Konkurrenz von Parabolantenne und Kabelanschluß
Gericht
BVerfG
Art der Entscheidung
Beschluss
Datum
10. 03. 1993
Aktenzeichen
1 BvR 1192/92
In der Regel ist es nicht zu beanstanden, wenn die Fachgerichte bei bestehendem Anschluss der Mieterwohnung an das Breitbandkabelnetz ein überwiegendes Interesse des Vermieters bejahen, eine Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes eines Gebäudes durch Parabolantennen zu vermeiden. Im konkreten Fall müssen aber besondere Mieterinteressen, in die Interessenabwägung einbezogen und richtig gewichtet werden.
Zum Sachverhalt:
Die Bf. ist Mieterin einer Wohnung, die in einem Mehrfamilienhaus gelegen ist. Das Haus ist mit einem Kabelanschluß versehen, an den die Mieter ihre Wohnungen anschließen können. Im Frühjahr 1991 brachte die Bf. auf dem Dach des Hauses eine Parabolantenne an. Die Vermieterin und Eigentümerin, die nicht in dem Anwesen wohnt, forderte die Bf. erfolglos auf, die Parabolantenne zu entfernen. Das AG hat die Bf. gem. § 1004 BGB verurteilt, die Satellitenantenne zu entfernen, und festgestellt, daß es die Bf. auf Dauer zu unterlassen habe, eine Satelliten-Empfangsantenne sichtbar an der Außenwand ihrer Mietwohnung anzubringen. Zur Begründung hat das AG im wesentlichen ausgeführt: Die Errichtung der Parabolantenne stelle eine bauliche Veränderung dar, die das Eigentum der Kl. beeinträchtige. Diese sei nicht verpflichtet gewesen, die Beeinträchtigung zu dulden. Der Mietvertrag erlaube die Errichtung einer Einzelantenne nur mit Zustimmung der Vermieterin. Zwar habe die Bf. um die Genehmigung nachgesucht. Die Kl. könne die Beseitigung der Parabolantenne aber verlangen, da sie nicht verpflichtet gewesen sei, ihre Zustimmung zu erteilen. Eine solche Pflicht ergebe sich nicht aus dem Grundrecht auf Informationsfreiheit aus Art. 5 I 1 Halbs. 2 GG, da dieses Grundrecht seine Schranken im Eigentumsgrundrecht der Kl. aus Art. 14 I GG finde. Es sei deshalb abzuwägen, welchem Recht aus welchem Grund und in welchem Umfang der Vorzug gebühre. Dabei sei davon auszugehen, daß der Mieter die Möglichkeit haben müsse, die Programme der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten zu empfangen. Unter Umständen habe der Mieter insoweit ein Recht auf Herstellung der entsprechenden Voraussetzungen. Anlagen an der Außenwand bedürften aber der Zustimmung des Vermieters. Einen Anspruch auf Anbringung einer Parabolantenne habe der Mieter grundsätzlich nicht, da diese Antennen regelmäßig unschön seien und selbst als Einzelstücke das Anwesen verunstalteten. Das Mieterinteresse am Empfang weiterer Fernsehprogramme müsse daher zurücktreten, zumal diese gewöhnlich nicht der Unterrichtung, sondern der Unterhaltung dienten, die nicht durch Art. 5 I GG geschützt sei. Im vorliegenden Fall könne die Bf. im übrigen vom Kabelnetz Gebrauch machen. Der Vermieter müsse den Eingriff in sein Eigentum jedenfalls dann nicht hinnehmen, wenn durch den Anschluß an das Breitbandkabel in etwa der gleiche Erfolg erzielt werden könne wie durch eine Parabolantenne. In diesem Fall genieße der Anspruch auf Aufrechterhaltung intakten Eigentums den Vorrang. Es sei nicht ausgeschlossen, daß unter besonderen Umständen etwas anderes gelten könne. Solche Umstände lägen hier aber nicht vor. Das LG hat die Berufung der Bf. unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des AG zurückgewiesen.
Die Bf. hat gegen die Entscheidungen des AG und des LG Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie ist der Auffassung, daß die angegriffenen Entscheidungen auf einer grundsätzlich falschen Bestimmung des Verhältnisses zwischen ihrem Grundrecht auf Informationsfreiheit aus Art. 5 I 1 Halbs. 2 GG und der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes aus Art. 14 I GG beruhten. Es stelle eine Beschneidung ihrer Informationsfreiheit dar, wenn sie auf den Anschluß an das vorhandene Kabelnetz verwiesen werde. Das Breitbandkabel könne eine Satellitenantenne nicht ersetzen. Die Parabolantenne erlaube den Empfang einer Vielzahl von Rundfunk- und Fernsehprogrammen, die nicht im Kabelangebot enthalten seien. Es komme hinzu, daß die Einspeisung eines Programms in das Kabelnetz in jedem Bundesland einer staatlichen Zulassung bedürfe. Sie unterliege somit bei einem Kabelanschluß einer Zensur, die sie in ihrem Grundrecht auf Informationsfreiheit verletze. In den angegriffenen Entscheidungen werde verkannt, daß keine sachbezogenen Interessen der Eigentümerin vorlägen, die eine Verweigerung der Genehmigung zur Anbringung der Parabolantenne rechtfertigen könnten. Eingriffe in die Bausubstanz seien nicht zu befürchten. Geschmacksfragen dürften schon deshalb nicht zugunsten der Vermieterin ausschlaggebend sein, weil diese nicht in dem Anwesen wohne.
Die Annahme der Verfassungsbeschwerde wurde abgelehnt.
Aus den Gründen:
II. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 93b I 1 Nr. 2 BVerfGG). Die angegriffenen Entscheidungen lassen den von der Bf. gerügten Verstoß gegen das Grundrecht auf Informationsfreiheit aus Art. 5 I 1 Halbs. 2 GG nicht erkennen.
1. Art. 5 I 1 Halbs. 2 GG gewährleistet jedermann das Recht, sich aus
allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Dieses Grundrecht
ist wie das Grundrecht der Meinungsfreiheit eine der wichtigsten Voraussetzungen
der individuellen Entfaltung und der demokratischen Ordnung (vgl. BVerfGE 7, 198
(208) = NJW 1958, 257; BVerfGE 27, 71 (81 f.) = NJW 1970, 235). Der
Grundrechtsschutz umfaßt Informationen aller Art, nicht nur die im engeren Sinne
politischen. Allgemein zugänglich sind solche Informationsquellen, die geeignet
und bestimmt sind, der Allgemeinheit, das heißt einem individuell nicht
bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu verschaffen. Dabei richtet sich die
allgemeine Zugänglichkeit allein nach tatsächlichen Kriterien. Zeitungen und
andere Massenkommunikationsmittel wie Rundfunk und Fernsehen gehören daher stets
zu den allgemein zugänglichen Informationsquellen (vgl. BVerfGE 27, 71 (83 f.) =
NJW 1970, 235; BVerfGE 33, 52 (65) = NJW 1972, 1934; BVerfGE 35, 307 (309); vgl.
auch EGMR, NJW 1991, 620). Der Grundrechtsschutz erstreckt sich auch auf die
Voraussetzungen zur individuellen Erschließung allgemein zugänglicher
Informationsquellen. Infolgedessen fällt die Errichtung einer Parabolantenne,
die zum Empfang von über Satelliten ausgestrahlten Hörfunk- und
Fernsehprogrammen bestimmt ist, ebenfalls in den Schutzbereich des Grundrechts
auf Informationsfreiheit. Die Informationsfreiheit ist allerdings nicht
vorbehaltlos gewährleistet. Sie findet wie alle Rechte aus Art. 5 I GG ihre
Schranken gem. Art. 5 II GG in den allgemeinen Gesetzen. Zu diesen gehören auch
die miet- und eigentumsrechtlichen Bestimmungen des BGB. Diese müssen jedoch
ihrerseits wieder im Licht des betroffenen Grundrechts ausgelegt werden, damit
dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene zur Geltung
kommt (vgl. BVerfGE 7, 198 (208 f.) = NJW 1958, 257; st. Rspr.). Das erfordert
in Fällen wie diesem eine Abwägung zwischen den Informationsinteressen des
Mieters und den Eigentumsinteressen des Vermieters, die im Rahmen der Auslegung
und Anwendung des bürgerlichen Rechts vorzunehmen ist.
Mietrechtliche
Konflikte über die Errichtung von Außenantennen werden von den Fachgerichten
typischerweise anhand der §§ 535, 536, 242 BGB beurteilt (vgl. BayObLG 1981, 1 =
NJW 1981, 1275 = WuM 1981, 80; KG, NJW 1985, 2031). Für Fälle der vorliegenden
Art hat das OLG Frankfurt in seinem Rechtsentscheid vom 22. 7. 1992 (NJW 1992,
2490 = WuM 1992, 458) eine Güter- und Interessenabwägung vorgenommen, nach der
ein überwiegendes Interesse des Vermieters an der Verweigerung der Zustimmung
zur Installation einer Parabolantenne nur dann besteht, wenn das Haus über eine
Gemeinschaftssatelliten-Empfangsanlage oder einen Kabelanschuß verfügt oder wenn
ein solcher Anschluß zeitlich absehbar ist. Ist dies nicht der Fall, hat das
Eigentumsrecht hinter der Informationsfreiheit des Mieters zurückzutreten und
die Zustimmung ist zu erteilen. Das ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden. Zwar führt der Verweis auf den Kabelanschluß zu einer Beschränkung
der Informationsfreiheit des Mieters, da über die Parabolantenne
Satellitenprogramme empfangen werden können, die nicht in das Kabelnetz
eingespeist werden. Diese Beschränkung ist aber bei typisierender
Betrachtungsweise gerechtfertigt, weil der Mieter über den Kabelanschluß sein
Interesse, am Medienangebot teilzuhaben, weitgehend realisieren kann, sein
Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, also
nicht wesentlich beeinträchtigt wird (OLG Frankfurt, NJW 1992, 2490 (459) = WuM
1992, 458). Jedenfalls wird es von Verfassungs wegen im Regelfall nicht zu
beanstanden sein, wenn bei dieser Sachlage ein überwiegendes Interesse des
Vermieters angenommen wird, Störungen des äußeren Erscheinungsbildes des Hauses
durch Parabolantennen zu vermeiden.
Allerdings kann es im konkreten Fall geboten sein, besondere Eigentümer- oder Mieterinteressen, die bei der typisierenden Betrachtungsweise des Rechtsentscheids nicht miterfaßt werden, in die Güter- und Interessenabwägung einzubeziehen und zu gewichten. Die vom OLG Frankfurt (NJW 1992, 2490) in seinem Rechtsentscheid dargelegten Grundsätze stellen aber jedenfalls für die typische Spannungslage zwischen dem Grundrecht auf Informationsfreiheit des Mieters und den betroffenen Eigentümerinteressen des Vermieters ein Abwägungsergebnis dar, das der grundlegenden Bedeutung der betroffenen Grundrechte Rechnung trägt. Eine Rechtsanwendung der Fachgerichte, die mit diesen Grundsätzen übereinstimmt, ist daher von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
2. So verhält es sich bei den angegriffenen Entscheidungen. Zwar ist es mit dem Grundrecht der Informationsfreiheit nicht zu vereinbaren, daß das AG der Bf. die Anbringung einer Parabolantenne mit der Begründung versagt hat, daß die über Satellit empfangbaren Programme nur der Unterhaltung dienten. Diese Begründung trägt das Ergebnis aber nicht allein. Das AG hat vielmehr maßgeblich darauf abgestellt, daß der Anspruch auf Aufrechterhaltung intakten Eigentums den Vorrang genieße, weil die Bf. die Möglichkeit habe, vom Kabelnetz Gebrauch zu machen. Die dagegen erhobenen Rügen der Bf. greifen nicht durch. Zwar liegt in der Verweisung der Bf. auf das Programmangebot im Kabelnetz eine Beschränkung ihrer Informationsfreiheit, weil sie über eine Parabolantenne Zugriff auf weitere Satellitenrundfunk- und Fernsehprogramme hätte. Diese Beschränkung ist aber im vorliegenden Fall gerechtfertigt. Der den angegriffenen Entscheidungen zugrunde liegende Sachverhalt entspricht der typischen Spannungslage zwischen der Informationsfreiheit und dem durch Art. 14 I GG geschützten Vermieterinteresse, so daß das Abwägungsergebnis des AG, das auf der Linie des Rechtsentscheids des OLG Frankfurt vom 22. 7. 1992 (NJW 1992, 2490) liegt, der grundlegenden Bedeutung der Informationsfreiheit Rechnung trägt. Über den Durchschnittsfall hinausgehende berechtigte Interessen der Bf., die in der vom AG vorgenommenen Abwägung unberücksichtigt geblieben wären und ein anderes Ergebnis hätten gebieten können, sind von der Bf. nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.
Daß die Erforderlichkeit einer Auswahlentscheidung über die Einspeisung von Fernsehprogrammen in das Kabelnetz bei knappen Übertragungskapazitäten keine Zensur i. S. des Art. 5 I 3 GG darstellt, bedarf keiner weiteren Erörterung (vgl. insoweit BVerfGE 33, 52 (71 ff.) = NJW 1972, 1934; BVerwGE 83, 130 (155) = NJW 1991, 1471).
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