Starke Sonneneinstrahlung in Büroräumen als Gebrauchsbeschränkung der Mietsache

Gericht

OLG Köln


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

28. 10. 1991


Aktenzeichen

2 U 185/90


Leitsatz des Gerichts

Ein überstarker Sonneneinfall in gemieteten Büroräumen stellt eine Einschränkung des vertragsgemäßen Gebrauchs der Mietsache dar, die zu einem Anspruch des Mieters auf schützende Baumaßnahmen führt.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. hat von ihrer Streithelferin den von dieser errichteten Gebäudekomplex gemietet und ihrerseits Räume an die Bekl. vermietet. Wegen starker Sonneneinstrahlung hat die Bekl. den Mietzins gemindert und ist durch Teilurteil des LG zur Zahlung der geminderten Beträge verurteilt worden. Ihre Widerklage, mit der sie begehrte, die Kl. zu verurteilen, durch geeignete bauliche Maßnahmen von außen die Sonneneinstrahlung zu unterbinden, hat das LG abgewiesen. Die Berufung der Bekl. hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

... Die Bekl. hat gegen die Kl. einen Anspruch auf Anbringung eines außen liegenden Sonnenschutzes. Der Anspruch ergibt sich aus § 536 BGB ... Die der Bekl. überlassenen Räume befinden sich nicht in einem zu dem vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustande. Denn in den nach Süden gelegenen Räumen treten ganzjährig zeitweise derart hohe Temperaturen auf, dass die Nutzung der Räume als Büro bzw. zur Fertigung in erheblicher Weise beeinträchtigt ist. Davon ist der Senat in Anbetracht der überzeugenden Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen überzeugt. Der Sachverständige hat die Überschreitung der Temperatur von 26 GradC für die sechs betroffenen Büroräume (Sekretariat und Büro 6 bis Büro 10) sowie für den Fertigungsbereich beispielhaft für zwei Büroräume (Sekretariat und Büro 9) und den Fertigungsbereich ermittelt. Nach den Feststellungen des Sachverständigen ergeben sich insoweit folgende Feststellungen: (Es folgen die festgestellten Werte im Einzelnen.)

Danach ergibt sich ganzjährig für das Sekretariat eine Überschreitung der Raumlufttemperatur von 26 GradC für 141 Werktage (764 Stunden), die entsprechenden Werte für das Büro 9 betragen 119 Werktage (742 Stunden) und für den Fertigungsbereich 120 Werktage (814 Stunden). Für die übrigen nach Süden gelegenen Räume gilt nach den Ausführungen des Sachverständigen entsprechendes. Nach Ansicht des Senats ist bei diesen klimatischen Verhältnissen die Tauglichkeit der angemieteten Räume zu dem vertragsgemäßen Gebrauch in ganz erheblichem Maße eingeschränkt.

Zweck der Anmietung ist die Nutzung der Räume als Büro- und Fertigungsräume. Eine Gebrauchstauglichkeit der Räume zu diesem Zweck kann nur angenommen werden, wenn die Arbeitsbedingungen nicht aufgrund des Bauzustandes in unzuträglicher Weise beeinträchtigt werden. Zuträgliche Arbeitsbedingungen setzen auch die Behaglichkeit des thermischen Raumklimas in akzeptablen Grenzen voraus. Der Senat ist sich darüber im Klaren, dass eine absolute Grenze für die Behaglichkeit in diesem Sinne nicht gesetzlich vorgegeben und auch nicht im Sinne eines absoluten Grenzwertes definierbar ist. Der Senat ist indes nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen davon überzeugt, dass die vorliegenden klimatischen Gegebenheiten nicht akzeptabel sind, weil sie die Arbeitsmöglichkeiten in den angemieteten Räumen über Gebühr beeinträchtigen. Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten und bei seinen mündlichen Ausführungen in den Senatsterminen im einzelnen erläutert, dass eine Raumlufttemperatur von 26 GradC an der oberen Grenze des Behaglichkeitsbereichs liegt und für wesentliche Zeiträume nicht wesentlich überschritten werden sollte.

Diese Ausführungen des Sachverständigen werden indiziell durch die Vorgaben der DIN 1946, Teil 2 „Raumlufttechnik“, und die Arbeitsstättenverordnung, Arbeitsstättenrichtlinien, bestätigt. Nach der DIN 1946, Teil 2 Abschnitt 3.1.3, darf die maximale Raumlufttemperatur bei Außentemperaturen von weniger als 26 GradC 25 GradC betragen; bei höheren Außentemperaturen darf die Raumlufttemperatur linear mitgleiten bis auf maximal 27 GradC. Nach § 6 der Arbeitsstättenverordnung, Raumtemperaturen, müssen Bereiche von Arbeitsplätzen, die unter starker Hitzeeinwirkung stehen, im Rahmen des betrieblich Möglichen auf eine zuträgliche Temperatur gekühlt werden. Abschnitt 6/1 der Arbeitsstättenrichtlinien besagt ferner, dass die Raumtemperatur in Arbeitsräumen 26 GradC nicht überschreiten soll (Arbeitsstätten mit Hitzearbeitsplätzen ausgenommen).

Dem Senat ist bewusst, dass die genannten Regelungen im Streitfall nicht unmittelbar einschlägig sind, ist aber der Ansicht, dass die Ausführungen des Sachverständigen durch die Vorgaben der genannten Normen bestätigt werden. Damit ergibt sich eine anzunehmende Behaglichkeitsgrenze in dem Bereich zwischen 25 und 27 GradC, die, wie der Sachverständige bei seinen mündlichen Ausführungen erläutert hat, als Grenzwert von 26 GradC mit einem Toleranzbereich von jeweils 1 GradC nach unten und nach oben definiert werden kann.

Zu den zeitlichen Grenzen, innerhalb derer ein Erreichen oder eventuell eine Überschreitung des genannten Grenzwerts hinzunehmen ist, besagen die genannten Normen nichts. Der Sachverständige hat auch erläutert, dass es insoweit an der Festlegung oder Empfehlung bestimmter Werte fehlt. Der Senat ist indes mit dem Sachverständigen der Ansicht, dass die zeitlichen Grenzen innerhalb derer ein Erreichen oder Überschreiten des Grenzwerts als tolerabel erscheint, im Streitfall weit überschritten sind. So wird (beim Ansatz von fünf Arbeitstagen wöchentlich) die Temperatur von 26 GradC im Sekretariat und im Fertigungsbereich in nahezu 22 Wochen an jedem Werktag überschritten. Bezogen auf die Stundenzahl ergäbe sich für die beiden genannten Räumlichkeiten beim Ansatz von 8 Arbeitsstunden täglich eine durchgehende Überschreitung der genannten Temperatur an mehr als 90 Tagen.

Die unzuträgliche Überschreitung behaglicher Arbeitstemperaturen beruht auf einem Mangel der Mietsache, nicht auf unzureichenden Vorkehrungen der Bekl. als Mieterin. Der Sachverständige hat im Einzelnen ausgeführt, dass die Überhitzung der Räume darauf zurückzuführen ist, dass bauseits der erforderliche außen liegende Sonnenschutz nicht angebracht wurde. Hinsichtlich der Berechnung der in der DIN 4108, Teil 2, vorgegebenen Werte wird auf die Ausführungen in dem schriftlichen Gutachten Bezug genommen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei den angemieteten Räumen der Kennwert für den Sonnenschutz bei einem Fensterflächenanteil von F = 0,77 sich auf 0,50 errechnet und damit bei weitem den empfohlenen Höchstwert von 0,12 bei Innenbauart „leicht“ und 0,14 bei Innenbauart „schwer“ überschreitet. Den Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat war zu entnehmen, dass sich das Fehlen jeden Sonnenschutzes bei einem Gebäude der vorliegenden Bauart als gravierender, schwer verständlicher Baumangel darstellt.

Dem Fehlen eines bauseits vorhandenen Sonnenschutzes kann die Bekl. als Mieterin nicht mit zumutbaren Maßnahmen ausreichend begegnen. Denkbar wäre die Anbringung eines innen liegenden Sonnenschutzes. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen könnte durch eine solche Maßnahme indes die Überhitzung der Räume nur teilweise vermieden werden. Nach den Ermittlungen des Sachverständigen ergeben sich bei innen liegendem Sonnenschutz immer noch folgende Überschreitungen der Temperatur von 26 GradC: (Wird im Einzelnen ausgeführt.)

Damit ergibt sich beispielsweise für das Sekretariat immer noch eine Überschreitung der genannten Temperatur an 71 Tagen (378 Stunden) und bei dem Fertigungsbereich eine Überschreitung an 66 Tagen (447 Stunden). Dieses bedeutet immer noch eine erhebliche Überschreitung der bei außen liegendem Sonnenschutz erreichbaren Werte. (Wird ausgeführt.)

Im übrigen hat der Sachverständige ausgeführt, dass auch die Kosten für die Anbringung eines innen liegenden Sonnenschutzes nicht unbeträchtlich seien; je nach Art und Wirkungsgrad der zu erzielenden Maßnahmen, der Art des verwendeten Materials usw. sei mit Kosten zu rechnen, die sich auf 2/3 der für einen ausliegenden Sonnenschutz aufzuwendenden Kosten beliefen. Solch erhebliche Aufwendungen können aber von einem Mieter nicht verlangt werden, wenn es darum geht, den Auswirkungen eines offensichtlichen Baumangels entgegenzuwirken ...

Der danach gegebene Herstellungsanspruch ist entgegen der Ansicht des LG nicht gem. § 2 Nr. 1 des Mietvertrags ausgeschlossen. Nach dieser Klausel erkennt der Mieter mit der Übernahme an, dass die Mietsache in einem zu dem vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand ist, es sei denn, es handele sich um versteckte Mängel. Die Rechtsfolgen dieses „Anerkenntnisses“ lassen sich der Klausel nicht entnehmen. Nach Ansicht des Senats ist die Klausel dahin auszulegen, dass, soweit ein „Anerkenntnis“ in dem genannten Sinne erfolgte, die Rechtsfolgen eintreten, die dem Gesetz für den Fall der Kenntnis des Mieters von einem Mangel der Mietsache zu entnehmen sind. Dieser Fall ist in § 539 BGB geregelt. Danach stehen dem Mieter, der bei Abschluss des Vertrags den Mangel der gemieteten Sache kennt, die in den §§ 537 , 538 BGB bestimmten Rechte nicht zu. Dabei handelt es sich um die völlige oder teilweise Befreiung von der Verpflichtung zur Mietzinszahlung und um Schadensersatzansprüche des Mieters. Der auf Mangelbeseitigung gerichtete Erfüllungsanspruch des Mieters aus § 536 BGB wird indes durch § 539 BGB nicht ausgeschlossen (vgl. BGH, WM 1967, 850 (851); NJW 1980, 777 = LM § 537 BGB Nr. 26; BGHZ 101, 253 = NJW 1987, 2575 = LM § 535 BGB Nr. 109 = DWW 1987, 219 (222); Erman-Schopp, BGB, 8. Aufl., § 539 Rdnr. 6; Palandt-Putzo, BGB, 50. Aufl., § 539 Rdnr. 1; Soergel-Kummer, BGB, 11. Aufl., § 539 Rdnr. 4, § 535 Rdnr. 204; Sternel, MietR, 3. Aufl., II Rdnrn. 46, 655, 657; Köhler, JZ 1989, 770 f.; a. A. Voelskow, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 539 Rdnr. 4; Wilhelm, JZ 1982, 488 (494)).

Eine unterschiedliche Behandlung der Ansprüche aus § 536 einerseits und aus den §§ 537 , 538 BGB wie auch des Kündigungsrechts des Mieters (vgl. § 543 BGB) andererseits führt nicht zu einem Wertungswiderspruch; sie ist durchaus sinnvoll und im Interesse des Mieterschutzes geboten.

Ein rechtsgeschäftlicher Ausschluss des Mangelbeseitigungsanspruchs lässt sich der genannten Regelung des Mietvertrags nicht entnehmen. Wenn es dort heißt, die Mieterin erkenne mit der Übernahme an, dass die Mietsache, mit Ausnahme der in dem Übergabeprotokoll gekennzeichneten Mängel, in einem zu dem vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand sei, so bedeutet dies nichts anderes, als dass die Rechtsfolgen eintreten, die das Gesetz an eine Kenntnis des Mieters von einem Mangel der Mietsache knüpft. Im Übrigen handelt es sich bei der Überhitzung der Räume um einen (zunächst) versteckten Mangel, der erst mit der Benutzung der Räume in Erscheinung getreten ist. Der Mangel liegt primär nicht in der äußeren Gestaltung des Gebäudes, sondern in deren erst im Laufe der Mietzeit erkennbar werdenden Auswirkungen. Bei Abschluss des Mietvertrags war zwar erkennbar, dass das Gebäude große Fensterflächen erhalten würde; indes waren die Fenster zu diesem Zeitpunkt noch nicht installiert, etwa beabsichtigte Maßnahmen des Sonnenschutzes waren mithin noch nicht zu beurteilen. Im Zeitpunkt der Fertigung des Übernahmeprotokolls waren zwar die Fenster bereits installiert. Der Senat teilt indes nicht die Meinung des LG, bereits aufgrund der äußeren Gestaltung habe der Geschäftsführer der Bekl. damit rechnen müssen, dass es zu einer unzuträglichen Überhitzung der Räume kommen werde. Bevor diese Auswirkung der äußeren Gestaltung erkennbar in Erscheinung trat, durfte die Bekl. damit rechnen, dass bei der Errichtung des Bauwerks die notwendigen Maßnahmen getroffen worden waren, um zu erwartende Aufheizungseffekte der großen Fensterflächen in ausreichendem Maße in den Griff zu bekommen. Damit, dass gegen alle Regeln der Baukunst keinerlei entsprechende Maßnahmen unternommen worden waren, musste die Bekl. als Mieterin nicht rechnen. Eine besondere dahingehende Sachkunde des Geschäftsführers der Bekl. als Fachmann auf dem Gebiet der Messtechnik, die eine Kenntnis von den später eintretenden Umständen hätte nach sich ziehen können, hat die Kl. nicht nachvollziehbar behauptet ...

Der Herstellungsanspruch der Bekl. ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Herstellung der Kl. unzumutbar wäre. Dabei geht der Senat allerdings davon aus, dass der Herstellungsanspruch des Mieters entsprechend dem Rechtsgedanken der §§ 251 II , 633 II 2 BGB nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausgeschlossen sein kann, wenn die Herstellung einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert. Davon kann indes im Streitfall nicht ausgegangen werden. Die Belastungen der Bekl. durch die unzuträglichen Nutzungsverhältnisse der Räume sind beträchtlich. Die jetzt notwendigen Investitionen sind solche, die bei sachgerechter Planung des Bauwerks seitens der Kl. bzw. ihrer Vermieterin von vornherein aufzubringen gewesen wären. Dass die jetzt vorzunehmenden Maßnahmen die Finanzkraft der Kl. in unzuträglicher Weise überfordern würden, ist nicht dargelegt. Bei dieser Sachlage vermag nach Ansicht des Senats die bloße Tatsache, dass die vorzunehmende Maßnahme einen erheblichen finanziellen Aufwand erfordert, die Unzumutbarkeit in dem genannten Sinne nicht zu begründen.

Der Senat hat erwogen, ob eine Verurteilung der Kl. in nur eingeschränktem Umfang, etwa in Richtung auf die Anbringung eines innen liegenden Sonnenschutzes, ausreichend erscheint. Dies ist indes im Hinblick auf die nur unzureichende Besserung der Situation durch einen innen liegenden Sonnenschutz, wie sie bereits angesprochen wurde, nicht der Fall.

Rechtsgebiete

Mietrecht