Ausgleichsanspruch des Versicherungsvertreters
Gericht
BAG
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
21. 05. 1985
Aktenzeichen
3 AZR 283/83
Bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB kommt es vor allem auf die Abschlußprovisionen an, die der Handelsvertreter durch die Beendigung seines Vertragsverhältnisses verliert. Aber auch Bestandspflegeprovisionen sind insoweit zu berücksichtigen, wie sie die Kundenbetreuung im Interesse künftiger Geschäftsabschlüsse vergüten. Hingegen sind Provisionen, die nur Verwaltungstätigkeiten entlohnen (Inkasso, Lagerhaltung, Schadensermittlung) für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs unerheblich.
Auszüge aus Sachverhalt:
Die Parteien streiten darüber, ob der Kl. nach § 89b HGB einen Ausgleich für entgangene Provisionen verlangen kann. Der Kl. war seit dem 1. 4. 1968 als angestellter Außendienstmitarbeiter und seit dem 1. 1. 1969 als selbständiger Versicherungsvertreter für die Bekl. tätig. Die Parteien hatten die Provisionsansprüche des Kl. zuletzt durch schriftlichen Vertrag vom 23./29. 5. 1972 geregelt. Danach erhielt der Kl. für die von ihm vermittelten Rechtsschutz-Versicherungsverträge mit 5-jähriger Laufzeit eine einmalige Abschlußprovision von 60 % und vom ersten Versicherungsjahr an als "Bestandspflegeprovision" 6 % der jährlichen Nettoprämie. Für den von ihm übernommenen oder vor dem 1. 5. 1972 erarbeiteten Vertragsbestand hatte der Kl. eine 10 %ige Bestandspflegeprovision zu beanspruchen. Nach § 5 Nr. 13 der Anlage zum Provisionsvertrag wurde Bestandspflegeprovision gezahlt, "solange der vom Mitarbeiter geworbene Versicherungsnehmer seinen Wohnsitz innerhalb des Tätigkeitsgebietes des Mitarbeiters hat und der Versicherungsnehmer durch den Mitarbeiter sorgsam betreut wird". Sie konnte entzogen werden, wenn Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß vom Mitarbeiter betreut wurden (Erledigung von Bearbeitungsaufträgen, Aufnahme von Schadenanzeigen usw.). Das Vertragsverhältnis der Parteien endete durch ordentliche Kündigung der Bekl. am 30. 9. 1979. Der Kl. hätte bei dessen Fortsetzung unstreitig eine Bestandspflegeprovision von monatlich 1215 DM verdient. Ein Ausgleich nach § 89b HGB wurde dem Kl. nicht gewährt. Der Kl. hat geltend gemacht, die Bekl. könne durch den von ihm geschaffenen Versicherungsbestand Folgeabschlüsse tätigen und habe daher auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses aus seiner Tätigkeit erhebliche Vorteile. Dafür habe er einen Ausgleich nach § 89b HGB zu beanspruchen, für dessen Berechnung die Bestandspflegeprovision von 6 % zugrunde zu legen sei. Diese sei nicht nur eine Verwaltungsprovision, sondern Teil seiner Abschlußprovision.
Das ArbG hat dem Kl. einen Ausgleichsanspruch in Höhe von 21870 DM zugesprochen. Die Berufung der Bekl. blieb erfolglos. Die - zugelassene - Revision der Bekl. führte zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LAG.
Auszüge aus den Gründen:
... I. Nach § 89b V i. V. mit I 1 HGB kann der Versicherungsvertreter von dem Unternehmer einen angemessenen Ausgleich verlangen, wenn der Unternehmer aus der Vermittlung neuer Versicherungsverträge durch den Vertreter auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat, der Vertreter infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses Ansprüche aus Provision verliert, die er bei dessen Fortsetzung aus bereits vermittelten oder künftig zustande kommenden Verträgen hätte, und die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entspricht.
... 2. Ohne Rechtsfehler ist das LAG davon ausgegangen, daß Vertreter den Ausgleich in erster Linie wegen des Verlustes von Abschlußprovisionen verlangen können. Daraus folgt jedoch nicht, daß Bestandspflegeprovisionen stets unberücksichtigt bleiben müßten.
Der BGH hat in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre eine Beschränkung des Ausgleichsanspruchs aus Sinn und Zweck des § 89b HGB geschlossen. Dieser soll dem Handels- und Versicherungsvertreter eine Vergütung nur für Vorteile gewähren, die der Unternehmer auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses aus der Tätigkeit des Vertreters zieht. Bleibende Vorteile hat aber der Unternehmer im allgemeinen nur aus der für die Vermittlung neuer Geschäfte (hier: Versicherungsverträge) ursächlichen Tätigkeit des Vertreters, nicht aber aus verwaltender, für den Handels- und Versicherungsvertreter auch nicht typischer Tätigkeit, wie z. B. Lagerverwaltung, Inkasso u. a. (vgl. BGH, NJW 1959, 1430 (1431, 1432); BGH, BB 1971, 105; ebenso Baumbach-Duden-Hopt, HGB, 26. Aufl., § 89b Anm. 2 C und 3 A; Haumann, GK-HGB, 3. Aufl., § 89b Rdnr. 13; Bohnenberg, HGB, § 89b Anm. VI 2; Brüggemann, in: Großkomm. z. HGB, 3. Aufl., § 89b Anm. 29; Höft, VersR 1970, 97 ff. m. w. Nachw.). Dem stellt das LAG die Ansicht Schröders (in: Schlegelberger-Schröder, HGB, 5. Aufl., § 89b Rdnr. 41c, näher unter 41 d) gegenüber. Dieser betont, auch Verwaltungsprovisionen und Bestandspflegegelder seien ausgleichspflichtig, soweit sie für Verträge, die der Versicherungsvertreter vermittelt hat, gezahlt werden und bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses weitergezahlt werden müßten. Solche Provisionen seien Einnahmen, die der Vertreter als unmittelbare Folge der ihm geglückten Vermittlung während der Dauer des Vertreterverhältnisses zu beanspruchen gehabt habe und die ihm durch die Beendigung des Vertragsverhältnisses entgingen. Der Ausgleich solle alle durch die Beendigung des Vertreterverhältnisses auf seiten des Versicherers wie des Versicherungsvertreters eintretenden Vor- und Nachteile umfassend berücksichtigen. Der Vorteil des Versicherers liege in dem angesammelten Versicherungsbestand, der Nachteil des Vertreters in dem Wegfall der mit seiner Tätigkeit verbundenen Vergütung. Das Gesetz gehe, wie aus der amtlichen Begründung eindeutig erkennbar werde, davon aus, daß ein Vorteilsausgleich auch dann durch Gewährung des Anspruchs nach § 89b HGB durchzuführen sei, wenn der Vertreter die Abschlußprovision für alle von ihm vermittelten Geschäfte bereits erhalten habe. Der Ausgleichsanspruch beruhe gerade auf dem Gedanken, daß Abschlußprovisionen für sich allein keine Abgeltung des Dauervorteils darstellten, der dem Unternehmen durch den geworbenen Versicherungsbestand zuwachse.
Schröder ist darin zuzustimmen, daß die Leistung des Vertreters durch die Abschlußprovision noch nicht voll abgegolten ist und daß der Zweck des Ausgleichs nach § 89b HGB darin besteht, dem Vertreter eine Gegenleistung für die Dauervorteile zukommen zu lassen, die sich für das Unternehmen aus dem geworbenen Versicherungsbestand ergeben. Nach dem Wortlaut des § 89b I Nr. 2 HGB kommt es für die Frage, welcher Ausgleich angemessen ist, darauf an, welche Provisionen der Vertreter hätte, wenn das Vertragsverhältnis fortgesetzt worden wäre. Dem auszugleichenden Nachteil des Vertreters müssen jedoch "erhebliche Vorteile" (§ 89b I Nr. 1 HGB) gegenüberstehen. Das bedeutet, daß der Vertreter nicht für alle Zahlungen, die er neben der Abschlußprovision erhalten hat, einen Ausgleich verlangen kann. Ausscheiden müssen Zahlungen für Tätigkeiten des Vertreters, aus denen dem Unternehmen nach Beendigung des Vertragsverhältnisses kein geldwerter Vorteil verbleibt. Das gilt z. B. für reine Verwaltungsarbeiten, wie die Entgegennahme von Schadensmeldungen, die Beantwortung von Kundenanfragen, Inkasso, Lagerhaltung u. ä., die auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses von einem Arbeitnehmer oder Vertreter ausgeführt und diesem vergütet werden müssen. Schröder scheint das ebenso zu sehen; unberücksichtigt bleiben nach seiner Ansicht solche Vergütungen, die sich nicht auf die vom Vertreter vermittelten neuen Verträge beziehen, sondern ein Entgelt für die allgemeine Tätigkeit des Vertreters darstellen (vgl. Schröder, Rdnr. 41c a. E.).
Der Senat sieht keinen Gegensatz zwischen der herrschenden Meinung und der Auffassung Schröders. Die scheinbare Kontroverse macht nur deutlich, daß die Bemessung des Ausgleichs bei Versicherungsvertretern in tatsächlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten bereitet. Wie bereits der BGH hervorgehoben hat (vgl. BGH, BB 1971, 105 (zu 1)), ergeben sich diese Schwierigkeiten daraus, daß in den Vertreterverträgen oft nicht eindeutig zum Ausdruck kommt, inwieweit sich Provisionen auf die Vermittlung und Erhaltung neuer Verträge beziehen oder als Entgelt für andere Leistungen anzusehen sind. Der BGH hat daher zu Recht in ständiger Rechtsprechung (vgl. BB 1971, 105 (zu 1) m. w. Nachw.) nicht nur auf die im Vertretervertrag verwendete Bezeichnung der Vergütungen abgestellt. Der Tatrichter müsse vielmehr untersuchen, ob in einer etwa als Verwaltungs- oder Inkassoprovision bezeichneten Vergütung ein Entgelt für Vermittlungstätigkeit enthalten sei. Dem BGH ist auch darin zu folgen, daß die Schwierigkeiten, die hierbei auftreten können, nicht unüberwindlich sind; Art und Umfang der dem Versicherungsvertreter im einzelnen übertragenen Aufgaben in Verbindung mit Zusammensetzung und Bemessung der Vergütung lassen Rückschlüsse auf deren Funktion zu.
II. Nach den bisher vom LAG getroffenen Feststellungen läßt sich nicht klären, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang es sich bei der 6 %igen Provision, die der Kl. bei 5-jährigen Verträgen ab dem ersten Versicherungsjahr jährlich erhielt, um eine Ergänzung der 60 %igen Abschlußprovision oder um eine Vergütung für reine Verwaltungstätigkeiten handelte, die unabhängig von der Aufgabe anfällt, mit den gewonnenen Kunden im Interesse künftiger Geschäftsabschlüsse Kontakt zu halten.
1. Aus dem Wortlaut des Vertrages vom 23./29. 5. 1972 und aus § 5 Nr. 13 seiner Anlage ergibt sich nur, daß die "Bestandspflege-Provision" dafür gezahlt wird, daß der Mitarbeiter den Versicherungsnehmer "sorgsam betreut". Unter sorgsamer Betreuung wird, wie sich einem Klammerzusatz entnehmen läßt, verstanden: "Erledigung von Bearbeitungsaufträgen, Aufnahme von Schadenanzeigen usw." ...
2. ... Aus der Aussage des Zeugen F ließt sich nicht entnehmen, welcher Anteil der Provision auf Verwaltungsaufgaben, auf Bestandspflege im Sinne von Bestandserhaltung und auf den Vermittlungserfolg entfiel und ob überhaupt die Vermutung zutraf, es handele sich hier teilweise um eine nachträgliche Vergütung für den Abschluß. Um in dieser Tatfrage Klarheit zu gewinnen, hätte das LAG dem Vortrag des insoweit darlegungspflichtigen Kl. nachgehen müssen. Dieser hat behauptet, er hätte, wenn er nicht auf einen Bestand hingearbeitet hätte, die Möglichkeit gehabt, sich sofort eine Provision in Höhe von 100 % als Abschlußprovision auszahlen zu lassen; er hätte dann allerdings in der Folgezeit keine Bestandspflegeprovision erhalten. Bestand eine solche Wahlmöglichkeit der Versicherungsvertreter im Betrieb der Bekl. tatsächlich, so läßt dies den Schluß darauf zu, daß es der Bekl. vorwiegend um den Abschluß ging, daß sie die Bestandspflege jedoch nicht besonders vergüten wollte. Verstärkt würde diese Annahme, wenn die weitere Behauptung des Kl. zuträfe, nach der die Kundenbetreuung als solche der Bezirksdirektion W. oblag ... Sollte die Beweisaufnahme ergeben, daß die Bekl. neben dem Vermittlungserfolg auch die Bestandspflege besonders vergüten wollte, so kommt es darauf an, welcher Anteil des entsprechenden Provisionssatzes auf echte Bestandspflege im Sinne von Bestandserhaltung und welcher auf reine Verwaltungstätigkeit entfiel. Nur ersterer ist ausgleichspflichtig. Da die Parteien bisher keine Gelegenheit hatten, zu dieser Unterscheidung Stellung zu nehmen, muß ihnen insoweit rechtliches Gehör gegeben werden. Das LAG wird, wenn es aufgrund der erneuten mündlichen Verhandlung zu dem Ergebnis kommt, daß dem Kl. eine Vergütung für die Bestandserhaltung zustand, gegebenenfalls die übliche Vergütung i. S. des § 612 II BGB feststellen müssen ...
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