Ausschluss des Umgangsrecht des nichtsorgeberechtigten Elternteils aus Gründen des Kindeswohls
Gericht
OLG Hamm
Art der Entscheidung
Beschluss über Beschwerde
Datum
20. 11. 1998
Aktenzeichen
11 UF 12/98
Das Umgangsrecht des nichtsorgeberechtigten Elternteils ist aus Gründen des Kindeswohls auszuschließen, wenn das Kind Kontakte ablehnt und aufgrund seiner derzeitigen Verfassung und Einstellung nicht in der Lage ist, die durch Besuchskontakte entstehende Konfliktsituation zu bewältigen. Die Verweigerung der Kontakte muß dabei auf einer inneren Ablehnung beruhen, der nicht sachgerecht verarbeitete Ereignisse zugrunde liegen.
Auszüge aus den Gründen:
I.
Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Sie streiten um das
Umgangsrecht des ASt. mit seinen beiden Töchtern B., geb. 1986,
und S., geb. 1987. Folgendes liegt zugrunde:
Die Parteien stammen aus der Republik Mazedonien, wo sie im September 1985 geheiratet haben. Die beiden Kinder wurden dort geboren. Im August 1989 kam die Familie nach Deutschland, um hier Asyl zu beantragen. Ihnen wurde eine Wohnung in C. zugewiesen. Hier wurden die Kinder auch eingeschult. Die Asylanträge wurden abgelehnt. Die Ablehnung wurde Anfang 1995 rechtskräftig. Die Abschiebung drohte. In diesem Zusammenhang brachen ehel. Konflikte auf. Am 14. 3. 1995 ließ sich die AGg. wegen angeblicher Mißhandlung durch den ASt. in einem Krankenhaus behandeln und anschließend mit beiden Töchtern im Frauenhaus aufnehmen. In der Folgezeit stritten die Parteien in verschiedenen Verfahren um die Betreuung der Kinder. Nach einem kurzfristigen Versöhnungsversuch Mitte Mai, der scheiterte, übertrug das AmtsG die elterl. Sorge für beide Kinder auf die AGg. Dagegen legte der ASt. Beschwerde ein und versuchte gleichzeitig, die AGg. zur Wiederaufnahme der ehel. Lebensgemeinschaft zu bewegen. Sie kehrte aber bereits nach vier Tagen ins Frauenhaus zurück. B. folgte der Mutter. S. blieb beim Vater. Der ASt. führte daraufhin die Beschwerde gegen die Sorgerechtsentscheidung durch, die jedoch zurückgewiesen wurde.
Gleichwohl ist S. weiter beim Vater geblieben. Am 13. 9. 1995 kam er mit ihr zu einer vereinbarten Besprechung beim Jugendamt. Als die AGg. seiner Absicht widersprach, mit S. nach Mazedonien zurückzukehren, und die Herausgabe des Kindes verlangte, floh er mit diesem. Am 14. 9. 1995 erließ das AmtsG einen Herausgabebeschluß, aufgrund dessen S. am 16. 9. 1995 unter Polizeischutz beim ASt. abgeholt wurde.
Weil die AGg. fortan Besuchskontakte verweigerte, hat der ASt. eine einstweilige Anordnung zur Regelung seines Umgangsrechts beantragt. Zu einer Entscheidung über den Antrag kam es nicht mehr, weil der ASt. wegen drohender Abschiebung im Januar 1996 untertauchte.
Die Ehe der Parteien wurde durch Urteil des AmtsG v. 6. 3. 1996 geschieden, die elterl. Sorge für beide Töchter endgültig der AGg. übertragen.
Anfang 1997 endete die Gefahr der Abschiebung für den ASt. Er hat inzwischen durch die Heirat [mit einer Deutschen] ein dauerndes Aufenthaltsrecht. Im vorliegenden Verfahren hat er einen Antrag auf Regelung des Umgangs mit seinen beiden Kindern gestellt.
Die AGg. hat demgegenüber einen Ausschluß des Umgangsrechts beantragt und zur Begründung ausgeführt, wegen der Ereignisse im Zusammenhang mit ihrer Trennung vom ASt. lehnten die Kinder den Umgang mit dem Vater entschieden ab. Es bestehe auch nach wie vor die Gefahr, daß der ASt. die Besuchskontakte mißbrauche, um mit den Kindern unterzutauchen.
Das Jugendamt [JA] hat die Kinder angehört und den Eindruck gewonnen, sie hätten aufgrund früher beobachteter Gewalttätigkeiten des Vaters Angst vor Kontakten. Auch eine Kontaktanbahnung im Beisein des JA hätten sie abgelehnt. Bei dieser Ablehnung sind die Kinder auch bei ihrer gerichtlichen Anhörung geblieben.
Das AmtsG hat den Antrag auf Einräumung eines Umgangsrechts zurückgewiesen und eine erneute Antragstellung bis zum 30. 4. 1999 ausgeschlossen. Zur Begründung hat es ausgeführt, zwar habe früher eine enge Bindung der Kinder zum Vater bestanden. Grundsätzlich entspreche es daher dem Wohl der Kinder, die Kontakte zum Vater zu erneuern. Z. Z. könne das aber nicht angeordnet werden, weil die Kinder aus einer verfestigten inneren Einstellung heraus Kontakte zum Vater ablehnten.
II.
Die [dagegen erhobene] Beschwerde bleibt in der Sache ohne
Erfolg. Das AmtsG hat zu Recht entschieden, daß z. Z. ein
Umgangsrecht wegen des starken Widerstandes der Kinder
nicht durchführbar ist. Der zeitlich begrenzte Ausschluß von
Kontakten bis zum Ablauf des 30. 4. 1999 war deshalb zu
bestätigen.
Zwar ist für die gedeihliche seelische Entwicklung von Kindern und die psychische Verarbeitung einer Familienauflösung in aller Regel bedeutsam, die Beziehung zu dem nichtsorgeberechtigten Elternteil aufrechtzuerhalten. Dennoch kann das in § 1684 BGB geregelte Umgangsrecht des nichtsorgeberechtigten Elternteils gemäß Abs. IV dieser Vorschrift dann ausgeschlossen werden, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Hier steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats fest, daß die Durchführung der vom ASt. gewünschten Besuchskontakte zu einer konkreten Gefährdung des Kindeswohls führen müßte. Der Ausschluß des Umgangsrechts ist deshalb berechtigt.
1. Ein Ausschluß des Umgangsrechts ist dann geboten, wenn ein Kind Kontakte mit dem nichtsorgeberechtigten Elternteil ablehnt und aufgrund seiner derzeitigen Verfassung und Einstellung nicht in der Lage ist, die Konfliktsituation, der es durch Besuchskontakte ausgesetzt wäre, zu bewältigen. Die Ablehnung von Kontakten muß dabei auf einer inneren Ablehnung beruhen, der tatsächliche oder auch eingebildete, nicht sachgerecht verarbeitete Ereignisse zugrunde liegen. In einem derartigen Fall würde eine gewaltsame Durchsetzung des Umgangsrechts mit seinem Zweck im allgemeinen ebenso unvereinbar sein wie mit dem Persönlichkeitsrecht des Kindes (so OLG Celle, FamRZ 1998, 1459; Johannsen/Henrich, Eherecht, 3. Aufl., § 1684 BGB Rz. 41).
Nach den getroffenen Feststellungen haben B. und S. eine derartige innere Abneigung gegen den ASt., daß die gewaltsame Durchsetzung eines Umgangsrechts das Kindeswohl akut gefährden würde.
a) Die Sachverständige [SV] K. hat nach ihrer sorgfältigen Exploration festgestellt, die Kinder hätten aufgrund eigener Bewertung eine ablehnende Einstellung gegenüber ihrem Vater, die durch Angst, Hilflosigkeit, Wut und Abneigung gekennzeichnet sei. Auf die gestellten Fragen, auch schwierigere Querfragen, hätten sie überlegt und differenziert geantwortet und dabei das eigene Denken und Fühlen erkennen lassen. Stereotype Formulierungen, typisch für stark beeinflußte Kinder, seien nicht aufgetaucht.
Diese innere Abneigung hat auch der Senat bei der persönlichen Anhörung der Kinder bestätigt gefunden. B. und S. waren trotz der ungewohnten Situation relativ unbefangen und haben klar zum Ausdruck gebracht, sie wollten den Vater nicht sehen, obwohl die Mutter das gestatten würde. Wenn sie ihn träfen, kämen alte Erinnerungen auf, die nicht schön seien.
b) Daß die bekundete Abneigung nicht echt, sondern nur auf Drängen der AGg. vorgeschoben sei, ist nicht ersichtlich.
Die Kinder führen, wie die Exploration der SV ergeben hat, ihre Wut und Abneigung auf die Konflikte zwischen Vater und Mutter zurück. Zwar sind die Berichte über gewalttätiges Handeln des Vaters ganz überwiegend nicht nachprüfbar, zumindest aber in einem Kern real. Als sich die Parteien am 31. 7. 1995 zufällig trafen, kam es in Gegenwart der Kinder zu einer Auseinandersetzung, nach der die AGg. behandlungsbedürftige und ärztlich bestätigte Verletzungen hatte. Zur Entstehung der dokumentierten Verletzungen hat der ASt. keine nachvollziehbaren Erklärungen gegeben. B. und S. haben damals zeitnah bestätigt, der ASt. habe die AGg. in den Nacken gefaßt bzw. ihr am Kopf weh getan. Damit steht ein realer Hintergrund für die Ängste der Kinder fest. Ihre protokollierten Aussagen zeigen, daß sie die Spannungen, die sich im Zuge der Trennung zwischen den Eltern aufbauten, als vom Vater bestimmt erlebt haben.
Ein deutlicher Hinweis auf die Realität der Angst ergibt sich auch aus B.'s Reaktion auf die Aufforderung der SV, sie zum Gespräch mit dem ASt. zu begleiten. Obwohl B. vorher erklärt hatte, sie sei grundsätzlich zu Besuchskontakten bereit, wurde sie auf die konkrete Aufforderung, den Vater zu sehen, blaß und machte einen Rückzieher.
c) Inwieweit die festgestellte Angst auch darauf beruht, daß die AGg. die Kinder mit Erzählungen über angebliche Gewalttätigkeiten des Vaters beeinflußt hat, ist unerheblich.
Auch wenn sich die ablehnende Haltung der Kinder in ihrer heutigen Form durch Identifizierung mit den Erzählungen der sorgeberechtigten Mutter oder auch durch deren gezielte Beeinflussung gebildet hat, ist das ein hinzunehmendes Faktum, will man nicht die Kinder für die Erziehungsfehler des Sorgeberechtigten bestrafen. Angst bleibt Angst, auch wenn sie nur auf Einbildung beruht.
2. Dem Einwand des ASt., bei einer systematischen Entfremdung der Kinder vom nichtsorgeberechtigten Elternteil könne und müsse ein gerichtlich angeordneter und durchgesetzter Umgang die Entfremdung durchbrechen, folgt der Senat nicht. Es mag sein, daß eine solche Maßnahme in Einzelfällen dazu führen kann, die Grundlage für einen wieder unbelasteten Umgang zu schaffen. Es ist aber nicht ersichtlich, wie prognostiziert werden soll, ob die gerichtliche Anordnung eines Umgangs dem Kind hilft, seine Ängste zu überwinden, oder ob eine solche Anordnung die Ängste unter Gefährdung des Kindeswohls verstärkt. Es geht nicht an auszuprobieren, wie das Kind reagiert. Vielmehr ist geboten, daß der nicht sorgeberechtigte Elternteil, dem gegenüber die Ablehnung besteht, den Kindern hilft, ihre Ängste abzubauen, indem er ihre Ablehnung zunächst akzeptiert. Nur so kann eine neue Vertrauensbasis geschaffen werden, auf der zu einem späteren Zeitpunkt erneut geprüft werden kann, ob das bestehende Umgangsrecht ohne Gefährdung des Kindeswohls wieder ausgeübt werden kann.
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