht seit dem 14. 8. 1989 als Arbeiter in den Diensten der Bekl., wobei er zuletzt als Vollzeitbeschäftigter einen Bruttomonatsverdienst i.H. von ca. 3500 DM erzielte. Zunächst wurde der Kl. für die Zeit vom 14. 8. 1989 bis zum 30. 12. 1989 befristet im Briefeinzugsdienst mit 22 Wochenstunden eingestellt. Später wurde der Vertrag bis zum 26. 5. 1990 befristet verlängert.
Im Zuge seiner Bewerbung um die unbefristete Übernahme in den Postdienst füllte der Kl. dann am 28. 5. 1990 ein von der Bekl. vorgelegtes Schriftstück aus, in dem es zu Beginn unter anderem heißt:
"Die nachstehenden Angaben mache ich nach bestem Wissen und Gewissen. Ich weiß, dass falsche Angaben hierüber einen Grund zur fristlosen Entlassung (Täuschung des Arbeitgebers bei der Einstellung) bilden können.
Der Kl. erklärte unter anderem: "Ich habe keine Polizei- oder Gerichtsstrafen erhalten. Es läuft gegen mich kein Ermittlungsverfahren."
Mit Wirkung ab 27. 5. 1990 wurde der Kl. sodann unbefristet übernommen. Zum damaligen Zeitpunkt lief gegen ihn ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wegen Betruges. Er war am 12. 12. 1989 zu den Vorwürfen polizeilich vernommen worden. Mit Schriftsatz seines Rechtsanwaltes vom 24. 1. 1990 bestritt er den Betrugsvorsatz und bat um Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldbuße. Unter dem 20. 2. 1990 wurde ihm die Anklageschrift zugestellt. Am 6. 7. 1990 wurde er vom AG wegen Betruges rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30 DM verurteilt.
Nachdem die Bekl. im März 1992 erfahren hatte, dass der Kl. strafrechtlich in Erscheinung getreten war, forderte sie von ihm ein neues Führungszeugnis an, welches ihr am 6. 7. 1992 zuging. Das Führungszeugnis erhielt - neben den Angaben zum Betrugsstrafverfahren - eine weitere Eintragung über eine am 14. 2. 1992 erfolgte Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 40 DM.
Daraufhin sprach die Bekl. mit Schreiben vom 18. 8. 1992, dem Kl. zugegangen am 19. 8. 1992, die Anfechtung des Arbeitsvertrages "wegen arglistiger Täuschung gem. § 123 BGB" aus.
Die Klage hatte Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
I. Der Kl. hat gegenüber der Bekl. einen Anspruch auf Feststellung, dass das zwischen ihnen begründete unbefristete Arbeitsverhältnis über den 19. 8. 1992, dem Datum des Zugangs der arbeitgeberseitigen Anfechtungserklärung vom 18. 8. 1992, zu unveränderten Arbeitsbedingungen fortbesteht. Die auf § 123 I 1. Fall BGB gestützte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ist nämlich unwirksam.
In dem Zusammenhang kann unentschieden bleiben, ob sich nicht die Bekl. durch den im "Einstellungsbogen" gegebenen Hinweis, falsche Angaben könnten einen Grund zur fristlosen Entlassung wegen Täuschung des Arbeitgebers bilden, des Rechts zur Anfechtung begeben hat.
In jedem Fall liegt, bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Ende Mai 1990, keine arglistige Täuschung vor.
Nach der zutr. Rspr. des BAG (zuletzt BAG, DB 1991, 1934 m.w. Nachw.) verwirklicht nicht jede falsche Angabe bei der Einstellung den Tatbestand des § 123 I 1. Fall BGB, sondern nur eine unrichtige Antwort auf eine zulässigerweise gestellte Frage. So brauchen beispielsweise Vorstrafen nicht offenbart zu werden in Fällen der §§ 30, 51 BZRG und wenn die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes dies nicht erfordert.
Vorliegend war der Kl. am 28. 5. 1990, als ihm der "Fragebogen" durch die Bekl. vorgelegt wurde, (noch) nicht vorbestraft, denn die Verurteilung wegen Betruges erfolgte erst gut 1 Monat später am 6. 7. 1990. Mithin hat er die Frage nach Vorstrafen zutreffenderweise verneint.
Hingegen hat er die Frage nach laufenden Ermittlungsverfahren am 28. 5. 1990 bewusst unrichtig beantwortet, denn zum damaligen Zeitpunkt war ihm - spätestens seit seiner polizeilichen Vernehmung am 12. 12. 1989 - bekannt, dass gegen ihn bei der Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Betruges lief.
Die danach erfolgte Täuschung gegenüber der Bekl. ist aber nicht rechtswidrig, weil die Frage nach laufenden Ermittlungsverfahren unzulässig ist. Sie verstößt gegen den grundlegenden rechtsstaatlichen Grundsatz, wonach jeder Mensch bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig gilt (vgl. Art. 6 II der Europäischen Menschenrechtskonvention). Wegen dieser Unschuldsvermutung spricht bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Ermittlungsverfahrens in aller Regel nichts gegen die Eignung des Bewerbers für die vorgesehene Stelle (ArbG Münster, Urt. v. 28. 7. 1988 - 2 Ca 142/88, S. 13; Linnenkohl, AuR 1983, 129, 140; Moritz, NZA 1987, 334; Schwerdtner, Arbeitsrecht I, 1976, S. 33). Der vorliegende Fall macht das besonders anschaulich. Angesichts des Schriftsatzes des Rechtsanwaltes des Kl. v. 24. 1. 1990 im Strafverfahren, in dem er den Betrugsvorsatz bestritt, bestand am 28. 5. 1990 nämlich die Möglichkeit, dass das Strafgericht den Kl. freispricht. Weiterhin war eine Einstellung des Verfahrens gem. § 153a StPO denkbar, was dazu geführt hätte, dass der Kl. sich insoweit von Anfang an als nicht vorbestraft hätte bezeichnen können.
Vor diesem Hintergrund durfte der Kl. am 28. 5. 1990 gerechtfertigterweise die Frage nach laufenden Ermittlungsverfahren unzutreffend beantworten. Die Anfechtung der Bekl. wegen arglistiger Täuschung ist deshalb unwirksam.
So brauchte die Kammer nicht mehr näher auf das Problem einzugehen, ob die am 18. 8. 1992 abgegebene Anfechtungserklärung wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) unwirksam ist. Das BAG hat nämlich wiederholt betont (zuletzt BAG, AP § 123 BGB Nr. 32, Bl. 2), dass eine Anfechtung ausgeschlossen ist, wenn die Rechtslage des Getäuschten im Zeitpunkt der Ausübung des Anfechtungsrechts durch die arglistige Täuschung nicht mehr beeinträchtigt ist. Daran ist im vorliegenden Fall deshalb zu denken, weil der Kl. bereits seit Februar 1991 im Paketumschlagdienst zum Einsatz kommt und insoweit wegen der bestehenden Kontrollmöglichkeiten keine so exponierte Vertrauensstellung mehr innehat wie zuvor im Paketzustelldienst.
II. Der Anspruch des Klägers auf Weiterbeschäftigung ergibt sich aus den §§ 611, 613, 242 BGB i.V. mit Art. 1 und Art. 2 GG.
Kanzlei Prof. Schweizer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH © 2020
Impressum | Datenschutz | Cookie-Einstellungen