Dauernder Ausschluß der Umgangsbefugnis des Vaters bei nachhaltig ablehnender Haltung der Tochter

Gericht

OLG Thüringen


Art der Entscheidung

Beschluss über weitere Beschwerde


Datum

21. 03. 1995


Aktenzeichen

7 UF 73/91


Leitsatz des Gerichts

Zum dauernden Ausschluß der Umgangsbefugnis des Vaters bei nachhaltig ablehnender Haltung der (hier: 16jährigen) Tochter.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Der ASt. hat beim KreisG - FamG - E. eine Festlegung des Umgangsrechts mit seiner 1978 geborenen Tochter beantragt. Durch Beschluß v. 22. 8. 1991 hat das KreisG den Antrag zurückgewiesen, ohne den Umgang in bestimmter Weise zu regeln oder aber auszuschließen. Die Beschwerde des ASt. hat das BezG E. zurückgewiesen. Nach weiterer Beschwerde des ASt. hat der BGH die das KreisG bestätigende Entscheidung des BezG aufgehoben und entschieden, daß ein zur Umgangsregelung angerufenes FamG entweder Umfang und Ausübung der Umgangsbefugnis konkret regeln oder, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich sei, die Umgangsbefugnis ebenso konkret einschränken oder ausschließen müsse, sich aber jedenfalls im Regelfall nicht auf die Ablehnung einer gerichtlichen Regelung beschränken dürfe.

Das Verfahren hat der BGH mit Beschluß v. 27. 10. 1993 [= FamRZ 1994, 158] an das BezG zurückverwiesen, dessen Zuständigkeit am 1. 9. 1993 auf das OLG - FamS - übergangen war.

Der ASt. hat dann beantragt, unter Aufhebung des Beschlusses des KreisG E. v. 22. 8. 1991 die nach den Erhebungen des zu beauftragenden Sachverständigen erforderlichen Maßnahmen im Kontaktbereich zu treffen.

In einem weiteren Verfahren hat der ASt. beim KreisG - FamG - E. mit Schriftsatz v. 14. 5. 1992 beantragt, die Anordnung zum Erziehungsrecht des KreisG E. v. 27. 2. 1990 dahin abzuändern, daß die elterl. Sorge für die Tochter der Mutter und dem Vater gemeinsam, hilfsweise dem Vater allein, hilfsweise dem Jugendamt als Vormund übertragen werde, und die Anträge dann dahin abgeändert,

ein Umgangsrecht des Vaters mit dem Kind festzusetzen,

ferner, unter Einschränkung des Sorgerechts der Mutter, eine Aufenthaltsbestimmungspflegschaft einzurichten,

hilfsweise, das Sorgerecht dem Vater zu übertragen.

Das AmtsG - FamG - E. hat mit Beschluß v. 2. 3. 1994 diese Anträge zurückgewiesen. Mit seiner Beschwerde hiergegen hat der ASt. seine erstinstanzlichen Anträge auf Einrichtung einer Aufenthaltsbestimmungspflegschaft zur Durchführung des Umgangs und hilfsweise Übertragung des Sorgerechts auf sich weiterverfolgt.

Beide beim OLG anhängigen Verfahren sind zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung durch den Senat verbunden worden.

Zu den verbundenen Verfahren beantragt der ASt. nunmehr, unter Einschränkung des Sorgerechts der Mutter eine Aufenthaltsbestimmungspflegschaft zur Durchführung des Umgangs einzurichten, hilfsweise, ihm das Sorgerecht zu übertragen, alles mit der Maßgabe, ihm einen Umgang mit seiner Tochter zu gewähren.

Die Beschwerden sind form- und fristgerecht eingelegt und auch ansonsten zulässig.

In der Sache haben beide Beschwerden, die inhaltlich im Kern auf eine Regelung der Umgangsbefugnis des ASt. mit seiner Tochter zielen, im Ergebnis keinen Erfolg. In Abänderung der angefochtenen Beschlüsse war vielmehr die Befugnis des ASt. zum persönlichen Umgang mit seiner Tochter für die Dauer ihrer Minderjährigkeit auszuschließen. Dieser schwerstmögliche Eingriff in das generelle Umgangsrecht des Vaters ist vorliegend zum Wohle des Kindes erforderlich (§ 1634 II S. 2 BGB), da eine weniger einschneidende Maßnahme nicht durchführbar ist, ohne das Kindeswohl konkreter Gefährdung auszusetzen. In erster Linie hieran, nämlich an der Wahrung des Kindeswohls, ist die Entscheidung nach allen zitierten Rechtsordnungen, auch den inter- und supranationalen, zu messen. Eine Gefährdung des Kindeswohls duldet keinerlei Recht.

Durch die persönliche Umgangsbefugnis soll einem nicht sorgeberechtigten Elternteil die Möglichkeit gegeben werden, sich von der Entwicklung und dem Wohlergehen seines Kindes laufend zu überzeugen und die bestehenden natürlichen Bande zwischen Eltern und Kind zu pflegen (BGH, FamRZ 1969, 148, 149; Palandt/Diederichsen, BGB, 54. Aufl., § 1634 Rz. 5). Diese Befugnis hat jedoch nach § 1634 II S. 2 BGB dann zurückzutreten, wenn es sich für den Schutz des Kindes und seines seelischen und/oder körperlichen Wohles als erforderlich erweist, sein Zusammensein mit dem nicht sorgeberechtigten Elternteil zu verhindern.

Dies ist vorliegend der Fall. Die vom ASt. beantragte positive Regelung des Umgangsrechts würde zumindest die seelische Entwicklung seiner Tochter nach Überzeugung des Senats erheblich gefährden. [Sie] lehnt ihren Vater und ein Zusammensein mit ihm seit Jahren entschieden und tiefgründig ab, was sich letztmalig bei ihrer Anhörung vor dem Senat am 10. 11. 1994 zweifelsfrei ergeben hat. Nachdem sich das jetzt 16jährige Mädchen noch vor etwa fünf Jahren in der Trennungs- und Scheidungsphase ihrer Eltern für keinen der beiden entscheiden konnte, beide herzlich lieb hatte und keinem wehtun wollte, auch zunächst abwechselnd bei Vater und Mutter wohnte, ist es dann zur endgültigen Zuwendung zur Mutter und Ablehnung des Vaters gekommen, als dieser zu viel Hinwendung und Liebe von ihr verlangte und nach ihren Empfindungen aufdringlich geworden ist. Er habe sie nie allein gelassen, sei immer hinter ihr hergelaufen, selbst ins Badezimmer, obwohl sie sich alleine habe waschen wollen. Wenn er zärtlich zu ihr gewesen sei, habe sie den Eindruck gehabt, er küsse sie nicht wie eine Tochter, sondern wie eine Freundin. Heute halte sie ihn für total krank und habe Angst vor ihm. Sie befürchte, daß er unberechenbar werden könne, etwa die Rolläden ihres Schlafzimmers von außen hochschieben und ihr etwas tun könne. Nunmehr habe sie ihn aus ihrem Leben geschlossen und wünsche, er würde das ebenso tun.

Diese seelischen Beweggründe des Kindes, die unbeirrt klar formuliert werden und nachvollziehbar sind, sind gegenüber dem Interesse und der Befugnis des ASt. an Kontakt und Umgang mit seiner Tochter zum notwendigen Schutz ihrer ungestörten psychischen Entwicklung vorrangig. Unter Berücksichtigung der vom Senat festgestellten subjektiven Ernsthaftigkeit und innerlichen Betroffenheit des Kindes sowie seines Alters und seiner Persönlichkeitsentwicklung muß die Umgangsbefugnis des ASt. gegenüber der Bewahrung des Kindes vor seelischer Gefährdung zurücktreten. Mögen die von ihr dargelegten Gründe für die Ablehnung des Vaters auch lediglich subjektiv von ihr so empfunden werden und aus Sicht und Handlungsweise des Vaters oder gar objektiv nicht zutreffen, so sind sie doch schwerwiegend, ernstzunehmen und zu respektieren, um das Mädchen vor nachhaltigen Entwicklungsschäden zu bewahren.

Es mutet geradezu grotesk an, wenn der Vater entgegen jahrelanger schriftlicher und mündlicher Bekundung des mittlerweile fast erwachsenen und zu einer selbstbewußten, sehr selbständigen Persönlichkeit herangereiften Mädchens, den Vater und jeden Kontakt zu ihm aus Angst, Ekel, Haß und schließlich gewonnener Gleichgültigkeit abzulehnen, nach wie vor unbeirrt und völlig unfundiert behauptet, es entspreche ihrem eigenen und wirklichen Willen, mit ihm, zu dem sie weiterhin eine enge emotionale Bindung habe, regelmäßigen Kontakt auszuüben. Nichts kann sein Unverständnis für die Bedürfnisse und Empfindungen des Mädchens besser verdeutlichen.

Angesichts des Alters der Tochter und ihrer auffällig positiv entwickelten und ansonsten auch ausgeglichenen Persönlichkeit, von der sich der Senat bei der persönlichen Anhörung unschwer überzeugen konnte, einer Persönlichkeit, die den Vater auch sichtlich mit Stolz erfüllte, und angesichts auch der deutlich fortgeschrittenen Akzeleration, scheint es desgleichen abwegig, ihre Haltung - wie die eines Kleinkindes - allein negativer Beeinflussung durch die Mutter zuzuschreiben und ihr die eigene Empfindung, Meinungs- und Willensbildung damit abzusprechen. Insofern unterscheidet sich dieser auch von den vom ASt. zitierten Fällen

des OLG Bamberg, FamRZ 1985, 1175 ff. (3jähriges Kind), OLG Celle, FamRZ 1989, 892 (wo keine unüberwindbare Abwehrhaltung der ebenfalls älteren Kinder feststellbar war), AmtsG Aalen, FamRZ 1991, 360 (Mutter schürt Haß der Bereitschaft zum Umgang zeigenden 12jährigen), BezG Erfurt, NJW-RR 1993, 1481 (8jähriges von Außenwelt isoliertes Kind), OLG München, FamRZ 1991, 1343 (7jähriges Kind, Mutter boykottiert auch Verfahren).

Im übrigen hat schon die Gutachterin im Scheidungsverfahren der Eltern i. J. 1989 wie in der Berufungsinstanz 1990 nachvollziehbar und überzeugend aufgrund der vorgenommenen Untersuchungen und angestellten Tests festgestellt, daß die Haltung des Kindes nicht, wie vom Vater vermutet, widersprüchlich und von der Mutter beeinflußt ist, der Vater vielmehr seine Bedeutung für [das Kind] überschätzt, seine eigene Abhängigkeit als solche des Kindes verallgemeinert, [die Tochter] seine liebesbetonte Beziehung zu ihr beunruhigt. Die Prognose des BezG im Berufungsurteil v. 13. 9. 1990, der Vater müsse sich von der Vorstellung der Beeinflussung des Mädchens (durch die Mutter) lösen und in die Gedanken- und Gefühlswelt seiner Tochter hineinzuversetzen versuchen, nur so werde er erkennen, daß er ihre Liebe nur behalten kann, wenn er ihre (damals auf das Sorgerecht bezogene) Entscheidung akzeptiert, hat sich bitter bewahrheitet. Die auf die Empfindungen und den Willen des Kindes in keiner Weise Rücksicht nehmende Hartnäckigkeit, mit der der ASt. sein Umgangsrecht nicht nur in vielfältigen Verfahren seit fünf Jahren mit allen Mitteln durchzusetzen versucht, hat das Kind bis hin zur Entwicklung von Haßgefühlen und Ekel permanent verunsichert, geängstigt und ihre höchstpersönliche, von dritter Seite insofern jedenfalls unbeeinflußte innere Abwehrhaltung und Ablehnung gegenüber dem Vater verfestigt, wie sie stetig in allen Äußerungen eindeutig und unmißverständlich zum Ausdruck kommt.

Darüber hinaus würde die Durchsetzung einer Umgangsbefugnis des ASt. entgegen ihrem beachtlichen Willen ihrem eigenen grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I GG) widersprechen. Dem intelligenten und in seiner Persönlichkeit weit entwickelten 16jährigen Mädchen ist es bewußt, daß ein fehlender Umgang zwischen Vater und Kind die persönlichen Beziehungen ausgrenzt. Mögliche Folgen einer wachsenden Entfremdung hat sie sich eingehend überlegt und vor Augen gehalten, wie der Senat bei ihrer Anhörung festgestellt hat. Bei solcher strikten, tief verwurzelten und vielfach durchdachten Ablehnung könnte eine Umgangsregelung gegen ihren schon angesichts ihres Alters und ihrer Persönlichkeitsentwicklung sehr ernst zu nehmenden Willen, der nicht außer acht gelassen werden kann, wenn überhaupt, dann nur zwangsweise durchgesetzt werden. Sie hat eindeutig erklärt, sie ginge nicht mit, wenn man sie zwingen sollte, den Vater zu besuchen, da müßte sie schon die Polizei hinschleppen. Es besteht kein Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser Aussage. Solche Zwangsmaßnahmen wären aber nicht mehr mit dem Persönlichkeitsrecht [der Tochter] zu vereinbaren (so auch OLG Frankfurt/M., FamRZ 1983, 217).

Eine weniger einschneidende Maßnahme als der Ausschluß des ASt. vom Umgang mit seiner Tochter konnte nicht getroffen werden, ohne das Kindeswohl der geschilderten konkreten Gefährdung auszusetzen.

Der dahin zielende Versuch im Beschluß v. 26. 5. 1992 (BezG E.), keine positive Besuchsregelung zu treffen, dem ASt. aber sein generelles gesetzliches Umgangsrecht nach § 1634 BGB in der Hoffnung auf ein freiwilliges, ungezwungenes Aufeinanderzugehen von Vater und Tochter nach möglichst baldiger Beruhigung der Verhältnisse zu belassen, ist durch das dagegen eingelegte Rechtsmittel des ASt. und Aufhebung der Entscheidung durch den BGH fehlgeschlagen. Die Umgangsbefugnis des ASt. nicht völlig, sondern lediglich für eine begrenzte Zeit auszuschließen, konnte demgegenüber im Interesse des Kindeswohls nicht verantwortet werden. § 1634 II S. 2 Alt. 1. BGB bietet die Grundlage für einen nur vorübergehenden Ausschluß, der die Möglichkeit eröffnen soll, daß sowohl Elternteil als auch Kind zur Ruhe finden, damit nach Ablauf der Begrenzung durch den gewonnenen zeitlichen Abstand die tiefgründige Ablehnung des Kindes überwunden wäre. Wenn aber - wie hier - die Zeit der Minderjährigkeit ohnehin nur weniger als zwei Jahre andauert, kann eine zeitliche Begrenzung diesen Zweck nicht mehr erfüllen.

Angesichts dessen muß es [der Tochter] ohne zeitlichen Druck überlassen bleiben, ob sie einen zukünftigen Kontakt zum Vater von sich aus sucht. Die mögliche Bereitschaft hierzu hat sie früher für den Fall zu erkennen gegeben, daß der ASt. sie bis dahin nicht bedränge und sie innerlich zur Ruhe kommen könne.

Der weitere Antrag des ASt., die nach den Erhebungen des zu beauftragenden Sachverständigen erforderlichen Maßnahmen im Kontaktbereich zu treffen, konnte keinen Erfolg haben, da er die Intervention eines Therapeuten voraussetzt. Wie schon vom BezG E. entschieden und vom BGH bestätigt, kann eine Sachverständigenintervention i. S. einer Familientherapie gerichtlich nicht angeordnet werden.

Auch der Antrag des ASt., für seine Tochter eine Aufenthaltsbestimmungspflegschaft zu errichten, mußte erfolglos bleiben. Gemäß § 1671 V BGB kann das Gericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht als einen Teil der Personensorge einem Pfleger übertragen, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Diese Voraussetzung liegt bei ihm gerade nicht vor. Denn nach dem Bestreben des ASt. soll der Aufenthaltsbestimmungspfleger den Umgang zwischen [Tochter] und Vater bestimmen, was aber aufgrund des Ausschlusses der Umgangsbefugnis nicht in Betracht kommt. Im übrigen ist eine entsprechende Beschränkung des Sorgerechts der Mutter nicht veranlaßt (§ 1666 I BGB).

Schließlich ist auch keine Sorgerechtsänderung angezeigt. Gemäß § 1696 I BGB kann das Recht der elterl. Sorge geändert werden, wenn dies im Interesse des Kindes erforderlich ist. Dafür ist keine Grundlage gegeben.

Rechtsgebiete

Ehe- und Familienrecht

Normen

BGB § 1634