Berichterstattung über Redner einer Burschenschaftsveranstaltung

Gericht

LG Berlin


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

15. 04. 2003


Aktenzeichen

27 Q 1058/02


Leitsatz des Gerichts

  1. Die Äußerung, wonach es sich bei einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppierung um eine "NPD-nahe Organisation" handele, ist, jedenfalls wenn sie Erkenntnissen des Verfassungsschutzes entspricht, ein zulässiges Werturteil.

  2. Wird eine vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Zeitschrift als "Nazi-Postille" bezeichnet, so handelt es sich um eine bloße Wertung, die den Tatbestand der "Schmähkritik" nicht erfüllt.

  3. Äußerungen auf politischen Veranstaltungen, zu denen die Presse eingeladen ist, sind nicht der Privatsphäre des Redners zuzurechnen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie der öffentlichen Diskussion über politische Standpunkte dienen und somit ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit begründen, über frühere politische Aktivitäten des Äußernden informiert zu werden.

  4. Das öffentliche Interesse an früheren politischen Aktivitäten des Äußernden entfällt nicht dadurch, dass diese bereits längere Zeit (hier: zwei Jahrzehnte) zurückliegen, sofern er seine Abkehr von früheren politischen Standpunkten zwischenzeitlich nicht nach außen hin dokumentiert oder sich anderweitig von ihnen distanziert hat und der "Resozialisierungsgedanke" somit nicht zu berücksichtigen ist.

Tenor

  1. Die Klage wird abgewiesen.

  2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Kostenbetrages zuzüglich 10 % vorläufig vollstreckbar,

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Beklagte ist Inhaber der Internet-Domain ... . Unter dieser Adresse bietet er eine Plattform zum Informationsaustausch über Themen linker Politik an und veröffentlicht unter der Rubrik "periodika" Texte Dritter zu diesem Themenkreis. Dazu zählt auch eine Reihe von Veröffentlichungen, die sich unter dem Etikett der fiktiven Burschenschaft "Anarcho Randalia" kritisch mit dem Burschenschafts- und Verbindungswesen auseinandersetzt, insbesondere mit personellen und ideologischen Verflechtungen einzelner studentischer Verbindungen mit rechtsextremen und faschistischen Strömungen und Organisationen. ...

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, unter Bezugnahme auf seine Person die folgende Außerung zu verbreiten:

"Einer, der da den Kopf für seinen Bund hingehalten hat, heißt Jost Berstermann. 1979 gründete er in Osnabrück den Unabhängigen Schülerbund, eine NPD-nahe Organisation. In der damaligen Nazi-Postille MUT verkündete er, der marxistischen Zersetzung der Schule den Kampf angesagt zu haben. Wir werden den Linken sicher bald ein Dorn im Auge sein, so Berstermann in Mut. Während seiner aktiven Zeit bei Marchia war er anscheinend in der NPD organisiert, in den späten 80-gern versucht er es kurzfristig bei den Republikanern."

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen. ...

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegenüber dem Beklagten aus §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, analog 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG und §§ 185 ff. StGB nicht zu, weil die angegriffene Berichterstattung keinen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers begründet. ...

b) Die Berichterstattung der Beklagten begründet auch unabhängig von ihrer Wahrheit oder Unwahrheit keinen rechtswidrigen Eingriff in die Privatsphäre des Klägers. Zwar umfasst der durch Artikel 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG gewährleistete Schutz der Privatsphäre grundsätzlich auch das Recht, selbst darüber zu bestimmen, ob und inwieweit andere das eigene Lebensbild im Ganzen oder bestimmte Vorgänge daraus öffentlich darstellen dürfen (BVerfG NJW 1973, 1226). Das umfasst auch das Recht, die eigene politische Grundanschauung nicht der breiten Medienöffentlichkeit offenbaren zu müssen. Dieses Recht ist aber nicht schrankenlos gewährleistet, sondern kann nur insoweit wahrgenommen werden, wie schutzwürdige Interessen Dritter nicht unverhältnismäßig eingeschränkt werden. Diese Abwägung führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers hinter dem durch Artikel 5 Abs. 1 GG geschützten berechtigten Informationsinteresse der Öffentlichkeit zurückstehen muss.

Der Kläger hat den aktuellen Anlass für die Wiedergabe seiner politischen Vita nämlich selbst gesetzt, indem er anlässlich des 125. Stiftungsfestes der Landsmannschaft Marchia Berlin in Osnabrück im Herbst 1997 bei einem "Festkommers" dazu aufforderte, alle drei Strophen des Deutschlandliedes zu singen, also auch die Strophe über Deutschlands Grenzen "von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt". Mit dieser Aufforderung hat der Kläger nicht lediglich Einfluss auf die musikalische Gestaltung des Stiftungsfestes genommen, sondem seine Bundesbrüder in erster Linie dazu aufgefordert, sich geschlossen zu der von ihm als wertkonservativ empfundenen politischen Grundhaltung zu bekennen. Dieses politische Bekenntnis hat nicht zufällig öffentliche Wirkung erzielt. Vielmehr räumt der Kläger ein, dass zu der Veranstaltung zumindest ein Pressevertreter ausdrücklich geladen war. ...

Indem der Kläger auf diese Weise eine öffentliche Diskussion über seinen politischen Standpunkt heraufbeschworen hat, hat er zugleich ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit daran begründet, über seine bisherigen politischen Aktivitäten informiert zu werden. Es liegt nämlich nahe, diese zur Beantwortung der Frage zu Rate zu ziehen, ob das Verhalten des Klägers anlässlich des Stiftungsfestes möglicherweise doch Ausdruck eines übersteigerten Nationalbewusstseins sei. Ein schwerer Eingriff in die Privatsphäre des Klägers war damit deshalb nicht verbunden, weil der Kläger in der Vergangenheit mehrfach öffentliche Ämter wahrgenommen hat, wie das des Bundesvorstandes des USB und des Kreisvorsitzenden der NPD in Osnabrück und sein politisches Engagement nicht etwa auf private Zirkel etwa innerhalb der Studentenverbindung beschränkt hat.

Dass diese Aktivitäten Jahrzehnte zurückliegen, begründet keinen Anspruch des Klägers darauf, sie nun dem Schutz des Vergessens anheim zu stellen. Vielmehr ist anlässlich der Berichterstattung über die in Burschenschaften verbreitete Geisteshaltung gerade die politische Rolle der Verbindungsstudenten während ihrer "aktiven" Studentenzeit von Interesse. Außerdem lässt die politische Karriere des Klägers auch keinen Bruch erkennen, d. h. keine innere Abkehr von früheren politischen Standpunkten, so dass auch kein Grund ersichtlich ist, wieso sein früheres Verhalten nicht herangezogen werden sollte, um seine heutigen Äußerungen zu interpretieren. Anders als in dem vom Kläger zum Vergleich herangezogenen Fall eines Straftäters, über dessen Verurteilung mit zunehmender Zeit nur unter sehr engen Voraussetzungen berichtet werden darf, spielt im Fall des Klägers der Gesichtspunkt der Resozialisierung keine Rolle: Er hat sich von den von ihm heute als ehrenrührig empfundenen Aktivitäten nie öffentlich distanziert, sondern hat mit seinem Auftritt anlässlich des Stiftungsfestes einen neuen Anknüpfungspunkt für entsprechende Thesen geboten. ...

Unstreitig ist der Kläger zu Studienzeiten in die schlagende Verbindung Marchia Berlin eingetreten, auf deren "Bund" im ersten Satz der streitgegenständlichen Textpassage Bezug genommen wird, Unstreitig auch hat der Kläger im Jahr 1979 in Osnabrück den Unabhängigen Schülerbund gegründet. Dass es sich dabei um eine NPD-nahe Organisation gehandelt habe, ist eine zulässige Wertung, weil diese Einschätzung vom niedersächsischen Verfassungsschutz geteilt wurde, wie sich dessen Bericht aus dem Jahr 1979 entnehmen lässt, mithin nicht etwa aus der Luft gegriffen ist. Unwidersprochen auch ist der Kläger anlässlich der Gründung des USB in der Zeitschrift "Mut" mit den Worten zitiert worden, "wir werden den Unken sicher bald ein Dorn im Auge sein". Dass es sich bei der Zeitschrift "Mut' um eine "Nazi-Postille" gehandelt habe, ist eine Wertung, die gleichfalls den Schutz der durch Artikel 5 Abs. 1 GG gewährleisteten Meinungsäußerungsfreiheit genießt, weil sie sich auf den Jahresbericht 1979 des Bundesamtes für Verfassungsschutz stützen kann und mithin keine bloße Schmähung darstellt, Schließlich sprechen auch deutliche Anzeichen dafür, dass sich der Kläger Anfang der 80-er Jahre in der NPD engagierte und in den späten 80-ger Jahren kurzfristig zu den Republikanern stieß. Immerhin nämlich berichtet der vom Landesverband der NPD Niedersachsen herausgegebene "Niedersachsenspiegel" in seiner Ausgabe von Mai 1981 von der Wahl des damals 20-jährigen Klägers zum neuen Kreisvorsitzenden der JN in Osnabrück (Anlage B 8) und in der August-Ausgabe aus 1982 findet der Kläger als Mitglied des Bundesvorstands der JN namentlich Erwähnung (Anlage B 10). Heft 11/12/1989 zeugt schließlich von der Neuorientierung des Klägers: Dort wird er dem Kreis der "fahnenflüchtigen Verräter" der NPD zugeordnet, der sich dem Lager der Republikaner zugewandt habe (Anlage B 9). Wie sich dem Osnabrücker "Stadtblatt", Heft 12/97, entnehmen lässt, hatte es der Kläger im Jahr 1988 bereits zum stellvertretenden Kreisvorsitzenden der Osnabrücker Republikaner gebracht (Anlage B 12). ...

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 91 Abs: 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 709 Satz 1 und 2 ZPO.


Mauck
RiLG Dr. Glaßer ist infolge Urlaubs an der Unterschrift gehindert, Mauck
Gollan

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