Auslegung von alten DDR-Mietverträgen

Gericht

LG Rostock


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

16. 03. 2000


Aktenzeichen

1 S 267 /99


Leitsatz des Gerichts

  1. Ist in einem Mietvertrag bestimmt, dass die Mietsache "besenrein unter Berücksichtigung des normalen Verschleißes" zurückzugeben ist, wird der Mieter dadurch nicht zur Schlussrenovierung verpflichtet.

  2. Bei der Auslegung von DDR-Altverträgen sind die Vorstellungen des damaligen Gesetzgebers gemäß dem Zivilgesetzbuch der DDR (ZGB) zur Interpretation mit heranzuziehen.

  3. Nach altem Recht ist der Mieter nur zur Endrenovierung verpflichtet, wenn durch unterlassene Malerarbeiten Mängel an der Mietsache (wie z.B. Substanzschäden am Putz) entstanden sind oder Mängel durch ein übermäßiges Abwohnen herbeigeführt wurden, wobei eine allgemeine Abnutzung keinen Mangel darstellte.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Rostock vom 16.07.1999 - Az.. 47 C 35/99 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

Die form - und fristgerecht eingelegte und gleichermaßen begründete Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg .

Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung der Renovierungs - und Mietausfallkosten in Höhe von insgesamt 3.712,99 DM.

Ein derartiger Anspruch lässt sich weder mit § 326 BGB aus dem Mietvertrag herleiten, der zwischen der Mutter der Beklagten und dem Rechtsvorgänger der Klägerin bestand, noch ergibt sich ein solcher Anspruch auf Grund einer gesonderten, zwischen der Beklagten und der Klägerin getroffenen Vereinbarung.

Eine "Schlussrenovierung" zum Ende des Mietverhältnisses kann die Klägerin von der Beklagten schon auf Grund der entgegenstehenden Bestimmung in § 10 Nr. 1 des Mietvertrages nicht verlangen.

Dort ist geregelt, dass die Rückgabe der Mietsache "besenrein" in einem vertragsmäßigen Gebrauchszustand "unter Berücksichtigung des normalen Verschleißes" zu erfolgen hat. Der Begriff des "normalen Verschleißes" stellt ersichtlich auf die Abnutzung durch Abwohnung ab. Zur Beseitigung dieser Abnutzungsspuren soll der Mieter gerade nicht verpflichtet sein.

Auch die Berücksichtigung der historischen Begleitumstände, unter denen diese Formulierung von der Mutter der Beklagten und dem Rechtsvorgänger der Klägerin zum Bestandteil des Mietvertrages gemacht worden war, lässt keine andere Deutung der Formulierung zu. Die vorstellungen des damaligen Gesetzgebers bezüglich der Regelung des Verhältnisses zwischen Mietern und Vermietern haben im Zivilgesetzbuch der DDR ihren Niederschlag gefunden, das infolgedessen zur Interpretation von § 10 Nr. 1 des Mietvertrages heranzuziehen ist. Danach begründete zwar § 104 Abs. 1 Satz 2 ZGB eine grundsätzliche Mieterpflicht zur Durchführung von notwendigen Malerarbeiten. Für den Fall der Beendigung des Mietverhältnisses verwies § 104 Abs. 1 Satz 3 jedoch auf § 107 Abs. 2 ZGB. Nach dieser Vorschrift bestand eine Pflicht des Mieters zum Tätigwerden nur dann, wenn durch unterlassene Malerarbeiten Mängel an der Mietsache entstanden waren. Die allgemeine Abnutzung durch Abwohnung stellte gerade keinen Mangel im Sinne dieser Vorschrift r, wie die Kommentierung der Norm zeigt (vgl. Kommen- tar zum ZGB der DDR, Staatsverlag der DDR, 1983, § 107 Ziff. 1 ff.). Als Mangel wurde entweder ein sogenannter Substanzschaden (am Putz, Holz oder Mauerwerk) oder ein "über- mäßiges" Abwohnen verstanden, wobei letzteres einen erhöhten Wiederherstellungsaufwand der Wohnung nach sich ziehen musste, um eine Mängelbeseitigungs - bzw. eine Kostentragungs- pflicht des Mieters zu begründen (vgl. Nissel, NJ 1976, S. 301 ff.; ferner S. 141).

Die Klägerin hat indes weder vorgetragen, dass durch die unterlassenen Malerarbeiten eine Substanzschädigung eingetreten sei noch erlaubt ihr Vortrag einen Rückschluss darauf, dass die streitgegenständliche Wohnung "übermäßig" abgewohnt gewesen sei. Der von der Klägerin mit der Handwerkerrechnung dokumentierte Renovierungsaufwand deutet darauf hin, dass hier "normale" Abnutzungserscheinungen beseitigt worden sind. Der Behauptung, dass die 10 Jahre lang nicht renovierte Neubaumietwohnung in hygienischer Hinsicht nicht mehr einwandfrei gewesen sei, fehlt jede Substanz. Einen Erfahrungssatz dahingehend, dass sich eine derartige Wohnung bei nicht erfolgter malermäßiger Instandhaltung nach 10 Jahren zwangsläufig in einem unhygienischen Zustand befinde, gibt es nicht.

Wegen des entgegenstehenden Wortlauts von § 10 Nr. l des Mietvertrages kann die Klägerin auch die Entfernung der Gardinenkästen nicht verlangen. Im übrigen hat die Klägerin ihren bestrittenen Vortrag, dass diese Gardinenkästen beim Einzug der Mutter der Beklagten in die Wohnung noch nicht vorhanden gewesen seien, trotz der gegnerischen Darstellung, die auf eine Mitvermietung der Gardinenkästen schließen lässt, nicht unter Beweis gestellt. Das insoweit in der Berufungsbegründungsschrift enthaltene Beweisangebot "Zeugnis N.N." ist gemäß § 373 ZPO unbeachtlich (Zöller/Greger, ZPO, 21. Aufl., § 356 Rn 4) .

Die Formulierung in § 6 Nr. 5 des Mietvertrages vermag eine Einstandspflicht der Beklagten für die Renovierungs und Mietausfallkosten - etwa über das Institut der positiven Vertragsverletzung - ebenfalls nicht zu begründen. Diese Vereinbarung - "Für die malermäßige Instandhaltung ist der Mieter verantwortlich" - bedarf gleichfalls der Auslegung.

Zwar ist damit nach dem Wortsinn eine Instandhaltungspflicht des Mieters festgeschrieben. Bei Berücksichtigung der seinerzeit herrschenden Begleitumstände, unter denen diese Festlegung in den Mietvertrag gelangte, ergibt sich jedoch eine Instandhaltungspflicht nur unter bestimmten Umständen. Das folgt aus der Kommentierung zu § 104 ZGB, der - wie bereits ausgeführt - eine grundsätzliche Pflicht zur Durchführung der malermäßigen Instandhaltung statuierte. Wie aus der zeitgenössischen Kommentierung erhellt, konnte der Vermieter die Vornahme der malermäßigen Instandhaltung jedoch nur insoweit verlangen, als sie erforderlich war, "um die Bausubstanz und die eingebauten Anlagen vor Schäden zu bewahren oder hygienisch einwandfreie Verhältnisse im Hause zu erhalten (§ 107 Abs. 2 )" (vgl. Kommentar zum Zivilgesetzbuch der DDR, Staats- verlag der DDR, 1983, § 104 Ziff. 1.2.). Davon abgesehen war es jedoch in das Ermessen des Mieters gestellt, wann und in welchen Abständen er die Malerarbeiten durchführte (ZGB der DDR.a.0.).

Demzufolge kann heute der alleinige Umstand, dass die malermäßige Instandhaltung von der Mutter der Beklagten aus welchen Gründen auch immer - unterlassen worden war, keine Pflichtverletzung und damit keine Einstandspflicht der Beklagten begründen. Auf die vorstehen- den Ausführungen zur Substanzbeschädigung und zur Hygiene wird im übrigen Bezug genommen.

Die Auffassung der Klägerin, sie könne unabhängig von dem Mietvertrag die geltend gemachten Kosten verlangen, weil die Beklagte die ihr auf Grund gesonderter Vereinbarung obliegende Renovierungsleistung nicht erbracht habe, geht fehl.

Dabei bedarf die Frage, ob die Beklagte sich mit der Unterzeichnung des Vor - und des Endab- nahmeprotokolls überhaupt verbindlich zur Durchführung der Renovierung verpflichten wollte, hier keiner abschließenden Entscheidung. Denn selbst wenn in diesen Protokollen die Dokumen- tation eines neuen Vertrages zwischen den Parteien erblickt würde, könnte die Klägerin die geltend gemachten Kosten nicht von der Beklagten verlangen.

Entgegen der Ansicht der Klägerin würde eine solche vertragliche Regelung weder ein Schuld- versprechen noch ein (konstitutives) Schuldanerkenntnis darstellen. Denn eine Einigung der Parteien darüber, dass mit der Unterzeichnung der Abnahmeprotokolle eine neue Leistungs- pflicht der Beklagten unabhängig vom Grundgeschäft des Mietvertrages begründet werden sollte, hat die Klägerin nicht dargelegt. Die äußeren Umstände der Unterzeichnung der Urkunden würden im übrigen eher dafür sprechen, dass die Beklagte - nur eine vermeintlich aus dem Mietvertrag resultierende Pflicht zur Renovierung bestätigen, nicht aber eine neue Verpflichtung eingehen wollte. Gleiches gilt für die Gestaltung der Urkunden als Abnahmeprotokolle.

Ein Schuldbestätigungsvertrag (deklaratorisches Schuldanerkenntnis) läge ebenfalls nicht vor. Dieses würde voraussetzen, dass zwischen den Parteien Streit oder subjektive Ungewissheit über das Bestehen einer Schuld bestünde und die Parteien das Schuldverhältnis insgesamt oder in einzelnen Beziehungen dem Streit entziehen wollten. So liegt der Fall hier jedoch nicht. Denn nach dem Vortrag der Klägerin sind die Parteien offensichtlich in Verkennung der Rechtslage zunächst irrtümlich vom Bestehen einer Renovierungspflicht auf Grund des Mietvertrages ausgegangen. Streit bzw. Ungewissheit über das Bestehen dieser Pflicht hat es - zumindest zum Zeitpunkt des vermeintlichen Vertragsschlusses - nicht gegeben.Schließlich führt auch die Annahme, die Parteien hätten möglicherweise einen Vertrag eigener Art geschlossen, auf Grund dessen sich die Beklagte zur Renovierung verpflichtet hätte, die Klägerin nicht zum Ziel. Beide Parteien wären - wie bereits ausgeführt - in diesem Fall irrtümlich vom Bestehen einer Renovie- rgspflicht aufseiten der Beklagten ausgegangen. Insoweit müssten die Grundsätze über das Fehlen der Geschäftsgrundlage Anwendung finden (Palandt, 58. Aufl. § 242 Rn 149). In dem neuen Vertrag hätte sich die Beklagte in Verkennung der Rechtslage zu umfassenden Renovie- rungsleistungen für die Klägerin verpflichtet, die sie ansonsten nicht hätte übernehmen müssen. Eine Fortsetzung dieses Vertrages, der lediglich eine Leistungspflicht einer Partei enthält, wäre der Beklagten vor dem Hintergrund, dass sie in Erfüllung ihrer vermeintlichen Mieterpflicht bereits in allen Räumen die Tapeten entfernt, mithin also bereits Leistungen für - die Klägerin erbracht hatte, nicht zumutbar. Daher wäre eine möglicherweise zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung bezüglich der Renovierung durch die rechtsgestaltende Erklärung der Beklagten vom 30.11.1998, mit der sie deutlich machte, die geforderte Renovierung nicht durchführen zu wollen, aufgelöst worden, so dass dem Begehren der Klägerin auch insoweit die Rechtsgrundlageehlen würde.

Die Einräumung eines Schriftsatznachlasses im Hinblick auf die Ausführungen im 2. Absatz von Bl. 4 der Berufungserwiderung kommt entgegen der Ansicht der Klägerin nicht in Betracht. Der dortige Vortrag der Beklagten enthält keine Tatsachenbehauptungen, auf die es zur Beurteilung des vorliegenden Falles ankäme.

Soweit in dem Vorbringen die Rechtsansicht der Beklagten zum Ausdruck kommt, dass Mieter nach DDR-Recht nicht verpflichtet gewesen seien, eine Schlussrenovierung durchzuführen, ist der Klägerin hierzu in der mündlichen Verhandlung in angemessener Weise Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Im übrigen hat sich bereits der erstinstanzliche Richter in den Entscheidungsgründen des von ihm verfassten Urteils mit dieser Problematik eingehend auseinandergesetzt, so dass eine Stellungnahme der Klägerin hierzu in der mündlichen Verhand- lung vor dem Berufungsgericht möglich und zumutbar gewesen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.


Fischer

Vorinstanzen

AG Rostock, 47 C 35/99

Rechtsgebiete

Mietrecht