Aufsichtspflicht für zweijähriges Kind - Gartenteich

Gericht

OLG Oldenburg


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

12. 04. 1994


Aktenzeichen

5 U 161/93


Leitsatz des Gerichts

Die Aufsichtspflichtige muß bei einem außerhalb des Hausgrundstücks spielenden zwei Jahre und drei Monate alten Kind stets die Möglichkeit behalten, Gefahrensituationen in kürzester Zeit zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken (hier: das Kind fällt auf einem fremden Grundstück in einen Gartenteich).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. nimmt die Bekl. wegen der Gesundheitsschäden, die sie bei einem Sturz in einen Teich erlitten hat, auf Schmerzensgeld in Anspruch. Die Mutter der Kl. hatte ihre damals zwei Jahre und drei Monate alte Tochter, die Kl., am 21. 3. 1991 zur Bekl. gebracht. Dort sollte die Kl. wie regelmäßig betreut werden, während ihre Mutter arbeitete. Die Bekl. erhielt dafür eine monatliche Vergütung in Höhe von 600 DM. Im Laufe des Vormittags ließ die Bekl. die Kl. zusammen mit ihren eigenen drei, fünf und sieben Jahre alten Kindern vor dem Haus spielen. Sie behielt die Kinder dabei bis auf kurze Augenblicke im Auge. Die Kinder verließen sodann diesen Bereich und bewegten sich in Richtung des Endes der Straße. Dort bestand für sie eine Spielmöglichkeit mit Beaufsichtigung durch eine andere Mutter. Diese suchten die Kinder jedoch nicht auf. Sie gingen vielmehr über einen kleinen Weg auf ein Privatgrundstück, wo die Kl. in einen Gartenteich fiel. Durch eines ihrer Kinder alarmiert holte die Bekl. die Kl. aus dem Wasser. Als Folge einer Sauerstoffunterversorgung leidet die Kl. seitdem unter einem schweren hypoxischen Hirnschaden und ist zu 100 % schwerbehindert.

Das LG hat die auf Zahlung von Schmerzensgeld gerichtete Klage mit der Begründung abgewiesen, die Bekl. habe das Maß an Umsicht und Sorgfalt erfüllt, das nach dem Urteil besonnener und gewissenhafter Aufsichtspersonen zu beachten gewesen sei. Nach dem Kenntnisstand der Bekl. hätten den Kindern keine erheblichen Gefahren gedroht, so daß sie es für wenige Minuten habe hinnehmen dürfen, daß die Kinder sich in Richtung Wendeplatz entfernten. Bereits nach drei bis fünf Minuten sei sie den Kindern gefolgt. Die Existenz des Naturteiches sei der Bekl. nicht bekannt gewesen und habe es auch nicht sein müssen. Die Berufung der Kl. hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Der Kl. stehen gegen die Bekl. Ansprüche auf Zahlung von Schmerzensgeld und einer monatlichen Schmerzensgeldrente dem Grunde nach gem. § 847 BGB zu. Die Bekl. hat aufgrund einer aus einer vertraglichen Beziehung resultierenden Garantenstellung für die unterlassene Handlung, durch die die Kl. schwere gesundheitliche Schäden erlitten hat, einzustehen.

Die Bekl. hatte vertraglich die Verpflichtung übernommen, die Kl. während der Zeiträume zu betreuen und zu versorgen, während derer ihre Mutter berufstätig war. Dafür erhielt sie eine monatliche Vergütung von 600 DM. Es kann dahingestellt bleiben, ob sie die Aufgaben gegenüber der Kl., deren Mutter oder dem Landkreis übernahm. In jedem dieser Fälle resultierte aus der übernommenen Beaufsichtigung eine Aufsichtspflicht, die der Bekl. gebot, die Kl. vor Schäden zu bewahren, die ihr gerade wegen ihres Alters drohen konnten (vgl. BGH, NJW 1993, 1531 = VersR 1993, 585; OLG Celle, VersR 1986, 972). Gegen diese Verpflichtung hat die Bekl. am Morgen des 21. 3. 1991 verstoßen. Nachdem die Kl. zusammen mit den drei Kindern der Bekl. das Hausgrundstück verlassen und sich auf der Straße in Richtung Wendeplatz entfernt hatte, hätte die Kl. sie sogleich zurück in ihren unmittelbaren Einflußbereich holen und nicht für kürzere Zeit unbeaufsichtigt lassen dürfen.

Das Ausmaß der erforderlichen Aufsicht bestimmt sich nach dem Alter, der Einsichtsfähigkeit und dem Charakter des Kindes sowie danach, was dem Aufsichtspflichtigen nach den jeweiligen Verhältnissen zugemutet werden kann (vgl. BGH, NJW 1987, 2927 = VersR 1988, 82 (84)). Unter Zugrundelegung dieses Grundsatzes hätte die Bekl. es nicht zulassen dürfen, daß die Kl. zusammen mit den Kindern der Bekl. das Grundstück verließ, zunächst vor Nachbarhäusern auf der Straße und sodann in der Nähe des etwa 100 m von ihrem Wohnhaus entfernten Wendeplatzes spielte, ohne daß sie die Kinder jederzeit im Auge behielt. Anders als bei einem Spielen in der Wohnung oder auf dem Grundstück ihres Hauses bestand in einer solchen Entfernung nicht mehr die Möglichkeit, Gefahrensituationen in kürzester Zeit zu erkennen und einzugreifen. Die Bekl. hätte die Kinder daher entweder in ihren unmittelbaren Einflußbereich zurückholen oder sie beobachten müssen, so daß sie bei einem Weiterlaufen sofort hätte hinterhereilen können. Stattdessen ließ sie die Kinder - so ihr eigener Vortrag - etwa drei bis fünf Minuten unbeaufsichtigt, so daß diese den vom Wendeplatz etwa 180 m entfernt liegenden Gartenteich erreichen konnten, in den die Kl. dann hineinfiel.

Die dargestellten Anforderungen waren der Bekl. auch zumutbar. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Kl. zum Vorfallszeitpunkt erst zwei Jahre und drei Monate alt und nicht in der Lage war, Gefahrensituationen einzuschätzen und zu vermeiden. Die Bekl. hatte die Kl. allein deshalb zwar nicht den ganzen Tag ohne Unterbrechung zu beobachten. Sie hätte aber in dem Augenblick andere Tätigkeiten zurückstellen müssen, als sie die Kinder - entsprechend ihrem Vortrag in der Berufungserwiderung - in der Nähe des Wendeplatzes erkannte, ohne die Gewißheit zu haben, daß sie sich von dort nicht in Gefahrensituationen begeben konnten.

Die dargestellten Umstände mußte die Bekl., die bereits drei ältere Kinder hatte, bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt auch erkennen. Sie hatte wahrgenommen, daß die Kinder nicht mehr auf ihrem Grundstück, sondern auf der Straße nahe des Wendeplatzes spielten. Sie mußte damit rechnen, daß die Kinder sich mangels geeigneter Spielmöglichkeiten oder aus Neugierde weiter entfernen würden, nachdem sie den Bereich des Wohnhauses einmal verlassen hatten, und durfte nicht darauf vertrauen, daß die Kl. zu einem befreundeten Kind gehen sowie von dessen Mutter beaufsichtigt werden würde. Die Bekl. hatte daher die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß der Kl. Gefahren, dessen sie infolge ihres Alters nicht begegnen konnte, ausgesetzt war. Auch wenn sie den Teich auf dem Grundstück nicht gekannt hat - wofür die Tatsache spricht, daß sie zunächst dort nicht nach der Kl. gesucht hat -, so war ihr unter Zugrundelegung ihres eigenen Vortrages doch bekannt, daß in der Nähe des Wendeplatzes mehrere mit Wasser gefüllte Gräben verliefen. Die Bekl. suchte die Kl. zunächst auch in diesen Gräben und wußte somit, daß diese nicht nur an der rückwärtigen Seite der Nachbarhäuser, sondern ebenso am nicht mehr bewirtschafteten A-Hof verliefen. Auch dorthin war sie geeilt, bevor sie die Kl. schließlich im Gartenteich auf dem Grundstück G. fand.

Der Haftung der Bekl. steht nicht entgegen, daß die Kl. das Hausgrundstück zusammen mit den älteren Kindern verließ. Die Bekl. konnte nicht davon ausgehen, daß ihre fünf- und siebenjährigen Kinder die Kl. ausreichend beaufsichtigen würden (vgl. KG,DAR 1974, 49f.). Zum einen ist dabei zu berücksichtigen, daß Kinder in diesem Alter beim Spielen mit der Wahrnehmung von Aufsichtspflichten zumindest dann überfordert sind, wenn ihnen entsprechende Aufgaben nicht konkret übertragen worden sind. Für letzteres bestehen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte, insbesondere hat die Bekl. nicht vorgetragen, daß sie ihren älteren Kindern besondere Weisungen erteilt hat. Zum anderen war nicht sichergestellt, daß die Kinder zusammenblieben. Der staatsanwaltlichen Ermittlungsakte ist zu entnehmen, daß sie sich tatsächlich getrennt hatten und die Kl. mit dem drei Jahre alten Kind der Bekl. allein zum Gartenteich gelaufen ist.

Die Bekl. hat demnach dem Grunde nach Schmerzensgeldzahlungen an die Kl. zu leisten. Eine Entscheidung des Rechtsstreites im Ganzen ist derzeit nicht möglich, da zur Höhe der geltend gemachten Ansprüche eine Beweisaufnahme durchzuführen ist.

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht

Normen

BGB §§ 823 I, 847