Beeinträchtigung der Wohnnutzung durch Froschlärm
Gericht
BVerwG
Art der Entscheidung
Beschluss über Beschwerde
Datum
14. 01. 1999
Aktenzeichen
6 B 133/98
Zur Abwägung der Beeinträchtigung der Wohnnutzung durch Froschlärm gegen die Beeinträchtigung der Belange des Naturschutzes.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Beschwerde der Beigel. gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des VGH (NZM 1999, 915 [in diesem Heft]) hat das BVerwG zurückgewiesen, weil sie teils unzulässig und im übrigen unbegründet sei.
Auszüge aus den Gründen:
b) Soweit die Beschwerde rügt, das BerGer. hätte „im Wege seiner Amtsermittlungspflicht Spruchreife herbeiführen müssen, statt den Bekl. zu einer unbestimmten sowie nach den Erkenntnissen tatsächlich nicht durchführbaren und wegen Ungeeignetheit rechtlich unmöglichen Befreiung von dem Verbot der Umsetzung zu verpflichten„, ist diese Verfahrensrüge unbegründet. Sie ist dies schon deshalb, weil a) das BerGer. eine Verpflichtung zu einer Befreiung nicht ausgesprochen hat und b) das Gericht dem Bekl. weiterhin ein Ermessen mit entsprechendem Ermessensspielraum zugestanden hat, so daß ein Fall des § 113 V 1 VwGO nicht vorgelegen hat, sondern ein solcher der §§ 113 V 2, 114 S, 1 VwGO. § 113 V 1 VwGO wirkt hier auch nicht ausnahmsweise in den Bereich des § 114 S. 1 VwGO hinein. Das BerGer. hat den Fall einer Ermessensreduzierung auf Null im Sinne einer Verpflichtung zur Erteilung der begehrten Befreiung ausdrücklich verneint.
c) Unbegründet ist auch die Rüge eines Verstoßes gegen § 114 S. 2 VwGO. Unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage war das BerGer. nach dieser Vorschrift nicht verpflichtet, die „im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgetragenen Ergänzungen der Naturschutzbehörde zu den Ermessenserwägungen zu berücksichtigen, insbesondere zur Ungeignetheit eines Verfahrens zur Umsetzung der Frösche und zur Zumutbarkeit eines passiven Lärmschutzes der Kl.
Sie scheitert allerdings nicht schon daran, daß die Bekl. nach den Feststellungen des BerGer. ihr Ermessen bei Erlaß der strittigen Bescheide überhaupt nicht ausgeübt hatte, weil sie schon das Sachbescheidungsinteresse der Kl. bzw. ihres verstorbenen Ehemannes verneint hatte. Ein wegen Ermessensnichtgebrauch rechtswidriger Verwaltungsakt kann allerdings vom Gericht nicht geheilt werden (BVerwG, NJW 1982, 1413; BVerwG, Buchholz 316 § 40 VwVfG Nr. 8). Das ist auch nicht im Wege einer Ergänzung nach § 114 S. 2 VwGO möglich. Eine solche ist nach dem Wortlaut dieser Vorschrift nur in der Weise vorgesehen, daß die Behörde „ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes„ im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzt. Die Vorschrift setzt mithin voraus, daß bereits vorher, bei der behördlichen Entscheidung, schon „Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes„ angestellt worden sind, das Ermessen also in irgendeiner Weise betätigt worden ist. § 114 S. 2 VwGO schafft die prozessualen Voraussetzungen lediglich dafür, daß defizitäre Ermessenserwägungen ergänzt werden, nicht hingegen, daß das Ermessen erstmals ausgeübt oder die Gründe einer Ermessensausübung (komplett oder doch in ihrem Wesensgehalt) ausgewechselt werden (vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 10. Aufl., § 114 Rdnr. 89; Kopp/Schenke, 11. Aufl., § 114 Rdnr. 50; Redeker/v. Oertzen, VwGO, 12. Aufl., § 114 Rdnr. 10a; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 114 Rdnr. 12e). Hier ist jedoch mit der förmlichen Ergänzung des Widerspruchbescheides unter dem Datum des 20. 3. 1995 eine Neubescheidung ergangen, die von der Kl. ausdrücklich in ihren Klageantrag einbezogen worden ist.
Diese Verfahrensrüge hat gleichwohl keinen Erfolg, weil sich das BerGer. mit den nachgeschobenen Ermessenserwägungen zur Frage des passiven Lärmschutzes sehr wohl auseinandergesetzt und dessen Zumutbarkeit verneint hat. Andererseits haben die Dinge auch nicht etwa so gelegen, daß die Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung allein noch hinsichtlich der Frage strittig gewesen wäre, ob und mit welchem voraussichtlichen Ergebnis eine Umsetzung der Frösche unter Beachtung bestimmter zeitlicher Festlegungen im Verein mit der Errichtung eines Amphibienzauns dazu führen kann, die Beeinträchtigung der Belange des Naturschutzes „gering zu halten„, wie dies dem BerGer. „bei gewissenhafter Überprüfung aller in Betracht kommenden Möglichkeiten„ jedenfalls für „nicht ausgeschlossen„ erscheint. Strittig war vielmehr immer noch die eigentlich schon vor den Zivilgerichten geklärte, von der Widerspruchsbehörde mit diesem Ergebnis aber nicht in ihre Ergänzung eingestellte und daher vom BerGer. erneut zu entscheidende Frage, daß es „keine erfolgversprechenden Maßnahmen zur Lärmverhinderung gibt, die naturschutzrechtlich nicht verboten wären„, weil wirksame aktive Lärmschutzmaßnahmen auf dem Grundstück der Beigel. baurechtlich nicht genehmigungsfähig und wirksame passive Lärmschutzmaßnahmen der Kl. nicht zumutbar seien. Solange aber dieses Ergebnis Bestand hat und die Widerspruchsbehörde es nicht in Rechnung stellt, sie vielmehr auch in ihrer Ergänzung vom 20. 3. 1995 unter 2.3 immer noch darauf abstellte, daß „bisher andere, nicht artenschutzrelevante Maßnahmen zur Verringerung bzw. Beseitigung des Froschlärms nicht durchgeführt oder wenigstens erprobt worden sind„, muß sich dies als ein nicht behobener und im gerichtlichen Verfahren nicht behebbarer Ermessensfehler auswirken. Dieser wurde durch die weiteren Erwägungen, die in der Ergänzung vom 20. 3. 1995 zu den Möglichkeiten einer Umsetzung im Verein mit der Errichtung eines Amphibienzauns angestellt wurden, nicht aufgehoben. Auch durch zusätzliche gerichtliche Feststellungen zu der im Berufungsverfahren nicht abschließend geklärten Frage der voraussichtlichen Folgen, die eine Umsetzung der Frösche unter dafür optimalen Bedingungen haben würde, wäre er nicht auszuräumen gewesen.
2. Ein Zulassungsgrund nach § 132 II Nr. 1 VwGO liegt ebenfalls nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung.
a) Die mit der Beschwerde aufgeworfene Frage, „ob vor einer ‚Abweichung‘ gem. § 31 I 1 Nr. 1a BNatSchG dem Betroffenen grundsätzlich passiver Lärmschutz zuzumuten ist„, ist eine solche der Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalles und daher nicht rechtsgrundsätzlich klärungsfähig. Die Frage der Zumutbarkeit richtet sich nämlich einerseits nach der Art und Intensität der Betroffenheit vom Lärmschutz unter Berücksichtigung vorhandener Ausweichmöglichkeiten sowie andererseits nach der bodenrechtlichen Situation des betroffenen Grundstücks einschließlich seiner Vorbelastung. Sie richtet sich sodann auch nach dem Gewicht der betroffenen Belange des Natur- und Artenschutzes, d.h. nicht nur nach dem Grad der Gefährdung der auf dem fraglichen Grundstück anzutreffenden Froschpopulation durch die vorgesehene Maßnahme, sondern auch nach dem Grad der damit verbundenen Gefährdung des regionalen Vorkommens der Froscharten und der Bedeutung dieses Vorkommens für die allgemeine Gefährdungslage der jeweiligen Froschart, wie dies unter Nr. 2.2.3 der Ergänzung vom 20. 3. 1995 im Ansatz auch zutreffend gesehen wurde.
b) Die mit der Beschwerde weiterhin als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage, „ob es sich bei Froschlauten um meßfähige Immissionen handelt und ob für die Beurteilung von Lauten in der Natur lebender Tiere (also keiner Nutztiere) Meßergebnisse herangezogen werden dürfen, die auf der VDI-Richtlinie 2058 zur Beurteilung von Arbeitslärm in der Nachbarschaft beruhen„, würde sich in einem etwaigen Revisionsverfahren so nicht stellen können. Das BerGer. hat seine Entscheidung nicht unmittelbar auf die VDI-Richtlinie gestützt.
Vielmehr heißt es in seinem Urteil: „Die von dem Sachverständigen herangezogene VDI-Richtlinie 2058 bezieht sich zwar auf die Beurteilung von Arbeitslärm in der Nachbarschaft und ist nur eingschränkt zur Beurteilung von Froschgeräuschen geeignet. Weil aber die Grenze des gesundheitlich Zumutbaren erreicht ist, wenn Geräuscheinwirkungen auf Dauer Lärmpegel von nachts 45 dB(A) überschreiten, ist nicht zweifelhaft, daß die Kl. einer nicht mehr zumutbaren Geräsuchbelästigung durch Froschlärm ausgesetzt ist„. Hierzu refereiert das BerGer., daß der Richtwert für reine Wohngebiete von 35 dB(A) nachts mit vor dem Schlafzimmer gemessenen 64 dB(A) um 29 dB(A) überschritten werde; auch der Innenraumpegel, der für Schlafzimmer in reinen Wohngebieten maßgeblich angesehen wird, werde bei geöffneten Fenstern um bis zu 35 dB(A) und bei geschlossenen Fenstern immer noch um bis zu 11 dB(A) überschritten. Das BerGer. hat weiterhin die Dauer der einzelnen „Froschkonzerte„ (bis zu acht Minuten), die stündliche Einwirkungsdauer (zwischen 16 und 29 Minuten) sowie die ungefähre jahreszeitliche und die durchschnittliche ganzjährige Einwirkungshäufigkeit für kühle (mindestens 15 Abende/Nächte) und weniger kühle Jahre (etwa 30 Abende/Nächte) in die Gesamtwürdigung mit einbezogen, sondern auch die konkrete Grundstückssitutation. Insoweit hat es festgestellt, daß die Nutzung des Außenbereichs (d.h. der Terrasse und/oder des Gartens) an lauen Abenden frühzeitig abgebrochen und die Nacht bei geschlossenen Lärmschutzfenstern verbracht werden müsse. Das allein schon bedeute einen wesentlichen Verlust an Wohnqualität. Das BerGer. ist also gerade nicht schematisch vorgegangen, sondern hat alle wesentlichen Umstände des Einzelfalles berücksichtigt und in ihrer Gesamtheit gewürdigt. Daß dabei wesentliche Gesichtspunkte aus Rechtsgründen unberücksichtigt geblieben seien oder umgekehrt entgegen der Auffassung des BerGer. hätten unberücksichtigt bleiben müssen, hat die Beschwerde nicht dargetan. Damit sind grundsätzlich klärungsbedürftige und klärungsfähige Fragen, die das Berufungsurteil aufwerfen könnte, weder dargetan noch ersichtlich.
3. Das Berufungsurteil weicht schließlich auch nicht von einem Rechtssatz in dem Beschluß des BVerwG vom 14. 9. 1992 (Buchholz 406.401 § 31 BNatSchG Nr. 2) ab. Der als Divergenzentscheidung bezeichnete Beschluß des BVerwG befaßt sich mit Fragen der Befreiung eines durch Naturschutzverordnung unter Naturschutz gestellten Grundstücks und stellt den Rechtssatz auf, die Befreiungsvorschrift des § 31 I 1 Nr. 1a BNatSchG solle einer rechtlichen Unausgewogenheit begegnen, die sich ergeben könne, wenn aufgrund besonderer Umstände des jeweiligen Einzelfalls Anwendungsbereich und materielle Zielrichtung einer Vorschrift nicht miteinander übereinstimmten. Eben davon ist auch das BerGer. für den hier in Rede stehenden andersartigen Verbotsbereich ausgegangen.
Das BerGer. hat ausgeführt, soweit die Verbote zum Schutz wildlebender Tiere der besonders streng geschützten Art den Handlungsspielraum menschlicher Betätigung grundrechtsrelevant einschränkten, seien diese Beschränkungen vom Normgeber zwar gewollt und generell durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt, zur Erreichung des Schutzzwecks geeignet und erforderlich und genügten auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Soweit Wohngebiete in der Nähe von Gewässern mit einer größeren Froschpopulation situationsbedingt Lärmbeeinträchtigungen unterlägen, seien diese daher regelmäßig hinzunehmen (d.h. Anwendungsbereich und materielle Zielrichtung der Verbotsvorschrift stimmen miteinander überein). Eine im Einzelfall nicht beabsichtigte Härte könne aber vorliegen, wenn in einem Wohngebiet Änderungen vorgenommen würden, die zu unzumutbaren Beeinträchtigungen der Wohnnutzung führten. Ein derart atypischer Extremfall sei für den Normgeber beim Erlaß artenschutzrechtlicher Vorschriften nicht voraussehbar und könne deshalb, auch mit dem Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Anlaß für eine Korrektur durch Erteilung einer Befreiung bieten (d.h. Anwendungsbereich und materielle Zielrichtung der Verbotsvorschrift stimmen nicht miteinander überein). Davon sei hier aufgrund früherer Beweisaufnahmen auszugehen. Diese hätten ergeben, daß „die Situation vor Anlage des Teiches„ trotz des in der Artenschutzkartierung ausgewiesenen Vorkommens von Laub- und Seefröschen nicht dadurch geprägt gewesen sei, saß sich „im Umfeld der vorhandenen Gewässer größere Populationen von Fröschen gebildet hätten und durch Quaken in Rufkolonien bemerkbar gewesen wären„. Erst der Gartenteich auf dem Grundstück der Beigel. habe eine Konzentration der Froschpopulation mit entsprechenden Lärmauswirkungen bewirkt.
Im übrigen liegt auf der Hand, daß es sich bei dem Interesse, als unmittelbarer Nachbar davon verschont zu bleiben, daß sich innerhalb eines reinen Wohngebiets nach der künstlichen Anlegung von Gartenteichen derartig lärmintensive Rufkolonien bilden, um ein von den Verboten zum Schutz wildlebender Tiere nicht bedachtes Sonderinteresse handelt. Wenn sich die Beschwerde demgegenüber darauf beruft, daß sich der andere Nachbar nicht beschwert habe, kann dies vielfältige Ursachen haben und ist jedenfalls nicht geeignet, die rechtliche Sondersituation des Grundstücks der Kl. in Frage zu stellen.
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