Kein Unterlassungsanspruch bei unwesentlicher Falschbezeichnung

Gericht

LG Berlin


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

06. 11. 2003


Aktenzeichen

27 O 377/03


Leitsatz des Gerichts

  1. Die unterschiedliche formelle Funktion des Betroffenen ist für das Verständnis des Lesers bedeutungslos, wenn der Bericht über den gegen das Unternehmen bestehenden strafrechtlichen Verdacht kein höheres Maß an Gewicht und Überzeugungskraft dadurch gewinnt, dass er an der formellen Funktion des Betroffenen festgemacht wird.

  2. Folglich bestehen keine äußerungsrechtlichen Unterlassungsansprüche des Unternehmens, wenn ein führender Unternehmensrepräsentant die Funktion eines "Direktors" oder "Aufsichtsratsmitgliedes" bekleidet und nicht die eines Generaldirektors.

  3. Nur im Tatbestand, nicht jedoch in den Gründen geht das Urteil darauf ein, dass nach dem Vortrag des Verlages die Redaktion zur Zeit der Veröffentlichung davon ausgehen konnte, dass die Bezeichnung „Generaldirektor” zutrifft.

Tenor

  1. Die einstweilige Verfügung vom 19. Juni 2003 wird aufgehoben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag zurückgewiesen.

  2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Die Antragstellerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Kostenbetrages zuzüglich 10 % abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Kostenbetrages zuzüglich 10 % leistet.

Tatbestand


Auszüge aus dem Tatbestand:

Die Antragstellerin macht im einstweiligen Verfügungsverfahren einen äußerungsrechtlichen Unterlassungsanspruch geltend. ...

Auf den Antrag der Antragstellerin hin ist der Antragsgegnerin am 19. Juni 2003 im Wege einer einstweiligen Verfügung unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt worden, zu behaupten und/oder behaupten zu lassen, Herr ...habe als Generaldirektor der ... AG fungiert.

Gegen diesen Beschluss hat die Antragsgegnerin Widerspruch eingelegt.

Die Antragstellerin beantragt,

die einstweilige Verfügung vom 17. Juni 2003 zu bestätigen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die einstweilige Verfügung aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen.

Sie hält die möglicherweise nicht ganz zutreffende Umschreibung der Funktion des Herrn ... für nicht angreifbar, weil Herr ... jedenfalls in leitender Stellung für die Antragstellerin tätig geworden sei.

Auch könne die Antragstellerin selbst nicht ausschließen, dass sich Herr ... den Rang ihres Generaldirektors immerhin angemaßt habe, indem er als solcher Schriftstücke unterzeichnet habe, wie aus dem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts ... hervorgehe.

Vor diesem Hintergrund sei ihre aus heutiger Sicht möglicherweise zweifelhafte Darstellung zum Zeitpunkt der Veröffentlichung gerechtfertigt gewesen, weil sie in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt habe. Sie habe sich mit ihrer Berichterstattung zum Thema organisierter Kriminalität einer Thematik gewidmet, die von überragendem öffentlichen Interesse sei und bei ihrer Recherche die pressemäßige Sorgfalt gewahrt, weil sie berechtigterweise darauf vertraut habe, dass die in dem Gerichtsbeschluss getroffenen Feststellungen der Wahrheit entsprächen. Die weiteren Nachforschungen - insbesondere eine zuvorige Anhörung der Antragstellerin - seien ihr in Anbetracht der insbesondere wegen der Sprachbarriere und damit verbundenen zeitlichen Verzögerungen einerseits und dem Interesse an einer aktuellen Berichterstattung andererseits nicht zuzumuten gewesen. Ihre im Zuge dieses Verfahrens gewonnenen neuen Erkenntnisse werde sie bei künftigen Berichterstattungen berücksichtigen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die einstweilige Verfügung ist gemäß §§ 925, 936 ZPO aufzuheben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag zurückzuweisen, weil der Antragstellerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegenüber der Antragsgegnerin gemäß §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, analog 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB in Verbindung mit Artikel 2 Abs. 1 GG und § 185 StGB nicht zusteht. ...

Die unzutreffende Darstellung, Herr ... sei nicht nur Direktor bzw. Aufsichtsratsmitglied, sondern Generaldirektor der Antragstellerin gewesen birgt aber keine Rechtsverletzung, die so schwer wiegt, dass sie einen Unterlassungsanspruch rechtfertigen kann. Der von der Antragsgegnerin referierte Verdacht, die Antragstellerin habe die an sie transferierten Gelder ihrer Muttergesellschaft ... nicht wie angekündigt in ... Vorzeigeimmobilien investiert, sondern "zweckentfremdet", gewinnt auch dann an Plausibilität, wenn Herr ... nur einer von mehreren Direktoren oder Aufsichtsräten der Antragstellerin (gewesen) ist. Vor diesem Hintergrund ist es für das Verständnis der Leser in diesem Zusammenhang belanglos, ob Herrn ... die Rolle eines Generaldirektors oder eines Direktors bzw. Aufsichtsratsmitglieds zugeschrieben wird. In beiden Fällen erfährt der Leser von einer personellen Verflechtung zwischen der Antragstellerin und der Russenmafia, ohne dass dieser Vorwurf mehr Gewicht und Überzeugungskraft gewinnt, wenn er an der Person ihres Generaldirektors und nicht an der Person ihres Direktors bzw. Aufsichtsratsmitglieds festgemacht wird.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.


Mauck
von Bresinsky
Gollan

Rechtsgebiete

Presserecht